The Legend of Zelda: Lost Stories

  • Völlig erschöpft und ausgelaugt ließ ich mich auf dem weichen Sofa in unserem Wohnzimmer nieder. Ich war mit Sicherheit noch nie so dankbar darüber gewesen einfach mal sitzen zu dürfen und nichts zu tun. Ein erleichtertes Stöhnen entglitt meiner Kehle, als ich endlich gemütlich saß, und sofort ließ ich mich nach hinten fallen. Mein Fuß war in einen dicken Gips verpackt worden, der aus mindesten zehn Bandagen bestand. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Der Arzt hatte absolut Recht, die Schmerzmittel waren verdammt stark. Ich spürte meinen Fuß gar nicht mehr, so, als wäre dort einfach gar nichts, als hätte ich dort nie einen Fuß gehabt. Dazu kam noch, dass ich mich zugedröhnt fühlte wie sonst was. Dabei hatte ich nur eine Tablette genommen! Was war da denn bitte schön drin? Wenn ich so darüber nach dachte war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte. Zelda setzte sich neben mich und starrte mich belustigt an. Ich musste wohl sehr bekifft ausgesehen haben, daran bestand kein Zweifel. So fühlte ich mich auch! Nicht, dass ich rauchen würde, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man genauso drauf sein musste, wenn man zu viele Zigaretten auf einmal hatte – und zwar die von der harten Sorte…


    Bevor ich die Medikamente eingenommen hatte, hatten Zelda und ich mit meinem Onkel über Zeldas ‚kurzweiligen’ Aufenthalt in unserem Haus gesprochen. Zu unserer Erleichterung hatte es keine große Diskussion gebraucht um ihn umzustimmen, er hatte ja sogar unnatürlich schnell eingewilligt. Am nächsten Tag wollten wir noch ihre Klamotten von ihrem Haus holen. Zunächst sollte niemand weiteres von dem Tod ihres Vaters erfahren, dessen waren wir uns relativ einig. Mit der Zeit würde sich das schon geben… hofften wir jedenfalls.



    „Hey, Link.“ Eine mir vertraute Stimme drang an mein Ohr, dazu kam noch, dass mich etwas an der Seite anstupste. Ein murriges Geräusch wurde von mir abgelassen, während ich langsam meine Augen öffnete. Bloß verschwommen war die Silhouette eines Mannes vor mir zu erkennen. Mit benebeltem Verstand versuchte ich mich ganz vorsichtig auf meinem weichen Untergrund aufzurichten und blinzelte immer mal wieder, um ein klares Sichtfeld kriegen zu können. Ich musste eingenickte sein, als ich so gemütlich auf dem Sofa lag, dazu kam noch, dass die Medikamente mich müde gemacht hatten. Nach nur ein paar Wimpernschlägen konnte ich erkennen, dass mein Onkel vor mir stand. Warum musste er mich denn unbedingt wecken? Noch immer übermüdet rieb ich mir mit meinen Händen über die Augen und ließ meinen Blick zur Seite wandern. Offenbar hatte Zelda auch geschlafen. Ebenfalls benommen starrte sie zuerst mich und dann meinen Onkel fragend an.


    „Endlich seid ihr wach“, sagte er. „Hier, trink das.“ Er hielt mir eine Glasflasche mit einer blutroten Flüssigkeit entgegen, welche mit einem Korken verschlossen war. „Was zum Teufel ist das?“, fragte ich und musterte das Gebräu skeptisch. Appetitlich sah es jedenfalls nicht aus. „Erklär’ ich dir, wenn du es getrunken hast“, meinte er nur und sah mich streng an. Genervt nahm ich das Zeug entgegen. Wenn es nicht wenigstens schmeckte würde er das bereuen! Mit einem lauten Seufzer zog ich den Korken von der Flasche und sofort stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. Angewidert schaute ich zu Zelda, die den Geruch auch nicht wirklich gut zu heißen schien.


    „Jetzt trink’ endlich! Und zwar alles!“, drängte mich mein Onkel. „Ja doch.“ Ich rollte mit den Augen und nahm einen großzügigen Schluck von dem roten Zeug. Mit großen Augen beobachtete Zelda mich dabei, wie ich das Glas mit jedem Schluck immer weiter leerte. Natürlich schmeckte es widerwärtig. Angeekelt stieß ich Luft aus und konnte beobachten, wie eine kleine rote Wolke aus Atem vor mir entstand, die den Geruch des Tranks mit sich zog. Das Zeug war so widerlich, dass ich am liebsten gekotzt hätte! Ein Würgen wurde von mir abgelassen und ich starrte meinen Onkel leicht entsetzt an. „Was zum Teufel war das denn für ein ekelhafter Mist!“, fragte ich ihn und ich würde mich bestimmt nicht zufrieden geben, ehe ich die Antwort erhielt. „Nun, dieses Gebräu hat über den Lauf der Jahre verschiedene Namen mit sich getragen“, begann er mit seinen Erklärungen. „Heiltrank, rotes Elixier… ich bevorzuge Herztrank.“ Skeptisch musterte ich ihn und zog dabei eine Augenbraue hoch. Wovon redete er das? „Es wirkt besser als jedes Medikament und kann den Heilungsprozess bei jeder Art von Verletzung beschleunigen. Damit wird dein Fuß in Null Komma Nichts geheilt sein.“ Unsicher starrte ich meinen Fuß an. Es wäre zwar schön, wenn es stimmte, allerdings wunderte es mich mehr, wieso ich noch nie etwas von diesem „Wunderheilmittel“ gehört hatte.


    „Verzeihen Sie, Tom…“ „Bitte, duz’ mich doch“, unterbrach mein Onkel das Wort von Zelda. Sie nickte und sprach weiter: „Wieso verfügst du über solch ein Mittel?“ Erwartungsvoll starrte ich ihn an. Auch mich interessierte die Antwort brennend. „Ja, und warum kennt es sonst niemand? Wer weiß wie vielen Menschen mit diesem Zeug geholfen werden könnte!“, fügte ich noch hinzu. „Es ist ein Familiengeheimnis. Selbst wenn ich es der Öffentlichkeit präsentieren würde, das Heilkraut für den Trank existiert schon lange nicht mehr, es hätte also keinen großartigen Nutzen für den Rest der Welt. Ich selbst habe davon nur noch fünf Flaschen. Sie dienen bloß für den absoluten Notfall.“


    Er setzte sich mir gegenüber und musterte mich von oben bis unten. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Körper breit. Aber mein Onkel hatte tatsächlich Recht. Jetzt, wo ich den Trank getrunken hatte, fühlte ich mich viel lebendiger und voller Energie. Vorsichtig versuchte ich meinen verletzten Fuß zu bewegen und es funktionierte, auch wenn es noch immer leicht schmerzte. Erstaunt machte ich große Augen und starrte meinen Onkel irritiert an. „Es gibt noch mehr Tränke dieser Art“, erzählte er weiter. „Aber ihre Wirkung ist uns im Moment noch nicht von Nutzen.“ Er seufzte einmal tief und ließ seinen Blick zwischen mir und Zelda hin und her schweifen.


    „Link, Zelda… ich muss euch etwas erzählen. Hört mir aufmerksam zu!“
    Er machte eine kurze Pause, vermutlich überlegte er, womit er anfangen sollte. Unsicher sahen Zelda und ich uns an, ehe wir meinen Onkel erwartungsvoll anstarrten.


    „Ich weiß sehr gut über alles Bescheid. Über unsere Herkunft, das Zeichen auf euren Handrücken, ja sogar darüber, dass das Schicksal großes für euch vorherbestimmt hat.“ Mit einem Mal hatte ich noch größere Augen, als ohnehin schon. Ich brauchte einen Moment um den Sinn seiner Worte zu verstehen.


    „Du wusstest das? Und warum hast du mir nie davon erzählt?“ Ich wurde wütend. Sehr wütend. Es war mein Schicksal, meine Bestimmung, mein Leben! Ich hatte ein Recht darauf zu erfahren woher ich stamme, was mir bevorsteht und auch darauf, wer ich bin! Wieso wurde es mir verschwiegen? Wieso war alles so furchtbar kompliziert?!


    „Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Link… Wissen ist Macht, aber Wissen kann auch gefährlich werden. Sobald du eingeweiht bist steckst du komplett in der Sache mit drin und es gibt für dich kein zurück mehr!“


    Ich schluckte. Auch wenn es mir nicht gefiel, aber ich musste mir eingestehen, dass er Recht hatte. Beschämt starrte ich zu Boden. Ich hätte ihn nicht anschreien dürfen.


    „Hat das Ganze etwas mit dem Buch zu tun, dass sich mit Link… ‚vereint’ hat?“, fragte Zelda vorsichtig. Mein Onkel nickte. Woher wusste er von dem Buch? Davon hatte ich bis jetzt niemanden erzählt, außer Zelda. Aber ich beschloss nicht zu fragen. Eigentlich war die Antwort selbsterklärend. Wahrscheinlich wusste er von der Existenz dieses Buches bereits und auch davon, dass es eine wichtige Rolle spielte. Oder so ähnlich.


    „In dem Buch wurde ein Reich namens Hyrule erwähnt. Was hat es damit auf sich?“ Zelda war deutlich die Neugier anzumerken. Ihre Augen strahlten vor Wissensdurst. Ich selber war mir nicht so sicher, ob ich noch mehr erfahren wollte, aber das Verlangen nach klaren Antworten besiegte mich schließlich doch.


    „Hyrule ist ein Königreich, das vor sehr langer Zeit einmal auf dieser Welt existiert hat. Aber nach einem schrecklich Krieg ging das Reich zu Grunde.“ „Weshalb fand dieser Krieg statt?“, fragte ich. Man führte einen Krieg immerhin nicht völlig umsonst, jedenfalls nicht, wenn man noch halbwegs bei Verstand war. „Das weiß man heute nicht mehr genau, aber es müsste sich um einen Glaubenskrieg gehandelt haben. Wie ihr sicher bereits wisst verehrten die Hylianer drei Göttinnen. Allerdings zogen eines Tages Andersgläubige in das Reich ein und wollten durch einen Kreuzzug den ‚heidnischen’ Glauben verbannen, im ihre eigene Religion durchsetzen zu können. Die Waffen der Feinde waren viel fortschrittlich als die der Hylianer. Sie hatten keine Chance. Viel Blut wurde vergossen und nur die königliche Familie mitsamt einigen wenigen konnten fliehen und überleben.“ Das klang wie Geschichtsunterricht für mich. Stöhnend schlug ich mir meine Hände auf das Gesicht. „Das ist alles so kompliziert“, jammerte ich und ließ mich nach hinten fallen.


    „Eine Frage hätte ich da noch“, sagte Zelda und verschränkte ihre Arme. „Und die wäre?“, fragte mein Onkel und starrte die Blonde erwartungsvoll an. „Wie kommt es, dass sich niemand mehr an diese Zeit erinnert? Egal wie lange das alles her ist, es muss doch ein paar Überbleibsel geben. Ruinen, Schriften, Malereien… irgendwas, dass auf die Existenz dieses Königreichs hinweist!“
    „Das ist eine berechtigte Frage. Die Antwort ist eigentlich recht simpel. Sie lautet: Magie.“


    Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch und starrte meinen Onkel skeptisch in die Augen.
    „Das soll doch ein Scherz sein, oder?“ „Aber nein! Ihr habt in dem Buch doch mit Sicherheit auch gelesen, dass die Hylianer der Magie mächtig waren, vor allem die Prinzessin verfügte über mächtige Kräfte. Nach ihrem Entkommen versiegelte sie die Erinnerungen an das Reich in den Menschen. Sie verschaffte sich Zugang zum heiligen Reich und wünschte sich von dem Artefakt der Göttinnen – dem Triforce – dass Hyrule und alle Hinweise auf dessen Existenz ausgelöscht werden sollten. Da die neue Bevölkerung keine Magie praktizierte, ging auch der Gebrauch dessen verloren. Die wenigen Überlebenden siedelten sich in einem kleinen Dorf, weit weg von dem Rest der Welt, an und überlieferten ihre Geschichte von Generation zu Generation, allerdings sollte sie unter den Familienmitgliedern bleiben und nicht an die Außenwelt getragen werden. Den Grund für das Handeln der Prinzessin kenne ich allerdings nicht, doch ich vermute, dass sie weitere Auseinandersetzung vermeiden wollte. Ob es eine andere, bessere Lösung gegeben hätte, weiß ich ebenfalls nicht, aber ich zweifle nicht an ihrer Tat, denn die Prinzessinen Hyrules waren immer voller Weisheit.“


    Ich war mir mit der ganzen Sache immer noch nicht so sicher. Selbst wenn ich spitze Ohren oder ein Dreieck auf meinem linken Handrücken hatte und selbst wenn ich Träume hatte, in denen ich drauf gehen könnte, ja sogar selbst wenn ich gerade einen Zaubertrank getrunken hatte… es wirkte einfach unwirklich. Nicht real. Egal wie lange ich schon träumte, ich konnte es immer noch nicht glauben. Wie konnte so etwas Wirklichkeit sein? Magie, Auserwählte, Göttinnen, Artefakte, Monster, Helden, Prinzessinnen… das klang wie eine Fantasygeschichte! Wie der Plot eines Filmes und ich war die Hauptrolle!


    „Wie lange weißt du schon, dass etwas im Gange ist?“, fragte ich meinen Onkel. Seit ich angefangen hatte zu träumen verhielt er sich anders als sonst. Er war ruhiger, besorgter, vorsichtiger, nicht so, wie ich ihn kannte.


    „Seit ich euch Beide abgeholt und ins Krankenhaus gefahren habe weiß ich es sicher, vorher hatte ich bloß Vermutungen. Weißt du noch wie ich reagiert habe, als du mir zum ersten Mal von Zelda erzählt hast, Link?“ Ich erinnerte mich noch sehr gut daran. Als ich ihren Namen erwähnt hatte war er schlagartig ruhiger geworden, die Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen und er war plötzlich wie geistesabwesend. Vorsichtig nickte ich, als Antwort auf seine Frage.


    „Nun, es war mir von Anfang an klar, dass du eines Tages auf ein Mädchen namens Zelda treffen würdest. Aber in diesem Moment kam es so plötzlich und unerwartet. Ich hatte Angst, dass die „Zeit reif“ sein könnte, da ich gehofft hatte, dass zumindest deine Kindheit ruhig verlaufen würde. Nur ich war mir nicht sicher, es hätte auch bloß ein Zufall sein können, dass sie ebenfalls Zelda heißt. Aber als ich sie dann gesehen habe, war ich mir wirklich sicher, da du ja auch spitze Ohren hast, Zelda. Ihr müsst wissen, die ‚Prinzessinnen des Schicksals’ aus Hyrule trugen immer den Namen Zelda. Unter deinem Pflaster hast du mit Sicherheit auch dasselbe Dreieck wie Link, nicht war?“ Zelda starrte auf die Hand mit dem dicken Pflaster, sagte allerdings nichts dazu. „Dein Schweigen deute ich als ein ‚Ja’“, sagte mein Onkel.


    Prinzessinnen des Schicksals… aber Zelda war doch keine Prinzessin, zwar eine Nachfahrin des Königshauses von Hyrule, aber dieses existierte schon lange nicht mehr. Wobei das ja nichts heißen musste. Ich warf einen kurzen Blick zu Zelda rüber, nur um zu sehen, wie sie auf die Informationen reagierte. So wie es aussah war sie zwar verwirrt, aber sie konnte die Fakten viel leichter verarbeiten und akzeptieren als ich. Zumindest sah es für mich so aus.


    „Die ‚Zeit reif’?“, fragte Zelda etwas spöttisch. „Was passiert denn, wenn die ‚Zeit reif’ ist?“ Diese Frage konnte ich mehr als nur nachvollziehen. Was war damit gemeint? Erwartungsvoll starrte ich meinen Onkel an und wartete auf eine Erklärung. Er antwortete nicht sofort, ließ sich Zeit, um die passenden Worte finden zu können.


    „Euch jetzt davon zu erzählen könnte gefährlich werden.“ Mit diesen Worten war es amtlich. Wir wurden zum Narren gehalten. Man erzählte uns etwas von Auserwählten und Schicksal, wollte aber nicht erklären, was denn nun Schlimmes passieren sollte. Aufgebracht stöhnte ich und verschränkte meine Arme. „Kannst du es nicht wenigstens im Groben sagen?“, fragte ich ihn. Immerhin wollte ich wissen, WARUM ich auserwählt sein sollte und WIESO das alles her passierte.


    „Nun…“ Mein Onkel ließ sich immer noch ganz schön Zeit. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, das Thema war kompliziert, aber ich war schließlich nicht unbedingt für meine Geduld bekannt. Nervös und angespannt begann ich bereits mit meinem gesunden Fuß auf den Boden zu tippen, was ich immer tat, wenn ich dabei war vor Ungeduld zu platzen.


    „Ich denke, ich kann euch folgendes erzählen…“ Zelda und ich hoben gleichzeitig unsere Köpfe und hörten ihm aufmerksam zu. „Laut der Legende geschieht immer etwas, wenn der Auserwählte und die Prinzessin sich treffen. Egal in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, egal für wie gut und wie lange, dass sie einander kennen hat immer eine größere Bedeutung. Ob die Geschehnisse allerdings gut oder schlecht sein werden, das vermag leider keiner vorauszusehen.“


    Unsicher starrten Zelda und ich uns in die Augen, dabei schluckte ich einmal kurz und unmerklich. Wenn das stimmte, dann stand uns noch einiges bevor…

  • Feuer, siedend heißes Feuer, so weit das Auge reicht. Die glühende Hitze nimmt mir den Atem, der schwarze Rauch raubt mir den Verstand und benebelt meine Sinne. Was ist bloß passiert? Was ist falsch gelaufen? Welchen Fehler habe ich gemacht? So viele Gefahren habe ich gemeistert, ein ganzes Königreich habe ich gerettet, durch die Zeit bin ich gereist… doch ein weiteres Mal konnte ich eine solche Tat nicht vollbringen. Dieses Land konnte ich nicht retten. Das Schicksal aller Wesen hier lastete auf meinen Schultern und niemand wusste davon. Niemand wusste von der grauenvollen Katastrophe, von der drohenden Apokalypse, die sich in diesem Moment bewahrheiten würde. Auch ein Held machte Fehler, aber so etwas konnte er sich nicht leisten. Ich habe kläglich versagt, ich habe es nicht geschafft das Böse ein weiteres Mal zu besiegen. Ich bin Schuld an dem Tod zahlreicher Menschen. Mein Blick fällt nach oben. Der Grund für das Ende dieser Welt nähert sich mir immer mehr. Es wird auch meinen Tod bedeuten. Navi, meine Gefährtin, meine Freundin… wegen dir habe ich diese Reise überhaupt erst angetreten. Ich bedauere es, dass wir uns nun doch nicht mehr sehen können. Aber keine Angst. Selbst nach meinem Ableben werde ich dich nicht vergessen. Und obwohl ich meinem Tod schon ins Auge blicken kann muss ich lächeln, weil ich an dich denke. Bitte denke ab und zu an mich, meine kleine Fee. Immer mehr spüre ich die Auswirkungen des Aufpralls von der hässlichen Fratze am eigenen Körper, ich kann mich kaum noch auf den eigenen Beinen halten. Und gerade jetzt in diesem Augenblick muss ich auch an eine weitere Person denken. Prinzessin Zelda… Es tut mir Leid, dass wir uns kein weiteres Mal mehr treffen können. Ich werde dich vermissen. Hoffentlich vergisst du mich nicht… du musst mir versprechen, dass du mich nicht vergessen wirst. Es ist traurig, dass diese Nachricht dich niemals erreichen wird, aber ich will es nicht unausgesprochen lassen. Lebe wohl, Zelda. Und vielen Dank… für alles. Die Hitze beginnt bereits in meinen Augen zu brennen. Ich schlage die Arme vor das Gesicht, obwohl es mich nicht vor meinem Schicksal bewahren wird. Es ist rein instinktives Verhalten. Der Druck wird immer stärker. Lebt wohl, meine Freunde… Salia, Malon, Navi, Zelda… niemals werde ich zulassen, dass ich euch vergesse. Meine Seele wird unsere gemeinsamen Zeiten weiter tragen, von Generation zu Generation. Ich spüre wie der Boden unter meinen Füßen verschwindet. Ein lauter, schallender Schrei entgleitet meiner Kehle und ich werde brutal weggeschleudert, direkt in Richtung der heißen Flammen. Es ist bereits viel zu spät um etwas tun zu können. Ich höre bloß noch das schrille und ohrenbetäubende Gelächter dieses bemitleidenswerten Kindes. Es geht mir immer bis unter die Haut und bereitet mir eine unangenehme Gänsehaut.
    Volk von Termina, es tut mir Leid, dass ich euch nicht helfen konnte. Horror Kid, es tut mir Leid, dass ich dich nicht retten konnte. Taya… du und Navi, ihr hättet euch sicher gut verstanden… verzeih mir bitte, dass ich auch dir nicht helfen konnte. Du wolltest unbedingt deinen Bruder retten… du bist eine gute Schwester… Ich hoffe, ihr alle könnt mir verzeihen…



    Geschockt schlug ich meine Augen auf. Mein Atem war laut und hysterisch, warme Schweißtropfen liefen mir die Stirn herunter und eine unmenschliche Hitze erschlug mich, so stark, dass ich die Decke von meinem Körper schmiss. Mein Herz schlug so fest gegen meine Brust, dass ich Angst hatte es könnte zerspringen. Sofort richtete ich mich auf und hielt meine Hand an meine Brust um den lauten Atem zu beruhigen. Vorsichtig ließ ich meinen Blick auf meinem Bett ruhen um mich zu vergewissern, dass ich Zelda nicht aufgeweckt hatte. Gestern hatte ich ihr mein Bett zur Verfügung gestellt und es mir selbst auf einer Matratze gemütlich gemacht. Zu meinem Glück schlief sie noch immer ruhig. Schnell stellte ich mich auf, achtete dabei allerdings nicht auf meinen noch immer verletzten Fuß und musste bei dem plötzlichen Schmerz kurz zusammen zucken, biss dabei meine Zähne aufeinander und stöhnte schmerzhaft auf. Der Herztrank hatte zwar ganze Arbeit geleistet, aber noch waren die Knochen nicht komplett verheilt. Für eine schnelle Genesung waren die Verletzungen wohl doch zu stark. Ungeschickt humpelte ich in das Badezimmer und stolperte in den Raum, sofort schloss ich die Tür hinter mir zu. Mein Atem war noch immer laut. Ein Blick in den Spiegel zeigte mein leichenblasses Gesicht und meine weit aufgerissenen, schon fast verstörten Augen. Erst jetzt wurde es mir wirklich bewusst. Ich hätte sterben können. Die Flammen hätten mich verbrennen können. Ich lehnte mich gegen die geschlossene Tür und ließ mich langsam bis zu dem Boden entlang gleiten. Ein Schluchzen wurde von mir abgelassen, ich spürte, wie salzige Tränen meine Wangen herunter liefen. Wäre ich nicht aufgewacht, hätte ich den heutigen Tag nicht mehr erlebt. Meine Hände begannen zu zittern, meine Lippen bebten. Noch nie hatte ich eine solch große Angst gehabt. Ich hatte Todesangst.


    Zum ersten Mal erlebte ich die Vergangenheit als der Held selbst und nicht bloß als unsichtbarer Zuschauer. Ich habe all die Probleme, all die Last auf seinem Herzen spüren können. Die Angst, die Verzweiflung, die Enttäuschung, die er in diesem Moment gespürt hatte. Was sollte mir der Traum sagen? Das selbst ein Held verlieren konnte? Wozu einen auserwählen, wenn er genauso versagen konnte wie jeder andere auch? Die Tatsache, dass ich ein Auserwählter der Göttinnen war, dass ich ein Fragment in mir trug, es würde mich nicht vor einer möglichen Niederlage bewahren. Ein weiteres Schluchzen von mir war zu hören. Ich erinnerte mich an dieses schrille Lachen. Dieses verstörende Lachen, das sich für immer in meinen Kopf einbrennen und mir wieder durch Mark und Bein gehen würde, wenn ich nachts nicht schlafen konnte. Und ich sollte ein Held werden? Ich, der hier lag und in Selbstmitleid badete, der vor Angst schlotterte? Warum ich? Der Held in meinen Träumen… er konnte lächeln, obwohl er dem Tod quasi ins Auge geblickt hatte. Er hatte seine letzten Gedanken seinen engsten Freunden gewidmet. Er besaß wahren Mut. Würde ich dasselbe in solch einer Situation tun können? Würde ich einfach lächeln und mein Schicksal akzeptieren können, würde ich in solch einem Moment für mein vorheriges Leben dankbar sein können? Oder würde ich wie jetzt aus lauter Angst verzweifeln und alles und jeden für diese Strafen, für dieses Leiden hassen? Würde ich meine Vorfahren dafür verfluchen, dass ausgerechnet ich mit ihnen verwandt sein musste? Durfte ein wahrer Held solche Gedanken überhaupt haben? Würde ein solcher Held sich seinen Ängsten nicht entgegenstellen anstatt sich von ihnen beeinflussen zu lassen? Würde ein echter Held nicht aufstehen und seinen Weg weitergehen ohne auch nur einen Gedanken an das Aufgeben zu verschwenden?


    Vorsichtig hob ich meine linke Hand. Mit von Hass getränktem und mit Tränen erfülltem Blick starrte ich das goldene Dreieck an. Durfte ein Held überhaupt hassen?


    Ich war kein Held. Viel zu schnell ließ ich mich unterkriegen. Und dabei musste ich doch stark sein. Es war meine Aufgabe die Leute, die mir lieb waren zu beschützen. Warum fiel es mir in diesem Moment so schwer an mein Schicksal zu glauben? Wieso konnte ich nicht wie die Helden aus meinen Träumen bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen und an einem sicheren Sieg festhalten?


    „Ich bin kein Held“, flüsterte ich. „Ich bin ein egoistischer Feigling. Ich werde niemals ein ganzes Land retten können, ganz alleine schon gar nicht. Wie soll ich gegen wirkliche Gefahren ankommen, noch gefährlicher als meine Träume, wenn ich jetzt schon das letzte Häufchen Elend bin? Alleine dieses Lachen, dieses grausige, fürchterliche Lachen reicht schon um mich fertig zu machen…“


    Noch immer zitterten meine Hände. Es war unheimlich schwer die Fassung zu bewahren, noch schwerer war es mich wieder zu beruhigen. Langsam strich ich mit meinem Daumen die Tränen aus meinen Augen. Ich wollte kein weiteres Mal in den Spiegel sehen. Der Anblick eines Totalversagers würde mich nur noch verzweifelter stimmen. Obwohl meine Beine schwach waren stellte ich mich wieder auf. Schließlich konnte ich schwer für immer so hier sitzen bleiben, auch wenn ich es liebend gerne getan hätte. Vorsichtig richtete ich mich über dem Waschbecken aus, vermied dabei gekonnt jeglichen Augenkontakt mit meinem Spiegelbild, und öffnete den Wasserhahn. Eiskaltes Wasser floss in Strömen heraus und verschwand im Abfluss. Ich formte meine Hände zu einer Schale und hielt sie unter das fließende Wasser. Auf diese Kälte war ich nicht vorbereit gewesen und zuckte bei dem Gefühl kurz zusammen. Ich beugte mein Gesicht weiter vor und spritzte das kühle Nass in mein Gesicht. Es war eine wundervolle Erfrischung und viel effektiver, als ich erwartet hatte.


    Sofort schlich ich mich zurück zu meinem Schlafplatz und ließ mich fallen. Erleichtert stellte ich fest, dass Zelda noch immer schlief. Es war schon seltsam… obwohl kaum zwei Tage vergangen waren seit ich sie aus ihrer schrecklichen Verfassung ‚gerettet’ hatte und es ihr noch viel schlechter ging als mir jetzt, wirkte sie nun viel mutiger und selbstsicherer als ich. Dabei sollte ich eigentlich so sein. Ich bewunderte sie für ihre Willensstärke. Hoffentlich würde ich es ebenfalls schaffen können neuen Mut zu fassen, so wie sie.


    So leise wie nur möglich tastete ich nach meinem Handy. Die Kopfhörer steckten glücklicherweise noch drin. In dieser Nacht würde ich nicht mehr schlafen können, etwas Musik konnte mir nur gut tun. Eine Ablenkung war nun dringend nötig. Ohne lange darüber nachzudenken steckte ich die Stöpsel in meine Ohren und ließ die Playlist laufen. Dubstep ohne Gesang. Gerade jetzt war das perfekt.


    Das Handy verriet mir, dass es erst zwei Uhr in der Früh war. Am nächsten Tag musste ich auch noch in die Schule. Ohne Energy Drink würde ich den Tag nicht überleben, ganz besonders nicht mit Dragmire in der ersten Stunde. Diesen idiotischen Lehrer hatten wir jetzt schon seit Wochen. Ich wünschte mir sehnlichst unsere alte Lehrerin zurück. Was war eigentlich mit ihr passiert? Welcher Unfall konnte so verheerend sein, dass man so lange arbeitsunfähig war? Ohne Frage, ich würde mich nach ihr informieren, völlig egal ob in einer Woche die Sommerferien starten würden und ich wahrscheinlich so oder so nichts mehr mit ihr zu tun haben würde. Das Ganze kam mir einfach nur verdammt seltsam vor. Ich wusste zwar nicht was da vor sich ging, aber normal war das nicht, so viel war klar.


    Ich beschloss die ganze Geschichte erstmal auf sich beruhen zu lassen und mich zu entspannen. Ich war immer noch etwas aufgebracht wegen meines heutigen Traumes, da konnte ich nicht wirklich klar denken. Vermutlich redete ich mir auch bloß irgendwelche Hirngespinste ein, wer wusste das schon?

  • Sö, nachdem ich viel zu lange nichts mehr geschrieben habe, geht es nun wieder weiter. Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch ^^



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    Irgendwie hatte ich es dann wohl doch geschafft einzuschlafen, auch wenn es nur für eine halbe Stunde war. Es war zwar viel mehr eine Art Halbschlaf, aber trotzdem genug um mich noch müder zu machen. Wie viel Sinn es auch machte durch das Schlafen müde zu werden. Jedenfalls hatte Zelda mich geweckt, was nicht ganz einfach war mit der lauten Musik in meinen Ohren. Letztendlich hatte sie es dann dadurch geschafft, dass sie das Kissen unter meinem Kopf weggezogen hatte und ich mit einem riesigen Schock hoch geschreckt war. Am liebsten wäre ich noch länger liegen geblieben, aber ich war ihr dann doch dankbar dafür, dass sie mich geweckt hatte. Auf diesem Weg wurden bloß unnötig irgendwelche Träume verhindert, in denen ich sterben könnte.


    Nachdem ich mich ins Bad geschleppt hatte und nichts weiter getan hatte, als mir durch die Haare zu wuscheln und meine Zähne kurz zu putzen, hatte ich mir aus dem Kühlschrank eine kühle Dose Monster Energy geschnappt und trank sie genüsslich aus, während ich darauf wartete, dass Zelda endlich fertig wurde. Geduscht hatte sie schon gestern, jetzt fehlte bloß noch das übliche: umziehen, schminken, Haare machen, whatever…


    Aus welchem Grund auch immer schlief mein Onkel immer noch. Eigentlich war er der totale Frühaufsteher und immer schon mindestens eine Stunde vor mir wach. Entweder machte ihm die ganze Sache momentan mehr zu schaffen, als ich dachte, oder er war wegen eines Fußballspiels oder ähnlichem letzte Nacht viel zu lange aufgeblieben. Er sollte sich mal nicht so anstellen, immerhin wäre ich die Nacht fast verreckt.


    Das Koffein zeigte allmählich seine Wirkung. Auch wenn ich erst die Hälfte ausgetrunken hatte spürte ich bereits, dass mein Körper sich unbedingt bewegen wollte. Jetzt musste das nur noch bei meinem Verstand ankommen und alles war super.


    „Was zum Teufel braucht die denn so lange?“, flüsterte ich leise. Eigentlich lief ich jeden Tag mit Jan und Luke gemeinsam zur Schule, da wir drei zufälligerweise in derselben Straße wohnten, aber es war bereits so spät, dass sie mit Sicherheit schon ohne mich losgegangen waren. Die dachten wohl ich hätte schon wieder verschlafen, dabei war ich schon seit Stunden wach.


    Ich seufzte erleichtert
    auf, als ich sie endlich im Eingangsflur sah. Sie war gerade dabei sich ihre
    weißen Ballerinas anzuziehen, als ich den letzten Schluck aus meiner Dose
    genüsslich ausgeschlürft hatte. Jetzt sah Zelda erst recht wie eine komplett
    andere Person aus – sie hatte sich blaue und auch relativ kurze Jeansshorts und
    dazu ein grasgrünes Top mit dünnen Spaghettiärmeln angezogen, die Spitzen ihrer
    blonden Haare hatte sie sich gelockt. Warum hatte sie sich die Haare gelockt?
    Kein Wunder, dass sie so lange gebraucht hatte. Gerade zog sie sich ihre Mütze
    über, um ihre spitzen Ohren nicht sichtbar werden zu lassen. Wie sie es bei
    dieser Hitze mit so etwas auf dem Kopf aushielt war mir ein Rätsel.





    Zelda war dabei sich eine
    Jeansjacke überzuziehen. Es war zwar extrem heiß heute, aber sie würde das wohl
    aushalten müssen, wenn sie nicht wollte, dass jemand ihre Schnittverletzungen
    an den Armen bemerkte.


    Bei diesem Anblick musste ich mit dem Kopf schütteln, konnte mir ein Lächeln allerdings nicht vergreifen. Zelda starrte mich mit einem breiten Grinsen an, während sie sich ihre Tasche umwarf. „Was?“, fragte sie, noch immer lächelnd. „Ach nichts“, kam es schließlich von mir. Schnell hatte ich mir noch meine Krücken geschnappt. „Ich habe mich nur gefragt, warum du dir so viel Zeit gelassen hast.“


    Wir verließen gemeinsam das Haus und ich schloss die Tür hinter uns. „Es war nun mal schwer wieder ordentlich aus zu sehen, wenn man sich zwei Wochen lang ziehen lässt“, gab sie mir wieder zurück. „Gutes Argument.“


    Eine Dose Monster Energy hatte wohl nicht gereicht. Etwas Müdigkeit hatte mich noch immer im Griff. Da Zelda ebenfalls immer noch relativ müde war liefen wir schweigend nebeneinander her, was eigentlich relativ angenehm war. Manchmal war es einfach besser, wenn man die Klappe hielt und nichts sagte.



    Ich konnte ganz deutlich die ganzen Blicke spüren, als ich gemeinsam mit Zelda den Klassenraum betrat. Auch wenn wir verdammt lange gebraucht hatten, waren wir noch relativ pünktlich angekommen und es war auch noch kein Lehrer anwesend. Die Mädchen begannen zu kichern und die Jungs grinsten mich an. Bei diesem Anblick konnte ich nicht mehr als die Augen zu verdrehen. Hatten die nichts, worüber sie sich unterhalten konnten? Manchmal wurden solche Sachen von denen hier sehr übertrieben. Aber ein wenig konnte ich es auch verstehen. Da nach den Sommerferien die Oberstufe starten würde, war das hier auch gleichzeitig die letzte Woche gemeinsam mit dieser Klasse. Da wollte natürlich jeder noch so viel Zeit wie möglich mit allen verbringen, da achtete man auch ganz besonders auf jeden Einzelnen. In solchen Momentan war man froh, dass man in so einer lieben Klasse war. Keiner wurde wirklich ausgeschlossen, wir gingen alle nett miteinander um und wir hatten uns auch wirklich alle lieb. Wenn man sich da die anderen Klassen in diesem Jahrgang anschaute konnte man von Glück sprechen.


    Aber meine Krücken waren natürlich auch nicht zu übersehen. Wieso konnte dieser Trank nicht schneller wirken? Jetzt würden etliche Fragen wie „Oh mein Gott, was ist passiert?“ oder „Kann ich auf dem Gips unterschreiben?“ kommen. Ich freute mich schon darauf – nicht.


    Wie zu erwarten waren bereits die ersten aufgesprungen, darunter zählten sich erstmal nur Mädchen. Und genau der Fall, den ich erwartet hatte, war eingetreten. Ich wurde von hunderten Fragen durchlöchert. Während ich allen die Lage erklärte stand Zelda etwas verlegen neben mir. Vor allem die Blicke, die kamen, als ich erwähnte, dass wir zusammen waren, als es passiert war, waren extrem unangenehm.


    Nachdem die Fragerei endlich vorbei war und ausnahmslos jeder auf meinem Gips unterschrieben hatte, ließ ich mich auf meinen Platz fallen und gähnte einmal ausgiebig, während Zelda sich noch einmal kurz zu ihren Freundinnen gesellte. Sie war ebenfalls sofort mit Fragen durchlöchert worden, die so ähnlich waren wie „Warum warst du denn so lange weg?“ „Warst du krank?“ oder „Bist du wieder gesund?“


    Natürlich war es klar, dass ich nicht lange alleine bleiben würde. Sofort kam Luke zu mir herüber, logischerweise mit einem breiten Grinsen im Gesicht.


    „Da wurden wir wohl versetzt, was?“, meinte er zu mir und setzte sich auf meinen Tisch. Ich rollte mit den Augen und verschränkte meine Arme ineinander. „Dein Ernst?“, fragte ich ihn. Er starrte mich herausfordernd an. Ich deutete das als ein „Ja“.


    „Aber denkst du wirklich, es ist noch niemandem aufgefallen?“, fragte er mich dieses Mal. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. „Was soll aufgefallen sein?“ Er beugte sich etwas weiter zu mir vor. Was zur Hölle sollte das denn jetzt werden? „Na liegt das nicht auf der Hand? Man sieht dich und Zelda ständig zusammen, auch in der Pause. Offensichtlich trefft ihr euch auch regelmäßig außerhalb des Unterrichts und jetzt lauft ihr auch noch gemeinsam zur Schule. Du kannst mir nicht erzählen, dass da nichts läuft.“


    Irritiert starrte ich ihn an und musste erst ein paar Mal blinzeln, ehe ich den Sinn seiner Worte verstanden hatte. „Warte, du denkt, dass Zelda und ich… so…“ „Nicht nur ich denke das“, unterbrach er mich mitten im Satz. Auf einmal musste ich lachen. Das war doch nicht wirklich deren Ernst? „Hör mal, ich und Zelda, wir sind nur gute Freunde, mehr ist da nicht, okay?“


    Jan zuckte bloß noch mit den Schultern. „Wenn du meinst.“ Er setzte sich auf seinen Platz und ich starrte ihm hinterher. Vorsichtig dachte ich über seine Worte nach und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ein wenig hatte er ja schon Recht. Wir waren seit dem Tag, an dem Zelda in die Klasse gekommen war, sehr oft zusammen unterwegs gewesen. War da vielleicht doch etwas dran?


    „Unsinn“, flüsterte ich leise und schüttelte den Kopf. Zelda und ich, wir waren bloß Freunde. Und außerdem waren wir durch das ‚Schicksal’ verbunden. Wer weiß, was er sagen würde, wenn er das wüsste. Aber wahrscheinlich dachten dann alle bloß, dass es noch wichtiger war, dass wir beide ein Paar werden. Warum dachten auch immer alle sofort, dass man zusammen war, nur weil mal ein Junge und ein Mädchen sich super miteinander verstanden? Immerhin waren wir nicht die einzige Junge und Mädchen Freundschaft in dieser Klasse. Es wurde mal wieder von allen viel zu übertrieben.

  • „Wir werden morgen wieder einen Test schreiben. Diesmal kündige ich ihn an, vielleicht werdet ihr dann nicht wieder so katastrophal schlecht abschneiden wie beim letzten Mal. Was ihr hier bei diesem Test abgezogen habt ist wirklich das allerletzte. Mir ist noch nie eine so unvorbereitete und regelrecht dumme Klasse unter die Augen gekommen wie ihr es seid. Ihr solltet euch was schämen für eure Inkompetenz.“


    Mit strengem Blick besah Herr Dragmire sich die Klasse und musterte jeden einzelnen von uns einmal sorgfältig. Alle waren still geworden, man hätte eine Mücke hören können. Einige trauten sich nicht dem Lehrer in die Augen zu schauen und starrten stattdessen auf den Tisch, die Decke oder sonst wo hin. Ich und Zelda jedoch funkelten ihn wütend an. Wir starrten direkt in seine seelenlosen, stechend gelben Augen. Was bildete er sich auch ein? Ein Notendurchschnitt von 3,0 war wirklich gut, wenn man einmal bedachte, was für seltsame Fragen gestellt worden waren. Niemand war auf einen Test vorbereitet gewesen und einzelne Dinge ergaben einfach keinen Sinn. Ganz besonders den Sinn der Frage „Welche Bedeutung hat die Dreiecksform in der Geschichte?" hatte keiner verstanden. Woher hätte man das wissen sollen, wenn man noch nicht einmal ein einziges Wort darüber im Unterricht verloren hatte? Allmählich fing ich an zu glauben, dass unser lieber Herr Dragmire noch nicht ganz kapiert hatte, wie das mit dem „Schülern etwas beibringen und anschießend darüber abfragen“ genau funktionierte.


    Letzten Endes trafen sich schließlich mein Blick und der des Lehrers. Noch nie hatte mich alleine der Blick eines Menschen so aggressiv werden lassen wie es bei ihm der Fall war. Seine Augen waren so unnatürlich gelb, es brachte mich schon fast zum kotzen. Am liebsten wäre ich wohl in diesem Moment aufgestanden, um meine Faust in seinem Gesicht sehen zu können. Allerdings war ich dummerweise zu müde dazu und einen Schulverweis wollte ich auch nicht riskieren.


    „Ich erwarte dich heute nach dem Unterricht vor dem Lehrerzimmer, Link. Ich habe etwas mit dir zu bereden.“


    Kurz nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte drehten sich die Köpfe aller Schüler dieser Klasse zu mir herüber und der fragende Ausdruck in ihren Gesichtern war kaum zu übersehen, auch Zelda neben mir starrte mich entgeistert an.


    Was sollte dieser Lehrer denn mit mir bereden wollen? Er war ohnehin nur eine Vertretung, wenn auch viel zu lange, und ich hatte auch nichts schlimmes verbrochen, jedenfalls nicht das ich wüsste. Er hatte es definitiv auf mich abgesehen, dass konnte keiner verneinen. Es war aber auch schon ein wenig interessant wie er es immer und immer wieder schaffte mich bis zur Weißglut zu bringen. Es gehörte schon viel dazu mich so wütend machen zu können, wenn man nicht gerade Ben hieß und das gruseligste Grinsen überhaupt ins Gesicht eingebrannt hatte. Zu meinem Glück war besagte Person für den heutigen Tag krank, ansonsten hätte er mich jetzt sicher auch angegrinst. Wahrscheinlich würde er sogar grinsen, wenn er gerade dabei war zu ertrinken.


    Aber auch die Tatsache, dass unser toller Lehrer dem Trottel aus einem meiner Träume so unfassbar ähnlich sah half nicht gerade dabei mich zu beruhigen, im Gegenteil. Mein Hass auf ihn wurde dadurch bloß noch größer. Und ob man es glauben wollte oder nicht, meiner Meinung nach war diese Ähnlichkeit kein Zufall. Das Böse hatte ein Gesicht und es stand direkt vor mir.


    Während Herr Dragmire seine Sachen zusammenpackte ballte ich unter dem Tisch meine Hände zu Fäusten und ließ meinen Blick nicht von ihm anwenden. Finster starrte ich ihm hinterher, bis er den Raum verließ und die Tür hinter sich zuknallte. Anscheinend hatte dieser arrogante Bastard es noch nicht einmal nötig sich von uns zu verabschieden.


    Kaum war er aus dem Raum verschwunden begann auch schon das Gemurmel. Wahrscheinlich ging es dabei um mich, da war ich mir eigentlich ziemlich sicher. Aber mir selbst war es ebenfalls ein Rätsel, was er von mir wollen könnte.


    „Da hatte es wohl doch was gutes, dass ich so lange nicht da war. Musste ich wenigsten diesen komischen Test nicht mitschreiben“, sagte Zelda und starrte mich an. Ich rollte mit den Augen und konnte das nur bestätigen. In diesem Fall konnte man wirklich von Glück sprechen. Noch schlimmer war die Tatsache, dass dieser Test Auswirkungen auf meine Endnote für das Zeugnis hatte, die ich nun nach Notenschluss nicht mehr verbessern konnte. Nachdem Herr Dragmire damit begann uns zu unterrichten war ich in Geschichte verdammt schlecht geworden. Noch wütender machte mich, dass wir am nächsten Tag noch einen Test schreiben mussten, obwohl bereits seid letzter Woche Notenschluss war.


    „Kann ich mir den mal ansehen?“, fragte Zelda mich schließlich. „Klar, hier“, sagte ich und reichte ihr den Zettel. Ich war gerade noch so besser als eine 6 gewesen, was in diesem Fall schon Grund genug war um stolz auf sich zu sein. Interessiert las Zelda sich den Zettel durch und ich konnte nur seufzen.


    Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Sven auf uns zukam. Ich richtete meinen Blick auf ihn und hob kurz meine Hand zur Begrüßung. „Alter was war das denn?“, fragte Sven mich aufgebracht. „Ich konnte den ja wirklich noch nie leiden, aber das war schon eine Aktion, die hat mich echt umgehauen. Schon krass was der hier abzieht.“ „Und wie, der kann mich mal, ernsthaft. Allein die Tatsache, dass wir den schon so lange ertragen müssen und Frau Kramm immer noch nicht zurück ist macht mich krank. Aber allmählich mache ich mir um sie auch Sorgen, ich würde gerne wissen, warum sie so lange weg ist…“


    „Warte, was?“ Sven starrte mich irritiert an und wirkte so, als hätte er keine Ahnung von dem, was ich hier redete. Fragend blickte ich zurück. So schwer waren meine Worte nun auch wieder nicht zu verstehen.


    „Wer zum Teufel ist Frau Kramm?“, fragte Sven. Ich wusste nicht, ob das ein Scherz sein sollte, aber er wirkte auf mich so, als würde er es ernst meinen. „Äh, hallo? Unsere eigentlich Lehrerin, die aber keine Ahnung was hat und wir deswegen jetzt Vertretung bei diesem Idioten haben?“, antwortete ich ihm und starrte ihn an. „Wir hatten noch nie eine Frau Kramm“, erzählte er mir. Wovon sprach er da bloß? Musste ich das verstehen?


    „Mir wurde aber auch gesagt, dass wir eigentlich bei einer Frau Geschichte unterrichtet bekommen würden“, meldete Zelda sich ins Wort. „Dann wird man da wohl einen Fehler gemacht haben“, sagte Sven daraufhin nur. „Das kann aber gar nicht sein“, sagte ich. „Von diesem Dragmire habe ich zuvor noch nie etwas gehört und Frau Kramm ist eine der coolsten Lehrer, die ich kenne.“


    Noch immer stark irritiert starrte mein Kumpel mich an und ich selbst gab ihm bloß denselben Gesichtsausdruck zurück. Mittlerweile verstand ich wirklich gar nichts mehr. Wie konnte man das denn vergessen? Sven drehte sich zu irgendwem aus der Klasse um, der sich gerade unterhielt. Es war Lukas, der größte Streber, den ich kannte. „Hey, wie lange haben wir Herr Dragmire schon?“, fragte Sven ihn. „Äh, seid Anfang der achten…“ „Und kennst du eine Frau Kramm?“ „Nein…“


    „Siehst du?!“, sagte Sven, wieder zu mir gewandt. Lukas drehte sich kopfschüttelnd zurück und setzte sein Gespräch fort. „Sagt mal, wollt ihr mich eigentlich komplett verarschen?“, fragte ich ihn. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass wir eigentlich Frau Kramm als Geschichtslehrerin haben.“


    Sven legte seine Hand auf meine Schulter und sah mich eindringlich an. Er schien ernsthaft besorgt zu sein. „Link, hör mir zu. Wir hatten noch nie eine Frau Kramm und Herr Dragmire unterrichtet uns schon seid zwei Jahren. Ich weiß nicht, warum du glaubst, er sei bloß eine Vertretung, aber das ist definitiv nicht normal.“


    Als Sven mich so anschaute und auf mich einreden wollte konnte ich nicht viel mehr tun, als große Augen zu machen. Seine Worte und auch die Befragung von Lukas hatten mich vollständig verwirrt. Lukas hatte auch so geantwortet, als wäre das alles selbstverständlich was hier gerade passierte. Noch immer starrte Sven mich so komisch an und der Anblick davon machte mich beinahe wahnsinnig.


    „Wenn hier einer nicht normal ist, dann bist du das“, sagte ich bloß und schlug seine Hand von meiner Schulter. Zelda hatte das gesamte Geschehen aufmerksam mitverfolgt, auch wenn es sie ernsthaft zu verwirren schien. „Komm wieder runter“, meinte Sven ruhig zu mir und wollte auf mich zugehen, doch ich ließ es nicht zu und erhob mich von meinem Stuhl. „Ich werde ganz sicher nicht runterkommen. Erzählt doch nicht so einen Mist!“


    Wütend drehte ich mich um und humpelte mit der Hilfe meiner Krücken in Richtung Tür. Wir hatten ohnehin gerade für 45 Minuten Pause, also würde ich das was ich vorhatte auch durchziehen können. „Link, wo willst du hin?“, fragte Zelda mich und war von ihrem Stuhl aufgesprungen. „Dahin, wo ich schon längst hätte hingehen sollen“, antwortete ich und verließ den Raum.



    Da stand ich also nun vor der Tür zum Sekretariat. Ich musste jetzt einfach wegen Frau Kramm fragen, eigentlich hätte ich das sofort tun müssen. Ich ließ mich doch nicht so einfach von denen verarschen und nach Antworten über dieses seltsame Ereignis suchte ich so oder so schon lange, hier würde ich sie hoffentlich endlich bekommen.


    Ich klopfte vorsichtig gegen die Holztür und wartete, bis das „Herein“ der Sekretärin zu hören war. Anschließend trat ich ein und nährte mich ihr. „Hallo, mein Name ist Link“, begann ich und erklärte sofort mein Anliegen. „Ich hätte da eine Frage. Ich bin von der 9b und seid ungefähr zwei Monaten haben wir in Geschichte Vertretung bei einem gewissen Herr Dragmire. Mich würde interessieren, weshalb unsere eigentliche Lehrerin Frau Kramm schon solange abwesend ist. Können Sie mir da weiterhelfen?“


    Die Sekretärin starrte mich an, als wäre ich aus allen Wolken gefallen. „Es tut mir wirklich Leid das sagen zu müssen, aber eine Frau Kramm haben wir schon länger nicht mehr auf dieser Schule und nach meinem Wissen wird die 9b schon seid zwei Jahren von Herr Dragmire in Geschichte unterrichtet.“


    Diesen Worten konnte ich wenn ehrlich keinen wirklichen Glauben schenken. Ich hatte mir den Unterricht bei Frau Kramm doch nicht eingebildet, dass war völlig unmöglich! Entweder hatte man die ganze Sache irgendwie zusammengefeilt um mir eins auszuwischen oder ich war schon dabei vollkommen durchzudrehen.


    „Aber das kann gar nicht sein“, sagte ich zu der Sekretärin. „Ich bin mir eigentlich sehr sicher, dass wir von Frau Kramm unterrichtet werden.“ Die blondhaarige Frau mir gegenüber sah mich eindringlich aus ihren braunen Augen heraus an. „Link… die letzte Frau Kramm, die an dieser Schule unterrichtet hat, ist vor etwa vier Jahren verstorben.“


    Diese Worte waren so heftig wie ein Schlag ins Gesicht. Ich blinzelte vorsichtig ein paar Male, um das Gehörte realisieren zu können. „Verstehe… vielen Dank für die Auskunft“, sagte ich und verließ den Raum.


    Das konnte doch wirklich nicht wahr sein. Wurde ich nun tatsächlich langsam verrückt, sodass ich mir plötzlich Dinge einbildete? War es überhaupt möglich sich etwas einzubilden, dass man als so real empfand? Zelda war immerhin auch von einer Frau ausgegangen, so wurde es ihr erzählt. Würde man da wirklich so einen Fehler machen können?

  • Erschöpft und verwirrt ließ ich mich wieder auf meinen Platz in der Klasse sinken. Stöhnend fuhr ich mir mit meinen Händen über das Gesicht und lehnte mich an meinen Stuhl an. Bei dieser Bewegung konnte ich deutlich merken, wie sehr dieser Herztrank offenbar zu wirken schien. Es war gerade mal ein paar Tage her, dass ich diesen Traum hatte, und doch würde ich die Krücken mit Sicherheit in nur kürzester Zeit nicht mehr brauchen. Es würde zwar mit Sicherheit komisch kommen, wenn ich so schnell wieder in der Lage war ohne Hilfe zu gehen, aber das war mir gerade verdammt egal. Die Sache mit Herr Dragmire und Frau Kramm machte mir momentan mehr zu schaffen. Eine gewisse Frau Kramm sollte bereits seid vier Jahren tot sein? Aber ich wurde doch vor gerade mal zwei Monaten von ihr unterrichtet…


    „Das ist zu viel für mich“, dachte ich und suchte währenddessen den Raum nach Sven ab. Er unterhielt sich im Flüsterton mir irgendeinem Typen, wobei ich hoffte, dass er ihm nicht von mir und dem, was gerade passiert war erzählte. Als die Beiden allerdings ihr Gesicht zu mir drehten und mich anstarrten war ich mir sicher, dass ich doch das Gesprächsthema war. Ich funkelte Sven kurz wütend an, ehe ich mich wieder von ihnen abwandte. Sollte er ihm doch davon erzählen, es war schließlich nicht mein Problem.


    Zelda schien bemerkt zu haben, dass ich mittlerweile wieder da war und beendete das Gespräch mit ihren Freundinnen, um zu mir zu kommen. Sie setzte sich auf ihren Stuhl neben mich und begann leise mit mir zu sprechen.


    „Sag mal Link, was war denn das gerade? Ich verstehe gar nichts mehr.“ Ich zuckte als Antwort bloß mit den Schultern. Allmählich kam ich auch nicht mehr mit und wusste nicht mehr was ich glauben konnte und was nicht.


    „Alle reden irgendwie darüber, weil sie sich gewundert haben, warum du plötzlich so wütend warst und verschwunden bist, Sven hat es ihnen dann erzählt. Die halten dich alle für verrückt! Muss ich das denn verstehen?“


    Ich drehte meinen Kopf zu ihr herüber und starrte ihr in die Augen. „Man, ich weiß es doch selbst nicht. Ich war vorhin beim Sekretariat und habe da deswegen nachgefragt, weil ich gedacht habe, Sven und die anderen würden mich reinlegen wollen oder so. Aber die Frau da hat gesagt, dass eine Frau Kramm seid vier Jahren tot ist. Vier Jahren!“ Ich betonte diese Aussage noch einmal, indem ich zeitgleich ungläubig mit dem Kopf schüttelte.


    „Ja aber Link, so was bildet man sich doch nicht einfach ein. Ich meine du warst voll davon überzeugt, dass wir eigentlich von Frau Kramm unterrichtet werden würden. Aber die anderen haben noch nie etwas von dieser Frau gehört…“ „Jetzt sag bloß du glaubst eher denen als mir“, sagte ich ihr. „In letzter Zeit sind so viele seltsame Sachen passiert, ich könnte wetten das hier hat irgendwas damit zu tun.“


    „Meinst du?“, fragte sie mich. Zur Antwort nickte ich mit dem Kopf. Und wie ich mir sicher war. Wenn man diesen Gedanken weiter führte kam man auf so viele Hinweise, dass es schon fast logisch war (zumindest auf die Situation bezogen, im Normalfall wäre das alles extrem sinnlos).


    „Aha und wie meinst du das?“ „Na überleg doch mal. Seid du in dieser Klasse bist haben wir Herr Dragmire, vorher nicht. Und ich weiß, dass das so ist. Mein Onkel hat uns erzählt, dass die „Zeit reif“ sein wird, sobald wir beide aufeinander treffen. Es wird immer etwas geschehen, wenn die Prinzessin und der Auserwählte sich finden. Und direkt in dem Moment, an dem wir uns getroffen haben sind lauter merkwürdige Sachen passiert. Das Buch, die Träume und jetzt auch noch das…“


    Zelda schwieg. Sie schien über meine Worte nachzudenken. Nachdem ich meine Theorie ausgesprochen hatte stahl sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Es musste so sein und nicht anders. Es klang vermutlich verrückt, aber ich war so stolz auf mich, dass ich auf diese Idee gekommen war, dass ich dreinschaute wie das glücklichste Honigkuchenpferd der Welt.


    „Und du bist dir da auch wirklich sicher?“, fragte sie skeptisch. „Ja, bin ich“, sagte ich ihr. Und sofort kam mir noch ein weiterer Gedanke in den Sinn. „Ich kann dir was diese Sache angeht sogar noch etwas sagen, was beweisen könnte, dass ich Recht habe. Das hier ist zwar alles nur eine Theorie, mehr oder weniger, aber ich bin davon überzeugt, dass das alles hier irgendwie zusammenhängt. In einem meiner Träume vor einiger Zeit gab es eine Person, die vom Gesicht und vom Körperbau her genauso aussah wie Herr Dragmire. Und diese Person war sozusagen der Bösewicht, jedenfalls wollte er die Prinzessin umbringen und hat gegen den Held gekämpft, aber hat zum Glück verloren.“


    Ich starrte sie erwartungsvoll und triumphierend grinsend an. Zelda verschränkte die Arme und überlegte weiterhin. „Nun ja, wenn man bedenkt, dass die Dinge momentan alles andere als normal sind könntest du damit tatsächlich Recht haben. Wir sollten in jedem Fall vorsichtig sein. Das mit Herr Dragmire etwas nicht stimmt war mir eigentlich von vornherein klar.“


    Ich nickte zustimmend. „Außerdem hat er es irgendwie von Anfang an auf uns beide abgesehen“, fügte ich noch hinzu. „Die ganze Zeit im Unterricht beobachtet er vor allem uns, gibt uns schlechte Noten und jetzt will er auch noch mit mir sprechen, warum auch immer.“ „Ja… ja, das stimmt!“, sagte sie, als wäre ihr gerade ein Licht aufgegangen. „Ständig hat er etwas an uns auszusetzen und ist sowieso nie zufrieden mit dem, was wir machen. Mit den anderen geht er zwar auch nicht wirklich freundlich um, aber ich habe schon das Gefühl, dass es ihm vor allem um uns geht…. Wenn du nachher zu ihm gehst musst du ihn besonders gut im Auge behalten. Achte auf seltsame Eigenarten, auf seine Umgebung, seine Redensart und ganz besonders auf das, was er mit dir zu bereden hat. Das könnte alles noch wichtig werden.“

  • Kaum war das Geräusch der Schulglocke ertönt, schon war jeder aufgesprungen um seine Sachen zusammenpacken und endlich verschwinden zu können. Einer nach dem anderen verließ den Raum, in dem wir vor wenigen Minuten noch Mathe hatten – in der siebten und achten Stunde. Wer auch immer auf die bescheuerte Idee gekommen war das Fach Mathe an einem Montag in den Nachmittagsstunden unterrichten zu lassen hätte schon längst verklagt werden sollen.


    Der ein oder andere ließ noch ein „Tschüss“ von sich hören, ehe er durch die Tür schritt, um dieses Gebäude endlich verlassen zu können. Die letzte Woche war mitunter die unnötigste von allen. Keine Noten mehr, die meisten Lehrer machten ohnehin keinen wirklichen Unterricht, viele Stunden fielen aus und die Ferien wurden mit jedem Tag immer sehnlicher erwartet. Einzig und allein Herr Dragmire zog seinen Unterricht nach wie vor durch, was von vielen schon als unmenschlich angesehen wurde, wobei ich ihnen auch zustimmen musste. Für den morgigen Test würde ich auch nicht lernen, das konnte dieser Idiot von einem Lehrer total vergessen. Wenn sowieso bereits seit einigen Tagen Notenschluss war würde sich das gar nicht lohnen, also wozu noch unnötig Stress machen?


    Ich schaute Sven dabei zu wie er als einer der Letzten den Raum verließ, ohne noch irgendetwas verabschiedendes zu mir zu sagen. Seit dieser Sache mit Frau Kramm in der Mittagspause heute hatten wir zwei kein Wort mehr miteinander gewechselt. Ein wenig machte es mich traurig. Ich hoffte bloß, dass wir diese zusammenhanglose Differenz so schnell wie mögliche bei Seite schieben konnten und alles wieder beim alten war. Logischerweise war es für Sven etwas gruselig, dass ich mir laut seiner Vorstellung eingebildet hatte, wir hätten seit zwei Jahren eigentlich eine Lehrerin, von der er noch nie etwas gehört hatte, aber ich hätte nur zu gerne gesehen wie er reagieren würde wenn er wüsste, dass das das mit Abstand harmloseste Ereignis der letzten Zeit in meinem Leben war.


    Ich seufzte einmal und machte mich schließlich auch daran meine Sachen zusammen zu packen. Eine kleine Spur Neid überkam mich als ich daran dachte, dass es hier mit für alle getan war, während ich noch zu Herr Dragmire gehen musste um mit ihm über was-weiß-ich-was zu reden. Ich würde wohl ernsthaft mit mir zu kämpfen haben wenn ich nicht wollte, dass das Gespräch mit meiner Faust in Dragmires hässlicher Fresse endete. Wie konnte die bloße Anwesenheit eines Menschen mich auch so wütend werden lassen? Allein der Gedanke an ihn ließ mich einen Kotzreiz unterdrücken.


    Schließlich waren ich und Zelda die Letzten in diesem Raum, auch der Lehrer war bereits verschwunden. Wenn besagte Person es nicht für nötig hielt abzuschließen, von mir aus. Das war immer hin nicht mein Problem. Wenn irgendwas aus diesem Raum Abhanden kommt, dann würde ich ihn auslachen, darauf konnte er sich gefasst machen. Mit Mühe stellte ich meinen Stuhl hoch (was sich als ziemlich schwierig herausstellte, wenn man nur auf einem Fuß genügend Halt finden konnte), warf mir meinen Rucksack über die Schulter und schnappte mir
    meine Krücken. Seite an Seite verließen Zelda und ich den Raum und machten uns auf den Weg bis vor das Lehrerzimmer im ersten Stockwerk. Von Herr Dragmire war noch keine Spur zu sehen.


    „Ich warte dann vor der Schule auf dich“, sagte Zelda zu mir. „Na ja, von mir aus kannst du auch schon nach Hause, ich will nicht, dass du extra wegen mir noch so lange hier bleiben musst“, antwortete ich. Das mit Dragmire war meine Sache, Zelda musste doch deswegen nicht ihre Lebenszeit verschwenden.


    „Aber ich muss doch anschließend sofort erfahren worüber ihr gesprochen habt“, sagte sie und schaute mich dabei so unglaublich niedlich an, dass es mir zunehmend schwerer fiel ihr zu widersprechen. Allerdings konnte ich mich noch zusammennehmen und wollte gerade etwas sagen um sie umstimmen zu können, als sie mir zuvor kam. „Ich werd' mich schon nicht langweilen“, sagte sie und holte zeitgleich ihre Kopfhörer aus der Tasche. „Wozu gibt es denn Musik?“ Ich lächelte und nickte zustimmend.
    „Also dann“, kam es von mir. Sie schloss mich noch einmal kurz in ihre Arme und machte sich anschließend davon. „Bis gleich!“, rief sie mir noch hinterher, ehe sie um die Ecke verschwand.


    Um mir die Wartezeit etwas erträglicher machen zu können nahm ich den Rucksack von meiner Schulter und legte ihn auf dem Boden ab, um mich gegen die Wand lehnen zu können. Wer weiß wie lange er sich Zeit ließ, vielleicht hatte er es auch bereits komplett vergessen und ich wartete hier ganz umsonst? Ich würde ihm das zutrauen, wirklich zuverlässig schien er mir ja nicht zu sein.


    Während ich ganz in Ruhe hier herumstand und wartete schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Als erstes kam mir der Traum in den Sinn und ich musste mir eingestehen, dass ich in dieser Nacht deswegen vielleicht etwas überreagiert hatte. Natürlich hätte ich tatsächlich sterben können, vermutlich hatte ich dem Tod sogar schon direkt in die Augen geblickt, aber im Endeffekt war doch alles in Ordnung mit mir. Ich war noch am Leben und es war nichts allzu dramatisches passiert. Ich musste mich mit der Träumerei einfach abfinden, ob ich wollte oder nicht. Ich würde sowieso nichts daran ändern können. Trotzdem wünschte ich mir innerlich, dass die Träume bald ihr Ende finden würden.


    Was wäre eigentlich, wenn ich den letzten Traum hatte? Würde es überhaupt jemals zu einem letzten Traum kommen? Was würde ich noch alles zu sehen bekommen? Und was würde danach passieren? Was war das für ein Schicksal, dass ich erfüllen musste? Der Held meiner Träume hatte immer wieder gegen furchterregende Kreaturen gekämpft und somit das Dunkle aus der Welt verbannt. Musste ich etwa dasselbe tun? Wie sollte ich das denn bitte schön fertig bringen? Ich konnte nicht kämpfen. Natürlich war ich jetzt nicht unbedingt der Schwächste, aber ich konnte weder bestimmte Kampftechniken anwenden, noch konnte ich mit irgendwelchen Waffen umgehen. Gegen wen sollte ich überhaupt kämpfen? Gab es da jemand bestimmtes? Bis jetzt war mir niemand großartig aufgefallen. Aber die Tatsache, dass Frau Kramm plötzlich vollständig aus dem Gedächtnis von allen verschwunden war gab mir schon zu denken, vielleicht war da tatsächlich etwas dran, so wie ich es bereits vermutet hatte? Konnte es sein, dass Herr Dragmire die Person war, gegen die ich vorgehen musste?


    Ich schüttelte meinen Kopf und verbannte diesen Gedanken. Das war absolut lächerlich. Dragmire war zwar relativ gruselig, aber er war immer noch nur ein Lehrer. Als ob der mir irgendetwas antun könnte... oder? Jedenfalls hatte ich in meiner derzeitigen Lage durchaus Grund alles mögliche anzuzweifeln, also wieso nicht auch ihn? Alles deutete immer hin darauf hin, dass es etwas mit ihm auf sich hatte. Ich sollte ihn zumindest nicht ignorieren. Wer weiß, vielleicht würde er noch wichtig werden.



    Langsame,schwere Schritte waren neben mir zu hören. Sie wurden immer lauter, je näher sie auf mich zu kamen. Ich hob meinen Kopf und konnte sehen, wie Dragmire auf dem Weg zu mir war. Er war schneller hier, als ich erwartet hatte. Sofort stellte ich mich auf und setzte mir meinen Rucksack wieder auf den Rücken. Er baute seinen großen und kräftigen Körper vor mir auf und begann zu mir zu sprechen: „Ah Link, da bist du ja. Komm, folge mir, ich habe einen Raum für unser Gespräch reserviert.“


    Wie großartig, er hatte extra einen Raum reserviert. Um die Zeit war die Schule so gut wie leer, er hätte sich gar nicht die Mühe machen müssen. Trotzdem nickte ich zur Bestätigung und folgte ihm. Natürlich musste das auch im dritten Stock sein. Ihr könnt mir glauben, dass esverdammt anstrengend ist mit Krücken bis in den dritten Stock zu laufen, aber ich ließ das ganze unkommentiert.


    Völlig unvorbereitet blieb Dragmire vor einer Tür im höchsten Stockwerk stehen und zog einen Schlüssel hervor. Langsam öffnete er die Tür und trat herein, ich folgte ihm und sah dabei zu, wie er die Tür hinter sich wieder schloss. Allmählich bekam ich das Gefühl, als hätte er die Absicht ein Drama auf dieser Geschichte zu machen.


    Der Raum war an sich recht simpel aufgebaut. Er war ziemlich klein und hatte bloß ein Fenster, das nur bedingt Sonnenschein in den Raum hinein ließ. In der Mitte hielt sich ein runder Holztisch auf, der von sechs roten Stühlen umkreist wurde. Der Stoff sah ziemlich weich aus, wieso hatte nicht jeder Raum solche Stühle?


    Dragmire setzte sich und zeigte auf den Stuhl, der ihm gegenüber lag. „Setz dich“, sagte er, was ich auch sofort tat. „Wenn du magst, kannst du etwas trinken, ich habe dir ein Glas Wasser dort hin gestellt.“ Irritiert zog ich meine Augenbrauen hoch und musterte das Glas, das sich vor mir auf dem Tisch befand. Es wunderte mich schon, warum er das getan hatte, ließ es allerdings auf sich beruhen. Um nicht unhöflich zu sein trank ich einen Schluck, ohnehin hatte ich gerade Durst gehabt.


    Ich starrte meinen Lehrer an und wartete darauf, dass das Gespräch endlich begann, damit ich so schnell wie möglich wieder verschwinden konnte. Er faltete seine Hände zusammen und räusperte sich einmal, ehe er zu sprechen ansetzte. „Du weißt sicherlich, warum ich dich hierher gebeten habe, nicht wahr?“, fragte er mich und sah mich dabei auffordernd an. „Ehrlich gesagt nicht so wirkli-“ „Ich habe schließlich einiges mit dir zu bereden“, fiel er mir ins Wort. Verärgert darüber, dass er mich nicht ausreden ließ hielt ich meinen Mund und lehnte mich an die Stuhllehne. „Zunächst einmal ist mir aufgefallen, wie wenig du im Unterricht mitarbeitest. Du warst einst ein so guter Schüler Link, doch in letzter Zeit arbeitest du so gut wie gar nicht mit, gibst provokante Antworten, redest im Unterricht mit deiner Nachbarin und schreibst bloß noch schlechte Noten. Womit willst du dieses Verhalten entschuldigen?“ Ich starrte ihn an, ohne irgendetwas zusagen. Es stimmte, dass ich einmal gut in Geschichte war. Das war bevor er in die Klasse gekommen war und für totales Chaos in diesem Fach gesorgt hatte. Und meine Noten waren auch erheblich schlechter geworden,aber das war definitiv bei jedem der Fall, warum sprach er ausgerechnet mich darauf an? Und das ich provokante Antworten geben würde stimmte überhaupt nicht. Ich gab ja zu, dass ich oft recht wütend auf ihn war und nicht wirklich Lust hatte normal zu antworten, wenn ich dazu aufgefordert wurde, aber ich würde das nicht als provokant bezeichnen. Da ich also absolut keine Ahnung hatte was ich antworten konnte zuckte ich bloß mit den Schultern.


    „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Es ist dir also wirklich nicht aufgefallen? Du hast tatsächlich überhaupt keine Ahnung was der Grund für dein Fehlverhalten ist?“ Ich blickte ihn fragend an und schüttelte ahnungslos den Kopf. Auf was wollte er denn hinaus? „Ich kann dir diese Frage ganz einfach beantworten. Die ganze Sache hat vor zwei Monaten angefangen. Als du einen Sitznachbar bekommen hast. Zelda ist Schuld daran, dass du dich soverändert hast. Und ich habe auch bereits Bestätigung von den anderen Lehrern erhalten, dass du dich bei ihnen genauso unangemessen aufführst.“


    Ungläubig riss ich meine Augen auf und starrte ihn an. Das konnte doch nicht wahr sein. Nirgendwo verhielt ich mich so wie bei ihm. Es gab einfach keinen Lehrer der es verdient hatte so behandeltzu werden wie dieses Etwas, das hier gerade vor mir saß. Was bildete er sich eigentliche ein, dass er so einen Mist behauptete? „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen“, sagte ich ihm und wartete.


    „Sie ist kein guter Umgang für dich, Link. Du solltest dich am besten von ihr fern halten, so gut es dir eben möglich ist. Ich habe bereits
    Kontakt zu ihren früheren Schulen aufgenommen und dort erfahren, dass sie sich dort nicht besser verhalten hatte. Sie macht sich wichtig und
    nutzt dich aus, damit sie ihren Willen durchsetzen kann. Sie benutzt dich, Link. Sie macht aus dir etwas, was du nicht bist. Ich verlange, dass du dich nicht länger mit ihr auseinandersetzt.“


    Die Verwirrung in mir schien langsam die Überhand zu gewinnen. Wovon zum Teufel sprach er da eigentlich? Zelda war doch kein schlechter Mensch. Dieser Idiot sollte gefälligst die Klappe halten, wenn er nicht wusste wovon er sprach.


    „Herr Dragmire hören Sie, da haben Sie etwas falsch verstanden. Zelda ist ein unglaublich liebenswürdiger Mensch und würde keiner Fliege jemals etwas zu Leide tun. Selbst wenn ich mich wirklich so schlecht verhalten sollte, wie Sie sagen, sie trägt absolut keine Schuld daran.“


    „Link, das ist doch genau das, was sie will. Sie wickelt dich um den Finger um dich glauben zu lassen, dass sie ein so lieber Mensch ist, nur um dich zu benutzen und anschließend in die Tonne zu treten, so wie sie es schon immer getan hat. Ich meine es wirklich nur gut mit dir Link, du solltest dich von ihr fernhalten, sie ist nicht gut für dich.“


    Diese Person brachte es schon wieder fertig mich zur Weißglut zu bringen. Wovon sprach er da überhaupt? Am liebsten hätte ich jetzt laut aufgeschrien und wäre ihm an die Kehle gesprungen, aber die Vernunft in mir siegte und ließ mich in Ruhe auf dem Platz sitzen bleiben. Allerdings bekam ich das Gefühl, dass es in diesem Raum immer heißer wurde. Kam das von der Aufregung? Ich fächelte mir etwas Luft zu, vielleicht half das auch um mich etwas besser entspannen zu können.


    „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Dragmire plötzlich. Ich starrte ihn an. Hatte er etwa bemerkt, dass michplötzlich eine seltsame Hitze überkommen hatte? „Du siehst so blass aus“, fügte er noch hinzu. Ungläubig zog ich meine Stirn in Falten. „Ja ja, mir ist nur etwas heiß“, erklärte ich ihm. „Wie gesagt, du kannst etwas trinken, vielleicht kühlt dich das ja etwas ab.“ Ich nickte und starrte das Glas an, dass hier vor mir auf dem Tisch stand. Als ich das kühle Nass so anblickte bemerkte ich, dass ich auch eine trockene Kehle hatte. Etwas zu trinken konnte nicht schaden, es bot sich ja sogar an. Ich nahm das Glas in die Hand und trank erneut einen Schluck. Doch in diesem Moment, als ich auch nur ein kleinen wenig zu mir genommen hatte, übermannte mich ein so schrecklicher Durst, dass ich alles in einem Zug zu Ende trank. Doch es half nicht im geringsten.


    Ich starrte das Glas in meiner Hand an und bemerkte, dass diese plötzlich anfing zu zittern. Es war zunehmend schwerer es in Händen zu halten und ich ließ es augenblicklich fallen, das Glas fiel zu Boden und zersprang in Tausend Scherben. Ich konnte spüren, wie alle Farbe aus meinem Gesicht wich und mein gesamter Körper sich immer schwerer anfühlte.


    „Link? Link, alles okay?“, fragte Dragmire. Ich wolle ihm antworten, doch mir wurde plötzlich so übel, dass ich meine Hände gegen meinen Bauch presste, um mich nicht zu übergeben. „Link, was ist los?“, setzte er erneut zum fragen an und ich versuchte erneut eine Antwort zu geben, aber meine Zunge war taub und mein Mund fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Mein Blick war verschwommen und ich konnte mich bereits nicht mehr auf dem Stuhl halten, mit flehendem Blick starrte ich meinen Lehrer an. Das Bild vor mir taumelte hin und her und es war mir, als wäre ich auf einem Schiff, dass sich in einem Sturm auf hoher See verirrt hatte und nicht mehr entkommen konnte. Ich wollte um Hilfe bitten, aber meine Stimme wollte nicht auf mich hören.


    Ich wusste nicht, ob es an meinen seltsamen Zustand lag und ich anfing zu halluzinieren, aber mir war, als hätte ich ein gruseliges Lächeln in
    seinem Gesicht gesehen. Doch mittlerweile zweifelte ich daran, dass ich mir das nur eingebildet hatte, denn ich konnte ein Lachen vernehmen, eindüsteres furchteinflößendes, das immer lauter wurde. Dragmire erhob sich von seinem Platz und zeitgleich fiel ich von meinem Stuhl, mit Mühekonnte ich mich noch aufrecht halten. Ich starrte ihn verwirrt an und verstand nicht, was gerade passierte. „Du bist wirklich ein
    armseliges Wesen“, sagte er, mit einer noch düsteren Stimme, als wie iches von ihm gewohnt war. Er kam langsam näher auf mich zu und nahm mein Gesicht in seine Hände, sein Lächeln wurde breiter und seine ekelhaft gelben Zähne kamen zum Vorschein. Grob zog er mich nahe zu sich und blickte mir mit seinen stechend gelben Augen in meine. Mit einem mal verfinsterte sich sein Blick. „Du wirst mir nicht in die Quere kommen dujämmerlicher unwürdiger sogenannter 'Held'" Mit unmenschlicher Gewalt warf er mich zu Boden und baute sich vor mir auf. Mein Blick wurde immerundeutlicher und ich war nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken fassen zu können. Erneut setzte er zum Lachen an. Er hob seine rechte Faust und ballte sie so fest es nur ging zur Faust. Auf seinem Handrücken bildete sich ein golden leuchtendes Dreieck, genau so wie iches auch hatte, das obere Fragment leuchtete dabei am hellsten. Dann kippte ich zur Seite. Alles wurde schwarz um mich herum.

  • Als erstes spürte ich natürlich einen stechenden, dröhnenden Kopfschmerz und das noch bevor ich meine Augen auch nur einen Spalt breit öffnen konnte. Danach kam der Rest: Rückenschmerzen, die von dem unbequemen Untergrund herrührten, eine plötzliche Kälte, die meinen kompletten Körper durchzuckte und mir alle Haare zu Berge steigen ließ. Zu allem Übel war auch noch meine rechte Hand eingeschlafen, die immer stärker zu kribbeln begann und mich wohl in den Wahnsinn treiben wollte. Mit einem Ruck richtete ich meinen Oberkörper auf und drückte die andere, noch intakte Hand, gegen meinen Kopf, in der Hoffnung die Schmerzen dadurch etwas lindern zu können. Meine kribbelnde Hand ließ ich dabei unberührt auf dem Boden liegen, während ich dieses unangenehme Gefühl zu ignorieren versuchte. Durch das Kribbeln war meine Hand taub gegenüber anderen Empfindungen geworden und für einen Moment waren die Kopfschmerzen nebensächlich, so lange meine Hand sich wieder einkriegte war ich für das erste glücklich. Vorsichtig ballte ich sie zur Faust und konnte kurz spüren, wie das Kribbeln intensiver wurde, bevor es allmählich anfing wieder nachzulassen. Erleichtert atmete ich einmal aus und lockerte den Griff meiner Hand wieder. Anstatt diesem Kribbeln, das keine anderen Gefühle zugelassen hatte, konnte ich nun spüren, worauf ich saß. Es fühlte sich seltsam an, wie eine Mischung aus Trockenem und Weichem, etwas nass und es kitzelte meine Handfläche. Es fühlte sich an wie... Gras.


    Ungläubig gegenüber dieser Entdeckung legte ich meine Stirn in Falten und öffnete langsam meine Augen, mein Herz begann wegen dieser Ungewissheit ein wenig zu pochen. Voller Erstaunen über das Bild, das sich mir nun bot riss ich meine Augen auf und ließ meinen Blick durch meine Umgebung umher schweifen. Riesige Bäume mit wunderschön saftig grünen Blättern an den Ästen, die das Sonnenlicht wie Scheinwerfer auf den Boden warfen, ein leichter Nebel, der schon fast nicht zu erkennen war, lag in der Luft. Kleine Glühwürmchen tanzten umher, das Geräusch zwitschernder Vögel und aus der Ferne das leise Plätschern von Wasser. Der Geruch allerlei möglichen Pflanzen drang an meine Nase und ich glaubte sogar in der Ferne ein Eichhörnchen erblickt zu haben. Es war märchenhaft, wunderschön, atemberaubend, traumhaft... mir fehlten einfach die Worte. Noch nie hatte ich mich an einem so schönen Ort aufgehalten. Ich brauchte erst einige Momente um zu realisieren, wo ich hier war. Irritiert über diesen Anblick blinzelte ich ein paar mal und stellte mich vollständig auf, um mich noch einmal genauer umsehen zu können. Es bestand kein Zweifel, dass hier war ein Wald. Ich war inmitten eines mir unbekannten Waldes. Panik stieg in mir auf und mit Entsetzen fuhr ich mir durch die Haare. Was zum Teufel war passiert?


    „Scheiße“, sagte ich einmal leise und stieß derweilen etliche andere Flüche aus, während ich versuchte mich daran zu erinnern, was vorher passiert war. Ich war in der Schule und musste länger bleiben, um mit einem Lehrer zu sprechen, es müsste Dragmire gewesen sein. Wir hatten über Zelda geredet und da war etwas zu trinken und... mir ging ein Licht auf. „Das Wasser!“, rief ich und konnte nicht fassen, was passiert war. Dragmire hatte mich vergiftet! Irgendetwas musste er mir in das Wasser gemischt haben, da bestand kein Zweifel.


    Mein Herz fühlte sich an, als würde es in Flammen stehen, unkontrollierbar, immer größer werdend und meinen gesamten Körper einnehmend. Das Bedürfnis, etwas zu schlagen keimte in mir auf. Mit zusammengepressten Zähnen und einem lauten Schrei schlug ich auf den nächstbesten Baum ein, das Bild meines verhassten Lehrers erschien dabei immer wieder in meinem Kopf, mit jedem Schlag wurde es deutlicher. Wie er lachte und mit Spott, Hass, Argwohn und Schadenfreude auf mich herabgesehen hatte und dabei das leuchtende Triforce auf seinem Handrücken demonstrierte. Nun bestand kein Zweifel mehr, Dragmire musste etwas mit diesem Bastard aus meinen Träumen zu tun haben, er wusste von Anfang Bescheid. Er war mein Feind. Ein Teil von mir, tief in meinem Unterbewusstsein, schien es schon lange gewusst zu haben, anders konnte ich mir diese Wut in mir, die durch sein bloßes Anwesen entfacht wurde nicht erklären. Ich schlug mir meine Hände wund, doch dieser Schmerz interessierte mich in diesem Augenblick nicht, er war ja sogar auf eine seltsame Art und Weise befreiend. Mit diesen Händen würde ich Dragmire bezahlen lassen.


    Ein letzter Schlag gegen den dicken Stamm dieses riesigen Baumes, ehe ich meine Fäuste sinken ließ und stattdessen meinen Kopf dagegen hämmerte. Meine Wut war noch lange nicht befriedigt, erst das Erlöschen von Dragmires Seele würde die Flamme in meinem Herzen wieder löschen können. Normalerweise wünschte ich keinem Menschen den Tod, doch bei Dragmire war es anders. Er war kein Mensch, sondern ein Dämon, die Ausgeburt der Hölle.


    In diesem Moment kam mir Zelda in den Sinn. Mein Herz begann wieder zu pochen, doch dieses mal mehr aus Angst. Wenn Dragmire tatsächlich Bescheid wusste, würde er auch über Zelda im Bilde sein. Sie hatte sich noch immer in der Schule aufgehalten, er hatte wer weiß was mit ihr anstellen können und ich war nicht im Stande ihr zu helfen. Ich betete, zum ersten mal zu den drei Göttinnen, mit der Bitte, sie würden Zelda im Auge behalten und beschützen, dass es ihr nach wie vor gut ging...


    Ich seufzte einmal lautstark. Mich jetzt aufzuregen würde niemandem nützen, es war besser, mir ein klares Bild meiner Situation zu schaffen. Mit einem Ruck entfernte ich mich von dem Baum und blickte mich ein weiteres mal um. Es waren Bäume zu sehen, so weit das Auge reichte. Je tiefer man hineinschaute, desto schwärzer wurde es, bis man schließlich bloß noch gähnende Leere erblicken konnte. Wirklich viele Optionen blieben mir da nicht, abgesehen von orientierungslos in eine Richtung laufen und auf den Ausgang zu hoffen, dabei am besten eine riesige Menschenmasse außerhalb zu erwarten. Oder ich würde mich wieder auf den Boden setzen und auf Hilfe oder einen baldigen Tod warten. Die erste Möglichkeit gefiel mir da wesentlich besser, ich würde mich nicht geschlagen geben ohne zumindest einige Versuche gestartet zu haben. Ich setzte mich in Bewegung und konnte dabei feststellen, dass ich ohne Schmerzen und auch ohne Schwierigkeiten meinen eigentlich gebrochenen Fuß belasten konnte. Wenigstens eine gute Sache... Dieser Herztrank hatte es wirklich in sich.


    Ich wollte mich also so bald wie möglich auf den Weg machen und nach einem Weg nach draußen suchen, doch wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht. Ein dumpfer Schrei hinter mir ertönte, von einem älteren Mann, so hatte es den Anschein. Augenblicklich wurde eine Art Helferinstinkt in mir geweckt und ich rannte ohne groß darüber nachzudenken zu der Quelle des Geräuschs, darauf ausgehend der Person helfen zu können, die in Schwierigkeiten zu sein schien.
    Das Ereignis hatte sich gar nicht so weit entfernt zugetragen. Nach nur wenigen Metern, hinter ein paar Bäumen versteckt, kam ich bei dem Ort des Geschehens an. Ein großer Mann, mit lila Kleidung, einem Rucksack, übersät mit etlichen Masken und rostrotem, schon beinahe orangem Haar lag mit dem Gesicht vorne heran auf dem Boden, hoffentlich ohnmächtig und nicht tot. Eine kleinere und noch wie ein Kind wirkende Person, mit Kleidung wie Stroh, durchsuchte den am Boden liegenden Mann gründlichst nach was auch immer. Empört wollte ich schon auf ihn zugehen und ihn ordentlich zusammenfalten, als mir seine Begleitung ins Auge fiel. Zwei schwebende Kugeln mit Flügeln, so wie die Begleitung des Jungen meiner vergangenen Träume, den Träumen mit Dragmires Abbild, die eine in einem dunklen rot und die andere in einem hellen gelb, das schon beinahe weiß wirkte. Und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich wieder träumte. Ein wenig erleichtert atmete ich auf. Ich war also doch nicht in einem Wald ausgesetzt worden...


    „War es wirklich nötig ihn zu verletzen?“, fragte eine helle, wie eine Glocke klingende, aber auch eindeutig männliche Stimme. Irritiert blickte ich nach vorne. Wer hatte das gesagt? Und wieso konnte ich plötzlich das Gesagte hören und auch noch verstehen? Das war zuvor noch nie der Fall gewesen... Die gelbe Fee (wegen den Flügeln werde ich sie einfach mal als Feen bezeichnen) schubste die Rote leicht und sprach mit einer eher weiblichen Stimme: „Maaan, Tael. Jetzt sei doch nicht immer so ein Spielverderber!“ „Ja, aber Taya, er hat doch gar nichts getan...“ „Er ist selbst Schuld, er wollte mir keine seiner Masken geben“, sprach das schon beinahe koboldähnliche Wesen und ging weiter seinen Untersuchungen nach.


    „Oh, guckt mal hier“, sagte das Kind und zog einen herzförmigen Gegenstand in einer violetten Farbe und jeweils vier gelblichen Stacheln links und rechts und zwei gelben Hörnern auf der Oberseite hervor und schaute es sich gründlich von allen Seiten an, dabei hatte er mir noch immer den Rücken zugekehrt. „Hey Horror Kid, lass mich auch mal sehen!“, rief die Fee namens Taya und flog sofort an seine Seite, um sich das Objekt auch besser ansehen zu können. Horror Kid war also der Name dieses Kobolds... na das passte doch wunderbar.


    Tael zögerte ein wenig, ehe er den beiden auch Gesellschaft leistete und das Ding inspizierte. „Ich weiß nicht, Horror Kid“, sagte Tael unsicher, „dieses Ding ist mir nicht geheuer.“ „Boah Tael, man. Du bist so 'ne Spaßbremse“, sagte Taya wieder und flog aufgeregt um den Gegenstand herum. „A-aber“, sagte Tael, verstummte allerdings sofort wieder. Er musste leider einsehen, dass das überhaupt keinen Sinn hatte. Ich mochte den Kerl. Er war vernünftig, zumindest vernünftiger als seine Freunde. Nur leider fehlte es ihm an Durchsetzungsvermögen.


    „Diese Maske ist bestimmt ein tolles Gesicht für mich!“, rief das Horror Kid begeistert und setzte es sich auf den Kopf. Die Aussage irritierte mich und ich verzog fragend das Gesicht. Hatte er kein Gesicht oder wie sollte ich das verstehen? Am besten ich verschwand keinen Gedanken daran, ohnehin führte das zu nichts außer Verwirrung.


    Eine Maske war das also. Und inwiefern war das von Bedeutung? Das wollte sich mir noch immer nicht so ganz erschließen. Das Kind begann vergnügt zu kichern und drehte sich zu mir herum, dabei konnte ich die Maske nun genauer betrachten. Sofort fielen mir die großen, blutunterlaufenen, seelenlosen Augen auf, die mich direkt anzustarren schienen. Bei dem Anblick wurde mir dann doch etwas mulmig zumute. Jetzt konnte ich die Skepsis von Tael auch besser nachvollziehen, diese Maske sah ziemlich creepy aus. Augenblicklich begann das Horror Kid fröhlich umher zu tanzen. Taya flog aufgeregt um ihn herum und ließ ab und zu ein freudiges Lachen erklingen. Einzig Tael verharrte auf seiner Position und beobachtete die Zwei vorsichtig (jedenfalls deutete ich es so, das Gesicht konnte ich nicht erkennen, ich wusste ja noch nicht mal ob diese Feen so etwas wie ein Gesicht geschweige denn einen Körper hatten).


    Ganz plötzlich blieb das Horror Kid stehen und starrte einfach bloß noch gerade aus in die Leere, ohne einen Muskel zu bewegen. Abrupt blieb auch Taya stehen, nachdem sie gemerkt hatte, dass das Horror Kid gar nicht mehr so sorglos umher hüpfte. Nun schien auch sie etwas unsicherer zu werden und flog ein wenig näher auf ihren Freund zu. „Hey, was ist los?“, fragte sie unsicher. „Alles in Ordnung?“ Ich selbst tat auch einige Schritte vorwärts, um alles besser beobachten zu können. Sie konnten mich so oder so nicht sehen, also musste ich mir gar keine Gedanken machen. Allerdings war ich dennoch unsicher, es konnte trotzdem immer wieder etwas passieren, was auch mich betreffen konnte, also hielt ich lieber ein wenig Sicherheitsabstand. Ungefähr ein oder zwei Meter entfernt blieb ich schließlich stehen und starrte das Horror Kid erwartungsvoll an. „Horror Kid, sag doch was!“, meldete sich Taya wieder, diesmal schon fast verzweifelt. Und tatsächlich gab es diesmal auch eine Reaktion seinerseits, allerdings anders, als man es erwartet hätte. Die Augen der Maske blitzten in einem blutroten Licht auf und sie begann auf seinem Kopf zu vibrieren und zu dröhnen. Was auch immer da gerade passierte, es sah nicht gut aus.


    Ein leises Lachen, vom Horror Kid ausgehend, war zu hören. Es war unheimlich und verursachte eine unangenehme Gänsehaut auf meinem Körper. Etwas war mit der Maske nicht in Ordnung, so weit konnte ich auch denken. „Horror Kid?“, fragte diesmal nun auch Tael, sehr leise und vorsichtig, mit einer fast schon erstickenden Stimme. Aber statt einer Antwort wurde das Lachen bloß noch lauter und angsteinflößender. Es streckte seine Arme in Richtung Himmel und lachte aus vollem Halse, Taya erschrak und flog schnell zu Tael herüber. Sie drückte sich an ihn und beide begannen ein wenig zu zittern, während sie ihren Freund anstarrten.


    Es war zwar seltsam, doch mir war auf einmal so, als würde ich plötzlich Geschehnisse anderer Orte vor meinem inneren Auge sehen, obwohl ich mich noch immer inmitten des Waldes aufhielt, von oben heraus blickte ich auf sie herab. Es war wie eine Art Spiegel oder eher ein Portal, das sich unter mir aufgetan hatte.


    Als erstes sah ich ein sumpfartiges Gebiet, mit glasklarem einladendem Wasser und saftig grünen, schon teilweise exotisch wirkenden Pflanzen. Im Zentrum gab es ein riesengroßes Gebäude mit zwei Gestalten, die davor platziert waren, sie hatten einen rüsselähnlichen Mund und gelblich orangenAugen. Sie saßen auf einer orangefarbenen Blume und wippten im Takt mit ihren Köpfen auf und ab. Vor ihnen erstreckte sich eine Brücke, die über das Wasser bis zum Land führte, links und rechts von ihr schwammen überdimensional große Seerosenblätter. Allerdings hielt dieser Frieden nicht lange. Von einem Augenblick auf den anderen nahm das Wasser eine violette Färbung an und die Pflanzen ringsherum wirkten plötzlich sehr kränklich. Die Wesen, die wohl als Wachen fungierten, stoppten ihre Bewegungen und sahen sich fragend um. Dann verschwamm das Bild und ein neues fügte sich unter mit zusammen. Anstatt des Sumpfes war nun ein idyllisches Berggebiet zu sehen. Kleine Insekten flogen um schöne Blumen umher, das Gras sah schön frisch und grün aus, das Wasser war kristallklar und einige groß gebaute Wesen mit viel Muskelmaße, ähnlich wie einer der seltsamen Gestalten aus dem vorletzten Traum (im allgemeinen gab es diesmal unheimlich viele Referenzen zu diesem Traum), die glücklich vor dem Wasser im Gras saßen und sich unterhielten. Es war angenehm warm, eine perfekte Temperatur. Doch wurde die Idylle auch hier unterbrochen. Ein eisiger Wind kam auf und durchzog die gesamte Landschaft. Verwirrt blickten die Wesen auf und starrten ratlos in den Himmel. Die Landschaft verdunkelte sich. Ich konnte den Himmel in diesem Bild zwar nicht sehen, aber ich ging davon aus, dass einige Wolken aufgezogen waren und ihn bedeckten. Es wurde immer kälter und kälter und schließlich fielen kleine Schneeflocken vom Himmel, die langsam zu Boden segelten und sich immer weiter vermehrten, dabei erhöhte sich das Tempo ihrer Fallgeschwindigkeit rasant. Desweiteren konnte ich sehen, wie das Wasser in erschreckender Geschwindigkeit zufror und das grünbewachsene Gebiet sich in ein Winterwunderland verwandelte. Bei dem Anblick zeichnete sich das blanke Entsetzen auf den Gesichtern der Gestalten ab und ohne lang zu fackeln rollten sie sich zu Kugeln zusammen und machten sich so schnell wie möglich davon. Erneuter Szenenwechsel. Das Bild verschwamm und fügte sich zu einem neuen zusammen. Diesmal war ein großes weites Meer sichtbar, das sich bis zu einer riesigen Ferne ausbreitete. Auf einer Seite war, wenn man genau hinschaute, ein kleiner Strand zu erkennen, allerdings war dieser ganz weit weg von diesem Standort aus. Im Wasser schwammen fischähnliche humanoide Wesen, elegant wie Delfine. Einige jagten Fische und wieder andere machten sich einen Spaß und spielten mit Freunden oder mit ihren Kindern. Jedenfalls konnte man sagen, dass sie allesamt glücklich waren. In ihrer Nähe lag mitten auf dem Wasser ein riesiges Gebäude, das geformt war wie ein großer roter Fisch, wozu auch immer man so etwas benötigte. Aber, wie konnte es auch anders sein, hielt der Friede auch hier nicht lange. Das Wasser verlor seine Klarheit und wurde nach und nach immer trüber. Die Wesen stoppten ihr Treiben und blickten sich gegenseitig verwirrt an, als sie diese Änderung bemerkten. Ihre und auch meine Aufmerksamkeit wurde augenblicklich auf das Fischgebäude gelenkt, um das sich ein plötzlicher Wirbelsturm gelegt hatte, der immer heftiger wurde und schließlich kein Vordringen mehr zuließ. Panik schien in den Kreaturen aufzukommen, einige, die sich in der Nähe des Gebildes aufgehalten hatten, wurden brutalst davon geschleudert. So schnell es ihnen möglich war flohen die übrigen Wesen. Wieder änderte sich das Bild. Dieses mal war eine Art Berggebiet zu sehen, das allerdings eher an einen Canyon erinnert, mit einem Untergrund wie in der Wüste, sandig und trocken. In der Nähe gab es zwei riesige Bauten, das eine erinnerte an ein Schloss, während das andere mehr wie ein Tempel auf mich wirkte. Warum ausgerechnet ein Tempel wusste ich nicht, es war viel mehr so eine Art Gefühl, das es mir zuflüsterte. Ich beschloss für das erste meinem Gefühl zu vertrauen... Ein kleiner Fluss, oder viel mehr schon ein Bach floss aus einer Öffnung von einem der Berge und durchzog die gesamte Landschaft. Im Zentrum stand ein kleineres Haus mit einem riesigen Blasinstrument auf dem Dach, aus dem eine ziemlich gruselige Musik spielte, wie ich fand. Einige Menschen, darunter auch ein kleines Mädchen, hielten sich hier auf. Einige saßen am Wasser und unterhielten sich, andere taten... was auch immer... was man nun mal auf einem Canyon so tat. Und natürlich musste auch hier etwas geschehen. Mit erstaunten Gesichtern blickten die Menschen auf das Tor, das den Eingang zum Tempel verschlossen hielt, sich aber nun plötzlich wie von Geisterhand öffnete. Ein helles Licht erstrahlte aus der Öffnung und breitete sich über das gesamte Gebiet aus, es blendete die Menschen und sie mussten sich vor dem Licht schützen. Als es erlosch, geschah etwas, was den Menschen das Entsetzen auf das Gesicht schrieb. Die Musik des Hauses stoppte urplötzlich und ein Mann trat verwirrt aus dem Haus heraus, der sich auch ein Bild der Situation machen wollte. Das Wasser trocknete aus und stattdessen erhoben sich nun aus dem Boden allerlei grässliche Gestalten – lebende Skellete, Zombies und Mumien, mit lauten Schreien, die selbst mir unter die Haut gingen. Panisch brach eine Massenhysterie aus und Menschen flohen einer nach dem anderen, um den Monstern entkommen zu können. Der Mann, der vor kurzem aus dem Haus ausgetreten war, stürzte sich hinein in das Getümmel und rannte auf das kleine Mädchen zu, das aus lauter Angst völlig bewegungsunfähig war und anfing zu weinen. Er packte sie und wollte auch entkommen, als eines der Mumien seine Zähne in seinen rechten Arm schlug. Er schrie schmerzerfüllt auf, konnte sich allerdings losreißen und rannte mit dem Mädchen – vermutlich seine Tochter – auf seinem Arm in das Haus, um Schutz vor den Kreaturen zu finden und schloss sich ein. Kein Mensch war mehr zu sehen, bloß noch eine verödete Landschaft, die von Untoten durchwandert wurde...


    Das war das Letzte, was ich sah. Das Bild verschwand und ich konnte bloß noch den Waldboden sehen. Was war das? Mein inneres sagte mir, dass das Horror Kid mit der Macht der Maske diese Dinge getan hatte. Wenn das stimmte, mussten ihr gewaltige, bösartige Kräfte innewohnen, die ich nicht am eigenen Leib erfahren wollte.


    Das Horror Kid stoppte abrupt das Lachen, als ein seltsames Geräusch zu hören war. Es klang wie ein Rascheln, gar nicht so weit weg von hier. Anschließend war das leise Trappeln von Hufen zu hören, es wurde immer lauter, je näher es uns kam. „Da kommt jemand“, sagte das Horror Kid und wandte seinen Blick wieder den Feen zu, die sich mittlerweile wieder voneinander gelöst hatten. „Ihr wisst, was zu tun ist“, sprach er zu ihnen und es schien so, als würden die beiden nicken. Da sie so klein waren mussten sie dazu ihren gesamten Körper beanspruchen und irgendwie sah das schon sehr niedlich aus. Augenblicklich flogen sie davon und versteckten sich hinter einem der größeren Bäume. Währenddessen packte das Horror Kid den am Boden liegenden Mann und schleifte ihn hinter das nächste Gebüsch, wo er sich selbst auch versteckt hielt. Nachdem keiner der Drei mehr zu sehen war, drehte ich mich in die Richtung um, aus der das Geräusch kam. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Wollten die etwa auch noch den nächsten überfallen? Also ich weiß ja nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass die dringend ein Hobby brauchten. Und zwar eins, bei dem niemand verletzt wurde...


    Nach nur wenigen Sekunden kam der Verursacher des Raschelns zwischen den Bäumen zum Vorschein. Es war wieder so jemand mit dem grünen Gewand und der Zipfelmütze und irgendwie sah er der jüngeren Version aus meinen vergangen Träumen unheimlich ähnlich, er war bloß ein kleinen wenig älter. Er saß auf dem Rücken eines jungen Pferdes, ich kannte mich damit zwar nicht so gut aus, aber ich vermutete, dass es sich dabei um ein Pony handelte. Der Junge, den ich von jetzt an Two nennen werde, einfach weil er denselben Namen wie ich hat, wie es scheint, und ich ein wenig zu stolz bin um ihn als Nummer eins zu bezeichnen... auch wenn er chronologisch gesehen vor mir da war... egal jetzt. Jedenfalls sah Two sehr müde aus, von weitem sah es sogar so aus, als würde er schlafen. Sehr verantwortungsvoll beim reiten inmitten eines Waldes zu schlafen, mental applaudierte ich ihm zu.


    Das seltsame Geräusch, das verursacht wurde, wenn die Feen sich bewegten, ertönte neben mir und ich richtete meinen Blick dorthin. Taya und Tael kamen hinter dem Baum hervor und nickten sich gegenseitig zu, ehe sie in Höchstgeschwindigkeit auf Two zugeflogen kamen. Das Pony erschrak und stieg wiehernd auf seine Hinterhufe. Two schreckte hoch und war nicht in der Lage schnell genug zu reagieren – woran er selbst Schuld war, wenn er schlief - und fiel vom Rücken seines Reittieres. Mit einem gequälten Stöhnen krachte er auf den Boden, knallte mit dem Kopf voran gegen etwas Hartes und blieb auf dem Bauch liegen, bewusstlos. Bei dem Anblick musste ich mein Gesicht etwas verziehen, das hatte bestimmt wehgetan.


    Unter leisem Gelächter, vermutlich sogar einigen Schreien, kam das Horror Kid im Nebel hervor, der plötzlich dichter geworden war. Er hob seine Maske an, aber natürlich so zu mir gedreht, dass ich sein Gesicht wieder nicht erkennen konnte, und sprach dabei: „Hee hee, das war gut, ihr Feen.“ Dann ließ er sie wieder sinken und stolzierte mit breiten Beinen auf den bewusstlosen Two zu. Jetzt war es wohl auch offiziell für mich, dass es sich bei den Viechern um Feen handelte. Nun, wo es mir auch wirklich bewusst war, kam mir die Sache noch märchenhafter vor, als sie es ohnehin schon war, einfach... unwirklicher.


    Das Horror Kid streckte sein Bein aus und drehte mit seinem Fuß Two auf den Rücken, und das ganz schön grob. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben ließ er es über sich ergehen, er war wohl tatsächlich ohnmächtig. „Na geil“, musste ich in diesem Augenblick flüstern. Es beugte sich zu ihm hervor und durchwühlte seine Kleidung von oben bis unten, bis er schließlich ein blaues Instrument hervorholte, das er interessiert von allen Seiten begutachtete. Jetzt war es auch klar, dass Two hier derselbe war wie aus meinen vergangen Träumen, dieses Instrument hatte ihm dieses kleine Mädchen zugeworfen. Horror Kid blies einige male hinein und ließ einen schiefen Ton erklingen, bei dem er jedes mal vergnügt auflachen musste. Bei dem Anblick musste ich mit den Augen rollten. Was für ein Idiot...


    „Oh, oh! Was für eine hübsche Okarina! Hey, Horror Kid, lass mich auch mal! Ich will sie sehen!“, sagte Tael aufgeregt und all seine Bedenken schienen plötzlich verschwunden. Aber was zur Hölle war bitte eine Okarina? Fragend zog ich meine Augenbrauen zusammen und legte meine Stirn in Falten. Davon hatte noch nie etwas gehört... aber zumindest wusste ich jetzt, wie man dieses Instrument nannte.
    Taya stieß ihn grob bei Seite. „Das geht nicht, Tael!“, rief sie. „Stell dir vor, sie fiele dir aus den Händen und würde zerbrechen! Du darfst sie nicht berühren. Auf keinen Fall!“ „...Ooh, aber Schwester... W...warum darf ich nicht auch?“, protestierte er. Sie es ein Tael, du hast keine Chance. Aber es war schon ganz interessant zu wissen, dass er und Taya offenbar Geschwister waren. Ich vermutete, dass Tael der jüngere von den Beiden war, auch wenn Taya sich teilweise wirklich kindischer aufführte.


    In dem Moment erwachte Two und schüttelte stöhnend seinen Kopf, um wieder zu Sinnen zu kommen. Er bemerkte das Horror Kid und das er auf seine Okarina spielte schien ihm überhaupt nicht zu gefallen. Vorsichtig stellte er sich auf und starrte ihn von hinten grimmig an, ohne dabei einen Mucks von sich zu geben. Den Feen fiel es zuerst auf und sie klingelten irgendwie alamierend mit ihrem Körper, um ihren Freund darauf aufmerksam werden zu lassen. Langsam drehte auch das Horror Kid sich um und schrie überrascht auf, die Okarina versteckte er dabei hinter seinem Rücken und tat auf unschuldig, so als hätte er mit allem gar nichts zu tun gehabt. Er war tatsächlich noch ein Kind. Aber Two ließ sich davon nicht beirren und wollte ihn packen, allerdings war das Horror Kid schneller und entglitt nur knapp seinem Griff. Mit einem unglaublich hohen Sprung stieg er auf den Rücken des Ponys und wollte sich das Tier aneignen. Mit einem erschrockenen Wiehern stellte es sich auf seine Hinterhufe und preschte los. Two handelte praktisch instinktiv und sprang auf eines der Hinterbeine seines Ponys zu und klammerte sich daran fest. Das Pferd lief im Galopp und unter Schmerzenslauten wurde Two auf dem Boden hinterher geschliffen. Ich wollte ihnen hinterher rennen, aber sie waren zu schnell und verschwanden im Nebel. Verzweifelt kickte ich einen Stein in meine Nähe weg und fuhr mir durch die Haare. Ich musste ihnen doch hinterher, aber wie sollte ich das jetzt anstellen?!


    Die Frage erübrigte sich eigentlich von selbst, als ich sah, wie sie auf der anderen Seite direkt auf mich zu galoppierten und ich schnell zur Seite springen musste, um nicht überrannt zu werden. Wie das möglich war fragte ich mich jedenfalls nicht, das hier war schließlich immer noch ein Traum, da musste nicht alles Sinn ergeben. Auch Two konnte sich nicht länger halten und wurde in meine Richtung geschleudert, ich ging dabei einige Schritte zurück. Das Horror Kid verschwand unterdessen im Nebel. Nach einigen Sekunden stellte Two sich wieder auf und rannte in die Richtung, in die die anderen verschwunden waren. Dafür, dass er so viel durch machen musste in dieser kurzen Zeit und für sein ziemlich junges Alter war er wirklich schnell unterwegs, vor allem wenn man bedachte, dass er noch einen großen Eisenschild plus Schwert auf seinem Rücken trug. Ich hatte jedenfalls Probleme damit, mit ihm Schritt halten zu können.


    Nach nur kurzer Zeit kamen wir bei einer Erhöhung mit einem Tunnel an, die über verschieden großstufige Baumstämme zu erreichen war. Bei diesem Anblick stellte sich mir eine Frage auf: Wie zum Teufel sind die da mit dem Pferd hochgekommen? Vielleicht lag das ja an dem Traum, ich konnte es mir jedenfalls nur schwer vorstellen.


    Ohne zu zögern rannte Two darauf zu und mit Erstaunen sah ich ihm dabei zu, wie er die Höhenunterschiede ohne Probleme mit Saltos und Seitwärtssprüngen überwand, ehe er in der Höhle verschwand. Erst dann bemerkte ich, dass ich ihm doch hinter musste, also gab ich mir einen Ruck und machte mich auch davon, allerdings brauchte ich viel länger und es verlangte mir auch viel mehr ab als Two, endlich oben anzukommen. Ich hatte wirklich Respekt vor dem kleinen Kerl. Als ich dann schließlich auch oben ankam wurde mir natürlich keine Verschnaufpause gegönnt, ich musste Two immer hin einholen. Also betrat auch ich den Tunnel. Aber anstatt den Kleinen hier anzutreffen, war hier bloß alles dunkel und schwarz und allmählich bekam ich die Befürchtung, dass ich Two verloren hatte.


    Eine leichte Panik kam in mir auf, da ich nun mal nicht wusste, was ich jetzt tun sollte. Es war so dunkel hier drin, dass ich mich mit Sicherheit verlaufen würde, aber andererseits wollte ich jetzt nicht hier stehenbleiben und warten, dass noch irgendwas passierte, also rannte ich einfach geradeaus weiter, in der Hoffnung, auf Two oder zumindest irgendetwas halbwegs wichtiges zu stoßen. Aber stattdessen kam ich nur wenige Meter weiter an einem Abgrund an, den ich in der Dunkelheit nicht bemerkt hatte. Mit meinem Gewicht auf nur einem Bein taumelte ich nun darüber, er ging so tief dass ich den Boden nicht erkennen konnte. Bei dem Anblick musste ich schlucken. Ich wollte mich auf jeden Fall retten, aber durch das Rennen war zu viel Schwung aufgekommen, der mich nach vorne drückte und es gab keine Möglichkeit für mich mich noch zu halten. So kam es wie es kommen musste und ich fiel in die bodenlose Leere.


    Der Fall fühlte sich seltsam an. Obwohl ich mit Sicherheit gerade mal eine halbe oder höchstens eine ganze Minute gefallen war, kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Mein Kopf fühlte sich dabei total leer und ich sah einige seltsame Symbole an mir vorbei fliegen, in bunten Farben. Eines sah aus wie eine Okarina in pink. Man konnte eigentlich schon sagen, dass es wie ein LSD-Trip war.


    Mit einem lauten Platscher landete ich in Wasser. Ein Wunder eigentlich, dass mir nichts passiert war, das Wasser war schließlich nicht sonderlich tief. Ich brauchte einige wenige Sekunden um es zu realisieren, aber als ich dann kapiert hatte, dass ich von oben bis unten nass war und mir mein gesamter Körper wegen des Aufpralls weh tat, stellte ich mich unter stöhnenden Lauten auf und fluchte einmal lautstark. So schnell wie möglich stieg ich aus dem Wasser aus und stöhnte. Wo auch immer ich mich gerade aufhielt, dort war es nun jedenfalls nass. Und natürlich war es auch noch immer dunkel. Ich wollte doch was sehen verdammt! Wann war dieser scheiß Traum eigentlich endlich zu Ende? Wenn ich mir hier etwas brach oder mich auf irgendeine andere Weise ernsthaft verletzte konnte man sich einen anderen Auserwählten suchen! Ich wollte das einfach nicht mehr, ernsthaft, ich fand das schon nicht mehr lustig.


    Ich wurde unsanft aus meinen Gedanken gerissen, als neben mir ein grelles Licht erstrahlte. Es blendete mich und instinktiv hielt ich mir meine Hände vor das Gesicht, von so viel Dunkelheit direkt auf das andere Extrem zu wechseln war bekanntlich nicht gesund für die Augen. Nachdem ich mich an die neue Helligkeit gewöhnt hatte schaute ich mir meine Umgebung an. Vor mir stand Two, ich hatte ihn also glücklicherweise nicht verloren. Er hielt sich ebenfalls als Schutz vor das Licht die Hände vor das Gesicht. Er stand auf einer recht großen rosa Blume, auf der gegenüberliegenden Seite des Wassers. Neben mir hielten sich direkt in dem Lichtkegel das Horror Kid und seine beiden Gefährten auf, es konnte sogar schweben. Gemütlich hing es da in der Luft und blickte auf Two hinab.


    „Was ist bloß mit deinem dämlichen Esel los?!“, fragte er teils wütend, teils amüsiert. „Er gehorcht keinem meiner Befehle! So ein blödes Vieh bringt keinen Nutzen. Ich habe dir die Bürde abgenommen, es loszuwerden. Hee, hee...“


    Diese Worte ausgesprochen riss Two die Augen auf und blickte das Horror Kid entgeistert an, dabei schnappte er erschrocken nach Luft. Das arme Tier.. hoffentlich war es nicht tot. „Ooooh, Bu-Huu!!! Warum das traurige Gesicht?“, sprach das Horror Kid weiter. Ja, warum wohl, Horror Kid, warum? Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und auch Two schien mit jedem seiner Worte mehr Wut zu verspüren. Dieses Kind bildete sich ganz schön was auf sich ein. „Ich dachte mir, ich könnte ein bisschen mit dir spielen! Oh, komm schon... Glaubst du wirklich, du könntest in dieser Form gegen mich antreten? Narr!“


    Plötzlich begann die Maske zu vibrieren und zu rascheln, dabei strahlte sie eine so gewaltige Aura aus, dass sich eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper bildete. Erstaunt und auch ein wenig geschockt sah ich dabei zu, wie Two sich unter Schmerzen wand und dabei komische Gesichtszüge annahm. Mit Panik hielt er sich den Kopf und schrie aus vollem Halse. Was auch immer dieses Horror Kid gerade tat, es sah überhaupt nicht gut aus.


    Nach nur kurzer Zeit konnte man sehen, was mit Two passierte. Er veränderte seine Gestalt! Bei dem was da gerade passierte konnte ich nicht anders, als meine Augen aufzureißen. Er wurde kleiner und seine Haut nahm eine braune holzige Farbe an. Dann wurde er in ein helles Licht gehüllt und ehe man sich versah blieb bloß noch ein kleiner Kerl mit zerfetzter grüner Kleidung und müden traurigen rötlichen Augen übrig. Anstatt einer Nase oder einem Mund hatte er bloß noch eine Art Rüssel. Auch seine Waffen waren alle weg. Sein jetziges Aussehen erinnerte mich an diese Viecher aus den Sümpfen in meiner „Vision“, oder wie auch immer man das nennen sollte.


    Verwirrt schaute Two sich im Wasser sein Spiegelbild an und als er realisierte, dass er das war und nicht irgendjemand anders, schrie er geschockt auf und schüttelte ungläubig seinen Kopf hin und her. Na, so würde ich auch reagieren, wenn ich plötzlich so aussehen würde. Das Horror Kid brach unterdessen in schallendes Gelächter aus und zeigte amüsiert mit dem Zeigefinger auf sein Opfer. Rückwärts flog er gemeinsam mit Tael aus einer Öffnung in der Wand hinaus. Two wollte ihm folgen und rannte sofort los. Auch wenn er mir Leid tat war es trotzdem irgendwie drollig ihm dabei zu zu sehen wie er versuchte mit den kurzen Beinchen Schritt zu halten.


    Natürlich wurde er aufgehalten. Taya flog mit voller Kraft gegen ihn und zischte ihn an, Twos trauriger Blick machten mich dabei noch verrückt. Unmittelbar in meiner Nähe lag er nun auf dem Boden und ließ sich von Taya fertig machen. Es war mit Sicherheit total bitter sich von so einer kleinen Fee fertig machen zu lassen.
    Das Horror Kid verschwand im Ausgang und Tael konnte nichts weiter tun, als erschrocken „S-S-Schwester!“ zu rufen, ehe eine riesige Steinwand von oben hinunterfiel und uns aussperrte. Dies musste nun auch Taya feststellen und so schnell sie konnte flog sie dorthin, wo zuvor noch der Ausgang gewesen war. Sie hämmerte mit ganzer kraft gegen die Wand, nur um festzustellen, dass das nicht wirklich etwas brachte. Traurig ließ sie ihre Flügel sinken und drehte sich um, dabei fuhr sie Two wütend an, der sich gerade erst wieder vollständig aufstellen konnte. „Du!“, rief sie. „Wenn du nicht wärst, dann wäre ich nicht von meinem Bruder getrennt worden!“ Na die war ja lustig. Ich rollte mit den Augen. Die war ganz schön doof. „Nun sitz hier nicht rum, Deku-Junge! Tu etwas!!!“ Deku? Nannte man die Viecher etwa so? Das war doch gut zu wissen, oder nicht? „...Was starrst du mich so an? Habe ich irgendwas im Gesicht?“, zeterte sie weiter. Also hatten diese Feen doch Gesichter, jetzt wusste ich es mit Sicherheit. „Hör auf, mich anzustarren! Öffne lieber diese blöde Tür!“ Tür? Hatte ich da richtig gehört? Eine Tür sah aber anders aus, du...
    „Bitte! Komm schon, ein hilfloses kleines Mädchen bittet dich... Also beeile dich gefälligst! Ohhh Teal, ich hoffe nur, dass dem Kleinen nichts zustößt...“ Letzteres sagte sie dann wohl eher zu sich selbst, als zu Two.


    Two blieb da wohl keine andere Möglichkeit, als zu tun, was sie sagte. Also ging er auf die „Tür“ zu und öffnete sie, wie auch immer er das geschafft hatte. Ich folgte ihm und mit einem lauten Krachen fiel sie hinter uns wieder zu.


    „Hey, warte auf mich! Lass mich nicht zurück!“, rief Taya, und hatte wohl nun doch Schwierigkeiten damit, uns zu folgen. Eine schadenfrohes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Das alles geschah ihr gerade Recht. „Also, ähm... Was da vorhin geschehen ist... Ich... äh... entschuldige mich.“ Also Taya, mit so einer Entschuldigung konnte man diese Taten sicherlich nicht rechtfertigen. Immerhin habt ihr kostbares Habgut von Two gestohlen, sein Pferd entführt (vielleicht sogar ermordet) und dazu auch noch einen Fluch auf ihn gelegt und.... DAS da aus ihm gemacht. Aber wer war ich denn, dass ich so etwas beurteilen konnte...
    „Du willst doch mehr über dieses Horror Kid in Erfahrung bringen. Nun, vielleicht weiß ich ja, wo es sich aufhalten könnte. Nimm mich mit dir, und ich helfe dir bei der Suche! Abgemacht? Bitte! Gut! Dann ist es abgemacht! Ich werde aber nur solange bei dir bleiben, bis wir das Horror Kid gefunden haben! Mein Name ist Taya. Also nett, dich kennenzulernen... oder auch nicht. Nach dem wir das nun abgeklärt haben, können wir uns nun endlich in Bewegung setzen?“


    Nach ihren Worten konnte Two auch nicht mehr tun, als fassungslos mit dem Kopf zu schütteln. Er hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen, was ich etwas seltsam fand. Vielleicht konnte er gar nicht sprechen? Wie auch immer, der Arme tat mir jedenfalls Leid. Ohne weiteres Zögern hatten die Zwei sich in Bewegung gesetzt. Ich folgte ihnen sogleich.


    Der Gang, durch den wir liefen, war seltsam. Von Moos bedeckt, alt, es stank und überhaupt. Aber noch komischer war es, als er sich plötzlich zu drehen begann und alles vor mir verschwamm...


    Ich schlug die Augen auf. Mein Untergrund war ziemlich hart, aber es musste wohl trotzdem ein Bett sein. Stöhnend versuchte ich mich aufzustellen, aber ich war zu schwach. Nur bei der kleinsten Bewegung spürte ich unsagbare Kopfschmerzen. Warum auch immer, aber ich war überall verkabelt und an irgendwelchen Geräten angeschlossen. Alles vor mir war noch leicht verschwommen, ich blinzelte ein paar mal, um ein klareres Bild zu bekommen.


    Seltsam war jedenfalls, dass ich nicht nass war. War ich nicht in dem Traum in Wasser gefallen? Das war extrem ungewöhnlich. Meine Empfindungen kehrten nach und nach auch wieder zurück. Schließlich konnte ich ein leises Wimmern hören, scheinbar von einer Frau. Dann spürte ich, wie meine rechte Hand fest gedrückt wurde. Ich blickte vorsichtig zur Seite und sah eine junge Frau, mit braunem Haar, die leise weinte und dabei meine Hand fest hielt. „Was zur...?“, flüsterte ich leise und kraftlos, aber noch laut genug, um die Frau darauf aufmerksam machen zu können. Sie hob ihren Kopf und riss ihre Augen auf, sie war ziemlich hübsch. Ihre stahlblauen Augen waren vom Weinen rot angelaufen und ihr gesamtes Gesicht war tränen befleckt. Erschrocken und gleichzeitig auch glücklich ließ sie meine Hand los und hielt sie sich stattdessen vor den Mund. „Du bist wach“, quietschte sie schon fast. „Du bist wach...“ Und wieder war sie den Tränen nahe.


    „Wer sind Sie?“, fragte ich leise.

  • Mit weit aufgerissenen Augen starrte die mir unbekannte Frau mich an. Bei dem Anblick bekam ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. Es war bestimmt ein Schock für sie. Aber was sollte ich machen? Ich hatte keine Ahnung wer sie war, wo ich mich aufhielt und was los war. Ich fühlte mich so schwach, als hätte ich meine Muskeln noch nie beansprucht. Ich verstand einfach überhaupt nichts mehr.


    Langsam kamen auch noch andere Empfindungen dazu, sodass ich nun spürte wie verdammt heiß mir war, meine Haare klebten an meiner Stirn und schienen länger zu sein, als ich es in Erinnerung hatte. Wie lange lag ich eigentlich schon hier? Ich konnte mir allerdings denken, was die Ursache für meinen Aufenthalt an diesem „wunderschönen“ Ort war. Vermutlich hatte das Wasser mich in eine Art Koma versetzt und jemand hatte mich gefunden, meine Hoffnung sagte mir, dass dieser jemand Zelda war. Es würde dann immer hin bedeuten, dass es ihr tatsächlich noch gut ging.


    Aber trotzdem wollte ich wissen, wer diese Frau war. Ich hatte sie in meinem Leben noch nicht gesehen, darauf verwette ich das Triforce auf meinem Handrücken… und jetzt war es auch noch schon so weit, dass ich in meinem wirklichen Leben einen bewussten Bezug zu diesem Legendenquatsch aufbaute. Wahrscheinlich, weil ich es endlich akzeptiert hatte. Dass hatte auch lange genug gedauert.


    „Was ist hier los?“, fragte ich, allerdings mit einer nur sehr schwachen Stimme, zu mehr war ich momentan auch gar nicht in der Lage. Mit kleinen, schon fast verschlossenen Augen, aus denen man aber wohl noch immer meine Verwirrung herauslesen konnte, starrte ich in die stahlblauen der Frau. Je länger ich sie anstarrte, desto eher kam in mir das Gefühl auf, dass sie mir auf irgendeine Weise vertraut war, so als würde ich sie bereits mein ganzes Leben lang kennen, auch wenn sie mir noch so fremd war. Doch fühlte sich diese Vertrautheit nicht echt an, selbst wenn ich sie ganz deutlich spüren konnte.
    Ich konnte sehen, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten und einzelne Tropfen ihre Wangen hinunter liefen. Sie schniefte einmal und fuhr sich mit dem Ärmel ihres Pullovers über die Augen, um die Tränen loszuwerden. Ihr Gesicht war noch immer gerötet und man konnte ihr ihre Leiden bezüglich dieser Situation so gut ansehen, dennoch schaffte sie es ein Lächeln aufzusetzen, das sehr warm und freundlich auf mich wirkte.


    „Link, Schatz“, sagte sie ruhig und besonnen, während sie auf ihre Knie ging und ihre Arme am Bettrand abstützte, meine rechte Hand nahm sie behutsam in ihre und drückte sie leicht. Das warme und schöne Gefühl von Sicherheit durchströmte meinen Körper, ich fühlte mich bei ihr gut geborgen. Aber ein Teil von mir wehrte sich dagegen und war ihr gegenüber sehr skeptisch, er fürchtete sich ja sogar vor ihr. Ich drehte meinen Kopf etwas in ihre Richtung, starrte sie dabei fragend an. „Ich bin deine Mutter“, klärte sie mich auf, wobei sie wieder Tränen in die Augen bekam. „Erkennst du mich denn nicht?“


    Daraufhin konnte ich nicht mehr tun, als meine Augen vor Schock aufzureißen. Mein Atem blieb plötzlich weg und ich schnappte angestrengt nach Luft. Mutter? Hatte sie Mutter gesagt? „A-aber… meine Mutter ist…“


    Tot, wollte ich sagen, aber meine Stimme versagte. Ich hatte keine Eltern, noch nie hatte ich auch nur einen von ihnen kennen gelernt, und jetzt stand hier eine fremde Frau neben mir und behauptete, meine Mutter zu sein. „Shhh“, machte sie ruhig und wollte mich beruhigen, während sie dabei sanft über meinen Handrücken streichelte, aber das brachte nichts. Mittlerweile hatte ich wirklich Angst vor ihr, große Angst und dass nicht nur wegen ihr, auch vor dem was war und was noch kommen würde. Ich wollte mich von ihrem Griff befreien, aber ich war zu schwach, jämmerlich schwach, ich konnte meinen Arm kaum bewegen. Verzweiflung machte sich in mir breit und schließlich war ich derjenige, der Tränen vergoss. Was war hier los, verdammt?


    Meine Reaktion schien meine ‚Mutter’ sichtbar traurig zu stimmen und machte sie sehr betrübt. Aber was sollte ich denn tun? Ich kannte sie nicht! Ich hatte totalen Schiss und diese Ungewissheit machte mich fertig. Ich wollte einfach nur nach Hause, in mein zu Hause. Dieses zu Hause, an dem ich mein gesamtes bisheriges Leben verbracht hatte und nichts anderes


    „Link, ich-„ „Nein“, fiel ich ihr ins Wort, mit gequälter Stimme. Ich wollte nichts mehr hören. Sie konnte mir so viel erzählen wie sie wollte, ich würde ihr kein einziges Wort glauben. Sie wollte ihren Mund wieder öffnen und weiter sprechen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Ich wimmerte leise, was mich unter diesen Umständen ziemlich viel Kraft und auch Anstrengung kostete. Mir wurde schwindelig und ich realisierte, dass es mir noch viel beschissener ging, als ich anfangs vermutet hatte. Der Herzschlag von mir beschleunigte sich und mein Blutdruck schoss in die Höhe, das EKG begann sowohl schneller, als auch lauter zu piepen. Das war wirklich gar nicht gut und half auch nicht gerade dabei mich zu beruhigen.


    Ich konnte förmlich spüren, wie die Nervosität bei der Frau, die sich selbst meine ‚Mutter’ schimpfte, zunahm. Sie drückte meine Hand noch ein letztes mal, bevor sie sich wieder aufstellte und etwas auf Abstand ging, was mich wieder etwas beruhigte und auch meinen Herzschlag langsam normalisieren ließ.


    Aber egal wie sehr sie sich auch bemühte, ich traute ihr nicht. Sie war mir unheimlich und mittlerweile läuteten sämtliche Alarmglocken in mir, wenn ich sie ansah.


    Meine Mutter war tot. T-O-T. Schon mein ganzes Leben lang. Ich kannte sie nicht, kennen lernen würde ich sie erst recht nicht. Und falls ihre Worte tatsächlich stimmen war ich furchtbar wütend auf sie. Mein ganzes Leben hatte sie mich im Stich gelassen, weder meinen Onkel, der sich so liebevoll um mich kümmerte, noch mich hatte sie jemals unterstützt. Und was machte sie dann? Sie tauchte nach 15, fast 16 ganzen Jahren hier auf, nachdem ich wer weiß wie lange hier gelegen hatte? Vielleicht war ich sogar bereits schon längst 16, was wusste ich denn schon. Aber fand sie es tatsächlich lustig hier einfach so einzuschneien und mir nach so einem Scheiß den größten Schock meines Lebens zu bereiten? Dann herzlichen Glückwunsch, sie hatte soeben den Preis für den miesesten Scherz aller Zeiten gewonnen! Props to you! Denn es war nicht lustig, es war verdammt gruselig. Wenn sie es nicht für nötig hielt früher aufzutauchen konnte sie sich wieder verpissen, ganz ehrlich. Ich hasste sie! Es tat mir in der Seele weh, sie nicht von meiner Wut wissen lassen zu können. Verdammte Schwäche… In diesem Moment musste mein wehleidiger, halbherziger Blick ausreichen.


    Ich wurde plötzlich aus meinen Gedanken gerissen, als ich hörte, wie eine schwere Tür geöffnet wurde. „Na, dann wollen wir doch mal sehen“, sagte eine ältere, männliche Stimme. Schwere Schritte kamen auf meine Richtung zu und ich hob vorsichtig meinen Kopf, um mir die Person genauer ansehen zu können. Es war ein Mann mittleren Alters, mit einem ziemlich kräftigen Körperbau. Anstatt von Haaren auf dem Kopf hatte er einen bräunlich schwarzen Vollbart. Seine grünen Augen wirkten erfahren, so als hätte er bereits vieles miterlebt, gleichzeitig strahlten sie auch eine gewisse Freundlichkeit aus. Seine Kleidung bestand aus einem langen, weißen Kittel und durchsichtigen Einweghandschuhen, dessen Farbe schon eher an ein trübes weiß erinnerte. Um seinen Hals trug er einen türkisfarbenen Mundschutz. Kurz gesagt: Er sah aus wie ein stereotypischer Arzt. Er hielt meiner ‚Mutter’ die Hand hin und sie erwiderte seine Geste. „Guten Tag, Frau Simon“, sagte er begrüßend und schüttelte ihre Hand, er schien einen kräftigen Griff zu haben. „Hallo“, sagte sie, weniger gut gelaunt. Dennoch rang sie sich zu einem Lächeln ab. Nach der schnellen Begrüßung positionierte er sich neben das Bett und lächelte mich freundlich an. Ich starrte ihn fragend an und erwartete, dass er etwas zu mir sagte.


    „Na sieh’ mal einer an“, sprach er und schüttelte gespielt fassungslos den Kopf. „Hallo Link. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du heute erwachen würdest. Dass ist wirklich eine Überraschung! Wie geht es dir denn?“ Irgendwie machte diese Freundlichkeit mich krank. Sie wirkte so aufgesetzt. Ich starrte ihn an, mehr nicht. Ich wollte ihm nicht antworten, ich hatte schlichtweg keine Lust dazu. Er sollte sich selbst denken wie es mir wohl angesichts dieser Situation gehen könnte, immerhin war er hier der Arzt. „Nun, ich denke, dass sagt alles“, sagte er und drehte sich dabei zu der Frau um. „Frau Simon, würden sie uns bitte entschuldigen?“ Sie blickte auf. „Aber natürlich“, antwortete sie und verließ hastig den Raum. Dass stimmte mich tatsächlich etwas milder.


    Weiterhin tat ich nicht viel mehr, als den Arzt bloß anzustarren. Ich wollte endlich eine Erklärung! „Vielleicht sollte ich mich erstmal vorstellen“, setzte er zu sprechen an und lächelte weiterhin. Ich könnte kotzen. „Ich bin Doktor Finke. Es freut mich wirklich sehr, dass du wieder wach bist. Du warst zwar vergleichsweise ziemlich schnell, Zeit gelassen hast du dir aber trotzdem zu genüge. Jedenfalls möchte ich jetzt testen, wie gut dein Verstand und auch deine Muskeln arbeiten. Ich werde dir ein paar kleine Aufgaben stellen und du musst versuchen sie auszuführen. Alles klar?“ Immer noch starrte ich ihn an, ohne irgendetwas großartig zu tun. Was dass wohl für Aufgaben sein würden? Mathe? 1+1 ergibt 2… na, das konnte ich noch, war also schon mal was, oder nicht? Trotzdem nickte ich dann nach einer kleinen Weile. „Okay gut. Dann fangen wir mal an. Deinen Kopf kannst du ja allem Anschein nach bewegen, auch deine Gesichtsmuskeln kannst du in Anspruch nehmen und das ist schon mal super. Probieren wir also etwas anderes. Balle bitte zuerst deine rechte und dann deine linke Hand zur Faust.“ Ich tat wie mir geheißen und richtete meinen Blick auf meine rechte Hand. Mein Gehirn befahl ihr eine Faust zu bilden, aber sie tat nichts. Seltsam… nächster Versuch. Meine Finger zuckten kurz, aber dass war es dann auch. „Man, mach Faust! Ich sagte Faust!“, schrie ich sie in Gedanken förmlich an, und mit genug Willen sowie Anstrengung klappte es schließlich auch. Zufrieden zuckten meine Mundwinkel nach oben und ich öffnete sie wieder. Bei der Linken funktionierte es etwas schneller, vermutlich weil ich Linkshänder war, anders konnte ich es mir nicht erklären. „Sehr schön“, kommentierte er meinen Erfolg. „Dann bitte noch Beide gleichzeitig.“ Ich nickte wieder, tatsächlich konnte ich sogar auf Anhieb beide Fäuste ballen. Warum auch immer, aber ich war deshalb irgendwie sehr stolz auf mich.


    Doktor Finke stellte mir noch etliche andere Aufgaben wie „Bewege deinen Fuß. Hebe deine Hand. Schließe deine Augen.“, die ich alle mehr oder weniger gut erfüllen konnte. Doch irgendwann wurde mir dann zu blöd. „Doktor, könnte wir bitte damit aufhören?“, unterbrach ich ihn dann schließlich, wenn meine Stimme auch noch immer ziemlich schwach wirkte. „Es ist anstrengend und außerdem habe ich eine Menge Fragen, auf die ich gerne eine Antwort wüsste.“ Mein Arzt hielt kurz inne, nickte dann aber verständnisvoll. „Also gut“, willigte er ein. „Wo drückt denn der Schuh?“
    Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wo ich anfangen sollte! So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, der auch noch von absoluter Verwirrung überlagert wurde.
    „Also zuerst einmal: Ich bin total verwirrt und habe keinen Blassen, war hier los ist. Aber ich fange mal an… okay, nun, warum liege ich hier, wie lange schon und wer ist diese Frau, die behauptet, meine Mutter zu sein?“


    Doktor Finke atmete einmal aus und lachte ein wenig überfordert. „Das sind ganz schön viele Fragen auf einmal“, scherzte er. Ich starrte ihn auffordernd an. Er sollte gefälligst zum Punkt kommen! „Nun, erst einmal, es ist völlig normal so verwirrt und nichts ahnend nach dem Koma zu sein, du bist da kein Ausnahmefall. Ich versuche mal eben, jede deiner Fragen nach und nach verständlich zu beantworten. Also… zu deiner ersten Frage: Du und deine Mutter, ihr wart in einem Auto unterwegs und habt dabei einen schweren Unfall erlitten. Ein betrunkener Fahrer war daran Schuld, er ist dabei, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe, umgekommen“ Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Unmöglich, daran konnte ich mich gar nicht erinnern. Und dann auch noch mit dieser Frau? Verzeiht… meiner ‚Mutter’? Ganz sicher nicht, ich hatte sie zuvor noch nie gesehen und Auto gefahren bin ich mit ihr erst recht nicht .


    „Deine Mutter hat es zwar relativ gut überstanden, aber du hast ein schweres Schädelhirntrauma erlitten.“ Völlig entsetzt riss ich meine Augen auf. Es war bitte war mit mir passiert?! „Daraufhin musstest du sofort mehrstündig operiert werden, wozu du in ein künstliches Koma versetzt werden musstest. Das dürfte an die drei oder vier Monate her sein.“ Mein Ausdruck wurde bloß noch entsetzter, mit jedem von ihm gesprochene Wort riss ich meine Augen ein Stück weiter auf. Operation? Künstliches Koma? Vier Monate?! Was zum Teufel ging hier eigentlich gerade ab?! Wenn dass der Wahrheit entsprach war ich mittlerweile tatsächlich bereits 16 Jahre alt und zwar seit bereits ungefähr zwei Monaten. Warum sollte man mich auch anlügen?


    „Und zu deiner letzten Frage, die sich ja eigentlich bereits erübrigt hat: Diese Frau ist deine biologisch korrekte, leibliche Mutter.“ Jetzt klappte auch mein Mund auf. Das hieß wohl, dass es nachweisbar war. Diese Frau war meine Mutter! Aber… wieso? „Hä, aber das kann gar nicht sein. Meine Mutter ist doch tot, schon immer, solange ich mich erinnern kann. Und an einen Autounfall kann ich mich auch nicht erinnern, weder mit dieser Frau, die ich noch nie gesehen habe, noch mit sonst irgendwem.“
    „Nun, es ist keine Seltenheit, dass man sich nach dem Koma nicht mehr an die Menschen, die man eigentlich kennen sollte, erinnern kann und dass du den Autounfall vergessen hast ist auch nicht gerade ungewöhnlich. Aber dass du denkst, deine Mutter wäre tot, ist schon etwas fragwürdig. Vermutlich handelt es sich dabei um eine, so gemein das jetzt auch klingen mag, Wahnvorstellung.“


    Hatte ich da richtig gehört? Wahnvorstellung? Er tat dies als eine Wahnvorstellung ab?! War dass etwa sein voller Ernst? Dass war keine ‚Wahnvorstellung’, es war ein Fakt! Diese ‚Wahnvorstellung’ konnte er sich sonst wo hin stecken.


    „Wie jetzt ‚Wahnvorstellung’?“, fragte ich ihn, vermutlich sogar etwas genervt. „Was ist mit meinem Onkel, der mich adoptiert und sich liebevoll um mich gekümmert hat? Oder Zelda, die ich vor ein paar Monaten kennen gelernt habe? Oder Herr Dragmire und dieses komische Wasser? Und warum hat meine ‚Mutter’ keine spitzen Ohren? Ich habe spitze Ohren, mein Onkel auch, meine Großeltern, meine gesamte Verwandtschaft und überhaupt-„ „Woah, warte, was? Spitze Ohren? Du hast doch keine spitzen Ohren. Die sind ganz normal rund“, unterbrach er mich und hatte mich damit schließlich auf den Höhepunkt meiner Verwirrung getrieben.


    „Adoptiert bist du auch nicht, du lebst bereits schon immer bei deinen Eltern im Haus, soweit ich weiß jedenfalls. Und von den anderen Personen, die du erwähnt hast, habe ich noch nie etwas gehört. Was du mit dem Wasser meinen könntest weiß ich ehrlich gesagt auch nicht.“


    „Hä, aber… hä? Wie zur… Ich meine, was ist…? Ich meine… hä?“, stammelte ich leise vor mich hin und verstand noch weniger als zuvor.

  • Mit leerem Blick starrte ich den eingeschalteten Fernseher an. Seit drei Monaten war ich nun hier, lebte in einem mir fremden Haus gemeinsam mit unbekannten Menschen, ohne Anzeichen von irgendwas, das ich eigentlich kennen müsste. Seitdem kein Traum, keine Zelda, kein Sven, kein Dragmire, absolut nichts. Völlig fremde Personen sprachen mich Tag für Tag an, die jedes Mal enttäuscht waren, wenn ich sie nicht erkannte. Noch nicht einmal meine spitzen Ohren blieben mir erhalten, stattdessen hatte ich gewöhnliche, wie jeder andere Mensch sie auch hatte. Nie hätte ich gedacht, dass ich den Grund für meine Mobbingzeit jemals vermissen würde, aber nun war es so. Wobei ich sie im Grunde genommen niemals hatte. Konnte man etwas vermissen, das nicht existierte? Ich ließ meinen Blick auf meine linke Hand hinunterschweifen, nur um festzustellen, dass es dort kein Triforce gab, so wie eigentlich die ganze Zeit. Doch trotzdem hatte ich jedes Mal die Hoffnung, dass es doch da war, nur ganz blass und ich es deshalb übersehen hatte.


    Nachdem ich fit genug gewesen war, um das Krankenhaus wieder verlassen zu können, wurde ich zu einer Art Psychiater geschickt, damit ich mit ihm über meine „Probleme“ sprechen konnte, diese Wahnvorstellungen, wie mein Arzt sie geschimpft hatte. Ich schilderte ihm meine Lage, in dem Glauben zumindest er könnte die ganze Sache klären, aber er war dann schließlich der Grund dafür, weshalb meine Erlebnisse bloß als Traum abgestempelt wurden. Zelda war dabei wohl der Faktor, der mich davon abhalten sollte zu erwachen und Dragmire das tiefste innere meines Unterbewusstseins, der mich wecken sollte. Trotzdem weigerte ich mich das zu glauben, selbst wenn alles darauf deutete, dass nie etwas von dem, was ich wusste, geschehen war.


    Jede Nacht lag ich in meinem Bett und betete zu den drei Göttinnen, mit der Bitte, endlich wieder einen Traum zu träumen und schließlich mit Verletzungen zu erwachen, die ich mir während des Schlafs zugezogen hatte, um einen Beweis dafür zu haben, dass ich mir nichts eingebildet hatte, dass alles Realität war und das Leben jetzt bloß ein Trick. Aber es war schwierig, wenn einfach nichts darauf deuten konnte…


    „Link, Klara steht vor der Tür!“, rief meine Mutter mir zu. So tief in Gedanken versunken hatte ich gar nicht mitbekommen, dass es an der Tür geklingelt hat. „Ok!“, rief ich zurück und machte mich auf den Weg, meine Mutter hatte sich bereits auf dem Weg in die Küche gemacht, um die, nach dem Geruch zu urteilen bereits angebrannte Suppe zu retten. Ich warf mir eine dünne Jacke über, schlüpfte in ein paar schwarze Chucks und verließ das Haus, während ich die Tür hinter mir schloss. Augenblicklich flog mir ein kühler Wind ins Gesicht, nicht stark, aber trotzdem klar zu spüren.


    „Link!“, rief Klara und fiel mir um den Hals. Mit überglücklichen, braunen Augen, die einen leichten Grünstich hatten, sah sie mich verführerisch an und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Hey“, sagte ich und lächelte leicht. „Oh, ich hab dich so vermisst“, klagte sie und klammerte sich an mir fest. Der Wind ließ ihre honigblonden Locken um ihr hübsches Gesicht tanzen. „Aber wir haben uns doch erst gestern gesehen“, meinte ich belustigt. „Aber das ist viel zu lang!“ Ich begann zu lachen und sie stieß mit ihrer Faust leicht in meine Seite. „Komm, lass uns gehen“, sagte ich und sie nickte.


    Klara, meine Freundin, scheinbar schon seit fas zwei Jahren. Selbst an sie konnte ich mich nicht erinnern. Als sie auf mich zu kam, nachdem ich entlassen wurde, fiel sie mir sofort um den Hals und wollte mir einen Kuss aufdrücken, unterließ es aber, nachdem sie bemerkt hatte wie geschockt ich auf sie reagierte. Sie war am Boden zerstört, als sie erfuhr, dass ich mich an nichts erinnern konnte… sie tat mir so Leid, dass ich ihr versprochen hatte zu versuchen mit ihr weiterzumachen wie „bisher“, meine Erinnerungen könnten ja jeder Zeit zurückkommen. Sie hatte eingewilligt.


    Ich hatte eine Freundin, mit der ich offenbar schon geschlafen hatte, ohne mich daran erinnern zu können sie vor meinem Koma jemals geküsst zu haben. Meine Freundin… eine Freundin, die ich eigentlich gar nicht liebte, der ich nur etwas vorspielte, so wie jeder anderen Person, die ich eigentlich kennen müsste, bloß damit sie mich in Ruhe ließen und sich keine Sorgen machten. Sie war hübsch und wir hatten uns schon oft geküsst, aber jedes Mal wenn ich sie sah musste ich an Zelda denken. Ich weigerte mich zu akzeptieren, dass sie nicht existierte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass alles was mir hier erzählt wurde nicht der Wahrheit entsprach. Doch so lange ich dies nicht beweisen konnte blieb mir nichts anderes übrig, als so zu tun, als wäre das alles mein wirkliches Leben. Sobald ich die Möglichkeit hatte von hier zu entkommen würde ich es tun, aber bis es sobald war konnte ich nicht anders, als weiterhin hier zu bleiben und ein falsches Leben zu leben, mit einer falschen Familie, falschen Freunden und einer falschen Liebe.


    „Link?“ „Hm?“ „Alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so abwesend…“ Klara hatte ihren Kopf von meiner Schulter gehoben und sah mich besorgt an, während wir den Weg zum Bahnhof abliefen. „Oh nein, alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen“, sagte ich zu ihr und setzte ein Lächeln auf. Aber sie blieb stehen. „Ich glaube dir das nicht. Dir geht es nicht gut, das sehe ich doch! Was ist los?“ Ich hielt kurz inne und wusste nicht, was ich sagen sollte.


    „Hör mal, es ist wirklich alles gut. Ich bin heute nur etwas in Gedanken, das ist alles.“ „Sicher?“ Sie schien nicht wirklich überzeugt zu sein. Dieses Mädchen war wirklich hartnäckig. „Ja. Glaub mir, wenn irgendetwas nicht stimmt bist du die Erste, die davon erfährt, alles klar?“ … „Versprochen?“ „Versprochen.“ „Also gut…“ Sie war immer noch voller Zweifel, dass spürte ich ganz deutlich. Aber immerhin hatte sie nun locker gelassen.


    Selbst wenn ich ihr von meinen Gedanken berichten würde, sie würde es nicht verstehen. Niemand konnte das. Niemand konnte mir helfen. Nur ich mir selbst. Und das hatte ich bereits akzeptiert. Nun musste ich bloß noch herausbekommen, wie.



    Schließlich waren wir am Bahnhof angekommen. Ich begab mich in Richtung des Automaten und zog zwei Fahrkarten, für mich und für Klara. Sie wich währenddessen nicht von meiner Seite. Wir waren offenbar gerade zum richtigen Zeitpunkt angekommen, der Zug traf genau dann ein, als ich Klara ihre Karte in die Hand drückte. Pünktlich auf die Minute, dass ich das noch erleben durfte.


    Der Zug war fast komplett leer, die meisten Passagiere hielten sich in den vorderen Waggons auf, wir hatten uns in einen der Letzteren gesetzt. Klara setzte ihren Kopf auf meiner Schulter ab und schloss ihre Augen, dabei suchte sie nach meiner Hand und schloss sie fest um ihre. Ohne meine Mimik zu verziehen starrte ich teilnahmslos aus dem Fenster und beobachtete die Landschaft, die an mir vorbei zog und dabei vor meinem Auge leicht verschwamm. Warum tat ich das alles hier eigentlich…?


    „Du bist müde, was?“, fragte ich Klara, um mich etwas abzulenken. Sie brummte leise, war sie etwa dabei einzuschlafen? „Ja, total“, antwortete sie. „Ich habe heute Nacht kaum geschlafen, musste meine Präsentation für die Schule fertig machen. Heute habe ich schließlich keine Zeit dafür und morgen fliege ich ja für den Rest der Ferien nach Italien.“ „Das sind ganze zwei Wochen“, stellte ich fest. „Ja… ich werde dich vermissen…“ „Ich dich auch“, meinte ich ehrlich. Nicht etwa, weil ich sie liebte, sondern weil ich dann niemanden mehr hatte, der mich ablenken konnte. Die Zeit gemeinsam mit ihr verflog immer recht schnell. Man mochte meinen es war nicht gesund für die Psyche die ganze Zeit so zu tun, als wäre man jemand, der man nicht ist, aber ich tat es trotzdem, um auf andere Gedanken zu kommen und nicht mit irgendwelchen Probleme belagert zu werden. Mit wem sollte ich denn zwei Wochen lang meine Zeit verbringen? Mit diesen Assis, die sich meine Freunde schimpften? Sicher nicht….


    Der Zug kam an und wir stiegen aus. Das Kino war gar nicht so weit weg von hier, die Karten hatten wir bereits reserviert. Ich wusste gar nicht, was für ein Film das sein sollte, es war Klaras Wahl gewesen. Irgendeine Liebesschnulze, die mich nicht interessierte, so hatte ich die Befürchtung. Wenn ich eins in diesen drei Monaten über dieses Mädchen gelernt hatte, dann war es, dass sie total auf solche Sachen abfuhr.


    Also machten wir uns auf den Weg, Hand in Hand. Ich hatte bereits das Gefühl, dass die gesamte Stadt von unserer „Beziehung“ wusste. Die Beziehung, die selbst ein Koma und Gedächtnisverlust überstanden hatte, die ewige Liebe, das perfekte Paar. Wenn sie nur wüssten, was wirklich in mir drin los war. Perfekt konnte man das bei weitem nicht nennen. Aber was sollte ich machen? Ich ließ sie einfach in diesem Glauben. So lange man mich nicht penetrant darauf ansprach hatte ich keine größeren Probleme damit.


    Nach nur kurzer Zeit betraten wir das Gebäude. Um die Zeit war hier noch nicht viel los. Wir blieben stehen und Klara gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange. „Ich gehe schnell die Karten holen.“ Ich nickte und sah ihr dabei zu, wie sie auf den Schalter zuging. Es wunderte mich ein wenig, dass sie mich nicht einfach mitkommen ließ, aber wie auch immer.


    In diesem Kino war ich mit ihr in den Ferien bereits dreimal gewesen. Ganz schön viel Geld hatte das gekostet, aber wie auch immer. Es waren Herbstferien, drei verdammte Wochen lang. Etwas komisch, da die Ferien um diese Zeit bloß zwei Wochen dauerten.


    An das Zeug, das ich in der Schule hatte lernen müssen konnte ich mich seltsamerweise noch ziemlich gut erinnern, selbst wenn ich bloß in meinem Koma bewusst in die Schule gegangen bin. Etwas seltsam, wenn ihr mich fragt. Also konnte ich ganz normal die Oberstufe abklappern, ohne irgendwas nachholen zu müssen. Zumindest das war gut, ich hatte absolut keine Lust wiederholen zu müssen.


    Klara kam zurück und drückte mir eine Karte in die Hand. „Die Tribute von Panem“ stand darauf geschrieben. Ich blickte überrascht auf. Das klang gar nicht so schrecklich, wie ich zu Anfang gedacht hatte. „Und, was sagst du?“, fragte Klara mich. „Hm?“ „Na, zu dem Film!“ „Ach so. Besser, als ich erwartet habe“, sagte ich grinsend. Sie grinste zurück und gemeinsam betraten wir den Kinosaal. Wir hatten uns schon im Voraus darauf geeinigt nichts zum essen zu kaufen, da wir beide nicht wirklich hungrig waren und das Zeug auch gar nicht mal so billig war. Kino Nummer 4 war uns zugeteilt worden, Reihe 8, Platz 9 und 10. Wir setzten uns hin warteten darauf, dass der Vorhang sich zur Seite schob.

  • Ein Jahr war bereits vergangen. Ein verdammtes Jahr! Ein ganzes Jahr in dieser Hölle, die sich „mein Leben“ nannte. Dazu konnte ich nur lachen. Nichts von alledem hier war echt, davon war ich überzeugt! Nur konnte ich es einfach nicht beweisen. Ab und zu war es bereits dazu gekommen, dass ich dachte, ich wäre komplett wahnsinnig und es handelte sich bei meiner Überzeugung um eine Wahnvorstellung, solche Gedanken verwarf ich aber recht schnell wieder.


    Wie das letzte Häufchen Elend lag ich ausgebreitet auf meinem Bett. Vor einer Woche hatte ich meinen 17. Geburtstag gehabt und dieser wurde wirklich riesig gefeiert, ohne dabei übertreiben zu wollen. So viele fremde Menschen waren gekommen, alle aus meiner so genannten „Familie“. Mittlerweile tat ich in solchen Augenblicken nicht mehr, als bloß zu lächeln und mir nichts von meiner Ungläubigkeit, als auch meiner Ungewissheit anmerken zu lassen, zumal es sie sowieso nicht interessierte wie ich mich fühlte. Sollte man allerdings trotzdem von meinen Befürchtungen erfahren würde ich mit Sicherheit in der nächsten Anstalt landen.


    Nach der Familienfeier war ich noch mit Klara ausgegangen, in ein wirklich teures Restaurant. Warum war ich eigentlich noch mit diesem Mädchen zusammen? In all der Zeit hatte ich noch immer absolut keine Gefühle für sie entwickelt, stattdessen wuchs mit jedem Treffen die Sehnsucht nach Zelda weiter.


    Ich fand es äußerst erschreckend, als ich vor kurzem feststellen musste, dass ich mich mittlerweile weder an Zeldas Stimme, noch so wirklich an ihr Gesicht erinnern konnte, bloß noch an solche Kleinigkeiten, wie in etwa die Tatsache, dass sie blaue Augen hatte. Mit jedem Tag schienen diese Erinnerungen immer weiter zu verschwimmen, ich hatte wirklich Angst davor mich irgendwann an gar nichts mehr erinnern zu können.


    Als ich so im Bett lag war mir wirklich nach heulen zumute, die ganze Situation schien so ausweglos zu sein. Ich wollte doch nicht viel, bloß einen Hinweis, ein Indiz dafür, dass ich Recht hatte, dass mein jetziges Leben falsch ist und alle meine Erinnerungen real sind, dass es sich bei ihnen um keinen Komatraum handelte. Ein klitzekleines Kennzeichen würde mir schon ausreichen… Aber Weinen würde mir nichts bringen, wahrscheinlich verschlimmerte sich dadurch alles bloß noch für mich, also unterließ ich es. Trotzdem hatte ich so langsam das Gefühl, dass ich langsam aber sicher auf dem Weg war in einer Depressivität zu enden. Das konnte ja bloß noch schlechter werden.


    „LINK!“, rief meine „Mutter“ mir zu und erschrak mich mit diesem unerwarteten Ruf ein wenig, sodass ich kurz zusammenzuckte. Verdammt, was war ich, ein empfindliches Mädchen? „JA?!“, rief ich zurück, ich war zu faul zum Aufstehen und vor Ort zu fragen. „Ich fahre mal eben einkaufen!“ Das war auf jeden Fall nötig, wir hatten so gut wie nichts mehr zu essen. Traumwelt oder nicht, Hunger musste ich weiterhin erleiden. „OK!“, gab ich als Antwort und hörte sogleich, wie die schwere Haustür zu fiel.


    Damit war ich dann wohl jetzt alleine. Kaum waren meine Gedanken zum Essen abgeschweift meldete sich mein Magen zu Wort und erst in diesem Moment fiel mir auf, dass ich an dem Tag noch gar nichts gegessen hatte, dabei war es schon recht spät… Da ich das Gefühl von Hunger absolut nicht leiden konnte beschloss ich sogleich etwas dagegen zu unternehmen und mir etwas zu essen zu machen, irgendwas Ertragbares ließ sich bestimmt noch auftreiben. Also sprang ich aus dem Bett und war in Gedanken bereits in der Küche, als mir etwas Merkwürdiges auffiel – mir war schwindelig. Seit Ewigkeiten hatte ich dieses Gefühl schon nicht mehr und krank war ich seit meinem Erwachen erst recht nie gewesen. Entweder war ich hungriger als ich dachte, oder… nein, das schloss ich direkt wieder aus. Ein wenig Schwindel war absolut nichts besonderes, bloß deswegen brauchte ich nun nicht daran zu denken, dass ich kürzlich wieder einen tollen Traum haben könnte (auch wenn ich es sehr begrüßen würde). Ich beschloss das Ganze zu ignorieren und machte mich auf in die Küche.


    Sofort öffnete ich den Kühlschrank, nur um festzustellen, dass wir bloß noch eine Packung Käsescheiben hatten. Im Grunde genommen hatte ich nichts gegen Käse, aber sonderlich großen Appetit hatte ich darauf gerade nicht. Ich schloss den Kühlschrank wieder und sah mich im Raum um – schließlich blieb mein Blick an dem Nutella-Glas hängen. Darauf hatte ich dann doch große Lust. Also schnappte ich es mir, dazu eine Scheibe Toast, ein Brett und zum Schluss noch ein Messer. Schon war ich bereits dabei es in die Nuss-Nougat-Creme einzutauchen, als mir urplötzlich wieder schwindelig wurde und ich gleichzeitig einen kleinen Schwächeanfall erlitt, was zu Folge hatte, dass ich mein Messer fallen ließ, welches mit einem lauten Klirren auf dem Boden aufprallte. Ich fasste mir an den Kopf und presste meine Augen zusammen, bis es wieder aufhörte. Gleich zweimal an einem Tag… das war auf jeden Fall SEHR ungewöhnlich, wie konnte das denn nun plötzlich sein? Irritiert hob ich das Messer wieder auf und ging meinen Tätigkeiten nach, auch wenn mich das alles wirklich zum nachdenken brachte.


    Auf dem Weg zurück in mein Zimmer biss ich derweil schon mal in mein Brot. Manchmal war einfach nichts erheiternder, als der Geschmack von dick bestrichener Nutella auf Toast. Anschließend legte ich das Brett auf dem Bett ab, da ich spontan beschlossen hatte, dass ich etwas Musik hören wollte, weshalb ich mich auf dem Weg zu meiner Anlage machte und meine Favoriten-Playlist auswählte. Ein Lied ertönte und ansatzweise zufrieden machte ich wieder kehrt, doch mir schien wohl ein Strich durch die Rechnung gemacht worden zu sein.


    Wieder wurde mir schwindelig, wobei man das nicht mal mehr als schwindelig bezeichnen konnte. Stattdessen schien mein Gehirn von einer Art Dampfwalze zerquetscht zu werden und alles in meinem Kopf begann höllisch weh zu tun, gleichzeitig wurde mir speiübel. Alles vor meinem Sichtfeld verschwamm und ich begann zu taumeln. Was war denn jetzt los? Ich brauchte auf jeden Fall Hilfe… Gerade, als ich mich langsam an das Bett herantasten wollte, um mich darauf zu setzen und mich auszuruhen, verließen mich alle meine Kräfte, meine Beine waren nicht mehr in der Lage mein Gewicht zu tragen und ich fiel mit einem lauten Knall auf den Boden. Doch tat mein Kopf mittlerweile so sehr weh, dass ich den Schmerz, der bei dem Aufprall entstand gar nicht mehr realisieren konnte. Stattdessen spürte ich, wie sich mein Bewusstsein langsam, aber sicher von mir verabschiedete. Alles wurde mit einem Mal komplett schwarz und ich schloss meine Augen.


    Geschockt öffnete ich meine Augen. Mein Atem war schwer und laut, mein Sichtfeld verschwommen. Ich blinzelte einige Male und versucht wieder zur Ruhe zu kommen. Seltsamerweise stellte ich fest, dass ich aufrecht stand und nicht auf dem Boden lag, was ziemlich komisch war, da ich mir sicher war, ich wäre hingefallen. Ein kühler Wind wehte mir ins Gesicht und verwuschelte mein Haar. Nach einigem Blinzeln normalisierte sich mein Blick, aber wo ich mich jetzt aufhielt, damit hatte ich im Leben nicht gerechnet – ich stand inmitten eines altmodisch wirkenden Marktplatzes, umgeben von einigen wenigen Menschen, die irgendwelche Bauarbeiten erledigten. In der Nähe eines kleinen Brunnens – obwohl, ein wirklich Brunnen war das nicht, viel mehr eine Ansammlung von Wasser – sprang ein weißer kleiner Hund vergnügt durch die Gegend und bellte immer mal wieder. Vor mir erstreckte sich ein riesiger Uhrenturm, auf dessen Spitze ich eine mir seltsam vertraute Gestalt vernahm, die mich aus leuchtenden Augen heraus anzustarren schien.


    Ich ließ meinen Blick weiter nach oben schweifen und riss meine Augen erschrocken auf, als ich das Folgende zu sehen bekam: Ein Mond, der ein Gesicht hatte. Allerdings kein gewöhnliches Gesicht, so wie man es sich als Kind vorstellen würde, sondern eines, dass von Schmerz verzerrt zu sein schien, mit zusammengebissenen Zähnen, einer riesigen Nase und rot leuchtenden Augen, die alles im Blick zu haben schienen.


    „Was zu Hölle…“, wusste ich darauf nur zu sagen. Ein Geräusch riss mich aus den Gedanken. Der Uhrenturm hatte ein riesiges Tor, aus dem eine Person heraustrat. Zunächst sah ich eine fliegende, gelbe, leuchtende Kugel und anschließend… ich konnte es kaum glauben, augenblicklich klappte mein Mund auf. Langsam ging ich näher heran. Es war ein kleiner Junge, in grüner Kleidung und einer grünen Mütze auf dem Kopf, dazu ein Schwert und einem viel zu großen Schild auf dem Rücken. Es fiel mir schwer dies zu realisieren, aber es war so! Das hier war der Held und an seiner Seite eine dieser… Feen? Waren das Feen? Ich meine schon. Es war tatsächlich der Held, der denselben Namen wie ich trug. Wie hatte ich ihn noch einmal genannt? Richtig, es war Two.


    Innerlich machte ich einen riesigen Freudenhüpfer und widerstand komplett der Versuchung nun laut los zu schreien. Endlich! Endlich hatte ich wieder einen Traum! Ich konnte es kaum fassen, es war viel zu schön, um wahr sein zu können. Endlich hatte ich das, was ich seit Jahren herbeigesehnt hatte. Welch ein Glück, ich hatte schon beinahe die Hoffnung aufgegeben. Solche Ironie war schon lustig, damals, als die Träumereien angefangen hatten, habe ich sie ohne Ende gehasst, doch jetzt freute ich mich deshalb. So konnte sich alles ändern. Aber es war auch verdammt toll, immerhin hatte ich nun eine persönliche Bestätigung dafür, dass ich mir doch nichts eingebildet hatte. Was auch immer das für eine seltsame Welt war, in der ich gefangen gehalten wurde, aber nun da ich wusste, dass sie nicht real sein konnte, fasste ich wieder neuen Mut. Ich würde alles wieder in Ordnung bringen können, ich konnte entkommen!


    Trotzdem… was, wenn es sich hierbei tatsächlich bloß um einen Traum handelte, der keine weitere große Bedeutung hatte? Er war zwar durch Ohnmacht entstanden, allerdings war mir das nicht genug. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass dies hier eine bloße Darstellung meines sehnlichsten Wunsches war, der von meinem Unterbewusstsein im Schlaf projiziert wurde. Ich brauchte noch mehr Bestätigung… und ich wusste auch, wie. Ich hob meine Hand und starrte sie kurz an. Kurzerhand steckte ich sie mir in den Mund und biss hinein. Wenn das hier einer dieser seltsamen Legendenträume war musste ich wirklichen Schmerz empfinden können, was innerhalb eines normalen Traums nicht möglich war.


    „AU!“, schrie ich nur wenig später und fuhr zurück, besah mir anschließend die Bissspur, die nun auf meiner Hand abgebildet war. Es hatte weh getan! Ich freute mich tatsächlich über Schmerzen, wer würde so etwas jemals vermuten? Schon lange war ich nicht mehr auch nur ansatzweise so glücklich gewesen. Nun konnte sich endlich alles ändern…


    Sofort wurde meine Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen gelenkt, der ein blaues Instrument an seinen Mund führte und begann, ein Lied zu spielen. Sanfte, helle Töne erklangen, eine simple Melodie wurde gespielt und dies hatte zur Folge, dass Two plötzlich riesige Flügel wuchsen. Meine Augen weiteten sich bei diesem Anblick. Die großen, engelsähnlichen Flügel schlossen ihn ein und begannen ihn immer schneller im Kreis zu drehen, ehe sie und damit Two, als auch seine Fee verschwanden. An der Stelle, an der sie zuvor noch gestanden hatten war nun nichts mehr. Vorsichtig setzte ich einen Fuß auf den nächsten und untersuchte alles, was mir ins Blickfeld fiel. Wie zum Teufel war das denn nun wieder möglich? Und wie sollte ich ihm denn jetzt hinterher gehen? Ich hatte keinen Plan, wo er jetzt war, ob er noch da war und überhaupt.


    Die Frage erübrigte sich eigentlich, als ich mich nach einem kurzen Aussetzer meiner Sehfähigkeit plötzlich auf einem… Schlachtfeld wieder fand? Der kleine Two hatte sein süßes Messerchen gezogen und kämpfte gegen ein Urwaldmäßiges, zwei Meter großes Viech, das unkontrolliert durch die Gegend sprang und dabei komische Geräusche erklingen ließ. Gleichzeitig fing es auch noch damit an mit Feuer und mit irgendwelchem Zeug um sich zu schmeißen.


    „Oh, scheiße“, fluchte ich und rannte sofort in die nächste Ecke des Raumes, um mich gegen die Wand zu pressen, in der Hoffnung, nicht von irgendwas Gefährlichem getroffen zu werden. Da hatte ich endlich mal wieder so einen Traum, dabei auch noch zu verrecken wollte ich sicher nicht. So stark schien es dann aber doch nicht zu sein. Überraschend schnell wurde Two mit dem Ding fertig. Und das so einfach? Entweder war Two sehr viel stärker, als ich ihn eingeschätzt hatte, oder sein Gegner war ein riesiges, Nichtskönnendes Opfer. Vermutlich ein wenig von Beidem.


    Mit einem lauten Schrei verendete das Ding und zurück blieb bloß eine Maske, die ein Abbild von dessen Gesicht darstellte. Two ging leicht erschöpft darauf zu, nahm es in die Hände und begutachtete es gründlich. Kurz darauf fing er plötzlich an zu leuchten und gleichzeitig verschwamm schon wieder alles von mir. Aber anstatt mich wieder an einem anderen Ort aufzuhalten blitzten plötzlich Bilder von verschiedensten Szenarien vor meinem inneren Auge auf, die allerdings im Grunde alle dasselbe darstellte: Two kämpfte gegen irgendwelche Monster, die um ein vielfaches größer waren, als er selbst, nach ihrem Tod eine Maske als Abbild von dessen Gesicht hinterließen und… das wars. Wie konnte man nur so wahnsinnig wie dieser Two sein? Ich hätte mir schon längst in die Hosen geschissen… aber gut, wenn er es denn konnte, why not?


    Nach einem kurzen Szenenwechsel befand ich mich an einem absolut seltsamen Ort. Ein gruseliges, riesiges Etwas, das allerdings nicht feindlich gesinnt zu sein schien, schaute auf Two und seine Fee herab, sang dabei ein Lied, was auf eine sehr seltsame Weise sogar recht schön und auch beruhigend wirkte. Offenbar schien es etwas mitteilen zu wollen.


    „Vergebt unserem Freund…“


    Dies hörte ich eine Stimme plötzlich sagen hören. Sie war hell und klar. Die Stimme der kleinen Fee? Sie erinnerte mich daran, sicher war ich mir jedoch nicht.


    Schließlich fand ich mich auf dem Marktplatz wieder, mit dem Unterschied, dass die Nacht bereits hereingebrochen war. Ein weiterer Unterschied war diese seltsam erdrückende Atmosphäre, die in der Luft lag. Mittlerweile war der Ort wirklich leer, abgesehen von Two, seiner Begleitung, dem herumhopsenden Hund und einem alten Mann, der etwas im Himmel anzuschreien schien. Ich blickte nach oben und sah, wem die Rufe galten: Dem gruseligen Mond, der bereits viel näher am Boden dran zu sein schien, als vorher. Sollte das so sein oder bildete ich mir das bloß ein?


    Plötzlich fing alles um mich herum an zu wackeln und zu beben, das Geräusch von Presslufthämmern, die auf die Erde eindroschen erklang und ich hatte Schwierigkeiten damit, mich auf den Beinen zu halten. Ein Erdbeben? Kurz darauf hörte es wieder auf. Ein ziemlich kurzes, wenn man mich fragte. Ich blickte wieder nach oben und starrte den Mond an. Mir wurde klar, dass dieses Teil tatsächlich immer näher kam, zwar nur langsam, aber er bewegte sich auf jeden Fall. Ein weiteres Erdbeben erfolgte, diesmal etwas länger, als vorher. War der sich nährende Mond der Grund dafür? Wollte das Teil etwa auf die Erde knallen? Ich bezweifelte, dass das gesund war.


    Bunte Lichter erschienen mit einem lauten Knallen. Ich richtete meinen Blick auf den Ursprung und sah ein prächtiges Feuerwerk. Ein Feuerwerk, während ein Mond auf die Erde prallte und damit vermutlich alles zerstören würde? Wurde das etwa gefeiert oder wie sollte ich das verstehen? Jedenfalls wurde zeitgleich eine Treppe, die auf das Dach des Uhrenturms führte, freigesetzt, welche sogleich von Two bestiegen wurde.


    Ich folgte ihm schnellstmöglich und fand mich schließlich gemeinsam mit Two, zwei Feen und einem Wesen, das in der Luft schwebte und uns teilnahmslos zu beobachten schien wieder. Es kam mir so unheimlich bekannt vor…


    Nach kurzem Überlegen fiel es mir wieder ein. Es war dieses Kind, dass in meinem letzten Traum zur Geltung kam und diesen Unsinn getrieben hatte, die Maske auf seinem Gesicht deutete erst recht darauf hin. Wie hieß es denn noch gleich? … Horror Kid, nun kam es mir wieder in den Sinn. Ja, es schien tatsächlich recht gruselig zu sein, es war nicht sehr angenehm es in dieser Position zu beobachten. Es schien wie in einem Horrorfilm oder ähnlichem. Tja, Horror Kid, passte doch wie die Faust aufs Auge.


    Die rötliche Fee, die ich ebenfalls noch aus dem vergangen Traum in Erinnerung behalten hatte, kam zum Vorschein. „Schwester!!!“, rief es. Stimmte ja, die Beiden Feen waren Geschwister. Wie waren denn deren Namen noch gleich? Oh, ich konnte mich auch daran wieder erinnern. Ich war überrascht von meinem guten Gedächtnis. Die Begleitung von Two nannte sich Taya und die hier hatte den Namen Tael. Ziemlich außergewöhnliche Namen, aber sie passten zu so etwas wie Feen, jedenfalls hatte ich einen solchen Eindruck.


    „…Tael!“, rief Taya zurück. Angesprochener flog hektisch näher heran. „Sümpfe. Berge. Ozean. Canyon. Rasch… die Vier, die dort gefangen sind… Bring sie her!“, sagte es. Was war denn damit jetzt gemeint?


    Kurz darauf holte das schwebende Horror Kid mit der Faust aus und schlug die Fee kraftvoll zur Seite. Ich erschrak und meine Wut auf dieses Kind kam wieder zum Vorschein. Waren die zwei nicht Freunde? Warum tat es solche Dinge?


    „Du sprichst nur, wenn ich es dir sage, törichte Fee!!!“, ermahnte es seinen „Freund“ darauf hin. Ja, das war tatsächlich ein riesiger Idiot. Was bildete er sich eigentlich ein, wer er war? Taya schien darauf hin die Nerven zu verlieren, was durchaus verständlich war. Hätte ich einen Bruder, der vor meinen Augen so behandelt werden würde, könnte ich mich auch nicht zurückhalten.
    „Jetzt reicht’s!“, sagte sie entschlossen. „Ich werde nicht zulassen, dass dein Plan aufgeht!“ Welcher Plan war damit gemeint? Auf jeden Fall schien es nichts Gutes zu sein.


    „…Nun, was auch immer. Selbst wenn sie jetzt noch kommen würden, könnten sie mit mir nicht mehr fertig werden! Hee, hee“, sagte das Horror Kid darauf nur gelassen. Ich verstand gar nicht, worauf sie alle hinaus wollten. Scheinbar hatte ich diesmal ganz schön viel von der Handlung übersprungen… Nun ja, immer hin konnte ich verstehen, was gesagt wurde, davor war ich komplett hilflos und konnte nur ungefähr erahnen, was vor sich ging.


    „Seht nach oben“, setzte das Horror Kid sein Gerede fort. Ja, der riesige Mond, der bloß wenige Meter über unseren Köpfen auf uns herabblickte war auch nur schwer zu übersehen, darauf musste es uns nicht hinweisen. „Versucht doch, das Unabwendbare zu verhindern!“


    Einen Moment. Das Unabwendbare verhindern? Wollte er etwa, dass…? Jetzt verstand ich! Es war der Plan des Horror Kid, den Mond auf die Erde knallen zu lassen. Wie konnte es das machen und warum machte es das? War es denn komplett wahnsinnig? Den Mond auf die Erde fallen lassen, ich glaub ich spinn.


    Das Horror Kid streckte sich, begann laut zu schreien und verursachte eine seltsame Aura in der Umgebung, die mir alle Haare am Körper zu Berge steigen ließen. Kurzerhand begann der Mond schneller zu fallen. Two spannte jedes einzelne seiner Muskeln an und die Feen begannen immer mehr Panik zu schieben.


    Fast augenblicklich nachdem das Horror Kid mit dem Geschrei geendet hatte holte Two sein Instrument, die blaue Okarina, hervor und begann darauf zu spielen. Eine unfassbar schöne Melodie. War es nicht dieselbe, die dieses gigantische Wesen zuvor gesungen hatte? Aus seinem Mund heraus hat es viel trauriger geklungen , so als hätte es geweint…


    Plötzlich begann die Erde wieder zu beben, diesmal aber nicht so, wie sie es schon die ganze Zeit tat, sondern fast durchgängig und viel kräftiger. Das Horror Kid schreckte hoch und schien erst realisieren zu müssen, was gerade passierte. Als das Beben endete wurde es sichtlich nervös und blickte sich ungewiss in der Gegend um, ohne Halt zu machen schaute es von einem Punkt zum anderen. Etwas hatte Two gemacht, was ihn extrem verunsicherte.


    Auf einmal schien das Horror Kid… Schmerzen zu haben. Es fasste sich an den Kopf, schüttelte ihn und ließ einen weiteren, schallenden Schrei ertönen. Eigentlich sah ich niemanden gerne leiden, aber ich behauptete mal, dass das Horror Kid es zumindest ein wenig verdient hatte, wenn man bedachte, was für einen Wahnsinn es hier trieb.


    Die Atmosphäre des Mondes begann immer intensiver in einem feurigen Rot zu leuchten und die Gravitation des Körpers hatte bereits die der Erde überwunden und zog einzelne, kleinere Dinge zu sich heran. War es nun doch zu spät? Würden alle sterben? Oder…


    Ich hörte jemanden siegen. Die Stimme klang so, wie die des Giganten, es war dasselbe Lied. Ich blickte auf und sah, dass in allen vier Himmelrichtungen etwas wie durch Magie manifestiert wurde. Es waren gleich vier dieser Giganten. Mit langsamen, schweren Schritten kamen sie in unsere Richtung, unterbrachen dabei in keiner Weise ihren Gesang, nein, er schien mit jedem Schritt noch lauter zu werden und übertönte mittlerweile sogar schon den lauten Ton der erklang, wenn sie einen Schritt taten.


    Kurz vor dem Turm kamen sie zum Stehen, starrten den Mond kurz an und hoben schließlich ihre Arme. Jetzt verstand ich, was sie vor hatten. Sie wollten das Gewicht des Mondes auf ihren Händen tragen und ihn vom Fallen abhalten. Mit großer Anstrengung hielten sie ihn fest, drückten ihn nach oben und wirkten dabei so, als würden sie jeden Moment einfach erdrückt werden. Aber dann hörte es auf. Kein Beben, kein Gesang, nichts. Der Mond stand still, die Giganten blickten nach oben und alles schien für eine Sekunde lang den Atem angehalten zu haben. Sie hatten es wohl geschafft. Aber wollten sie wirklich für immer so stehen bleiben und den Mond festhalten? Nein, mit Sicherheit gab es da noch eine andere Lösung.


    „Er… er ist stehengeblieben…“, stellte Taya fest. Ja, das hast du gut erkannt, kleine Fee. „Wir haben es geschafft! Es ist vorbei!“ Die beiden Feen flogen aufeinander zu und begannen sich vor Freude zu umkreisen. „Schwester!!!“, rief Tael erneut, diesmal allerdings mit deutlich mehr Freude und Erleichterung in seiner Stimme. „Tael!!!“, kam es dann von Taya, die auch sichtlich erleichtert war.


    „Wir haben es gerade noch geschafft… Die Götter waren uns gnädig. Hey Horror Kid, hast du nun erkannt, was du im Begriff warst zu tun?!“, schrie Taya das Horror Kid an. Die Wut konnte ich persönlich nachvollziehen, wer wusste schon, was sie und Two alles tun mussten, um ihn aufhalten zu können.


    „Warte… Schwester… Sei nicht so hart mit dem Horror Kid“, versuchte Tael seine Schwester zu beruhigen. „Tael!“, sagte Taya und war wohl irritiert über die Reaktion ihres Bruders. „Warum nimmst du ihn in Schutz? Er hat dich doch nur schlecht behandelt. Du solltest ihn dafür hassen!“ „Das Horror Kid… es war nur einsam“, war alles, was Tael dazu zu sagen hatte. Einsamkeit war schon eine grausame Sache, dass stimmte. Aber war es tatsächlich eine Entschuldigung für das, was es tun wollte?


    „Es hat versucht, alles um ihn herum zu zerstören! Das ist nicht gerade die Art, wie sich ein einsames Kind benehmen würde“, verteidigte Taya ihren Standpunkt, worin ich ihr zumindest teilweise zustimmen konnte. Auch wenn jeder anders mit einer solchen Situation umgeht. Die einen isolieren sich vollständig von der Außenwelt und die anderen wollen alle umbringen und sich selbst gleicht mit. So ist das nun mal.


    „Es war die Maske, die es dazu trieb“, erklärte Tael. „Das Horror Kid konnte diesen Mächten keinen Widerstand bieten. Es war zu viel für ihn.“ Hatte diese Maske etwa irgendwelche bösen Kräfte? Nun, vielleicht hatte das Horror Kid ja deshalb die Macht, den Mond kontrollieren zu können. Immerhin bedeutete das, dass das Kid nicht aus freiem Willen an diesen Taten beteiligt war, was ihn etwas unschuldiger werden ließ.


    „Quatsch! Nicht nur, dass es weder über Willenskraft noch Mut verfügt, es ist auch noch ein völliger Narr!“ Oha, da war wohl jemand ganz schön wütend auf Mr. Ich-bringe-alle-um-weil-ist-so.


    „Da muss ich dir Recht geben. Zu viele Schwächen hielten es davon ab, an meiner Macht teilzuhaben.“


    Wer hatte das gesagt? Die Stimme war nie im Leben menschlich. Sie hatte absolut keine Emotionen und war noch dazu seltsam verzerrt. Keine Ahnung, wem sie gehörte, aber diese Person schien nicht gerade jemand zu sein, der man nachts auf dem Weg nach Hause über den Weg laufen wollte.


    „Yeah, stimmt! Gib deine Dummheit zu!“, rief Taya, realisierte allerdings erst kurz danach, dass es niemand war, den sie kannte, und fuhr verwirrt herum. Der Anblick, der sich und nun bot, war keines Falls schön. Das Horror Kid flog wieder in die Luft, allerdings taumelte es leblos durch die Gegend, so als wäre es eine Puppe.


    „Eine Marionette, die nicht länger benutzt werden kann, ist nicht mehr wert als Abfall.“ Okay, das war definitiv nicht die Stimme des Horror Kids. Wer auch immer das gesagt hatte schien jedenfalls nicht sehr freundlich zu sein.


    Das Horror Kid fiel zu Boden und übrig blieb nur noch die Maske. Hatte die Maske etwa so was wie ein Eigenleben? Ziemlich creepy, wenn man mich fragte. „Der Part dieser Marionette ist nun vorüber…“ Nach diesen Worten zu urteilen hatte die Maske das Horror Kid tatsächlich ausgenutzt. Sollte man sich nun darüber freuen oder eher nicht?


    „Das kann nicht sein! Was geschieht nun mit dem Mond?“, gab Tael besorgt kund. Das würde ich auch gerne wissen, du, hoffentlich konnten die Giganten das noch länger halten. Sie schienen sichtlich angestrengt zu sein, selbst wenn sie fünf Meter groß und zu viert waren, der Mond hatte bestimmt ein ordentliches Gewicht auf der Waage.


    Aus dem Mund des Mondes erschien plötzlich eine wabernde, rosa schillernde… Aura, oder eher eine Spirale? Was auch immer es war, es zog die Maske in Richtung Mond und sie verschwand darin. Two blickte ihr hinterher und schien so, als könnte er es nicht mehr erwarten, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen.


    Die Augen der Masken begannen glutrot zu leuchten. Eine mächtige, tonlose, tiefe und verzerrte Stimme begann zu sprechen: „Ich… Ich bin, um zu verzehren. Verzehren… ALLES!“


    Sagt bloß, dass waren die Worte des Mondes. Der Mond konnte wohl sprechen. Das konnte ja nur noch verrückter werden. Wie sehr hatte ich diese Verrücktheiten doch vermisst… Es war vermutlich komisch zu hören, aber selbst in dieser kritischen Situation war ich immer noch glücklich darüber, dass ich endlich wieder einen dieser Träume hatte. Und dass dieser direkt so abging machte das Ganze noch viel toller für mich.


    Wieder begann die Erde zu beben. Der Mond schien langsam schwerer zu werden und langsam machte die Kraft der Giganten schlapp. Noch etwas länger und sie würden darunter zusammenbrechen.


    „Waahhhhh!“, rief Taya in Panik verfallen aus. Du nimmst mir die Worte aus dem Mund, Taya… „Das ist gar nicht gut! Wir müssen weg von hier! Rasch! Die Hymne der Zeit! Die Hymne der Zeit!“


    Hymne der Zeit? Was auch immer Taya von Two wollte, es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Stattdessen verankerte er seinen Blick auf das Ding, in dem die Maske verschwunden war. Scheinbar wollte er hinterher und ihr den Rest geben.


    „Oh nein…“ Offenbar hatte Taya dieselbe Befürchtung. „Du machst wohl Witze! Sag nicht, dass du da hinauf willst!“ Doch Taya, genau das will er. Akzeptiere es. Er wird das schon hinbekommen… hoffentlich. „Vergiss es!“, gab Taya sich klar zu verstehen. „Du kannst alleine gehen! Ich bleibe hier bei Tael.“


    „Ich werde gehen!!!“, rief Tael nun dazwischen. Er wollte Tayas Platz einnehmen. Warum nicht, wenn sie nicht wollte war das doch ein gutes Kompromiss, oder etwas nicht?
    „Wie? Was sagst du da Tael? Was ist los mit dir?“, warf Taya ihrem Bruder an den Kopf. Nun, er hatte wohl mehr Eier als du. Haha, gegeben…. Okay ich hörte ja schon auf damit.


    „Ich will nicht immer davonlaufen!“, antworte er seiner Schwester bestimmend. Props für deine Courage, Kleiner. Ich mag dich nach wie vor echt gerne. „Wäre ich stärker, hätte ich das alles verhindern können.“ Damit übertrieb er es aber wohl ein bisschen. Das verhindern? Als kleine Fee? Vermutlich klang das etwas gemein, aber das war sicher nicht möglich. Noch nicht einmal ich hätte das schaffen können und ich hatte mehr Größe. Man sollte sich wirklich nicht immer die Schuld geben für Dinge, an denen man gar keine Schuld trägt.


    Eine kurze Pause zwischen den Geschwistern kehrte ein und sie starrten sich einfach nur an. Dann sprach Taya weiter: „Ich verstehe. Ich werde gehen!“ Alles klar Taya, wie du meinst. Ich werde dir nicht im Weg stehen. Kann ich sowieso nicht, da ich ja unsichtbar bin und so, weißte Bescheid?


    „Tael, du bist richtig stur geworden. Genauso wie jemand anderes, den ich kenne…“ Hm, wen könnte sie damit wohl meinen? Mit SICHERHEIT nicht Two, nein, garantiert nicht. Vielleicht sollte ich damit aufhören, alles hier auf den Arm zu nehmen. Aber ich hatte einfach Lust darauf mich im Moment so zu verhalten, dass konnte ich nicht einfach wieder abstellen.


    „Wisst ihr… ihr seid wirklich blöd…“ Jetzt musste ich lachen. Das passte zwar gar nicht zu der Situation, aber ich musste daraufhin einfach lachen. Diese Fee war wirklich zu lustig, wie sie irgendwie alle beleidigte und trotzdem so liebenswert war. Ich stellte gerade fest, dass ich sie auch sehr mochte.


    Kurz darauf rannten die Zwei auf das… Zeugs… zu und wurden ebenfalls eingesaugt, begleitet von einem Schrei seitens Twos. Ich folgte sogleich und stellte überraschend fest, dass das Transportieren eine seltsame Mischung aus starker Anziehungskraft und Federleichtigkeit war.



    Sofort fuhr ich aus meinem Traum. Ich lag auf dem Boden und hielt mir den Kopf, der sofort zu dröhnen begann. Das Geräusch von Dubstep, das bereits seinen Drop erfahren durfte drang an mein Ohr. Verdammt, ich wollte doch wissen, wie der Traum ausging! Aber das war jetzt nicht wichtig… Ich hatte geträumt! Ich hatte verdammt noch mal nach mehr als einem Jahr endlich wieder geträumt! Nun konnte sich alles ändern…

  • Der Tag nach meinem ersten Traum seit langem war zugleich auch das erste Mal seit langem, dass ich wirklich gut gelaunt war. Ich schlenderte aus meinem Zimmer heraus, auf dem Weg in die Küche, um was von dem zu essen, was meine „Mutter“ am Vortag gekauft hatte. Zum Glück war sie unterwegs gewesen, wer weiß was sie angestellt hätte, wenn sie Zeuge meiner Ohnmacht geworden wäre. Wahrscheinlich läge ich dann im Krankenhaus, anstatt in die Küche zu eilen.


    Trotz der Tatsache, dass ich am Vortag nun einmal geträumt hatte, war ich recht müde, da ich anschließend kaum noch ein Auge zudrücken konnte. Immer wieder musste ich daran denken, was geschehen war, musste das Gesehene verarbeiten und realisieren, dass tatsächlich die Hoffnung darauf bestand, dass ich nicht bereits durchgedreht war, sondern immer zu Recht hatte mit meinen Behauptungen. Ich hatte zwar noch immer absolut keine Ahnung, wie ich aus diesem Höllenloch entkommen sollte, aber zumindest war das ein Anfang.


    In der Küche angekommen stand bereits diese Frau mit verschränkten Armen dort und starrte mich mit einem durchbohrenden Blick an. Ich blieb stehen, ließ mein Lächeln verschwinden und setzte stattdessen eine verwirrte Miene auf.


    „Ähm, Mum, alles in Ordnung?“, fragte ich vorsichtig. Ich hasste es zwar sie so zu nennen, aber ich wollte auch kein großes Dilemma auf Grund der Tatsache anzetteln, dass ich doch meine eigene Mutter nicht als solche bezeichnete. Es war wirklich einfacher für alle, selbst für mich, wenn ich so tat, als ob.


    Einige wenige Minuten, die sich jedoch ein wenig zogen, tat sie nichts, sie starrte mich bloß an. Ein wenig fand ich das unheimlich. Dann begann sie allerdings endlich zu sprechen. „Junger Mann“, waren die Worte, mit denen sie ihren Satz begann. Junger Mann, also echt… bei meinem Onkel wurde ich nie so genannt. Ich vermisste es wie ein Neffe, schon beinahe wie ein Kumpel behandelt zu werden, mit diesem „Mutter-Kind-Kram“ konnte ich mich einfach nicht anfreunden.


    „Hast du eigentlich eine Ahnung davon wie spät es bereits ist?“ Damit traf sie mich. Ich hatte absolut keinen Schimmer. Nachdem mein Wecker geklingelt hatte war ich noch eine Weile liegen geblieben, da ich absolut keine Lust hatte aufzustehen, aber früher oder später musste ich das wohl. Nur wusste ich nicht, wie lange das gewesen war. Zehn, wenn es hoch kam vielleicht sogar 20 Minuten? Danach war ich aufgestanden, hatte mir meine Jeans und meinen grauen Hoodie übergeworfen, war ins Bad verschwunden, um mir die Zähne zu putzen und meine Haare in Ordnung zu bringen, ehe ich hierher stolzierte, um mir etwas zu essen zu machen.


    „Äh, es ist…“, sagte ich und zog dabei schnell mein Handy aus der Hosentasche, ließ den Bildschirm erhellen und starrte auf die Uhrzeit. „…7:36 Uhr…“ Verdammt, dachte ich, der Unterricht hatte bereits begonnen und ich stand hier, ohne auch nur etwas gegessen zu haben. Leichte Panik stieg in mir auf. Die Zeit, in der ich noch hier war, wollte ich nicht mit Schulproblemen absitzen - falls ich von hier jemals entkommen konnte, aber ich beschloss das fürs Erste nicht anzuzweifeln.


    „Warum hast du mich nicht geweckt?“, fragte ich sie aufgebracht und machte mich hastig am Kühlschrank zu schaffen, um mir einen kleinen Snack zuzubereiten, der meinen kleinen Hunger stillen konnte. „Nun, du bist bereits 17 Jahre alt, langsam solltest du lernen dein Leben selbst in den Griff zu bekommen und dich verantwortlich um deine Angelegenheiten kümmern zu können.“


    Ich verdrehte die Augen, allerdings so, dass sie es hinter der Kühlschranktür nicht bemerken konnte. Die Standpauke konnte sie sich sparen, davon kam ich auch nicht in die Schule. „Ja, schon klar, Mum. Trotzdem muss ich jetzt noch irgendwie dahin kommen“, nuschelte ich, während ich mit einem Müsliriegel im Mund wieder hervorkam und die kleine Tür des Kühlschranks schloss.


    „Keine Sorge, ich habe dir das Essen bereits zusammengelegt, nimm es dir und mach dich dann auf.“ Sie hielt mir eine Brotdose entgegen. Mit soviel Großzügigkeit hatte ich gar nicht gerechnet. Dankend nahm ich sie entgegen, stopfte sie in meinen Rucksack und begab mich in Windeseile in den Hausflur. So schnell es mir möglich war schlüpfte ich in meine Schuhe. Eine Jacke hatte ich nicht nötig, wirklich kalt war es Anfang Oktober schließlich nicht, da brauchte ich keine weitere Erwärmung, sonst würde ich sehr bald in meinem eigenen Schweiß baden müssen.


    Fertig angezogen warf ich mir meinen Rucksack über die Schulter und rief noch ein „Tschüss!“ ins Haus, ehe ich die Tür ins Schloss warf und begann zu rennen. Nicht übertrieben, ich hatte keine Lust von potentiellen Fußgängern angegafft zu werden, aber so schnell, dass ich bloß fünf Minuten bis zur Schule brauchen müsste. Im Normalfall wären das zehn Minuten. Ich war nicht schlecht zu Fuß, also musste der Plan eigentlich aufgehen, ohne dass ich vor lauter Erschöpfung am Ende meines Weges einfach zur Seite kippte. Trotzdem kam ich mir dabei ein wenig dämlich vor, vor allem mit dieser dicken Tasche auf meinem Rücken, die immer mal wieder rauf und runter hüpfte, dabei ständig gegen mich knallte. Angenehm war das nicht, sonderlich leicht war sie erst recht nicht, was die ganze Sache noch einmal erschwerte. Aber ich war auch selbst Schuld, wenn ich trotz Wachheit erst so spät aufgestanden war. Wie hieß das Sprichwort noch so schön? Wer zu spät kommt, den straft das Leben…


    Völlig außer Atem kam ich endlich bei der Schule an. Kein Mensch hielt sich noch außerhalb der Klassenräume auf. So schnell ich konnte, allerdings bedacht darauf niemanden zu stören, rannte ich die Treppen herauf direkt auf meinen Kursraum zu, an dem ich nun meinen Geschichts-Leistungskurs abhalten durfte. Alleine die Tatsache, dass ich Geschichte als Leistungskurs gewählt hatte zeigte eigentlich erst recht, dass diese Welt einfach nicht meine sein konnte. Seit Herr Dragmire mich darin unterrichtet hatte entwickelte mein Unterbewusstsein so eine Art Paranoia gegen dieses Schulfach, die nach über einem Jahr noch immer bestand. Mit Sicherheit hatte derjenige, der für diesen Mist verantwortlich war (Dragmire, offensichtlich), mich mit Absicht in dem Fach genervt, sodass ich diese Qualen in einem ganzen Leistungskurs durchstehen "durfte". Und das Schlimmste war, dass ich keine Möglichkeiten zum Umwählen hatte… auf jeden Fall ein Fluch, ohne Zweifel.


    Vor der Tür des Raumes hielt ich kurz an, um verschnaufen zu können und nicht komplett außer Atem in den Unterricht einzutrudeln. Noch immer gefiel es mir überhaupt nicht, wenn ich von allen angestarrt wurde, was sich mit Sicherheit nicht vermeiden ließ, wenn ich eine knappe halbe Stunde zu spät ankam, da brauchte ich keine zusätzliche Aufmerksamkeit durch zu lautes Atmen. Was sollte ich dem Lehrer sagen? „Es tut mir sehr Leid, dass ich zu spät bin, aber ich hatte keine Lust aus dem Bett zu kommen, weil Baum.“ Das würde auf jeden Fall jeder verstehen, bei dieser wunderbaren Begründung konnte man doch nicht wütend sein.


    Nach kurzer, aber wohl trotzdem genügend Pause, klopfte ich gegen die Tür, drückte die Klinke hinunter und betrat den Raum. Meine Befürchtung trat ein und alle richteten ihren Blick auf mich. Der Lehrer stand gerade an der Tafel und war wohl dabei gewesen etwas anzuschreiben, hatte aber in seiner Arbeit innegehalten und starrte mich stattdessen erwartungsvoll an. Vorsichtig schloss ich die Tür hinter mir wieder. Niemand sagte etwas, sie schauten alle bloß. Oh Göttinnen, macht, dass es aufhört.


    „Entschuldigen Sie Herr Mark, ich habe leider verschlafen…“ Skeptisch zog mein Lehrer eine Augenbraue hoch und ich musste ein Schlucken unterdrücken. Es gab fast nichts Peinlicheres. „Alles klar, dann setz dich bitte auf deinen Platz, damit ich hier weiter machen kann."


    „Ja“, sagte ich kurz, nickte dabei noch mal, um meine Aussage zu bekräftigen, und begab mich nach hinten. Die meisten hatten sich bereits wieder von mir abgewandt, einige ließen ein belustigtes Kopfschütteln in meine Richtung aufzeigen, welches ich mit einem flüchtigen Lächeln erwiderte. Einzig eine Person hatte ihren Blick noch auf mich gerichtet, mit einem schon beinahe provokanten Lächeln auf dem Gesicht: Klara. Bei dem Gedanken an ihr wurde mir fast schlecht. Dabei hatte der Tag doch so super angefangen, was war das denn jetzt für ein Mist?


    Erschöpft ließ ich mich fallen und räumte meinen Kram aus, um das Tafelbild abschreiben zu können, vergaß dabei allerdings nicht das kurze „Hey“ in Klaras Richtung. Sie erwiderte es mit einem „Hi“ und lehnte sich gegen den Tisch, während sie mich anschaute. „Schon wieder verschlafen, was?“ „Jep, leider“, antwortete ich. Traurigerweise musste ich zugeben, dass ich in diesem Schuljahr tatsächlich recht oft verschlief, damit hatte ich einfach schon immer Probleme. Ich war zwar gut in der Schule dabei, dass ständige Zu-Spät-Kommen war allerdings ein Punkt, um den ich mich irgendwann mal kümmern sollte. Irgendwann hieß allerdings nicht sofort. Vor allem nicht hier…


    Ich konnte mich gar nicht konzentrieren. Nicht nur, dass ich Geschichte verabscheute, in meinem Kopf drehte sich alles einfach immer noch um den Traum. Jede freie Minute rief ich mir noch einmal alles ins Gedächtnis, versuchte mich an möglichst vieles zu erinnern und irgendwie einen Hinweis auf ein Entkommen zu finden. Mit dem letzteren Punkt war ich zwar noch nicht wirklich weit gekommen – genauer gesagt gar nicht – aber mit dem Rest konnte ich etwas anfangen. Ich hatte den kleinen, in manchen Fällen auch großen, Jungen, den ich so liebevoll Two getauft hatte, seltsamerweise echt lieb gewonnen und bewunderte ihn in gewisser Weise auch. Er traute sich so vieles, bei dem ich, wenn ich in eine solche Situation geraten sollte, sofort die Nerven verlieren würde. Ich fragte mich, wie er es mit der Maske aufgenommen hatte. Kurz vor dem Kampf mit ihr bin ich schließlich leider aufgewacht.


    Ich schreckte hoch. Was war das denn? Ich hatte bloß einmal geblinzelt, da hatte ich ein seltsames Bild aufblitzen gesehen. Noch seltsamer war allerdings, dass ich mich trotz der kurzen Zeit, die ich es gesehen hatte, an so gut wie jedes Detail erinnern konnte.


    Es war das Abbild einer wunderschönen, idyllischen Landschaft, mit klarem Himmel, strahlender Sonne und großen weiten grünen Wiesen, in dessen Mitte ein riesengroßer Baum in den Himmel aufragte. Einige wenige Schmetterlinge waren in der Luft umher geflogen und gaben dem Grün des Grases einen gewissen Touch, der mit den Farben der Tiere wunderbar harmonierte. In der Ferne konnte ich kleine Kinder erkennen, die unbeschwert um das Gewächs herum hopsten. Ein einzelnes dieser Kinder saß zusammengekauert vor dem großen Baum und wiegte sich hin und her. Es wirkte… einsam. Wie ein fünftes Rad am Wagen. Auf dem Gesicht trug es diese verfluchte Maske, dessen Augen sich selbst aus dieser Entfernung in meine Seele bohrten.


    Mir war sogar so gewesen, als hätte ich das leise Plätschern von Wasser gehört. Der Geruch der reinen Natur aus diesem wunderschönen Ort hing noch immer in meiner Nase und die Haare auf meinem Körper standen wegen der frischen Brise allesamt aufwärts. Doch trotzdem saß ich noch immer auf meinem Platz in der Schule und hörte dem Lehrer – mehr oder weniger – bei seinem Erklärungen zu.


    „Hey, alles in Ordnung?“, fragte Klara mich von der Seite. Fast wäre ich erneut zusammengezuckt, aber ich konnte mich noch zusammenreißen. „Ja, alles ok“, log ich. Eigentlich war nichts in Ordnung, dieses vor mir aufblitzende Bild war so seltsam, dass es nur surreal sein konnte. Entweder war ich so müde, dass ich in einer Art Halbschlaf war und deshalb jetzt schon anfing etwas von den Träumen wahrzunehmen, oder aber ich war so müde, dass ich bereits begann irgendwelche Bilder zu sehen. Ich tippte auf zweiteres, die erste Möglichkeit war schließlich noch nie in Kraft getreten.


    Der Lehrer drehte sich um. Ich hatte überhaupt nicht verstanden, wovon er gesprochen hatte, irgendwas über den Zerfall des römischen Reiches oder so. Er ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen und wartete, dass alle fertig abgeschrieben hatten. Sofort machte ich mich übereifrig auch daran, weiter zu schreiben, ich hing von allen wohl noch am weitesten zurück.


    Obwohl der Lehrer eigentlich immer so schaute hatte ich diesmal das Gefühl, als würde er besonders mich damit fixieren. Wahrscheinlich war er doch sauer auf mich, da ich mal wieder zu spät gekommen war. Vorsichtig blickte ich auf, um mich zu vergewissern, ob das auch stimmte. Tatsächlich war es so, allerdings ungewöhnlich intensiv, sodass es mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Er öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, bei den Worten riss ich allerdings meine Augen auf. Es war nicht die tiefe Stimme des alten Mannes, die ich gewohnt war, es war die eines kleinen Kindes, mit einer so hellen und emotionslosen Stimme, dass sie eins zu eins aus einem Horrorfilm stammen könnte, und sagte: „Deine Freunde… Was für… Leute sind das? Ich frage mich… Diese Leute… Betrachten sie dich auch... als Freund?"


    Das Entsetzen, das sich in meinen Augen spiegelte, wurde größer. Was sollte das denn jetzt und warum reagierte niemand darauf? „Link, ist wirklich alles okay mit dir? Du bist plötzlich so blass…“ „Was? Äh, ja, sagte ich doch schon…“, log ich Klara erneut an, die mich wieder so plötzlich von der Seite angesprochen hatte. War das mit dem Lehrer etwa eine Halluzination? Drehte ich etwa doch durch? Ich blickte noch mal zu ihm herüber und er wirkte wieder ganz normal, ließ seinen Blick wie gewohnt durch die Gegend schweifen. Das war definitiv nicht normal…


    Die Klingel ertönte. Fünf Minuten Pause. Bei weitem nicht genug, aber besser als gar nichts. Erschöpft ließ ich mich nach hinten fallen. Ich schob die Vorfälle auf meine Müdigkeit, anders konnte ich es mir nicht erklären. Besorgt blickte Klara mich an. Konnte sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?


    „Ich glaube dir nicht“, sagte sie. „Ich merke doch, wenn es dir nicht gut geht.“ Innerlich seufzte ich einmal tief und genervt. Warum musste ich in einer Welt landen, in der ich eine so nervige Freundin hatte?


    „Alles in Ordnung, wirklich, ich bin bloß müde“, antwortete ich also. Hoffentlich ließ sie mich jetzt in Ruhe. „Hm… Ich gehe mal eben kurz zu Lara…“, sagte sie und verschwand. Wahrscheinlich sprach sie jetzt mit ihr darüber, dass sie nicht verstand, warum ich mich auf einmal so abweisend ihr gegenüber verhielt und dass sie das ja überhaupt nicht verstehen könnte. Ich nickte bloß und ließ sie ziehen.


    Natürlich musste kurz nachdem ich endlich meine Ruhe hatte Raphael aufstehen und geradewegs auf mich zu kommen. Mit seinen Hosen, die ihm schon fast an den Knien hingen, und seiner ekelhaften Aussprache machte er mich wahnsinnig. Warum waren so viele Jungs so drauf?


    „Ey, Bro“, sagte er und stützte sich an meinem Tisch ab. Bro, dass ich nicht lachte. Als ob wir irgendwie großartig etwas miteinander zu tun hätten. „Lass ma’ Mathe abschreiben.“ Ich verdrehte die Augen. „Klar“, meinte ich nur und holte die Hausaufgaben dazu aus meinem Rucksack heraus. Wie hatte er es eigentlich bis zur Oberstufe geschafft? Genervt hielt ich sie im entgegen, aber er starrte mich einfach nur an. „Ja nimm halt“, sagte ich leicht genervt. Sein Verhalten regte mich echt auf.


    Dann fiel mir auf, dass er den selben Blick aufgesetzt hatte wie mein Lehrer, als er diese seltsamen Worte in dieser gruseligen Stimme sprach. „Hey, alles cool?“, fragte ich und zog meine Hand mit der Mappe vorsichtig wieder zurück. Wenige Zeit passierte nichts, dann wiederholte sich dasselbe Szenario wie mit meinem Lehrer: „Du… Was macht dich… glücklich? Ich frage mich… Was dich glücklich macht… Macht es… andere auch glücklich?“


    Erneut riss ich meine Augen auf und konnte spüren, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Was waren das für Fragen und warum hatten beide so eine seltsame Stimme drauf? Entgeistert starrte ich Raphael in sein ausdrucksloses Gesicht. Verdammt, dass war doch nicht normal…


    „Hey, wach auch, Bro.“ Ich blinzelte einige Male und bemerkte, dass mir jemand mit seiner Hand vor dem Gesicht herum wedelte. Es war Raphael, der bis vor kurzem eigentlich noch so seltsam gestarrt hatte. „Was los, Digga? Warum dauert das so lange?“ „Äh… alles cool. Hier bitte… nimm“, sagte ich nur und drückte ihm die Mappe in die Hand. Er sollte es einfach nehmen und verschwinden.


    „Alles klar… Danke“, sagte er, sah mich noch einmal kurz skeptisch an, ehe er verschwand. Was sollte das eigentlich? Und was waren das für Fragen über meine Freunde und mein Glück? Als ob ich in meiner Situation so etwas wie wirkliche Freunde hätte, glücklich war ich sowieso nicht. Vor gar nicht so langer Zeit, eigentlich erst vor einer Stunde, war ich noch richtig gut drauf, aber dass war wohl gelaufen.


    Der Unterricht ging weiter, aber die Konzentration meinerseits war bereits unter dem Keller. Die Fragen, als auch dieses seltsame Bild schwirrten mir immer wieder im Kopf herum. Das musste irgendeine Bedeutung haben, wie sollte man denn sonst einfach so seltsam tagträumen? Erst einen Tag vorher träumte ich nach langer Zeit wieder, später passierte das hier. Ich war mir eigentlich sehr sicher, dass das kein Zufall war.


    Der Lehrer nahm irgendjemanden ran, eigentlich achtete ich gar nicht darauf. Es war Luna, ein absoluter Streber, aber sonst war sie eigentlich recht nett. Sie gab ihre Antwort, alles typisch. Aufmerksam wurde ich erst, als sie folgendes sagte: „Das einzig Wahre… Was mag das wohl sein? Ich frage mich… Wenn du das einzig Richtige machst… Macht das wirklich… alle… zufrieden?“


    Es erfolgte erneut in dieser psychopatischen Kinderstimme, allerdings wurde ich diesmal nicht angestarrt. Trotzdem konnte ich den Gesichtsausdruck bereits erahnen. Wieder riss ich die Augen auf. Bei all dem musste ich sicher schon bleich wie eine Wandtapete sein. Nach all der langen Zeit war das viel zu viel auf einmal.


    „Link, alles in Ordnung mit dir?“ Damit riss Herr Mark mich aus meiner Starre. Wenn sogar dem Lehrer etwas auffiel stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Alle drehten sich um und starrten mich an.


    „Ich… weiß nicht…“, gab ich ehrlich zu. Mittlerweile war ich mir nicht mehr sicher, ob es so eine gute Idee von mir war immer noch hier im Kurs zu sitzen. Allmählich fühlte ich mich wirklich nicht mehr gut.


    „Sicher, dass du nicht etwas frische Luft schnappen willst?“, fragte der Lehrer mich. Dieses Zuvorkommen von ihm kannte ich gar nicht, ich war ehrlich überrascht. Als Antwort nickte ich bloß und stand auf, spürte allerdings einen kleinen Schwindel, den ich gekonnt ignorierte. Das Letzte, was ich wollte, war eine große Szene vor meinem Tutorenkurs. „Ich gehe mit ihm!“, meldete Klara sich und legte ihren Arm um mich, damit sie mich stützen konnte. „Alles klar“, antwortete der Lehrer dazu.


    Gemeinsam waren ich und Klara auf den Pausenhof gegangen. Vorsichtig zog Klara ihre Hand weg und starrte mich eindringlich an. „Ich wusste doch, dass etwas mit dir nicht stimmt. Warum sagst du mir das nicht?“ Ich schwieg. Was sollte ich sagen?


    „Ich weiß auch nicht, aber in letzter Zeit wirkst du so… abwesend. Das bereitet mir echt Sorgen. Und dann lügst du mich auch noch an, obwohl es dir ganz offensichtlich schlecht geht. Was ist los mit dir?“ Man, dieses Mädchen hatte vielleicht Nerven. „Es ist wirklich alles in Ordnung, verstanden? Ich weiß auch nicht, was plötzlich los war mit mir, wahrscheinlich bin ich einfach nur müde und hungrig. Heute habe ich echt schlecht geschlafen und wirklich gegessen habe ich auch noch nichts. Mehr wird da nicht dran sein.“


    Ohne sie noch irgendwas anderes dazu sagen zu lassen lief ich weiter und versuchte die frische Luft zu genießen. Klara schwieg, aber ich konnte hören, dass sie mir folgte. Einige Zeit wechselten wir kein Wort miteinander. Bis…


    „Dein wahres Antlitz… Welch ein… Gesicht trägst du?“


    Es war wieder die Stimme des Psycho-Kindes. Ich drehte mich langsam um. Die Worte kamen aus Klaras Mund. Sie hatte diesen Blick angenommen, der mich durchdringend ansah, dieses Mal schien es jedoch deutlich intensiver zu sein. Auf der anderen Seite hatte er keine Emotion und war völlig ausdruckslos. Mein Herz begann plötzlich wie verrückt zu schlagen und mir war so, als würde mir schlecht.


    „Ich frage mich… Das Gesicht unter der Maske… Ist das… dein wahres Gesicht?“


    Das Gesicht unter meiner Maske. Ich spielte hier allen etwas vor. Niemand wusste, wer oder was ich wirklich war.


    Ich erlitt einen Schwächeanfall und sackte in mich zusammen. Der erstickte Schrei eines jungen Mädchens ertönte und zwei zarte Hände packten mich, um mich wieder hochzuziehen. Aber das war zu viel für mich. Dieses Mädchen, alles um mich herum, diese gesamte Welt. Es machte mich einfach verrückt!


    Schon beinahe gewaltsam riss ich mich aus ihrem Griff, selbst wenn das wohl etwas undankbar war angesichts der Tatsache, dass sie mir bloß helfen wollte.
    „Verdammt, fass mich nicht an!“, rief ich. Völlig schockiert wich sie zurück und starrte mich aus großen Augen heraus an. Ich hatte viel aggressiver geklungen, als beabsichtigt.


    „Aber Link…“, sagte sie vorsichtig und wollte wieder auf mich zugehen, aber ich hielt sie zurück. „Scheiße, ich halte das nicht mehr aus!“, schrie ich sie weiter an. Ich war wohl plötzlich wie ein ganz anderer Mensch für sie. „Diese ganze Situation macht mich einfach fertig, ich verstehe gar nichts mehr. Ich will nicht mehr, verstehst du, ich will nicht mehr!“


    „Link, alles wird gut, beruhig’ dich…“ „Beruhigen? Ich soll mich beruhigen?! Verdammt, du hast doch gar keine Ahnung! Seit ich aus diesem komischen Koma aufgewacht bin tu ich nichts anderes, als mich ruhig zu halten!“


    Vorsichtig schlich sie sich wieder an mich heran und hatte sichtlich mit ihren Tränen zu kämpfen. „Ich kann ja verstehen, dass es dir dabei so schlecht geht, aber-„ „Nichts verstehst du! Niemand kann das nachvollziehen, niemand kann es verstehen, egal wie sehr man es auch versucht, es wird nicht funktionieren!“ „Aber-„ „Nein! Halt die Klappe, du nervst!“


    Ich wollte sie wirklich nicht so anfahren, es war einfach mit mir durchgegangen. All diese angestaute Wut, all dieser Frust musste einfach raus. Das hätte zwar sicherlich auch besser und vor allem friedlicher ablaufen können, aber es war nun einmal so, ändern konnte ich daran auch nichts mehr.


    Wir schwiegen uns an. Klara blickte zu Boden und schien so, als heule sie jeden Moment laut los. „Lass mich einfach in Ruhe“, sagte ich und ging an ihr vorbei. Dabei sagte ich noch: „Ich gehe jetzt nach Hause.“ Und damit ließ ich sie stehen.

  • „Link?“ „Hm?“ „Klara hat heute angerufen und gefragt, ob sie mit dir reden kann. Magst du sie nicht zurückrufen?“ „Nö.“ „Warum nicht?“ „Geht dich nichts an.“


    Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die ganzen zwei Tage, die vergangen waren, seit ich auf eine doch recht grobe Art und Weise mit meiner „Freundin“ (ich vermied es sie so zu nenne, da ich sie im Prinzip auch nie als solche wahrgenommen hatte) Schluss gemacht habe hatte dieses Mädchen mich in Ruhe gelassen. Und jetzt wollte sie mit mir reden, über das Telefon? Wir waren an die drei Jahre lang zusammen und da wusste sie nicht wie sehr ich das telefonieren verabscheute? Ich hatte ja nichts gegen ein kleines Telefonat, aber so ein wichtiges Thema wollte ich dann doch lieber Angesicht zu Angesicht ausdiskutieren. Und meine liebe „Mami“ sollte mich auch nicht damit nerven, sie war die Letzte mit der ich darüber reden wollte.


    Eigentlich war ich gerade erst unterwegs gewesen, um mir einen Energy Drink mitsamt einer Tafel Schokolade aus dem Laden zu besorgen, der an die zehn Minuten von unserem entfernt lag, aber ich hatte soeben beschlossen noch einmal hinauszugehen und einen kleinen Spaziergang zu machen. Ich hatte absolut keine Lust von „Mama Simon“ angequatscht zu werden. Also hielt ich in meiner Bewegung inne und zog meine Schuhe nicht aus. Stattdessen nahm ich mir mein Energy aus der kleinen Einkaufstüte heraus und legte die Tüte mitsamt der Schokolade auf der Treppe im Hausflur ab. Anschließend machte ich kehrt und bewegte mich zurück auf die Tür zu.


    „Wo willst du hin?“, hörte ich meine „Mutter“ fragen. Warum benannte ich sie eigentlich nicht mit ihrem Vornamen? Ich kannte den doch. Also, noch mal von vorne. Hörte ich „Erika“ fragen. Wunderschöner Name. Erinnerte mich an „Barbie: Die Prinzessin und das Dorfmädchen“. Wieso kannte ich diesen Film eigentlich? Egal.


    „Raus“, antwortete ich ganz simpel und öffnete nebenbei die Tür. „Aber du warst doch erst-“, hörte ich sie noch sagen, bevor ich die Haustür wieder hinter mir schloss. Ein leichtes Seufzen entglitt meiner Kehle, ehe ich mich in Bewegung setzte. Ich wollte nirgendwo hin, einfach nur laufen, mich nicht unter Druck gesetzt fühlen und nicht von irgendwelchen Leuten angelabert werden, die ich nicht leiden konnte. Meine Kopfhörer hatte ich mir um den Hals gelegt, als ich vor Haustür gestanden hatte, ich würde sie mir wieder in die Ohren stecken sobald ich Lust darauf hatte.


    Ich hob meine Dose gefüllt mit einem Energy Drink zu mir her und ließ sie mit einem lauten Zischen öffnen. Das Getränk war noch immer recht kühl, an sich nicht gerade angenehm in der Hand zu halten zu dieser Tageszeit im Herbst, aber es war auf jeden Fall ertragbar. Ich trank einen Schluck und lief unterdessen immer weiter. Vielleicht sollte ich mich auf dem Weg zu dieser Wiese machen, an der ich vor kurzem vorbeilief? Ja, das hörte sich an wie ein annehmbarer Plan.


    Und so ging ich unbeschwert meines Weges, immer und immer weiter. Die Kopfhörer hatte ich mir bereits in die Ohren gesteckt und meine Dose war schon über die Hälfte geleert. Ich wusste gar nicht, wie lange ich schon so daher lief, der Stand der Sonne sagte mir allerdings, dass es schon recht spät sein musste, der Himmel war bereits in einen orangen Farbton gehaucht. Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche hervor und schaute nach der Uhrzeit. Fast halb sieben. Na, das war doch annehmbar. Umkehren würde ich jetzt sicher nicht, vor allem da ich morgen sowieso schulfrei hatte. Da konnte ich mir eine längere Abwesenheit ruhig leisten.


    Schließlich kam ich an meinem Ziel an. Ich befand mich auf einem Feldgebiet, weit abseits von dem Vorort zur Stadt, in dem ich wohnte. Unmittelbar in meiner Nähe befand sich ein eingezäuntes Feld, in dem einige Pferde, auf der anderen Seite war ein weit reichender Weizenanbau. Ich stand noch auf dem bereits zu genüge von Traktoren und anderem überfahrenen Weg und sah mir die Umgebung an. Neben mir befand sich die Wiese, zu der ich wollte. Sie war riesig und das Gras saftig grün, bedeckt von einigen eingefärbten Blättern, die vom seichten Wind immer wieder aufgewirbelt wurden. Auch Bäume standen dort, es waren aber nicht allzu viele. Ansonsten wurde die Wiese noch mit vereinzelten Gänseblümchen und Löwenzahn bedeckt, mehr gab es hier nicht. Die einzigen Geräusche in der Umgebung waren das Rascheln von Blättern, wenn der Wind wehte, und das Wiehern von Pferden. Und natürlich meine Musik, wobei ich diese mittlerweile etwas leiser gestellt hatte. Es war wunderschön friedlich, genau das, was ich gebrauchen konnte.


    Ich betrat die große Wiese und ging weiter meines Weges, bis ich so weit gelaufen war, dass ich den Weg, auf dem ich hergekommen war nicht mehr sehen konnte. Ich setzte mich auf den Boden und winkelte eines meiner Beine an, das andere streckte ich von mir weg. Während ich dabei die rechte Hand auf meinem angewinkelten Knie abstütze setzte ich die Linke auf dem Boden ab. Ich spürte das Gras zwischen meinen Fingern, es schien recht nass zu sein. Wobei es eher angefeuchtet war, nass war hier wohl das falsche Wort. Ich zupfte einige Halme heraus und ließ sie von dem sanften Wind davontragen.


    Obwohl ich mich eigentlich ablenken wollte drifteten meine Gedanken wieder zu meinem letzten Traum zurück und damit zu allem, was danach passiert war. Vor allem beschäftigten mich die Fragen, die mir gestellt worden waren. Niemand hatte etwas davon bemerkt, bloß ich konnte sie wahrnehmen und hören. Zu allem Übel hatten sie sich in meinen Kopf gebrannt, zusammen mit den Stimmen, in denen sie vorgetragen wurden.


    Sollte ich mir das vielleicht doch nicht eingebildet haben und die Fragen hatten tatsächlich einen tieferen Sinn konnte ich mir vorstellen, dass sie eine Art Test waren. Eine Probe, für mich als Held. Doch warum musste man mich dafür mit so etwas so verstören? Wollte man nicht, dass Helden irgendwie die Welt retteten? Wenn es so gehandhabt wurde musste man sich wirklich nicht wundern, wenn da mal jemand die Lust verlor.


    Trotz dessen hatte ich bereits oft und viel darüber nachgedacht, nach Antworten gesucht. Aber das stellte sich als wirklich schwierig heraus, warum mussten sie auch so philosophisch angehaucht sein? Was machte mich glücklich? Nun, in erster Linie wäre ich ganz happy, wenn ich erfahren dürfte, was zum Geier momentan mit meinem Leben falsch läuft. Was waren meine Freunde? Auf jeden Fall konnte ich diese Frage eigentlich gar nicht beantworten, hier hatte ich im Prinzip niemanden, den ich freiwillig als solchen bezeichnen würde. Was war mein wahres Ich? Das wusste ich tatsächlich überhaupt nicht. Ein Held oder doch nur ein normaler Junge – ein sehr verwirrter Junge, der irgendwann mal unwissentlich auf den Kopf gefallen war. Und die Frage, die mich am meisten beschäftigt hatte: War es wirklich so, dass ich mir – symbolisch gesprochen – eine Maske aufsetzte und hier niemand auch nur ansatzweise etwas von mir wusste? Eigentlich ja schon, immerhin spielte ich seit meinem Erwachen allen bloß die Person vor, die sie haben wollten. Vermutlich weil ich niemanden enttäuschen wollte, vermutlich weil ich mir selbst keine größerer Probleme einhandeln wollte. Es war aber nicht zu leugnen, dass mich das total belastete. Irgendwann musste einfach alles raus und unter dem ganzen Druck, der jetzt wieder durch meinen letzten Traum zum Vorschein kam – versteht mich nicht falsch, ich war trotzdem heilfroh eine Art Bestätigung zu haben, dass ich mir nicht alles eingebildet hatte – wurde alles bloß noch schlimmer. Man sah ja, zu was das geführt hatte – ich ließ alles aus Frust in einem „Wutanfall“ aus. Zumindest eine verharmloste Form, verletzt hatte ich niemanden, ich hatte lediglich Klara angeschrieen, die nun auch hoffentlich kapiert hatte, dass ich nichts „mehr“ von ihr wollte. Wollte ich nie, aber sie war ja – so wie jeder hier – davon überzeugt, dass ich schon vorher irgendwelche Dinge getan hatte mit Leuten, die ich nicht kannte.


    Ich seufzte einmal tief und sah hinauf. Der Himmel war recht klar, bloß einige vereinzelte Wolken verdeckten die Färbung des Himmels zur jetzigen Dämmerungszeit. Was konnte ich nun machen? Mir gefiel es zwar hier, aber es war doch recht schwierig für immer hier zu bleiben, irgendwann musste ich zurückgehen und mich allem stellen. Hoffentlich war Erika nicht allzu sauer, ich hatte absolut keine Lust darauf mit ihr über irgendwelche belanglosen Sachen zu diskutieren. Man war ich froh, wenn ich ausziehen konnte. Selbst wenn ich hier nicht in dem Sinne, den ich mir eigentlich wünschte, entkommen konnte wollte ich wenigsten von diesen schrecklichen Menschen weg, die ich allesamt nicht leiden konnte.


    Allmählich wurde es kühler und auch die Playlist auf meinem Handy war bereits einmal durchgelaufen. Ich vergewisserte mich nach der Uhrzeit. „19:30 Uhr. Hm..“, murmelte ich. Ich war tatsächlich schon über eine Stunde unterwegs. Dies war dann wohl doch genug, um mich zum aufstehen und nach Hause gehen zu überreden. Die Kopfhörer packte ich in meine Jackentasche, auf Musik hatte ich keine Lust mehr, das Handy blieb derweil in der Hosentasche, wo ich es schon die ganze Zeit über aufbewahrt hatte. Ich streckte mich einmal und war schließlich bereit dazu wieder aufzubrechen.


    Auf meinem Fußmarsch zurück zum Gehweg hörte ich über mir nach einer kleinen Weile ein „Uhu“ ertönen. Eine Eule, tatsächlich? War es denn schon so spät? Und überhaupt, ich hatte in der Gegend hier noch nie eine Eule rufen hören. Gab es hier denn welche? Nun, offensichtlich schon. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich doch etwas weiter von der Kleinstadt entfernt war, als sonst. Ich machte mir nichts daraus und ging weiter geradeaus.


    Kurz bevor ich den Weg betreten konnte hörte ich dieses „Uhu“ erneut, aber dieses Mal weitaus lauter, penetranter und auch… aggressiver. Verwirrt blickte ich nach oben und was ich da sah, verschlug mir gleich die Sprache. Über mir flog eine Eule, sie kreiste mich sogar schon fast ein. Taten Eulen so etwas? Noch dazu war sie einfach nur unnatürlich groß, vermutlich fast so groß wie ich. Bei meinen knapp 1,80 cm war das nicht gerade klein.


    Ich tat vorsichtig einen weiteren Schritt nach vorne, blickte derweil immer weiter nach oben, um die Eule ja nicht aus dem Auge zu verlieren. Und tatsächlich folgte sie mir und kreiste mich weiter ein. Vielleicht war es ja ein anderer Vogel. Aber was für einer sollte das sein? Und obwohl ich absolut keine Ahnung von Vögeln hatte war ich mir verdammt sicher, dass es sich bei diesem Tier um eine Eule handeln musste. So eine Art Instinkt verriet es mir und für gewöhnlich hörte ich darauf, zumindest wenn es so stark war und mir das Gefühl zur 100%-tigen Sicherheit gab.


    Zur Vergewisserung ging ich einige Schritte zurück. Die Eule folgte mir ohne mich ansehen zu müssen. Allmählich wurde mir deshalb ziemlich unwohl. Da kreiste eine fette Eule über mir und… kam näher. Hoffentlich wollte sie mich nicht angreifen. Was machte man denn in solchen Situationen? Hatte sie es denn jetzt auf mich abgesehen oder war das nur ein Zufall? Ein äußert abartiger Zufall?


    Ich fasste mir an den Kopf. „Echt jetzt?“, flüsterte ich fluchend. Ich hatte die Befürchtung, als würde ich gleich umkippen, genauso wie es vor zwei Tagen und auch die Jahre zuvor immer gewesen war. Aber musste es denn mitten im Nirgendwo sein, während ich von einem Vogel verfolgt wurde?


    Ich drückte die nächste Hand gegen meinen Kopf. Er begann immer weiter zu dröhnen und mein Gehirn schien von irgendwas zermatscht zu werden, nahm mir dadurch die Fähigkeit meinen Körper kontrollieren zu können. Meine Beine klappten unter mir weg und mein Atem, als auch mein Herzschlag beschleunigten sich. Mittlerweile sah ich auch alles verschwommen, so als schaute ich durch einen weißen Schleier.


    In dem Moment setzte sich die Eule – trotz ihrer Größe – elegant und beinahe schon majestätisch vor mir ab und starrte mich an. Etwas an der Eule war seltsam. Sie wirkte schon beinahe menschlich, intelligent. Intelligenter, als jeden, den ich kannte. Nur leider konnte ich mir keine weiteren Gedanken darüber machen.



    Mal wieder erwachte ich im Stehen. Das Bild, das sich vor mir überraschen schnell zusammenfügte kannte ich bereits. Es kam mir sofort wieder in den Sinn wo ich es schon einmal gesehen hatte. Es war in der Schule, kurz vor dem Stellen der Fragen an mich, als mir das Bild dieser Umgebung in den Sinn kam. Ich wusste, dass ich es kannte. Es war alles genau gleich – ein riesiger Baum in der Mitte der Landschaft, vor dem ein zusammengekauertes Kind mit der herzförmigen Maske auf dem Gesicht saß. Das Gras war wunderbar grün und der Himmel klar, die Sonne schien warm auf mich herab, aber nicht so, dass ich schwitzte. Es war viel mehr… angenehm. Der einzige Unterschied war, dass die anderen vier Kinder fehlten, die in meiner Erinnerung des Bildes hier umher gehüpft waren.


    Oh, da hinten stand Two. Nachdem ich ihn gesehen hatte lief ich zu ihm herüber, um herauszufinden, was er vorhatte. Es war bis jetzt immer gut gewesen einfach dem Typen mit Waffen und grüner Kleidung plus Mütze zu folgen, also warum nicht weiter tun?


    Ich stellte fest, dass Two zu dem gruseligen Kind gehen wollte. Ohne Witz, es schien, als wäre es geradewegs einem Horrorfilm entsprungen. Er stellte sich direkt vor das Kind und ich stellte mich daneben, etwas distanzierter, aber trotzdem so, dass ich die Szene gut im Blick behalten konnte. „…Alle sind jetzt fort, oder?“, fragte das Kind. Und oh man, ich kannte diese Stimme nur allzu gut. Es war dieselbe, wie die, in der ich nach Glück und so ein Zeug gefragt wurde. Bloß war diese noch ein Stück düsterer, bedrückter und auf eine gewisse Art und Weise auch trauriger, wobei es trotzdem dieses verspielte beibehielt. Eine sehr seltsame und schon fast unnatürliche Kombi, wenn man mich fragte.


    Two sagte nichts, er starrte das Kind einfach nur an. „Möchtest du… mit mir spielen?“, lautete seine Frage in diesem Fall. Two neben mir zögerte eine kleine Weile, tat nichts anderes, als es weiterhin anzustarren. Dann rührte er sich – langsam, aber auch ziemlich sicher, nickte er mit dem Kopf.


    Sofort stellte das Kind sich auf. „Du hast nicht zufällig ein paar Masken übrig?“ Two antwortete nichts. Eine ganz schön angespannte Stimmung und vor allem Two schien dem Kind überhaupt nicht über den Weg zu trauen. Tat ich ebenfalls nicht. Wenn ich eines aus Horrorfilmen gelernt hatte, dann war es, dass man niemals dem creepy Kind in der Ecke vertrauen sollte, es könnte dich ja eventuell umbringen – aber auch nur eventuell.


    „Gut, dann machen wir halt war anderes“, beschloss Maskenkiddie sogleich. „Lass uns „Räuber und Gendarm“ spielen… Genau! Das spielen wir!“ „Aha“, machte ich tonlos. Na klar, dann spielt mal schön. Ihr habt wohl sowieso nichts besseres zu tun.
    Ohne ein weiteres Wort zu sagen drückte es Two eine Maske in die Hand. Sie stellte ein Gesicht dar, mit weißen Haaren und hellblauer Kopfbedeckung. Das Gesicht wirkte unzufrieden, schon nahezu grimmig und war mit einer Art Bemalung verziert. Dazu hatte die Maske spitze Ohren, so wie Two und… ich – ursprünglich. Keine Ahnung, wie sie einfach verschwinden konnten.


    „Bist du bereit?“, kam es schließlich erneut von dem Kind. „Du bist der böse Räuber. Und weil du böse bist, musst du davonlaufen. Prima, oder?“ „Ja ne, is klar“, dachte ich mir. Das Kind war ja lustig. War Two nicht so eine Art Held? Natürlich, das Ganze schien nur ein Spiel zu sein, wobei ich das Gefühl hatte, dass es zu mehr kommen würde.


    „Gut… Spielen wir?“, sagte es, aber diesmal klang es wirklich… düster. Zwar noch immer kindlich und verspielt, aber auch dunkel, als könnte es kaum erwarten Two in Stücke reißen zu können und anschließend mit seinen Gedärmen Seil zu springen. Ja, genauso klang das.


    Erneut verschwamm alles vor mir – schien ja eine gängige Art in diesen Träumen zu sein – bis alles weiß war. Offenbar ein erneuter Szenenwechsel, nahm ich an. Und ich hatte Recht, welche eine Überraschung. Der Ort und damit die gesamte Atmosphäre hatten sich geändert.
    Nun waren wir… Ja, wo waren wir? Was zur Hölle war das denn für ein Ort?


    In diesem Raum füllte man sich, als wäre man auf irgendwelche Drogen. Die Wände hatten die Farben eines verzerrten Regenbogens und änderten sich immer wieder, zu keiner Zeit sahen sie gleich aus. Die Decke war schwarz wie die Nacht, sogar noch schwärzer, würde ich fast behaupten. Am anderen Ende des Raumes war eine Art Sonne in der Wand und in dessen Zentrum die Maske, um die sich momentan alles zu drehen schien. Two stand sichtlich angespannt bei mir in der Nähe und starrte geradeaus. Taya, die gelbe Fee, kam herausgeflogen und blickte ihn zuversichtlich an – jedenfalls interpretierte ich es so, ihr Gesicht konnte ich immer noch nicht sehen. Two nickte ihr zu und griff in seiner Taschen. Er zog die Maske heraus, die das Kind ihm geschenkt hatte, schaute sie sich noch einmal kurz an und setzte sie anschließend auf.


    Was auch immer nun los war, aber Two schien starke Schmerzen zu erleiden. Offenbar war die Maske der Grund dafür. Er wandte sich unter den Qualen und ich ging vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Ein lauter, für Two viel zu männlicher und erwachsener Schrei wurde abgelassen, er wurde in seichtes Licht gehüllt. Es verblasste und vor mir stand nun eine gänzlich andere Person, größer als ich, mit einem stark anmutenden Brustpanzer und einem riesigen Einhänder in der Hand, vermutlich ebenfalls größer, als ich es war. Ich konnte die Form der Waffe kaum beschreiben – die Klinge schien aus zwei Helixformen zu bestehen… ein Doppelhelixschwert? Sein Gesicht war dasselbe, wie es auf der Maske abgebildet war, dazu kamen die komplett weißen, leeren Augenhöhlen. Kurz gesagt: Er war verdammt noch mal angsteinflößend. Two schien selbst in seiner normalen Form eine Menge drauf zu haben, aber so würde ich mich nie im Leben mit ihm anlegen.


    Er tat einen Schritt nach vorne und hielt inne, als vor ihm eine golden leuchtende Kugel erschien, die immer größer und heller wurde. Vier weitere Masken entsprangen aus ihnen, auch an diese konnte ich mich erkennen. Two hatte diese erhalten, nachdem er gegen diese Monster gekämpft hatte, sie alle hatten nach ihrem Versagen eine dieser Masken hinterlassen. Sie flogen jeweils an eine der Wände und verfestigten sich daran, bloß kurz darauf bebte die Erde. Es kam überraschend, beinahe wäre ich auf meinen Allerwertesten gefallen. Mit nur viel Glück konnte ich mein Gleichgewicht letztendlich doch halten.


    Die Augen der herzförmigen Maske leuchteten auf und im Gegenzug entfernte sie sich von ihrem Platz und schwebte in der Luft. Ihre Zacken an den Seiten bewegten sich auf und ab, als wären es Flügel, und von hinten wuchsen ihr lange, rötliche Tentakel. Sofort machte Two sich kampfbereit und zückte sein Schwert. Mit einem großen Hieb schwang er es, als er den Rücken der Maske anvisieren konnte, und ein Laserstrahl wurde in seine Richtung geschleudert. Sie fiel mit der Hinterseite nach oben auf den Boden und wurde von selbigem einmal aufgeschlitzt. Doch davon ließ sie sich nicht beirren und flog wieder herauf, gleichzeitig wurden die anderen vier Masken lebendig und begann den Hauptfeind zu unterstützen. Allerdings interessierte das Two recht wenig. Noch bevor sie zum Zug kommen konnten erledigte Two einen nach dem anderen mit Leichtigkeit.


    Nachdem die Letzte zerfiel war Two für einen kleinen Moment unaufmerksam. Die Herzmaske blieb in der Luft stehen und lud einen Laserstrahl auf, den er seinem Gegner mit voller Wucht entgegenschleuderte. Ein kleiner Schrei seitens Two wurde ausgestoßen, welcher sich sogleich zur Seite rollte, um nicht weiter zerbrutzelt zu werden. Der Konter erfolgte sogleich: Two schwang seine Klinge und beschoss die Maske mit einem seiner eigenen Laser. Wieder fiel sie zu Boden und Two rammte sein riesiges Schwert hinein.


    Die Maske schien zu schreien und schleuderte sich quasi selbst in die Luft, während sie begann zu brennen. Ich hatte mich derweil in die hinterste Ecke des Raumes gestellt, um nicht ebenfalls verbrannt zu werden oder ähnliches. Hoffentlich war es jetzt vorbei und die Maske würde endlich zu Asche zerfallen.


    Leider schien es das noch nicht gewesen zu sein. Die Maske blieb stehen und starrte mit leerem Blick geradeaus. Was danach passierte war so widerlich und gleichzeitig faszinierend, als auch verrückt, dass ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich darauf reagieren sollte. Der Maske wuchs ein langes Bein, ohne Haut, ohne alles, es war einfach nur Fleisch mit Muskeln. Das nächste folgte sogleich und anschließend waren es zwei Arme. Zum Schluss entsprang auf dessen Kopf noch ein grünes Auge Hörnern. Ich verzog mein Gesicht und wusste nichts anderes zu sagen als: „What the hell.“


    Die Maske machte einige seltsame Bewegungen, als würde es sich über Two lustig machen. Dabei durfte der Moonwalk natürlich nicht fehlen. Hin und wieder stöhnte sie dabei und begann anschließend wie bekloppt durch die Gegend zu rennen. Aber das beeindruckte meinen Freund hier natürlich in keinster Weise. Er hob sein Schwert und beballerte ihn weiter mit seinen Laserstrahlen. Einige gingen zwar ins Leere, aber die, die trafen, richteten eine Menge Schaden an. Jedes Mal schrie das Ding auf, bis es zu Boden fiel und hilflos herumzappelte. Wieder rammte Two ihm die Spitze des Schwertes entgegen. Gerade noch so konnte die Maske sich unter den Attacken aufrappeln, aber Two reagierte schnell, packte den Griff des Schwertes feste und drehte sich einmal im Kreis, sodass sein Gegner davon mitgerissen wurde. Es packte sich an den Kopf und schrie laut.


    Doch das schien es noch nicht gewesen zu sein. Dieser Kampf dauerte ja Ewigkeiten, ein Wunder, dass mir noch nichts passiert war. Trotzdem waren die Zwei da vorne mir gerade gefährlich nahe, sodass ich beschloss in der Zeit, in der gerade nichts großartiges passierte etwas weiter auf Abstand zu gehen und machte mich auf den Weg in die nächste Ecke. Dabei ließ ich meinen Blick allerdings nicht vom Geschehen abwenden.


    Nachdem ich einen neuen, hoffentlich sicheren Platz gefunden hatte, beobachtete ich alles genauer. Nur leider wurde es bloß noch kranker. So als hätte das Ding sich die wirkungsvollsten Steroide überhaupt rein gezogen wuchsen seine Muskeln um ein vielfaches an, noch dazu wuchs ich ein verdammter Kopf. Ein KOPF. Er schrie mit verzerrter Stimme und als wäre das alles noch nicht genug wuchsen ihm etlich lange Peitschen aus beiden Händen, mit denen er wohl diesmal angreifen würde. Ohne weitere Pause startete er seinen Angriff auch sogleich und verwendete dieselbe Taktik wie Two zuvor an. Das Vieh drehte sich im Kreis, nur sah es bei ihm mehr wie die Pirouette einer Ballerina aus, was zur Folge hatte, dass seine Domina-Peitschen mit ordentlichem Schwung um ihn herum schleuderten. Da Two recht nahe bei ihnen stand wurde er stark von ihnen getroffen und mit voller Wucht gegen die nächste Wand geschleudert. Ich verzog mein Gesicht, als wäre ich derjenige gewesen, der die Schmerzen erleiden musste.


    Das Vieh stellte sich vor Two, kurz nachdem er sich hatte aufrappeln können, und griff ihn mit seinen Peitschen an, zunächst mit der einen, anschließend mit der anderen. Aber diesmal ließ Two sich nicht treffe und blockte wie ein Meister mit seinem Schwert ab. Anschließend sprang er mit einem Rückwärtssalto nach hinten und wich dem nächsten Angriff aus, eine erneute Pirouette. Ohne lang zu fackeln konterte er diesmal erneut mit seinen Lasern, die äußerst stark zu sein scheinen.


    Um ihnen ausweichen zu können, sprang das Teil wie verrückt von einer Ecke in die nächste des Raumes, aber es war nicht möglich jedem Angriff Twos entkommen zu können. Irgendwann wurde es getroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Dies war Twos Chance. Erneut setzte er zu dem Drehangriff an und prügelte wie ein Berserker auf seinen Gegner ein. Es hatte eigentlich keine Chance zu entkommen.


    Das Ding schrie auf, wandte sich und seine Schreie schallten immer weiter. Schließlich hielt es inne und blickte nach oben. Langsam lösten sich die übrigen Glieder auf und sie begann hell zu leuchten. Damit blendete sie mich so stark, dass ich nicht anderes konnte, als meine Augen zu schließend und mir die Hände schützend davor zu halten.



    Ich erwachte mit schmerzendem Kopf, es war also alles wie immer. Bloß wurde mir mit einem Mal total kalt. Es lag wohl daran, dass ich im Freien geschlafen hatte, auf feuchtem Gras. Mit steifem Hals setzte ich mich auf und versuchte mich dort ein wenig zu massieren, um alles dort ein wenig lockern zu können, was nicht wirklich funktioniert. Mit einem lauten Stöhnen stellte ich mich langsam hin.


    Es war mir ein Wunder, wie ich diese riesige Eule, die vor mir stand hatte übersehen können, aber aus irgendeinem Grund fiel sie mir erst jetzt auf. Mit großen Augen musterte ich das Tier.


    Der Vogel öffnete seinen Schnabel: „Hallo, Link.“ Völlig verdutzt öffnete ich meinen Mund und ließ ihn für kurze Zeit so stehen. Die Stimme war tief und klar. „D-du kannst… sprechen?“, stammelte ich. Die Eule stellte ihren Kopf schief und antwortete mit einem „In der Tat.“ Fassungslos starrte ich sie weiter an. „Deine Reaktion sagt mir, dass du verwirrt zu sein scheinst.“ „Könnte man so sagen, ja“, sagte ich.


    „Wer bist du?“, fragte ich vorsichtig. Die Eule drehte ihren Kopf wieder zu recht. „Mein Name lautet Methusa.“ „Medusa?“, fragte ich verdutzt. Wie in etwas diese Frau aus der griechischen Mythologie, die alle in Stein verwandeln konnte. „Nein, Methusa. Oder sehe ich für dich aus wie eine Gorgone?“, fragte die Eule mich. Ich wusste nicht genau, was eine Gorgone sein sollte, also schüttelte ich nur mit dem Kopf.


    „Ich bin hier, um die etwas mitzuteilen.“ Fragend verzog ich das Gesicht. „Ach ja? Was denn?“ „Es handelt sich dabei um die Welt, aus der du ursprünglich stammst.“ „Du meinst..?“ „Ja, Link, diese Welt ist nicht deine.“


    Augenblicklich füllte sich mein Herz mit Zuversicht. Ich konnte es nicht glauben, obwohl ich es schon immer gewusst hatte. Die Bestätigung, nach der ich so lange gesucht hatte, endlich hatte ich sie erhalten! Wenn es mir von einer riesigen Eule namens Methusa gesagt wurde musste ich das doch glauben, oder?


    „Ganondorf, die Person, die dir wohl als Herr Dragmire bekannt sein sollte hat dich mit einem Zauber belegt und hält deinen Geist in dieser Traumwelt gefangen, während dein wirklicher Körper noch immer in der wirklichen Welt liegt, nicht im Stande irgendetwas zu tun.“ „Herr Dragmire? Ich wusste es…“, flüsterte ich leise und ballte meine Hände zu Fäusten. Wie ich diesen Kerl verabscheute. Ich würde diesen Bastard leiden lassen.


    „Wenn das hier nur ein Traum ist… wie kann ich wieder aufwachen?“ „Nun, es gibt nur eine Möglichkeit. Der Haken an diesem Zauber ist, dass es eine Möglichkeit zur Flucht geben muss. Doch war Ganondorf wohl nicht bewusst, dass du irgendwann davon erfahren könntest. Jetzt, nach so langer Zeit, wirst du ihn wohl sowieso nicht kümmern. Die Mächte der Göttinnen, die in die ruhten, hat er schon an sich genommen.“ „Wie meinst du das?“ „Dein Triforcefragment. Er ist nun in dessen Besitz. Nun hält er zwei in seinen Händen, das der Kraft und des Mutes. Einzig das Fragment der Weisheit fehlt ihm, welches noch immer in Zeldas Obhut steht.“


    Wie, er hatte mein Triforce? War das nicht auf meinem Handrücken eingraviert? Wie konnte er das denn an sich nehmen? Aber die Tatsache, dass Zelda ihres noch besaß hieß doch, dass es zumindest ihr gut ging, oder?


    „Und was ist mit ihr? Geht es ihr gut?“ „Das vermag ich leider nicht zu sagen.“ Ich spürte, wie ich erneut von Enttäuschung und Ungewissheit übermannt wurde. Warum musste ich denn in dieser dummen Welt gefangen sein. „Aber du brauchst dir keine Sorgen um sie zu machen. Ich weiß, dass sie in der Zeit, in der du in Schlaf versunken bist über ihre Fähigkeiten hinaus gewachsen ist und sehr gut auf sich alleine aufpassen kann. Außerdem trägt sie noch immer das Triforce der Weisheit in sich, der Schutz Nayrus sei ihr also gewiss.“


    Ich atmete ein wenig erleichtert auf. Immerhin etwas. Wer war Nayru noch mal? An die Geschichte der Göttinnen, die ich und Zelda damals in dem Buch nachgelesen hatten konnte ich mich nur noch wage erinnern. Die Göttin der… Weisheit? Ich nahm das einfach mal an, aufgrund dessen, dass sie mit dem Triforce der Weisheit in Verbindung stand.


    „Und was kann ich tun?“ „Du benötigst drei Gegenstände, die irgendwo in dieser Welt verstreut zu finden sind. Ein Amulett, das Bindeglied zur Welt der Wachen – ein Schlüssel, um das Amulett öffnen zu können – eine Perle, die du in das Amulett legen musst um es zu aktivieren.“ „Aber wie soll ich sie finden?“ „Das Amulett werde ich dir geben. Es wird pulsieren, sobald eines der Gegenstände in der Nähe ist. Doch ich muss dir sagen, eines der Gegenstände befindet sich im Herzen eines Tempels im Untergrund, der andere im Besitz einer alten Frau, welche in der Stadt wohnt, in der du zur Schule gehst.“


    „Ein Tempel? Was denn für ein Tempel?“ Aber Methusa antwortete mir nicht. Ohne irgendwas Weiteres zu sagen breitete die Eule die Flügel aus und flog davon. „Warte!“, rief ich hinterher, aber es hatte keinen Zweck.


    An der Stelle, an der Methusa gestanden hatte lag nun ein Amulett, wohl das, von dem es gesprochen hat. Ich nahm es in die Hand. Es bestand aus silbrigem Metall und war ziemlich kalt auf meiner Haut. Siegessicher umschloss ich den Anhänger in einer Faust. Ich würde das schaffen. Ich würde alles Nötige finden und aus diesem Alptraum erwachen.

  • Äh ja, ich dachte es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich den Rest mal hochlade, auch wenn ich nicht vor habe die Story zu beenden. Ich kann mich einfach nicht mehr mit der Geschichte identifizieren. Und mein Link geht mir sowas von auf den Keks. Nur am nachdenken, ständig über dasselbe Zeug. Aber okay, ich kann nicht leugnen, dass ich Spaß beim Schreiben hatte und dieses "Werk" mir geholfen hat, meine Schreibfertigkeiten zu verbessern. Seit ich damit angefangen habe bin ich dazu in der Lage viel mehr in kürzerer Zeit zu verfassen, ich habe ein besseres Gefühl für das geschriebene Wort, Grammatik, Rechtschreibfehler etc. bekommen und ein besseres Verständnis dafür erhalten, was gerne gelesen wird und was einfach nur anstrengend ist. Ich bin zwar noch lange nicht auf dem Level, auf dem ich gerne wäre, aber diese FF hat mir definitiv dabei geholfen eine kleine Leidenschaft fürs Schreiben zu entdecken und diese aufrecht zu erhalten, was mir auch beispielsweise ungemein in der Uni hilft.


    Aber ja, genug um den heißen Brei geschrieben. Ich lade den Rest noch hoch, einfach damit ich mich damit zufrieden geben kann all das in diesem Thread zusammengetragen zu haben, was ich zu dieser FF so fabriziert habe. Wer es lesen will, ich hoffe es gefällt, mir nämlich nicht. Aber es ist auch schon über zwei Jahre her, joah.


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    Nachdenklich betrachtete ich das silbrige Amulett in meinen Händen. Ich hatte es bereits so gut wie möglich inspiziert und von allen Seiten betrachtet. Im Prinzip war der Anhänger wirklich nichts Besonderes, es hatte ja noch nicht einmal eine Verzierung, bloß ein großes Schlüsselloch auf der Vorderseite. Es war deutlich zu erkennen, dass man ihn aufklappen konnte, aber dazu war auf jeden Fall ein Schlüssel nötig.

    Wie sollte es also jetzt weiter gehen? Das essentielle Mittel für den lang ersehnten Ausweg hielt ich bereits in Händen. Aber wo sollte ich den Rest herbekommen? Ein Schlüssel und eine Perle, die es in der nächsten Stadt geben sollte… Zu meinem Glück war es bloß eine Kleinstadt, sonst könnte ich Ewigkeiten damit verbringen alles abzusuchen. Aber trotzdem war es eine der größeren und viel bewohnten Sorte. Ich konnte mich auf eine Menge Arbeit und Sucherei einstellen.

    Ich seufzte einmal und steckte das Amulett zurück in meine Hosentasche. Gleich würde ich in die Schule gehen. Gestern hatte ich zwar schulfrei, aber heute war immerhin ein anderer Tag. Die gesamte Zeit hatte Klara ununterbrochen das Telefon klingeln lassen, bis ich die Leitung unterbrochen und mein Handy ausgeschaltet habe. Aber heute musste ich ihr wieder Angesicht zu Angesicht gegenüber treten und kam nicht bei rum ein Gespräch mit ihr zu führen. Wie sehr ich mich bereits darauf freute war wirklich nicht zu fassen…

    Erika kam gerade aus dem Bad heraus. Ich schaute sie an und beschloss sogleich heute mit der Suche zu beginnen. „Mom?“ „Ja, Schatz?“, fragte sie mich, während sie sich für ihre Arbeit fertig machte. Schatz hatte sie mich genannt, oh Mann. „Ich bleib' heute nach der Schule noch in der Stadt, ich muss was besorgen.“ Sie hielt kurz inne, drehte sich zu mir um und kam mir etwas näher. „Nun ja… heute ist schlecht.“ Ich zog meine Stirn in Falten. „Warum das denn?“ Eine kurze Atempause ihrerseits, die mich skeptisch werden ließ, bevor sie weiter sprach: „Wir bekommen später Besuch.“ „Ach ja, und von wem?“ Ungeduldig tippte ich mit meinen Fingern auf dem Tisch herum. Eine Antwort, wenn ich bitten darf?

    „Von deiner Schwester und deinem Vater…“ Ich machte große Augen. „Wie bitte?“, fragte ich ungläubig und fasste mir an den Kopf. „Ich habe dir kurz nach dem du damals… du weißt schon, aus dem Krankenhaus entlassen wurdest von ihnen erzählt… Erinnerst du dich?“ Da war tatsächlich was, ich konnte mich erinnern, dass Erika mir einmal davon berichtet hatte. Mein so genannter „Vater“ war wohl ein viel beschäftigter Mann, der kurz vor diesem seltsamen Unfall, der niemals stattgefunden hat, auf Weltreise musste und meine ältere Schwester mit sich nahm, da diese irgendwas studieren wollte oder bereits studierte, bei dem eine solche Reise sehr hilfreich und somit von Vorteil wäre.

    Ich nickte als Antwort auf ihre Frage. „Verstehe“, antwortete ich ihr, stand auf und warf mir den Rucksack über die Schulter. „Ich gehe dann. Tschüss.“ „Link…“, hauchte Erikas Stimme noch hinter mir, bevor ich mich ins Freie begab. Ich hatte das innige Bedürfnis einfach nur laut los zu schreien. Eigentlich war das ein Grund für mich heute bloß nicht nach Hause zu kommen. Eine solche Mutter war schon schlimm genug, da konnte ich nicht noch einen Vater gebrauchen, eine Schwester schon gar nicht. Mit diesem Ärgernis in meinem Kopf stapfte ich Richtung Schule.

    Es war wirklich erstaunlich, wie verdammt nah ich an der Stadt wohnte. Wobei man dazu wirklich sagen musste, dass die Schule sich am äußersten Rand befand, also brauchte ich demnach nicht sehr viel Zeit. Es würde sich schon gar nicht lohnen den Zug zu nehmen, außerdem tat der morgendliche Spaziergang mit gut, sodass ich die zehn Minuten Fußweg gerne in Kauf nahm. Immer hin musste ich als Held fit bleiben. Auch wenn ich keine Ahnung hatte ob körperliche Betätigung in dieser Traumwelt irgendwelche Auswirkungen auf meinen wirklichen Körper hatte, aber ich ließ mich gerne in dem Glauben.

    Schließlich war ich am Schulgelände angekommen und begab mich in das westliche Gebäude. Diese Schule war in drei große Häuser aufgeteilt – im Westlichen waren Räume für die künstlerische und geistliche Betätigung, genau gesagt also Kunst, Musik, Religion oder wahlweise auch Ethik und solche Zusatzfächer wie Philosophie. Das große Hauptgebäude in der Mitte konnte man als Zentrum ansehen. Alle Klassenräume der Unter- und Mittelstufe fanden hier ihren Platz und Fächer wie Deutsch und Mathe wurden hier unterrichtet. Auch Pausenhalle und Mensa gab es, so wie eine kleine Sporthalle in Untergeschoss, die zumeist für die fünfte und sechste Klasse genutzt wurde. Im letzten, östlichen Gebäude gab es ausschließlich Fachräume für Naturwissenschaften wie Biologie und Chemie, dabei war das Ganze auch noch einmal nach Stockwerk unterteilt.

    Schließlich betrat ich den Raum, in dem ich nun weiteren Unterricht ertragen musste, und wäre wohl am liebsten sofort wieder umgekehrt. Klara saß bei ihren Freundinnen und unterhielt sich, gut gelaunt sah sie nicht unbedingt aus. Ein paar der anderen Schüler warfen mir einen düsteren Blick zu, bevor sie mich wieder ignorierten. Die Art und Weise wie ich unsere Beziehung beendet hatte schien sich bereits ausgebreitet zu haben.

    Ich seufzte tief und überlegte wo ich mich hinsetzen sollte. Mich nach der letzten Aktion wieder neben sie zu setzen war vermutlich das Dümmste, was ich hätte tun könnten, aber es gab sonst keinen weiteren freien Platz mehr. Wenn man dazu auch noch bedachte, dass der ganze Kurs mich wahrscheinlich hasste würde mich niemand neben sich haben wollen. Also blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich neben meine Ex-Freundin auf meinen altbewährten Platz zu setzen.

    Ich ließ meinen Rucksack unter den Tisch fallen, warf mich auf den Stuhl und starrte die Tafel an – so wie jeden Morgen. Dabei versuchte ich alles um mich herum auszublenden und dachte nach…

    Schlüssel und Perle. Eines in dieser Stadt im Besitz einer älteren Frau, eines in einem unterirdischen Tempel. Wenn es nach der Stadt ging hätte ich als erstes die Vermutung etwas bei einem Schlosser oder Juweliergeschäft finden zu können. Das Amulett würde sich schon bemerkbar machen, sollte ich am richtigen Ort sein. Was den Tempel angeht werde ich mich wohl zunächst im Internet informieren. Ich hatte die schwere Hoffnung, dass sich etwas finden lässt, selbst wenn es nur irgendwelche heruntergekommenen Gebilde oder Ruinen sind.

    Ich fasste mit meiner rechten Hand in meine Hosentasche und umschloss das darin liegende Amulett in einer Faust – mehr oder weniger unbewusst. Ich hielt mein Ticket in die Freiheit bereits in Händen, der ausschlaggebende Beweis dafür, dass ich doch nicht verrückt war wurde von meinem Griff umklammert – doch war das nicht genug. Das Amulett alleine reichte nicht aus. Warum konnte ich nicht in diesem Moment schon auf der Suche nach den Gegenständen sein?

    Der Gong ertönte. Langsam bewegten sich alle auf ihre Plätze und auch Klara setzte sich auf ihren Stuhl nieder, ohne mich eines Blick zu würdigen – ich schaute dabei bewusst in eine komplett andere Richtung. Desinteressiert wühlte sie in ihrer überteuerten Handtasche herum, vermutlich einfach nur um beschäftigt zu wirken. Ich stattdessen kramte mein Handy aus der Hosentasche und tippte recht sinnlos darauf herum. Verflucht sei die Tatsache, dass ich keine Internetflat besaß. In diesem Augenblick bereute ich, dass ich nicht schon in der letzten Nacht mit den Recherchen begonnen hatte – anstelle dessen habe ich noch geduscht und bin anschließend wie ein Stein ins Bett gefallen.

    Gerade als ich die Lust am sinnlosen Rumtippen auf meinem Handydisplay verlor und das Gerät wegpacken wollte rührte sich Klara neben mir. Mit einem Seufzen schaute sie mich an. "Wir sollten reden", sagte sie, versuchte dabei selbstsicher zu klingen, aber scheiterte am Zittern, das ihre Stimme begleitete. Ich packte mein Handy weg. "Es gibt nichts zu reden. Ich will diese Beziehung nicht mehr weiterführen, das ist alles, was du wissen musst." "Aber dafür muss es doch einen Grund geben." Langsam festigte ihre Stimme sich und drängte sich weiter auf. Genervt ballte ich meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten. "Du würdest es nicht verstehen." "Ich will es verstehen", flehte sie mich mittlerweile schon beinahe an. "Kannst du aber nicht."

    Just in dem Moment kam unsere Musiklehrerin auch schon herein gestürmt. Erleichtert wandte ich mich von Klara ab und auch sie blieb schließlich still. Mit falschem Interesse beobachtete ich unsere Lehrerin. Umständlich legte sie die eingepackte Gitarre auf ihrem Rücken, die sie immer dabei hatte, mitsamt ihres fetten Rucksacks am Boden ab, richtete sich anschließend auf, stützte sich mit breiten Beinen und flachen Händen am Lehrerpult ab, ohne dabei zu vergessen, die wenigen rot gefärbten Haare, die ihr ins Gesicht hingen aus dem Weg zu schaffen und ließ ihren kalten Blick in Kombination von zusammen gekniffen Augen durch den Raum schweifen. „Guten Morgen“, sagte sie laut und vereinzelte Stimmen begrüßten sie mit selbigen Worten. Frau Bäcker… sie war schone eine verrückte Alte.

    „Beginnen wir mit einem Test“, sprach unsere Lehrerin und holte einen Bündel Zettel aus ihrem Rucksack hervor. Das Gemurmel begann, einige stöhnten genervt auf, und auch ich musste zugeben, dass mir kurzzeitig der Atem stockte. Das war ja wieder typisch. Gerade in meiner derzeitigen Situation einen unangekündigten Test schreiben zu müssen, was hatte ich auch anderes erwartet? Dann auch noch in Musik, weil dieses Fach auch so unheimlich wichtig war.

    Klara hingegen blieb vollkommen ruhig. Kein Wunder, sie war ein Musik-Ass. Da sie Jahrgangsbeste war konnte man eigentlich sagen, dass sie überall ein Ass war, aber in Musik war sie noch ein Fall für sich. Nicht nur, dass sie die unterschiedlichsten Instrumente beherrschte, auch von der Theorie verstand sie mehr als kein anderer – vermutlich sogar mehr als Frau Bäcker dort vorne. Noch dazu hatte sie eine wirklich schöne Gesangsstimme, auch wenn ich mir das nie zugestehen würde.

    Genervt musterte ich das umgedrehte Blatt vor mir, dass jedem einzelnen noch vor kurzem von Frau Bäcker ausgeteilt wurde und konnte jetzt schon sehen, wie ich in der Zukunft jede einzelne Aufgabe falsch gelöst hatte.

    „Ihr könnt anfangen“, befahl unsere Lehrerin und wie auf Knopfdruck drehten alle gleichzeitig ihr Blatt herum. Zunächst schrieb ich meinen Namen oben in die Ecke, bevor ich mich den Aufgaben widmete. „Nummer 1: Benennen Sie die gegebenen Dreiklänge und stellen Sie anschließend selbst einen Dur-, einen moll-, einen verminderten und einen übermäßigen Dreiklang auf“, las ich in meinem Kopf vor und es war jetzt schon alles zum Scheitern verurteilt. Das wir uns mit Dreiklängen befasst hatten war schon ewig her und schon damals hatte ich das Thema nur ansatzweise verstanden. „Also, wie war das noch?“, dachte ich und versuchte mir die Regelungen für Dreiklänge zurück ins Gedächtnis zu rufen. „Der hier fängt mit einem G an… G-Dur? Nein, g-moll, die erste und zweite Note haben einen Abstand von drei Halbtonschritten… und die zweite und dritte? Äh… auch drei. Hä? Heißt das jetzt vermindert oder wie?“ Jetzt schon vollkommen überfordert fasste ich mir an den Kopf und schüttelte ihn leicht. Ein flüchtiger Blick zur Seite verriet mir, dass Klara schon am Ende der zweiten Aufgabe angelangt war. Oh Göttinnen, es war hoffnungslos…

    „Aufgabe Nummer 2: Erklären Sie die Begriffe Homophonie und Polyphonie und erkennen Sie sie anschließend im gegebenen Motiv.“ Das war es, ich gab auf. Als ob ich noch im Kopf hätte, was das jetzt schon wieder bedeutet.

    „Scheiß drauf“, dachte ich mir. „Ist sowieso nur ein Traum, also was soll’s?“ Und damit tat ich etwas, was ich sonst nie gewagt hätte. Mit meinem Stift malte ich einen großen, lachenden Smiley über das gesamte Blatt, verpackte ihn anschließend behutsam in meiner Tasche. Anschließend erhob ich mich von meinen Platz, warf mir meinen Rucksack um und nahm das Aufgabenblatt in die Hand. Lächelnd ging ich nach vorne zu Frau Bäcker und drückte ihr meinen Smiley in die Hand. Perplex starrte sie es an und wollte schon etwas sagen, aber ich war bereits aus dem Raum verschwunden.

    „Ich werde dieses Spiel nicht mehr mitspielen.“ Bloß dieser eine Gedanke schoss mir in dem Augeblick durch den Kopf. „Dragmire, mach dich auf was gefasst. Diese Traumwelt, die du mir hergerichtet hast hält mich nicht länger im Griff. Bereite dich auf mein Erwachen und deine Bestrafung vor…“



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    Vorsichtig trank ich einen Schluck von dem noch immer extrem heißen Kakao, darauf bedacht mich nicht daran zu verbrennen, legte die Tasse anschließend ab und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf das Handy. Nachdem ich das Schulgelände verlassen hatte war ich auf der Suche nach einem Café oder ähnlichem mit freiem W-Lan-Anschluss gewesen, sodass ich endlich mit den Nachforschungen beginnen konnte, ohne in mein (vorläufiges) zu Hause zurückkehren zu müssen. Ohne großartig zu überlegen hatte ich den Namen dieser Kleinstadt (Moltak hieß sie… was ein bekloppter Name) gemeinsam mit solchen Suchbegriffen wie „Schlosserei“ und „Juwelier“ bei Google in die Suchleiste eingegeben und ließ die Ergebnisse laden. Allem Anschein nach war das Internet hier verdammt langsam, sodass ich ziemlich lange zu warten hatte und auch noch genug Zeit, um mir wieder etliche Fragen über meine derzeitige Situation zu stellen, so, wie ich es immer tat, wenn mich das „Nichts-Tun“ übermannte. Natürlich ohne eine Antwort zu finden.

    Beispielsweise Fragen darüber, wie viel Zeit in der wirklichen Welt vergangen war. In einem Traum konnte man immer hin Abschnitte von 50 Jahren sehen, während eigentlich nur ein paar Sekunden vergehen. Demnach war ich entweder nur eine Minute oder so im Tiefschlaf, für genau so viel Zeit wie in diesem Traum (also um die zwei Jahre, etwas mehr vermutlich) ODER für sehr viel länger. Am Ende erwachte ich, hatte einen unheimlich langen Bart im Gesicht und durfte davon erfahren, dass gestern mein 40. Geburtstag stattgefunden hat. Und falls es wirklich so lang war, wie konnte es sein, dass ich noch immer am Leben war? Etwa im Krankenhaus an hunderte von Schläuchen gefesselt? Dann wäre ich in derselben Situation wie zu Anfang dieses Alptraums und hätte sicher Schwierigkeiten damit zu entscheiden, ob ich nun tatsächlich erwacht war oder sich alles nur wiederholen würde.

    Ich trank noch einen Schluck (und kann nur sagen, dass der WAHNSINNIG lecker ist), bevor ich noch einen Blick auf das Handy warf, um festzustellen, dass die ersten Ergebnisse bereits zugänglich waren. Die Tasse legte ich zurück auf den Unterteller, zückte anschließend einen Stift und begann damit alles zu notieren, was mir angezeigt wurde. Die erste Straße zu einer der wirklich zahlreichen Schlossereien lautete 'Langheckerstraße'. Ich schrieb mir das auf und brauchte bloß noch die Hausnummer. Eine „9“ konnte ich aufschnappen, bevor der Bildschirm anfing wie blöde herumzuflackern. Und das natürlich gerade dann, als ich endlich mit dem Suchen anfangen wollte. Ich zog meine Augenbrauen zusammen, murmelte ein: „Was zum… Oh Göttinnen, nein, bitte nicht jetzt“ und tippte auf dem Display herum, in der Hoffnung, dadurch irgendeine Reaktion hervorrufen zu können. Stattdessen wurde alles schwarz. „Nein, nein, nein, nein,…“, kam es von mir. Hastig nahm ich es in die Hand und tippte diesmal mit etwas mehr Gewalt darauf herum, schüttelte es ab und zu, drückte hin und wieder auf den An- und Ausschalter, aber es passierte nichts. Genervt warf ich es zurück auf den Tisch, trank zu Beruhigung noch einen Schluck von meinem Getränk und starrte anschließend den Zettel an, der eigentlich sehr viel voller hätte sein sollen.

    Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich dazu mich zunächst in dieser Langheckerstraße umzusehen. Also wollte ich mein Zeug einpacken und zunächst mein Handy einstecken, konnte es aber nicht sehr lange in der Hand halten, da das Teil in meiner Hand in sagenhafter Höchstgeschwindigkeit anfing unheimlich heiß zu laufen, sodass ich bereits um die Gesundheit meiner Hand fürchtete und das Gerät wieder fallen lassen musste. Fluchend schüttelte ich das angeschlagene Körperteil, damit es sich wieder abkühlen konnte, während ich ganz entgeistert das dafür verantwortliche Gerät anstarrte. Dann das Unglaubliche: Mein Handy fing an zu zischen und zu rauchen, der Akku blähte sich auf und Funken sprühten durch die Gegend. Geschockt riss ich meine Augen auf und sprang von meinem Platz aus auf Abstand. Was bitte passierte da gerade? Mein Handy explodierte… so eine Zeitbombe hatte ich die ganze Zeit über in meiner Hosentasche mit mir herumgeschleppt?!

    Die wenigen Kunden plus Angestellte und Geschäftsleiterin drehten sich zu mir herum, nachdem sie Notiz von dem Rauch genommen hatten, der sich allmählich im gesamten Raum ausbreitete. Als dann auch noch mein Zettel aufgrund der Funken in dessen unmittelbarer Nähe anfing Feuer zu fangen wuchs die Panik und alle begaben sich – unter Husten und Röcheln – zum Ausgang. Bevor ich folgte schüttelte ich aus dem Affekt heraus den Rest meines Kakaos über das Feuer, um die Flammen zu löschen – was meines Erachtens nach eine totale Verschwendung ist, da das Zeug wirklich einen unheimlich guten Geschmack hat und ich es gerne bis zum Schluss getrunken hätte. Zeitgleich erklang die ohrenbetäubende Sirene des Feueralarms.

    Alles was ich in diesem Moment noch wollte war das Gebäude verlassen zu können. Ich nahm mein T-Shirt und drückte es gegen meinen Mund, da ich Bammel vor giftigen Gasen im Rauch hatte, und rannte ebenfalls hustend zum Ausgang. Die Leiterin des Geschäfts hatte freundlicherweise die Tür offen gehalten, bis auch wirklich alle draußen waren. Nachdem der Letzte – also ich – sich im Freien befand warf sie die Tür mit einem kräftigen Schwung zu. Dabei hätte sie wohl nichts dagegen, wenn ich darin erstickt wäre, der giftige Blick, mit dem sie mich musterte sprach jedenfalls Berge. Ich ignorierte das und sog die frische Luft mit einem tiefen Atemzug in mich auf, was die absolute Genugtuung war, wenn man bloß ein paar Sekunden zuvor diesem stickigen Qualm ausgesetzt war. Ein flüchtiger Blick über die Schulter verriet mir, dass ich wohl keine Sekunde zu spät entkommen war. Mittlerweile war durch die Fenster nichts mehr zu erkennen – außer Rauch. Zum Glück war der nicht schwarz, sonst hätte ich wohl mit einer Kohlenmonoxydvergiftung oder ähnlichem rechnen können. Die Gäste, die sich zuvor noch gemütlich in dem kleinen Café zusammengefunden hatten unterhielten sich nun angeregt darüber, wie das denn passieren konnte und was das genau war und überhaupt, wobei immer wieder ein spöttischer Blick in meine Richtung geworfen wurde. Ich richtete mich unterdessen auf, schenkte keinerlei Reaktion auf mich irgendeine Beachtung und verkroch mich in die entlegenste Stelle, da die Nähe dieser Personen mich ein wenig nervös machte. Leider konnte ich auch nicht einfach verschwinden. Früher oder später würden Polizei und Feuerwehr auftauchen und wenn der Verursacher dieses Chaos einfach vom Ort des Geschehens verschwand käme natürlich der Verdacht auf, dass die ganze Chose beabsichtigt war. Eine Verhaftung und ein Verfahren waren danach sicher nicht mehr zu vermeiden. Und das konnte ich mir bei bestem Willen nicht leisten.

    Ich fühlte mich reichlich unwohl in Begleitung des Polizisten vor der Haustür stehen zu müssen. Locker hätte ich auch alleine klingeln und Erika alles erklären können (falls ich das überhaupt getan hätte), aber da ich noch der Minderjährigkeit unterlag bestand der (ach so freundliche) Beamte neben mir darauf. Unauffällig knirschte ich mit den Zähnen. Immer hin würde die Sache wohl nicht weiter bearbeitet werden, da zu meinem Glück keine weiteren Schäden aufgekommen sind. Auch hatte ich einen Schadensersatz für den Akku von der Herstellerfirma zugesprochen bekommen, selbst wenn mir das Geld absolut nichts brachte. Was sollte ich in der Traumwelt damit anfangen, wenn ich sowieso vorhatte so schnell wie möglich wieder aufzuwachen? Das Geld konnte ich sicher schlecht mit in die reale Welt mitnehmen. Aber das konnte ich den Herren nicht erzählen, außer ich wollte eingewiesen werden. Also hatte ich freundlich gelächelt und das Angebot auf den Schadensersatz dankend angenommen.

    Nach nur kurzer Zeit öffnete Erika die Tür und staunte nicht schlecht, als sie mich, den kleinen eingeschüchterten Link, zusammen mit dem Polizisten vorfand. Ein wenig erschrocken musterte sie zuerst ihn, und dann mich. Natürlich dachte sie sich nun ihren Teil. Und überlegte sicher schon, was sie sagen konnte, nachdem ihr alles erklärt wurde. Vermutlich so was wie: „Was? Aber mein lieber, kleiner Link würde doch keiner Fliege etwas zu Leide tun!“ oder: „Mein Kind und Drogen? Niemals! Er ist doch so gut erzogen.“ Ich seufzte bei dem Gedanken daran und beachtete schon gar nicht, was die Beiden zu bereden hatten.

    Es dauerte nicht lange, dann war auch das geklärt. Zwar konnte man in Erikas Gesicht deutlich die Erleichterung darüber sehen, dass ich nichts verbrochen hatte, nahm allerdings den Ausdruck von Besorgnis an. Kein Wunder, mein Handy hätte auch in meiner Hosentasche in die Luft gehen können und dann stände mir ein Kampf mit dem Krankenhaus bevor. Der Polizist grüßte recht herzlich, ich rang mich zu einem Lächeln ab und Erika grüßte zurück, dann schließlich verschwand er und ich wurde ins Haus hineingezerrt.

    „Oh mein Gott Link, ist alles in Ordnung mit dir?!“, fragte Erika mich entsetzt, während sie begann an mir herumzufummeln. Vorsichtig versuchte ich sie abzuwimmeln und zwang mich weiterhin dazu zu lächeln, in der Hoffnung, dass sie möglichst bald wieder von mir abließ. „Ja, alles in Ordnung“, antwortete ich, aber das half natürlich gar nichts. „Ist auch wirklich nichts passiert?“, fragte sie mich weiter aus und ich hatte weiterhin Mühe damit nicht auszuticken. „Keine Verletzungen, keine Brandwunden? Vielleicht sollten wir doch mal zum Arzt gehen!“ „Nein, Mom, alles in Ordnung, du brauchst dir überhaupt keine Gedanken zu machen“, versuchte ich es weiterhin, wenn auch nur mit einer recht halbherzigen Stimme. „Du hättest wie abgesprochen sofort nach der Schule hierher kommen sollen! Dann wäre das auch sicher nicht passiert!“ „Ja, ich weiß, tut mir Leid…“ Konnte sie endlich Ruhe geben? Ich wollte einfach nur noch schlafen. Was nicht nur von meiner Müdigkeit hervorging, sondern auch von der Hoffnung noch einen weiteren Traum zu haben. Schon irgendwie ein lustiger Gedanke, wo ich darüber nachdachte. Ich wurde müde und musste schlafen, obwohl mein Körper vom Prinzip her in der letzten Zeit absolut nichts anderes getan hatte. Dazu konnte ich IM Traum träumen… irgendwie klang mir das alles ziemlich verdächtig nach Inception.

    Erika legte behutsam ihre Hand auf meine Wange. Mein Herz begann schneller zu schlagen und mir wurde reichlich unwohl, nur mit größter Anstrengung konnte ich dem Drang widerstehen die Hand gleich wieder wegzuschlagen. „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, Liebling, versteh das doch.“ „Oh Göttinnen, macht bitte, dass ich nicht augenblicklich vor ihre Füße kotze“, sandte ich in Gedanken nach dieser Aussage in Form eines Stoßgebets sofort in den Himmel. Wie hatte sie mich genannt? Liebling? Was sollte das denn?

    „Äh ja… ich weiß…“, war meine Reaktion darauf und ich drehte mich sofort weg von ihr. Mein Hals wurde trocken, ich brauchte wirklich etwas zu trinken. Das war dann doch zu viel. Ich konnte einiges aushalten, aber wenn ich von IHR als LIEBLING bezeichnet wurde, dann war alles vorbei. Ich spürte ihren traurigen Blick in meinem Nacken, während ich in das Esszimmer eintrat, als mich gleich der nächste Schlag traf. Am Tisch saßen zwei mir vollkommen fremde Personen, ein Mann Mitte 50 und ein Mädchen, etwa in meinem Alter, vermutlich auch etwas älter. Sie starrten mich beide an und mir wurde reichlich unbehaglich dabei.

    „Link?“, fragte der Mann, während er sich langsam von seinem Platz erhob. Ich schluckte, als ich hörte, wie seine tiefe Stimme meinen Namen aussprach. Wer waren diese Personen bloß? Und dann fiel es mir wieder ein, Erika hatte es an diesem Morgen bereits angekündigt. Die zwei Personen mussten wohl… mein Vater und meine Schwester sein.

    Der Mann wurde schneller, bis er vor mir zum Stehen kam und begeistert seine Hände auf meinen Schultern absetzte. „Mein Gott, du bist aber groß geworden. Aus dir wird wohl ein richtiger Mann, was? Bloß… deine Gesichtszüge sind noch immer ein wenig feminin. Dagegen kann man wohl nichts machen.“ Er begann zu lachen und das Mädchen hatte sich mittlerweile auch zu uns gesellt, dabei stimmte sie in das Lachen mit ein. „Tja, so war das doch schon immer!“, gab sie ihren Kommentar dazu ab. Wovon sprachen die denn da? Meine Gesichtszüge sollten weiblich sein? Was für ein Quatsch! Ich hatte zwar noch keinen Bartwuchs, aber… dafür konnte ich ja auch nichts!

    Das Lachen verstummte, nachdem beide den perplexen und skeptischen Blick bemerkten, mit dem ich sie musterte. Der Mann ließ ganz vorsichtig von mir ab und warf Erika einen fragenden Blick zu. Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich erkennen, dass sie mit dem Kopf schüttelte. Dann schien er zu verstehen.

    Ich konnte nicht leugnen, dass er mir nicht ganz unähnlich war. Auch er hatte blonde Haare, allerdings etwas kürzer geschnitten als meine, auch die Farbe war weitaus dunkler, aber immer noch ganz klar blond. Er war nicht sonderlich muskulös gebaut, schien allerdings trotzdem Ansätze eines durchtrainierten Körpers aufzuweisen, jedenfalls war er nicht unsportlich. Einzelne Bartstoppeln zierten sein Gesicht, zusammen mit einigen Falten, insbesondere unter den Augen. Die Augen selbst waren ebenfalls blau (schien wohl in der Familie zu liegen). Im Moment wirkten sie ziemlich traurig, er gab sich allerdings Mühe etwas lässiger zu wirken. Auf die Schnelle fand ich ihn tatsächlich etwas sympathischer als Erika, trotzdem konnte ich ihn nicht wirklich leiden. Allein wegen der Tatsache, dass mir seine Rolle als Vaterfigur im Zuge dieses Traumes aufgezwungen wurde.

    Er lachte nervös. „Oh, tut mir Leid“, sprach er und kratzte sich leicht nervös am Hinterkopf. „Die Sache mit dem Gedächtnisverlust, ich vergaß…“ Eine angespannte Stimmung erfüllte den Raum, niemand wusste genau, wie er reagieren sollte. Schließlich hob er wieder das Wort. „Ist denn… auch nichts wieder zurückgekehrt? Von deinen Erinnerungen, meine ich.“ Ich reagierte nicht, sondern starrte ihn unterdessen weiter an. Er seufzte. „Zum Beispiel die vielen Male, die wir gemeinsam im Fußballstadion verbracht haben. Oder diese eine peinliche Situation… mit deiner ersten Freundin damals, du warst 14, wenn ich mich nicht täusche. Ich habe beim Essen Saft auf ihrer Bluse verschüttet. Du warst tagelang sauer auf mich.“ Entgeistert starrte ich ihn an. „Das heißt dann wohl nein“, stellte er fest. Gut erkannt, Sherlock.

    „Wir wollten dich besuchen kommen, deine Schwester und ich… als ihr beide den Unfall hattet. Als wir dann erfahren haben, dass du im Koma liegst, hatte das höchste Priorität, aber… wir waren leider verhindert.“ Betreten starrte ich zu Boden. Ich konnte ihm nicht in die Augen schauen während er von den Dingen redete, die nicht real waren. Die nie geschehen waren. Ich wollte einfach nur weg. Mit jedem Mal wurde das Ganze zu einer größeren Qual. Und ich hatte noch immer weder Perle noch Schlüssel in meinem Besitz.

    Er seufzte und ich schaute wieder auf. „Ich schätze, dass ist eine gute Gelegenheit für einen Neuanfang, findest du nicht? Also…“ Er streckte mir die Hand aus, damit ich sie schütteln konnte. Ich tat nichts dergleichen. Verlegen lächelnd zog er sie wieder zurück. „Ich bin Mark. Mark Simon. Du darfst mich aber auch Papa, Papi, Dad, Vater oder wonach auch immer dir der Sinn steht nennen.“ In dem Moment schien mir eine Reaktion schließlich doch angebracht und ich nickte leicht. Die Gesichtszüge von Mark lockerten sich daraufhin wieder ein wenig, trotzdem änderte das nichts an der wieder einkehrenden, betretenen Stille.

    Schließlich war es Erika, die sich mit einem Räuspern zu Wort meldete. „Also, Lena, begleite deinen Bruder doch bitte nach oben. Dort könnt ihr euch dann auch… wieder… kennen lernen.“ Sie hieß also Lena. Ein recht langweiliger Name. Aber seit ich Zelda kennen gelernt hatte, erschien mir kein Name mehr schön und ausgefallen genug zu sein. Dieser Gedanke erinnerte mich wieder schmerzlich daran, wie sehr ich sie und mein richtiges Leben eigentlich vermisste.

    „Ja, Mama“, sagte sie und unterstrich das Ganze mit einem Nicken. Ihre Stimme war hell und klar und klang recht… vertraut. Wir verließen gemeinsam den Raum und stiegen schweigend die Treppe hinauf. Vor meiner Zimmertür blieben wir schließlich stehen, sprachen allerdings noch immer kein Wort miteinander. Sie starrte den Boden an und ich unterdessen in die Leere.

    Mit einem Ruck hob sie ihren Kopf, schaute kurz auf die Decke, seufzte einmal lautstark und schaute mir anschließend mit einem Lächeln ins Gesicht. „Groß bist du geworden…“ Toller Anfang, Schwesterherz. Ich gab keinen Kommentar ab. „Bis vor drei Jahren warst du gerade Mal 1,50cm groß. Hattest schon den Ruf kleiner als alle anderen zu sein“, erzählte sie weiter. Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben. Aber sie hatte Recht, früher war ich tatsächlich nie sehr groß gewesen. Ich konnte mich erinnern, dass Zelda mich sogar ein wenig überragte. Aber auch nur ein klitzekleines Bisschen!

    Sie lachte ein wenig, während ich sie musterte. Sie war wirklich hübsch und ordentlich gut gebaut, mit deutlich weiblichen Rundungen, wobei sie mehr wie eine Frau, als ein Mädchen wirkte. Aber es war definitiv noch sehr viel Mädchenhaftes an ihr. Ohne Zweifel war sie älter als ich.

    In ihrer Nähe fühlte ich mich seltsam… geborgen. Ihre Anwesenheit fühlte sich vertraut an und auch ihr Parfum kam mir sehr bekannt vor, als wäre es der schönste Geruch, den meine Nase jemals erschnüffeln durfte, lange in Vergessenheit geraten und nun, nach ewigen Zeiten, erneut vernommen, klarer und schöner als je zuvor. Dieses Gefühl der Vertrautheit hatte ich schon häufig gefühlt, Gefühle für Menschen in dieser Traumwelt, die sich allerdings allesamt falsch und aufgezwungen anfühlten. Für Erika, als ich im Krankenhaus aufgewacht war. Für Klara, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Für Mark, als er mir von den (nie stattgefundenen) Erlebnissen in meiner Vergangenheit berichtete. Aber bei ihr war es etwas anderes. Es fühlte sich ehrlich an, real und auch… sehr gut, musste ich zugeben. Verwirrt über diese Erkenntnis begann ich sie genauer zu mustern, insbesondere das Gesicht. Ihre Haare reichten ihr bis knapp über die Brust, machten einen sehr gepflegten Anschein. Sie waren hellbraun und leicht gewellt. Ihre Lippen waren zart und leicht röslich, die Gesichtszüge sehr markant und trotzdem irgendwie auch geschwungen, fast wie ein Kunstwerk. Die Gesichtshaut war ziemlich hell und sie war auch ungeschminkt. Kein einziger Pickel, kein Mitesser, kein Nichts, einfach perfekt. Ihre Nase war relativ klein und gut geformt. Aber vor allem ihre Augen hatten es mir angetan. Sie waren groß und blau, blau wie die ruhige See an einem warmen Sommertag, sehr verführerisch und verübten eine beruhigende Wirkung auf mich. Irgendwoher kannte ich diese Merkmale…

    Sie seufzte erneut. „Ich weiß nicht, Link, irgendwie ist alles so komisch geworden.“ Die Art und Weise wie sie meinen Namen aussprach war der entscheidende Hinweis. Es fiel mir wie die Schuppen von den Augen. Das gesamte Blut wich mir aus dem Gesicht, ich musste aschfahl aussehen, mein Herz blieb für einen kurzen Moment stehen, auch mein Atem blieb aus.

    „Alles in Ordnung mit dir? Du siehst nicht sehr gut aus…“ „Hä?“, machte ich, da ich ihre Worte aufgrund meines Zustandes nicht verarbeiten konnte. „Ob es dir gut geht, frage ich dich.“ Die wirkliche Antwort: Ich hatte absolut keine Ahnung. Die Antwort, die ich ihr gab: „Ja… ja, alles bestens. Ich bin nur müde, war ein harter Tag und… ich will einfach nur schlafen.“ Nachdem ich das gesagt hatte öffnete ich sofort die Tür, schloss sie hinter mir wieder und ließ sie stehen. Hilflos stand ich im Raum herum, ehe ich entschloss mich auf das Bett zu setzen, da ich das Gefühl hatte mein Kreislauf würde jeden Moment kollabieren. Mein Hals war extrem trocken, wollte ich mir nicht ursprünglich etwas zum Trinken besorgen? Der Herzschlag beschleunigte sich, das Atmen funktionierte nur noch sehr angestrengt und ich schwitzte wie aus Eimern. Ich konnte es selbst noch nicht glauben, aber meine Schwester, Lena, sah haargenau so aus wie Zelda... und diese Erkenntnis beunruhigte mich mehr als alles andere.

    Zwar hatte ich im Laufe der zwei Jahre, die ich hier verbringen musste, vergessen, wie Zelda nun genau aussah, aber nachdem ich Lena genau betrachtet hatte war ich mir zu hundert Prozent sicher. Das Gesicht glich sich bis auf das kleinste Detail mit dem von Zelda, vor allem die Augen. Zwar waren die Haare anders und sie hatte, wie jeder hier, keine spitzen Ohren, wahrscheinlich auch kein Triforce auf dem Handrücken, aber abgesehen davon… waren die beiden sich genau gleich. Und nicht nur das, sie trug auch dasselbe Parfum und auch die Stimme war sich sehr ähnlich, genauso wie ihre Sprechweise… Oh Mann, wie sollte ich das nur verstehen? Vielleicht spielte mein Verstand mir einen Streich, vielleicht versuchte mein Unterbewusstsein irgendetwas zu verarbeiten und hatte jemanden in meinem Traum erschaffen, der Zelda ähnlich sah… ich konnte es mir einfach nicht erklären. Ich wusste nur, es konnte nichts Gutes bedeuten.



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    Tja Leute, es scheint so, als wäre ich mal wieder mitten in einem meiner Legendenträume gelandet. Und sollte irgendjemand mal mit der Frage kommen, weshalb ich in einem Traum träumen kann, dann verschont mich bitte damit. Dieser Inceptionscheiß, den ich hier gerade durchmache verwirrt mich immer mehr und mehr. Außerdem… hatten wir dieses Thema nicht erst letztens? Wie auch immer. Ich war einfach nur froh, dass ich dafür nicht ohnmächtig oder dergleichen werden musste. Nein, ich habe mich einfach ins Bett gelegt, bin eingeschlafen und nun… träume ich. So wie das normalerweise abläuft. Ich werde jetzt jedenfalls nicht weiter herumpalavern und den Traum genießen. Fängt auch schon sehr fröhlich an das Ganze hier: Es ist schweinekalt, der Raum ist verdammt gruselig, ein Mann ist an die Wand gefesselt und sechs weitere Gestalten scheinen ihn umbringen zu wollen. Ich selbst stand natürlich genau zwischen ihnen. Wieso denn auch nicht? Und so gut mein Überblick an meinem Platz auch war so ging ich doch lieber ein paar Schritte zurück, sicherheitshalber versteht sich.

    Jedenfalls schien es auf eine Hinrichtung hinauszulaufen. Ist doch der Wunsch eines jeden Kindes dabei zuzusehen, wie jemand umgebracht wird. Nicht? Auch gut. Allerdings konnte ich wirklich sagen, dass ich keinerlei Mitleid für den Angeklagten empfand, denn es handelte sich bei ihm auf jeden Fall um Dragmire. Verzeiht, ich meinte natürlich „Ganondorf“. Methusa hatte mir seinen richtigen Namen vor gar nicht so langer Zeit verraten, aber ich war immer noch so sehr an Dragmire gewöhnt.

    Wie auch immer. Die sechs Gestalten nahmen einen ordentlichen Abstand von Ganondorf, welcher übrigens mehr als nur wütend zu sein schien. Mit hasserfülltem Blick starrte er den Kerl an, der quasi direkt vor ihm stand, als würde er ihn am liebsten kalt und leblos in seinen Klauen halten. Was er natürlich nicht konnte, denn er war, wie bereits erwähnt, an die Wand gekettet. Und die Fesseln machten nicht gerade den Anschein, als würden sie sich so einfach brechen lassen. Der Angestarrte erwiderte den Blick mit selbigem Hass, während die anderen fünf mehr oder weniger demütig, sogar relativ traurig dreinschauten.

    Vor diesem einen, welcher relativ mittig stand, richtete sich ein weißes Schwert aus, ganz von selbst. Früher hätte mich das irritiert, aber mittlerweile überraschte es mich gar nicht. Wenn der Mond auf die Erde fallen und sprechen konnte, dann konnten Schwerter fliegen. Punkt.

    Mit der Spitze der Klinge auf Ganondorf gerichtet raste die Waffe auf das Opfer zu und bohrte sich mit enormer Wucht in dessen Bauch, sein Körper erschlaffte und ich kleiner Sadist grinste derweil über das ganze Gesicht. Dieser Anblick gab mir absolute Genugtuung, so viel stand fest. Zwar wäre ich es lieber selbst gewesen, der ihm die Klinge in den Körper rammt, aber was solls, tot ist tot, völlig egal durch wen oder was. Allerdings kam ich nun ins Grübeln. Es war doch so, dass ich von vergangenen Ereignissen träumte. Ergo alles, was ich in meinen bisherigen Träumen gesehen habe ist wirklich passiert. Was bedeutete, dass auch dieses Ereignis hier tatsächlich geschehen ist. Wann auch immer, vor hundert oder tausend Jahren, spielt keine Rolle. Also, wenn Ganondorf hier seinen Tod gefunden hat, wie konnte er dann zu heutiger Zeit noch am Leben sein? Ich hatte schon angenommen, dass er vermutlich uralt war. Konnte doch sein, dass er sich irgendwie so lange gehalten hat, mit Magie oder ähnlichem. Zaubern konnte er schließlich tatsächlich, sonst hätte er mich nicht in dieser Traumwelt einsperren können. Oder war das so eine Wiedergeburtensache wie bei mir und Zelda? War auch nicht auszuschließen.

    Wohl doch nicht. Das Grinsen wurde mir förmlich aus dem Gesicht geprügelt, als ich sah wie seine rechte Hand zu zucken begann und mit Entsetzen beobachtete ich, wie sich darauf ein Triforce abzeichnete. Hatte es ihn beschützt? Eigentlich sollte das unmöglich sein, immerhin steckte ihm die Klinge so tief drin, dass die Spitze auf der anderen Seite wieder rausschaute. Mit einem Ruck streckte er seinen Körper und begann wie besessen zu schreien. Erschrocken wich ich zurück. Damit kamen Selbstzweifel. Wie sollte ich ihn besiegen und umbringen können, wenn er selbst so etwas überleben konnte? Da hatte ich doch keine Chance. Vorausgesetzt ich schaffte es überhaupt irgendwann einmal aufzuwachen.

    Mit all seiner Kraft und hell erleuchtetem Triforce auf dem Handrücken schaffte er es zunächst die eine Kette zu zerbrechen. Die sechs Gestalten zuckten zusammen, auf ihren Gesichtern spiegelte sich der blanke Horror wider. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Aber wer hätte das schon? Wir unterschätzten seine Macht wohl alle gleichermaßen. Niemand tat etwas, um ihn aufzuhalten, sie waren wohl starr vor Schock. Verständlich. Er strengte sich unterdessen weiter an und zerbrach die nächste Kette. Ich wollte gar nicht wissen, was für eine enorme Kraft man haben musste, um das bewerkstelligen zu können.

    Von einem Moment auf den anderen schoss er nach vorne, geradewegs auf den mittleren Kerl zu, der irgendwie unter anderem der Mittelpunkt unter den Anwesenden war. Zumindest bis gerade eben. Denn als Ganondorf ihn mit seiner Hand packte verpuffte er in weißem Nebel und verschwand vollends. Er hatte ihn umgebracht. Mir stockte der Atem, ich riss meine Augen auf und starrte ihn an. Was war er für ein Monster, wenn er morden konnte, ohne mit der Wimper zu zucken? Die reine Wut überkam mich. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und presste die Zähne aufeinander. Dieses Schwein sollte bluten.

    Gleichzeitig verfiel ich allerdings auch in Angst. Plötzlich schien er um ein Vielfaches bedrohlicher zu sein, stärker, nahezu unantastbar. Wie sollte ich ihm etwas anhaben können? Noch immer hatte ich keine Ahnung wie man kämpfte, sonderlich stark war ich auch nicht und mir fehlte immer noch der Plan über die gesamte Situation. Ich schluckte und ging doch wieder ein paar Schritte zurück. Wie auch immer, noch war es bloß ein Traum, ein Ereignis der Vergangenheit, das sich nicht rückgängig machen ließ. Daran konnte niemand mehr etwas ändern, ich sowieso nicht.

    Die anderen fünf wichen zurück und zitterten schon richtig vor Angst. Jeder von ihnen konnte der nächste sein. Eine wirklich verzwickte Angelegenheit. Ganondorf schien unaufhaltbar. Verdammt, hätte er nicht einfach sterben können, so wie es sich gehört? Nein, natürlich musste er sich spontan dazu entscheiden ein Schwert in seinem Bauch zu überleben, wieso auch nicht? Ist doch Standard. Passiert eben.

    Mit Leichtigkeit zog er das weiße Schwert heraus, eine milchige Flüssigkeit tropfte aus der Wunde heraus. War das sein Blut? Was auch immer, es schien ihn nicht sonderlich zu jucken, stattdessen lachte er. Böse, wie es sich für einen stereotypischen Fiesling gehört. Immerhin durfte man die Klischees nicht vergessen. Leider konnte ich nicht leugnen, dass es mir trotzdem eine Gänsehaut verpasste. Verfluchter Idiot.

    Auf jeden Fall war das ein weiterer Beweis für seine Unmenschlichkeit, die meine Vorstellung von Ganondorf als Monster bloß noch mehr Form gab. Was auch immer er war, ein Mensch kam nicht in Frage, und dass machte es mir nur leichter ihn zu hassen. Einem Menschen etwas anzutun, damit hätte ich ohne Zweifel Probleme gehabt, aber bei einem… Ding… wie ihn verlor ich immer mehr die Hemmungen. Ganz im Gegenteil, in diesem Augenblick bereitete mir der Glaube an seinen Tod große Freude. Allerdings konnte es natürlich auch eine Ausrede meines Unterbewusstseins sein, um mir das Ganze zu erleichtern und ich war einfach nur ein Riesensadist. Wie auch immer, wäre er tot, wäre ich unheimlich glücklich. Wobei der Tod wohl noch nicht mal gut genug für ihn war. Und offensichtlich auch keine Garantie für sein endgültiges Verschwinden, wie ich hier gerade feststellen musste… Mein Kopf begann zu rauchen. Alles so kompliziert mal wieder. Für so etwas bin ich doch gar nicht gemacht, was soll das?!

    Nun schritten die übrigen Gestalten doch ein. Ihre Blicke richteten sich allesamt auf den Spiegel hinter ihnen, so als hätten sie alle auf einmal dieselbe Idee gehabt. Vermutlich war das, was sie vor hatten so etwas wie die einzige übrige Option. Jedenfalls hoffte ich, dass es mit viel Leid und Schmerz für unseren Ginger hier in Verbindung stand.

    Einer nach dem anderen hob seine Hand (sie hatten übrigens keine Arme – waren das Raymans oder… wieso?) und sie hielten sie direkt in Richtung des Spiegels. Dieser begann zu leuchten und einen Strahl auszuwerfen, genau auf die Wand, an der Ganondorf zuvor noch gefesselt war. Offenbar wurde dadurch eine Art Portal oder ähnliches geöffnet. Jedenfalls schien es eine enorme Anziehungskraft zu haben, die selbst ihn ins Schwitzen brachte. Sein Schwert wurde ihm bereits aus der Hand gerissen und verschwand darin, er selbst hatte noch immer merklich damit zu kämpfen nicht auch noch hinterher zu fliegen. Keine Chance. Hierfür war er dann doch nicht stark genug. Obwohl er all seine Kraft aufbrauchte löste er sich in mehrere schwarze Partikel auf, die ihren Weg geradewegs durch das Portal gingen. Der Strahl verschwand und von einem Moment auf den anderen kehrte plötzlich absolute Ruhe ein. Ich stand ein wenig perplex auf der Stelle. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Aber immerhin, er war weg. Doch ob das ihn wirklich aufhielt? Etwas in meinem Inneren wusste genau, dass dem nicht so war, und das gefiel mir nicht.

    Ich schlug meine Augen auf. Irgendwie fühlte es sich gut an ganz normal aus einem Traum zu erwachen, ohne Kopfschmerzen oder dergleichen, ganz gemütlich in einem Bett liegend. Trotzdem war ich noch ziemlich müde. Vorsichtig tastete ich neben mir herum, auf der Suche nach meinem Handy, um die Uhrzeit abzuchecken. Bis mir einfiel, dass das Teil doch kaputt war. Ich stöhnte genervt, gähnte darauf einmal und schaltete das Licht ein, um auf die Uhr an der Wand meines Zimmers zu schauen. Es war 4:45 Uhr, ich konnte rein theoretisch also noch schlafen. Irgendwie erheiterte mich der Gedanke, aber eigentlich wollte ich gar nicht mehr pennen, auch wenn ich noch so müde war. Dazu hatte mich der Traum zu sehr ins Grübeln gebracht und mir noch mehr die Augen darüber geöffnet wie wichtig es war Dragmire beziehungsweise Ganondorf aus dem Verkehr zu ziehen. Er war verdammt mächtig und gefährlich, noch mehr als ich es schon geahnt hatte. Wer weiß, was er in der Zeit, in der ich abwesend war bereits alles angestellt hat. Und ich konnte nichts tun, mir waren die Hände gebunden. Das machte mich noch wahnsinnig. Selbst wenn ich zugeben musste, dass ich ein wenig Angst hatte, nachdem ich nun wusste, zu was er unter anderem im Stande war. Trotzdem war mein Verlangen ihm endlich gegenüber zu stehen und die ganze Sache zu beenden nach wie vor ungestillt.

    Allmählich musste ich wirklich sagen, dass ich es hier langsam aber sicher nicht mehr aushielt. Ich musste unbedingt dieses Zeug finden, von dem Methusa mir erzählt hat. Vielleicht sollte ich dieser Langheckerstraße mal einen Besuch abstatten… am besten jetzt gleich. Tatsächlich spielte ich sogar mit dem Gedanken.

    „Ach, scheiß auf Schule“, sagte ich, warf die Decke von mir herunter und sprang aus dem Bett. Nur in Boxershorts stand ich da und ging geradewegs auf „den Stuhl“ zu. Ihr wisst sicher, was ich meine. Dieser ominöse Stuhl im Zimmer, auf dem man alle möglichen Klamotten ablegt, weil man zu faul ist sie zurück in den Schrank zu tun. Dort pickte ich mir eine schwarze Jogginghose, ein weißes T-Shirt und ein graues Jackett heraus. So schnell und so geräuschlos wie möglich zog ich mich an, bevor ich mir aus der Kommode noch ein paar Socken heraussuchte. Auch diese übergestreift schnappte ich mir noch die Sneakers, die hier herumflogen und die etwas wärmere Jacke. Schnell griff ich noch nach dem Amulett, das ich auf der Kommode abgelegt hatte. Dann schaltete ich das Licht aus und schlich mich hinaus.

    So leise wie nur irgend möglich ging ich die Treppe herunter und fluchte kurz, als sie zu knarren begann. Ruckartig blieb ich stehen und hielt angespannt den Atem an. Niemand kam, welch ein Glück. Noch langsamer und vorsichtiger ging ich den Rest des Weges, bis ich endlich unten war. Das war – ungelogen – der schrecklichste und längste Treppengang meines gesamten Lebens. Erleichtert atmete ich aus und verließ das Haus.

    Es war noch recht dunkel hier draußen, jedoch waren die Straßenlaternen eingeschaltet. Immer hin etwas, auf das Licht meines (wunderbaren) Handys konnte ich schließlich nicht bauen. Ich erhöhte mein Tempo, damit ich schnell in der Stadt ankam. Zwar war ich traurig, dass ich derweil keine Musik hören konnte, aber damit musste ich leben.

    Nach etwa zehn Minuten kam ich am Stadtrand an. Von hier ging ich extra einen großen Bogen, da ich auf keinen Fall in die Nähe der Schule wollte. Dummerweise war der Weg dorthin der einzige, den ich kannte, um in die Stadt zu gelangen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste also die Schule kreuzen. Trotzdem versuchte ich so gut wie möglich daran vorbeizugehen und machte mich geradewegs in die Innenstadt auf.

    Hier stand ich also nun, ohne irgendeine Menschenseele in der Nähe. Gut für mich, Gaffer konnte ich keine gebrauchen. Wirklich niemand sollte sich fragen, was ich hier um die Uhrzeit ganz alleine zu suchen hatte. Dummerweise hatte ich das Ganze nicht wirklich gut durchdacht: Ich hatte absolut keine Ahnung wo die Langheckerstraße eigentlich ist. In der Innenstadt? Altstadt? In der Nähe des Flusses? Oder doch ganz wo anders? In meiner Verzweiflung wusste ich nichts besseres, als das Amulett aus meiner Jackentasche hervorzuholen und es anzustarren. „Warum reagierst du Scheißteil nicht?“, beleidigte ich es. Natürlich wusste ich, dass das keine Wirkung haben würde, aber mir fiel einfach nichts Besseres ein. Planlos wie ich war drehte ich mich einmal im Kreis, steckte das Teil wieder zurück und lief einfach gerade aus, in der Hoffnung einen Stadtplan oder so was zu finden. Logischerweise war da nichts.

    „Verflucht, Dragmire“, flüsterte ich und setzte mich auf eine Bank. „Wenn ich hier rauskomme schlag ich dir in die Fresse, hörst du?“ Stöhnend fuhr ich mir durch die Haare und holte mein Amulett erneut hervor. Seit einer halben Stunde lief ich schon herum und das einzig seltsame, das ich vorfand waren irgendwelche gruseligen alten Menschen, die in die beleuchteten Schaufenster der geschlossenen Läden starrten. Gelangweilt musterte ich den Anhänger von allen Seiten und fuhr mit dem Daumen über das Schlüsselloch. Ob ich wohl zuerst den Schlüssel finden würde? Oder doch eher die Perle? Würde ich überhaupt mal was finden? Ich konnte ja manchmal noch nicht mal die Fernbedienung finden. Lustigerweise kam dann ständig mein Onkel daher und fand ihn ohne Probleme. Manchmal glaubte ich, er versteckte das Zeug mit Absicht, um mich zu ärgern.

    Tom… der Gedanke an ihn versetzte mir einen Stich ins Herz. Wie sehr ich ihn doch vermisste. Er bedeutete mir viel mehr, als irgendeine Mutter es jemals könnte. Gemeinsam mit ihm bin ich durch dick und dünn gegangen, wir haben so viel erlebt, so vieles durch gestanden. Er wusste über die Legenden und meine Bestimmung besser Bescheid als ich, er hätte mir sicher helfen können. Stattdessen saß ich hier fest und konnte nur hoffen, dass es ihm gut ging. Bestimmt machte er sich schreckliche Sorgen um mich. Wo mein Körper wohl war? Im besten Fall in seiner Obhut. Niemandem würde ich ihn... mich mehr anvertrauen als ihm. Mit seinen Zaubertränken konnte er mich sicher irgendwie am Leben halten.

    Ich vermisste sie alle so sehr. Zwei Jahre, zwei beschissene Jahre hatte ich keinen einzigen mehr gesehen. Weder meinen Onkel, noch Zelda, noch irgendeinen aus meiner Klasse und Sven sowieso nicht. Die Tatsache, dass mein letzter Kontakt mit ihm nicht so glücklich ausgegangen war machte mich besonders fertig. Wie es ihm wohl gerade ging? Was er machte?

    Bei diesen Gedanken hatte ich wirklich mit den Tränen zu kämpfen. Aber das Verlangen danach sie alle wieder zu sehen steigerte bloß meinen Entschluss hier endlich raus zu kommen. Ich umklammerte das Amulett in einer Faust und stand auf, um weiter zu suchen. Ich würde nicht aufhören, und wenn ich den ganzen Tag hier herumlaufen musste. Meine Vorfahren hatten weitaus schlimmere Dinge durch gestanden, ich hatte es mit meinen eigenen Augen gesehen. Wäre doch ein Witz, wenn ich noch nicht einmal zwei winzige Gegenstände auftreiben konnte.

    Mittlerweile war es schon sehr viel heller, die Straßenlaternen waren auch schon längst abgeschaltet. Mein Blick galt der Stadtuhr, die 7:46 Uhr anzeigte. War ich wirklich schon so lange unterwegs? Erika hatte mein Verschwinden sicher schon bemerkt. Wenn sie mich suchen kommt drehe ich am Rad, das schwöre ich.

    Ich hatte schon gefühlt jeden Winkel der Stadt abgesucht, aber ich konnte einfach keine Langheckerstraße finden. Mein Amulett hielt es ebenfalls nicht für nötig sich endlich mal zu melden. „Wozu habe ich dieses Drecksding eigentlich?“, schoss es mir immer öfter durch den Kopf. Wenn man hier nicht wahnsinnig wurde, dann hatte man eine Psyche aus Stahl.

    Irgendwann kam ich an dem Punkt an, an dem ich einfach nur stur geradeaus lief. Das machte sich teuer bezahlt, da ich beinahe in eine ältere Dame hineingelaufen wäre. Sie war sehr viel kleiner als ich, weshalb ich sie so gut wie gar nicht gesehen hatte. Erst in letzter Sekunde konnte ich stehen bleiben, ohne sie zu rammen. Gerade wollte ich mich bei ihr entschuldigen, da fiel sie mir auch schon ins Wort: „Junger Mann, du solltest wirklich besser aufpassen, wo du hinläufst.“

    Ich konnte sie einfach nicht ernst nehmen. Es sah einfach zu süß aus, wie sie von unten zu mir herauf sah, durch diese großen Brillengläser hindurch und diesem dämlichen Hut auf dem Kopf. Und ihre Stimme war auch einfach nur zuckersüß. „Diese Jugend heutzutage achtet wirklich gar nicht mehr darauf wo sie eigentlich hingeht. Merkt ihr denn gar nicht mehr, was sich um euch herum eigentlich abspielt?“, redete sie weiter. Ich war schon kurz davor einfach nur laut loszulachen. Glücklicherweise konnte ich mich noch fangen und versuchte sie zu beruhigen: „Tut mir wirklich Leid, ich habe einfach nicht aufgepasst. Es wird nicht wieder vorkommen, versprochen.“ „Das will ich doch hoffen!“, sprach sie und ging an mir vorbei. Ich konnte bloß mit dem Kopf schütteln und wollte schon weiter gehen, als ich plötzlich etwas in meiner Jackentasche spürte. Es war wie ein… Vibrieren.

    Ungläubig fasste ich hinein und konnte kaum fassen, welche Erkenntnis mir das einbrachte. Mein Amulett, es war tatsächlich das Amulett. Es zeigte eine Wirkung. Aber wieso gerade jetzt? Wo war etwas in der Nähe? Verwirrt blickte ich mich um, musste dann aber nach einer Weile feststellen, dass das Vibrieren schwächer wurde. Ich runzelte die Stirn und hielt es wie ein Irrer mit Handy, der nach Empfang suchte in die unterschiedlichsten Richtungen. In Richtung der alten Dame reagierte es dann schließlich wieder heftiger. Erstaunt blickte ich zwischen ihr und dem Amulett hin und her. „Sag bloß sie hat…“, flüsterte ich und war wieder kurz davor zu lachen. Sie musste einen der Gegenstände haben, da war ich mir dann doch sehr sicher. Aber... sie? Das war einfach zu dämlich. Allerdings auch irgendwo schlüssig. „Natürlich, Methusa hat von einer alten Frau gesprochen…“ Das Vibrieren nahm immer weiter ab, je mehr sie sich von mir entfernte. Das war das Signal für mich die Beine in die Hand zu nehmen und ihr zu folgen, jedoch unauffällig und mit genügend Abstand. Sie sollte ja keinen Verdacht schöpfen…



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    Während ich der alten Dame so verstohlen hinterher schlich konnte ich nicht anders als mich ein kleinen wenig wie ein Agent auf geheimer Mission zu fühlen. Dämlicher Gedanke, ich weiß, aber hin und wieder mussten solche Vorstellungen einfach sein, um das Leben zu erheitern. Es war wie damals als kleiner Junge gemeinsam mit seinen Freunden, als es darum ging die Geheimorganisation auszuspähen, die die Weltherrschaft anstrebte… bloß diesmal mit 17 Jahren, auf sich allein gestellt und statt einer Geheimorganisation eine harmlose Lady. Klang überhaupt nicht verrückt. Aber gut, ich träumte bloß, alles spielte sich in meiner Vorstellung ab, also was soll’s?

    Auf ein paar Meter Abstand lief ich ihr in gemächlichem Tempo hinterher, darauf bedacht sie nicht zu sehr anzustarren, sonst würden die Leute um uns herum bloß Verdacht schöpfen. Ich hatte sowieso schon das Gefühl, mich würde jeder mit Argusaugen beobachten, weshalb ich auf jeden Fall darauf bedacht sein musste unauffällig zu sein. Glücklicherweise schien mein Verfolgungssubjekt keine Notiz von mir zu nehmen. Stattdessen trappelte sie seelenruhig ihren Weg ab, wohin auch immer dieser führen sollte. Damit war ich mehr als zufrieden. Wer wusste schon, wie ich zu reagieren hatte, sobald sie sich umdrehte und bemerkte, dass der unfreundliche Jugendliche von vorhin sie verfolgte. Sie würde sich wer weiß was ausmalen und ich hätte keine plausible Erklärung. Es wäre mir also eine große Freude wenn sie weiter so naiv und unschuldig in die Leere starrte.

    Derweil hielt ich das Amulett in meiner Faust umschlossen und spürte das eigentlich relativ angenehme, geräuschlose, ununterbrochene Vibrieren, das mir von mal zu mal neue Hoffnung einschöpfte. Zwar hatte ich noch keine Ahnung, wie ich an den Gegenstand, den sie bei sich trug gelangen wollte, aber tatsächlich das erste Mal die Vibration zu spüren war so erfüllend und erleichternd, dass mir meine Ahnungslosigkeit für einen kurzen Moment egal war. Trotzdem galt es sich darüber Gedanken zu machen – sollte ich sie zur Rede stellen, höflich fragen, sie in einem Moment der Unachtsamkeit beklauen? Ich sympathisierte sogar schon mit der Möglichkeit ihr an einem menschenleeren Ort mit einem Stein oder ähnlichem eins überzuziehen und anschließend aufs Gründlichste zu untersuchen. Immerhin war das Ganze hier nach wie vor bloß ein Traum, sie war nicht real und somit passierte auch niemandem etwas, völlig egal was ich tat. Auch, wenn es hier blöderweise eine Polizei gab, die mir in einem solchen Fall sicher auf den Zahn fühlen würde. Musste ich eben versuchen sie zu umgehen, bis mir der nächste und letzte Gegenstand in die Hände fiel und ich endlich raus war. Aber nein, zunächst wollte ich es auf anderem Wege lösen. Zumal mich mittlerweile schon interessierte wo die Frau vor mir hingehen wollte.

    Nach gar nicht so langer Zeit führte ihr Weg mich zu einem viel beschäftigten Wohnblock. Vermutlich wohnte sie hier oder wollte jemanden besuchen oder was auch immer. Spielte auch eigentlich keine Rolle. Sofort verlangsamte ich mein Tempo und steckte das Amulett zurück in meine Hosentasche.

    Leicht nervös und mit klopfendem Herzen drückte ich mich gegen eine Wand und blickte vorsichtig um die Ecke. Nicht weit von mir kramte die Frau einen Schlüsselbund aus ihrer kleinen Handtasche, ließ ihn ein wenig vor sich herklimpern, während sie wirklich langsam nach dem richtigen Schlüssel suchte. „Mach schneller“, zischte ich leise vor mich hin. Als ihr diese dann auch noch aus der Hand fielen konnte ich ein deutliches Ziehen an meinem Geduldsfaden spüren. Langsam und bedacht bückte die Dame sich vor, um die Schlüssel wieder aufzuheben, ließ sich anschließend über ihre Schusseligkeit aus, um dann erneut einen nach dem anderen im Schloss auszuprobieren. Ich war schon drauf und dran zu ihr zu stürmen und diese verdammte Tür endlich für sie zu öffnen, das konnte sich ja keiner ansehen! Aber ich blieb möglichst gefasst und beobachtete sie wortlos weiter.

    Dann schaffte sie es endlich den richtigen Schlüssel einzustecken und umzudrehen. Na endlich. Nun galt es schnell zu handeln, um ebenfalls in das Gebäude zu kommen. Schnell hinrennen und etwas sagen wie: „Entschuldigen Sie, könnten Sie die Tür für mich offen lassen, ich wollte meine Tante (oder wen auch immer) besuchen, habe aber meine Schlüssel vergessen“ wirkte meines Erachtens nach nicht sonderlich überzeugend.

    ‚Starrt die mich an?’, fragte ich mich in Gedanken. Ungläubig erwiderte ich ihren Blick, bevor ich verstand. Sie hatte mich bemerkt, so ein Dreck! Mich nun hastig hinter der Wand zu verkriechen würde auch nichts mehr bringen, als warf ich ihr bloß ein aufgesetztes, unsicheres Lächeln entgegen. Was sollte ich tun? Verschwinden? Sie nach dem Motto ‚Jetzt oder Nie’ überfallen? Aber eigentlich erübrigte sich das, als sie mich mit einem Winken ihrer Hand zu sich rief. Zuerst verstand ich nicht und schaute sie bloß verständnislos an. Meinen Beinen wurde erst wieder Leben eingehaucht als sie zu mir sprach: „Willst du da solange rum stehen bis du Wurzeln schlägst? Na los, komm endlich her.“

    Bei ihr angekommen stammelte ich erstmal vor mich hin: „Ähm, hallo. Tut mir ehrlich Leid, ich wollte nicht unhöflich sein, es ist nur, dass ich-„ „Jetzt rede dir doch nicht die Zunge wund, bei deinem Gestammel versteht ja keiner was.“ Irritiert stoppte ich tatsächlich mit reden und schaute ihr stattdessen dabei zu, wie sie in das Gebäude eintrat. Sollte ich ihr folgen, oder…? „Na, wieso stehst du denn da so rum? Vom ewigen Warten werde ich auch nicht jünger.“ Ich fasste das als ein klares Ja auf.

    In ihrer Wohnung angekommen war ihre erste Aufforderung gewesen, dass ich mich auf ihr kleines Sofa setzen sollte, während sie mir einen heißen Kakao kochen würde. Ich wollte schon widersprechen, aber da war sie schon in ihrer Küche verschwunden. Nach wie vor war ich über die ganze Situation einfach nur verwirrt. Was wollte diese verrückte Alte von mir? Nie im Leben saß ich einfach so in ihrer Wohnung, gerade in ihrer! Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Und doch war ich hier. Aber… wieso? Welchen Grund gab es dazu? In meinem Kopf malten sich bereits die wildesten Theorien aus. Es konnte doch eine Falle von Dragmire sein, die er vorsorglich in meinen Traum „einprogrammiert“ hatte, sollte ich jemals so weit kommen sie ausfindig zu machen. Vermutlich war ihr Kakao eine Art Zaubertrank, der mich wieder vergessen ließ! Ich traute niemandem mehr, vor allem nicht, wenn man mir etwas zu trinken anbot. Wirklich, alles in mir schrie danach, dass ich lieber verschwinden sollte. Alles in dieser Wohnung wirkte wie eine Falle. Selbst den Keksen, die sie so liebevoll auf dem Kaffeetisch ausgelegt und verziert hatte waren nicht zu trauen. Am liebsten wäre ich wohl wieder gegangen, aber ich musste bleiben. Ich war, wo ich sein wollte. Nun musste ich bloß noch an den Gegenstand gelangen und konnte anschließend wieder verschwinden. Wie schwer konnte das schon sein?

    Da kam sie auch schon wieder zurück, in ihren Händen eine Tasse, aus der Rauchschwaden aufstiegen. „Bitte sehr, junger Mann“, meinte sie und stellte diese auf dem kleinen Tisch ab. Anstatt etwas zu sagen lächelte ich ihr nur matt entgegen, bevor ich einen Blick auf das Getränk warf. Sie hatte wirklich maßlos übertrieben – nicht nur, dass dieser Kakao unheimlich köstlich und auch total süß roch, nein, noch dazu schwimmte darauf eine nahezu perfekte Menge an Sahne, die mit kleinen Schokoraspeln bedeckt war. Aber ich wollte nichts davon trinken. Der beunruhigende Gedanke, dass es sich dabei tatsächlich um einen Trick handelte ließ in mir die Weigerung auch nur einen Tropfen davon trinken zu wollen aufkeimen.

    „Von den Keksen darfst du auch ruhig naschen, Link. Die sind mit Liebe gemacht.“ „Nein, danke, ich bin-“ Moment. Hatte sie gerade…? Entgeistert starrte ich sie an. „Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte ich fordernd, aber dennoch verwirrt. Ich wurde immer unruhiger, mir gefiel das Ganze überhaupt nicht.

    „Wovon sprichst du?“, fragte sie, aber ich konnte heraushören, dass ihre Ahnungslosigkeit bloß vorgetäuscht war. „Tun Sie doch nicht so unschuldig“, erwiderte ich, „ich habe genau gehört, dass Sie – ähm-“ Ich stutzte, als sie mir so sehr auf die Pelle rückte und mich von oben bis unten musterte. Leicht verunsichert rückte ich etwas zurück, was sie nicht davon abhielt mich weiter zu inspizieren, bis sie dann schließlich an meinen Augen hängen blieb. „Was soll das werden?“, fragte ich ein wenig nervös, aber anstatt irgendwas dazu beizutragen sagte sie: „Wahrhaftig, du bist es.“ Noch verwirrter als ohnehin schon zog ich meine Stirn in Falten. Derweil griff sie meine Hand, lächelte mich warm an und redete weiter: „Wir haben uns alle wirklich große Sorgen gemacht.“ „Ich… verstehe nicht“, stammelte ich. Wortlos ließ sie wieder von mir ab und setzte sich zurück in den Sessel. Ich verstand unterdessen gar nichts mehr. „Übrigens“, meinte sie, während sie sich selbst einen ihrer Kekse aus der Schüssel nahm, „Zelda lässt dich grüßen.“

    Augenblicklich wurden meine Augen groß. „Zelda? Sie kennen Zelda?“ Nachdem sie ein Stück des Plätzchens abgebissen hatte antwortete sie: „Besser, als du denkst, mein Freund.“ Ich wusste bei bestem Willen nicht wie ich darauf reagieren sollte. An sich war das eine großartige Neuigkeit, aber war dem wirklich zu trauen? Dennoch fragte ich überstürzt weiter: „Wie geht es ihr? Ist alles in Ordnung? Was ist passiert? Hat Dragmire sie auch erwischt?“ „Beruhige dich mal lieber wieder, ich kann nicht alles auf einmal beantworten“, meinte sie, damit ich endlich aufhörte ihr Löcher in den Bauch zu fragen.

    „Ich kann sehr wohl verstehen, dass dir einiges auf der Seele brennt. Aber atme erstmal tief ein und aus und dann können wir uns langsam vorarbeiten.“ Wie recht sie damit doch hatte. Also leistete ich ihrem Ratschlag folge und nahm einen tiefen Atemzug, dann überlegte ich, womit ich anfangen sollte. Wenn ich ganz ehrlich sein sollte traute ich ihr nach wie vor nicht, weshalb ich mir erstmal ein klareres Bild über sie verschaffen wollte und demnach fragte: „Also… wer sind Sie eigentlich?“ Auf meinen skeptischen Blick hin begann sie zu lachen. Mit Sicherheit hatte sie bemerkt, dass ich doch nicht so ganz von dem überzeugt war, was sie mir erzählte.

    „Du scheinst die Dinge wohl gerne zu hinterfragen. Finde ich gut.“ Als ich sie bloß weiterhin kommentarlos anstarrte wurde sie schließlich ernst: „Mein Name lautet Impa. Ich bin eine gute, alte bekannte von Zeldas Vater. Als sie noch kleiner war habe ich mich oft um sie gekümmert.“ Sie machte eine kurze Pause. „Sag, Link, sagen dir die Shiekah etwas?“ Tatsächlich, dieser Begriff kam mir unheimlich bekannt vor. Aber wo hatte ich das nur schon einmal gehört, wo? Impa, wie sie sich nannte, redete unterdessen weiter: „Deinem Blick nach zu urteilen ist der Begriff dir bekannt. Nun, sie sind ein uraltes Volk, sogar noch älter als die Hylianer, und fristen ein Dasein in den Schatten, aus denen sie im Verborgenen ihren Dienst der königlichen Familie von Hyrule gegenüber geleistet haben.“ Da klingelte tatsächlich etwas bei mir. Hatte ich davon nicht einmal etwas in diesem Buch gelesen? Das war alles schon so lange her…

    Vorsichtig fügte ich hinzu: „Aber sie wurden verraten, richtig?“ Ein mattes Lächeln schlich sich auf Impas Gesicht. „Nichts weiter als ein Irrglaube, der aufgekommen ist, als die Shiekah begonnen haben sich von Hyrule abzuspalten und unabhängig zu werden. Ein fataler Fehler, denn nach allem sind wir noch immer bloß ein Volk der Schatten und ohne die Verbundenheit zum Licht können wir nicht existieren. Oder es ist viel mehr weitaus… herausfordernder. Nicht jeder hat es geschafft.“ „Wir?“, fragte ich nach. „Du wolltest doch wissen wer ich bin. Nun, ich bin eine Shiekah, eine der letzten Überlebenden und anders als die meisten meines Volkes der Königsfamilie treu geblieben.“

    Mit zugegebener Begeisterung starrte ich sie an. Ein Volk der Schatten? Irgendwie klang das mehr als nur episch. „Und wie kommt es, dass Sie sich nicht dem Rest ihres Volkes angeschlossen haben? Der Gedanke unabhängig zu sein ist immerhin ziemlich… na ja, verlockend.“ Dieses Mal brachte sie es fertig den gesamten Keks zu essen. „Ganz einfach“, begann sie, „ich habe mich einfach nie eingesperrt gefühlt. Für mich war es nie ein Zwang für die Sicherheit der Königsfamilie und damit der des Reiches zu sorgen, es war viel mehr ein Privileg.“ „Verstehe“, meinte ich. Die Frage, wie es ein konnte, dass sie nun tatsächlich Hyrule unterstützt hatte, obwohl es doch schon so lange nicht mehr existierte erübrigte ich mir. Wahrscheinlich war sie einfach nur uralt. Stattdessen fragte ich sie nun doch über Zelda aus.

    „Keine Sorge, mit ihr ist alles in Ordnung.“ Erleichtert atmete ich aus. Die wildesten Szenarien, die ich mir die Zeit über ausgemalt hatte schienen mit einem Mal einfach zu verblassen. Trotzdem konnte ich die Sorge ihr gegenüber einfach nicht abstellen. Etwas zögerlich kam ich nun darauf zu sprechen, was mich schon die ganze Zeit interessierte: „Was ist eigentlich passiert, nachdem Dragmire… ähm, ich meine Ganondorf mich hier eingeschlossen hat?“ Es herrschte kurzes betretenes Schweigen, das mich dazu brachte einmal schwer zu schlucken.

    Dann begann Impa zu erzählen: „Ganondorf hat dich mit auf seine Burg geschleppt, um dich deines Triforcefragments zu entledigen, was wohl schwieriger als gedacht von statten ging.“ „Moment – er hat eine Burg?“, warf ich dazwischen. Impa nickte bestürzt. „Eine uneinnehmbare Festung, so glaubte Ganondorf jedenfalls“, erklärte die Shiekah. „Sie liegt inmitten einer riesigen Wüste, umgeben von einem magischen Schutzwall, der es für das gewöhnliche Auge unmöglich macht seine Burg zu sehen.“ Leicht schockiert starrte ich sie einfach nur an. Mein Körper hat also in dieser Burg gelegen, während Dragmire die ganze Zeit versucht hat diesen von meinem Fragment zu trennen? Das klang mehr als nur beunruhigend.

    „Jedenfalls“, erzählte sie weiter, „schien das Fragment des Mutes aufgrund irgendeines Zaubers fest in dir verankert zu sein, den es für Ganondorf zunächst einmal zu brechen galt, bevor er es an sich reißen konnte. Deshalb hat er dich auch nicht getötet, denn wärest du gestorben hätte das Triforce-Teil sich einfach bei einem neuen Träger niedergelassen und die Suche würde für ihn von neuem beginnen.“ Ich hatte keine Ahnung, welchen Zauber sie meinte, aber ich war diesem wirklich dankbar. Derweil erzählte sie weiter: „Nachdem Zelda bemerkt hat wie Ganondorf mit dir verschwunden ist setzte sie alles daran dich zurückzuholen. Ohne lange zu zögern hat sie deinem Onkel Bescheid gegeben, der sofort alle seine Bekannten, einige Nachfahren aus den Zeiten Hyrules, mobilisierte. Auf diese Weise wurde ich auch eingeweiht. Gemeinsam haben wir alle an einem Schlachtplan gefeilt, um uns zu ihm vorzuarbeiten und dich aus seinen Fängen zu befreien – was uns glücklicherweise auch gelang.“ Unauffällig atmete ich aus. Bedeutete also, dass ich von ihm weg war. Was für ein Glück.

    „Allerdings hat die Rettungsaktion auch ihre Opfer gefordert.“ Natürlich musste noch eine schlechte Nachricht dazu kommen. Mein Herz begann beunruhigt zu pulsieren. „Inwiefern?“, fragte ich, ohne sicher zu sein, ob ich es wirklich wissen wollte. Voller Bedauern senkte sie ihren Blick. „Einige tapfere Kämpfer haben ihr Leben gelassen. Ganondorfs Anhänger waren wirklich erbarmungslos. Auch dein Onkel ist nicht ohne Schaden davon gekommen.“ Nun war ich wirklich am Ende. Schockiert und aufgebracht meinte ich: „Was ist mit ihm? Was has dieses Schwein ihm angetan?!“ Ich wollte schon aufspringen, hielt mich allerdings zurück. Trotzdem konnte ich es nicht lassen meine Hände vor Wut zu Fäusten zu ballen und meine Zähne zusammenzubeißen. Impa erläuterte die Sache: „Nun ja, anfangs stand es wirklich schlecht um ihn, wir haben uns bereits alle auf sein Ende eingestellt… doch er überlebte.“ Ich atmete erleichtert aus. Immerhin, wirklich, er hätte auch tot sein können. „Aber“, fuhr sie fort, was erneutes Unbehagen in mir hochkommen ließ, „er ist querschnittsgelähmt.“

    Diese Information traf mich wie ein Schlag. Mein Onkel Tom konnte nicht mehr laufen? Ich konnte ihn mir bei bestem Willen nicht in einem Rollstuhl vorstellen. „Und was ist mit diesen Herztränken? Können die ihn nicht heilen?“, fragte ich, meine Stimme begleitete einen Hauch von Ungläubigkeit. Bestürzt schüttelte Impa ihren Kopf. „Wir hatten nicht viele Heiltränke und mussten den gesamten Vorrat während deiner Rettung verbrauchen. Aber selbst wenn, eine solche Verletzung können auch keine magischen Tränke kurieren.“ Ich ließ mich kommentarlos zurückfallen. Er hatte die Fähigkeit zu laufen verloren, nur, weil er mich retten wollte. Es war meine Schuld.

    Impa musterte mich flüchtig. Mit Sicherheit sah sie mir an, dass ich mir Vorwürfe machte. Die übrigens auch gerechtfertigt waren. Seine Verletzung und all die übrigen Opfer… all das hätte nicht passieren müssen, wenn ich nicht so blöd gewesen und auf Dragmire hereingefallen wäre. Doch sie erwähnte es nicht, was mir auch lieber war. Ich wollte wirklich nicht darüber reden, nicht jetzt. Stattdessen erzählte sie weiter: „Als du dann schließlich in unserer Obhut warst hatte Ganondorf dein Triforcefragment bereits in seiner Gewalt. Glücklicherweise war er noch nicht dazu gekommen dich zu töten bevor wir eingetroffen sind. Trotzdem warst du sehr angeschlagen. Momentan liegst du an einem geheimen Ort versteckt, unser Hauptquartier, könnte man so sagen.“ Etwas stutzig blickte ich ihr entgegen. Ein Hauptquartier? Wofür? Impa interpretierte meinen verdaddelten Blick wohl richtig, denn sie begann zu erklären: „Wir alle, die uns zusammengetroffen haben, verstehen uns als eine Art Freiheitskämpfer, die alles Erdenkliche tun, um Ganondorf aufzuhalten, noch bevor er seinen großen Trumpf ausspielen kann. Zelda haben wir als rechtmäßige Prinzessin des gefallen Köngigreichs Hyrule zu unserer Anführerin erklärt. Trotz ihres jungen Alters macht sie ihre Sache wirklich gut.“ Wow. Zelda als Anführerin der Rebellenbande gegen den Großmeister des Bösen. Ich war etwas sprachlos. Und fühlte mich auch unheimlich schlecht. Während ich in dieser verdammten Traumwelt gefangen war kümmerte sie sich in der realen Welt um mich und den Schutz der anderen Leute, führte dabei Kämpfe, regelrechte Schlachten an. Sollte nicht eigentlich ich der Held in dieser Geschichte sein? Derjenige, der die Prinzessin aus den Klauen des Bösen befreite? Anscheinend hatte man mit mir wohl die falsche Entscheidung getroffen, denn darin versagte ich wirklich ungemein. Stattdessen besetzte ich viel mehr die Rolle der Jungfrau in Nöten.

    Ich wollte, dass Impa weitererzählte, was sie dann auch ohne weiteres Zögern tat: „Wir haben einige Zeit mit dem Versuch verbracht dich wieder aufzurappeln, aber obwohl dein Körper irgendwann wieder vollkommen gesundet war wolltest du einfach nicht aufwachen. Irgendwann haben wir dann herausgefunden, dass Ganondorf deinen Geist in dieser Traumwelt gefangen hält. Also haben wir alles Mögliche versucht, um mit dir Kontakt aufzunehmen, was uns dann auch alsbald gelang. Die Eule Methusa, die dich zuerst aufgeklärt hat, ist ebenfalls einer von uns, der seine Magie genutzt hat, um mit dir zu sprechen. Er war es, der herausgefunden hat, wie du aus dem Traum ausbrechen kannst. Nun bin ich an der Reihe dich zu unterstützen. Kommen wir also gleich zur Sache, immerhin habe ich auch nicht mehr allzu viel Zeit.“

    Meine Mühe nicht von dieser Welle an Informationen und neuen Kenntnissen erschlagen zu werden war wirklich groß, aber ich ließ mir nichts anmerken. Allerdings war ich noch immer vollkommen aufgeregt und aufgekratzt, wovon mein erhöhter Puls sicherlich ein ganzes Lied trällern konnte. Unterdessen beobachtete ich Impa dabei, wie sie ein wenig in ihrer Tasche herumkramte und schließlich ein reichlich verziertes Kästchen hervorholte, dass sie mir dann auch in die Hand drückte. Natürlich konnte bei den Verziehrungen kein Abbild des Triforce auf der Oberseite fehlen. Etwas unsicher blickte ich zu Impa auf. „Na los, mach es auf“, ermutigte sie mich. „Na schön“, meinte ich dazu und öffnete dieses langsam. Es war von innen komplett mit weichem, rotem Putz gefüttert. Zusätzlich lag darin ein weiches Kissen in einer ähnlichen Farbe, auf welchem in einer kleinen Einsenkung eine makellose, weiße Perle positioniert lag. Ich konnte gar nicht glauben, was ich da in Händen hielt. „Ist das…?“, fragte ich, mehr zu mir selbst als zu ihr. Ich traute mich gar nicht die Perle anzufassen, aus Angst ich würde sie zerbrechen. Aber da hielt ich ihn nun in Händen, den ersten Gegenstand. Sprachlos hob ich meinen Blick. „Vielen, vielen Dank, wirklich“, meinte ich ehrlich. Impa winkte ab, meinte, ich müsse mich nicht bedanken, was sie tat wäre doch selbstverständlich. Empfand ich nicht so, aber ich beließ es dabei und war einfach nur froh endlich einen der zwei Gegenstände in meinem Besitz zu wissen. Behutsam schloss ich das Kästchen wieder und legte es auf dem Tisch ab.

    „Nun, ich denke es ist Zeit für mich zu gehen“, sagte Impa und stellte sich für ihr klappriges Aussehen meines Erachtens nach etwas zu schnell auf. „Man sieht sich“, verabschiedete sich, voll davon überzeugt, dass ich diese Hürde meistern konnte, dass ich auch noch den fehlenden Schlüssel auftreiben und endlich erwachen konnte. Und ich konnte nicht leugnen, dass ich ebenfalls mit neuer Zuversicht gestärkt wurde.

    Doch ich hatte noch eine Frage, die auf meiner Zunge brannte. „Warten Sie noch“, wollte ich sie aufhalten, was sie mit „Was auch immer dich beschäftigt, nur raus damit. Aber es muss schnell gehen“, entgegnete. Ich schluckte einmal und stellte mich ebenfalls auf. Schließlich fragte ich: „Warum haben diese ganzen Leute, diese… Kämpfer sich auf so eine Schlacht eingelassen, nur um mich zu retten? Ich meine... was versprechen sie sich davon?“ Impa setzte ein warmes Lächeln auf und trat auf mich zu. Behutsam legte sie eine ihrer Hände auf meiner Schulter ab und schaute mir in die Augen. „Du kannst dir wohl einfach nur noch nicht vorstellen, was für einen besonderen Stellenwert du für sie… für uns hast. Du bist eine Ikone, ein Symbol der Hoffnung, der Held, der uns alle schon seit Urgezeiten rettet. Viele würden dir bedingungslos überall hinfolgen, denn sie vertrauen darauf, dass du auch dieses Mal unsere lang herbeigesehnte Rettung sein wirst. Nicht nur für sie alleine, sondern für das gesamte Königreich, dass damals zerfallen ist und nun wieder beginnt aufzuleben.“ Toll. Jetzt fühlte ich mich auch gar nicht unter Druck gesetzt. Wie konnten sie nur so leichtsinnig sein und ihr Leben, ihr Vertrauen in die Hände einer Person zu legen, die sie noch nicht einmal kannten? Einer Person, die seiner Bestimmung bisher mit Erfolg eben nicht nachgegangen ist? Einer Person, die in nichts gut zu sein schien, außer dem Versagen?

    Impa nahm ihre Hand wieder zurück, ich senkte unterdessen meinen Blick. Was sollte ich dazu sagen? Ich hatte keine Worte dafür. Deshalb war es wieder Impa, die ihre Stimme erhob: „Ich sehe, du hast Zweifel. Aber glaube mir, jeder Held hatte sie. Irgendwann wirst du über sie hinauswachsen. Wir alle sind uns sicher, dass du diesen Kampf gewinnen kannst.“ „Woher wollt ihr das wissen?“, warf ich ihr entgegen und richtete meinen missmutigen Blick gegen sie.

    „Deine Augen verraten es.“ Verwirrt hob ich meine Augenbrauen. „Was meinen Sie?“, fragte ich. Und sie erklärte: „Die Augen sind der Spiegel deiner Seele, man kann eine Menge durch sie erfahren, wenn man weiß, wie sie zu deuten sind. Ich sehe in deinen viele Zweifel, Ängste, Unsicherheit, Verwirrung, Schuldgefühle… aber dennoch ist in ihnen auch wilde Entschlossenheit zu erkennen. Ich sehe Heldenmut, Charakterstärke, Kampfgeist, Stolz. Alles Attribute, Eigenschaften, die nötig sind, um diese Bürde stemmen zu können. Du kannst es schaffen, wir glauben alle daran. Nun musst bloß noch du daran glauben.“ Noch bevor ich irgendetwas dazu sagen konnte löste sie sich vor meinen Augen in Luft auf. Ihre Ansprache hatte wirklich einen tiefen Eindruck auf mir hinterlassen.

    Nach einer kurzen Pause des Stillschweigens schaute ich herüber zu der Kiste mit der Perle, wobei mir der Kakao ins Auge fiel, den Impa mir zuvor noch zubereitet hatte. Ein tiefer Seufzer entglitt meiner Kehle, dann sprach ich zu mir selbst: „Jetzt ist ein guter Moment für etwas Süßes.“


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    Das wars. Ab diesem Punkt ist mir einfach nichts mehr eingefallen und ich bin auch heute noch rat- sowie lustlos. Hooray ._.