Völlig erschöpft und ausgelaugt ließ ich mich auf dem weichen Sofa in unserem Wohnzimmer nieder. Ich war mit Sicherheit noch nie so dankbar darüber gewesen einfach mal sitzen zu dürfen und nichts zu tun. Ein erleichtertes Stöhnen entglitt meiner Kehle, als ich endlich gemütlich saß, und sofort ließ ich mich nach hinten fallen. Mein Fuß war in einen dicken Gips verpackt worden, der aus mindesten zehn Bandagen bestand. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Der Arzt hatte absolut Recht, die Schmerzmittel waren verdammt stark. Ich spürte meinen Fuß gar nicht mehr, so, als wäre dort einfach gar nichts, als hätte ich dort nie einen Fuß gehabt. Dazu kam noch, dass ich mich zugedröhnt fühlte wie sonst was. Dabei hatte ich nur eine Tablette genommen! Was war da denn bitte schön drin? Wenn ich so darüber nach dachte war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte. Zelda setzte sich neben mich und starrte mich belustigt an. Ich musste wohl sehr bekifft ausgesehen haben, daran bestand kein Zweifel. So fühlte ich mich auch! Nicht, dass ich rauchen würde, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man genauso drauf sein musste, wenn man zu viele Zigaretten auf einmal hatte – und zwar die von der harten Sorte…
Bevor ich die Medikamente eingenommen hatte, hatten Zelda und ich mit meinem Onkel über Zeldas ‚kurzweiligen’ Aufenthalt in unserem Haus gesprochen. Zu unserer Erleichterung hatte es keine große Diskussion gebraucht um ihn umzustimmen, er hatte ja sogar unnatürlich schnell eingewilligt. Am nächsten Tag wollten wir noch ihre Klamotten von ihrem Haus holen. Zunächst sollte niemand weiteres von dem Tod ihres Vaters erfahren, dessen waren wir uns relativ einig. Mit der Zeit würde sich das schon geben… hofften wir jedenfalls.
„Hey, Link.“ Eine mir vertraute Stimme drang an mein Ohr, dazu kam noch, dass mich etwas an der Seite anstupste. Ein murriges Geräusch wurde von mir abgelassen, während ich langsam meine Augen öffnete. Bloß verschwommen war die Silhouette eines Mannes vor mir zu erkennen. Mit benebeltem Verstand versuchte ich mich ganz vorsichtig auf meinem weichen Untergrund aufzurichten und blinzelte immer mal wieder, um ein klares Sichtfeld kriegen zu können. Ich musste eingenickte sein, als ich so gemütlich auf dem Sofa lag, dazu kam noch, dass die Medikamente mich müde gemacht hatten. Nach nur ein paar Wimpernschlägen konnte ich erkennen, dass mein Onkel vor mir stand. Warum musste er mich denn unbedingt wecken? Noch immer übermüdet rieb ich mir mit meinen Händen über die Augen und ließ meinen Blick zur Seite wandern. Offenbar hatte Zelda auch geschlafen. Ebenfalls benommen starrte sie zuerst mich und dann meinen Onkel fragend an.
„Endlich seid ihr wach“, sagte er. „Hier, trink das.“ Er hielt mir eine Glasflasche mit einer blutroten Flüssigkeit entgegen, welche mit einem Korken verschlossen war. „Was zum Teufel ist das?“, fragte ich und musterte das Gebräu skeptisch. Appetitlich sah es jedenfalls nicht aus. „Erklär’ ich dir, wenn du es getrunken hast“, meinte er nur und sah mich streng an. Genervt nahm ich das Zeug entgegen. Wenn es nicht wenigstens schmeckte würde er das bereuen! Mit einem lauten Seufzer zog ich den Korken von der Flasche und sofort stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. Angewidert schaute ich zu Zelda, die den Geruch auch nicht wirklich gut zu heißen schien.
„Jetzt trink’ endlich! Und zwar alles!“, drängte mich mein Onkel. „Ja doch.“ Ich rollte mit den Augen und nahm einen großzügigen Schluck von dem roten Zeug. Mit großen Augen beobachtete Zelda mich dabei, wie ich das Glas mit jedem Schluck immer weiter leerte. Natürlich schmeckte es widerwärtig. Angeekelt stieß ich Luft aus und konnte beobachten, wie eine kleine rote Wolke aus Atem vor mir entstand, die den Geruch des Tranks mit sich zog. Das Zeug war so widerlich, dass ich am liebsten gekotzt hätte! Ein Würgen wurde von mir abgelassen und ich starrte meinen Onkel leicht entsetzt an. „Was zum Teufel war das denn für ein ekelhafter Mist!“, fragte ich ihn und ich würde mich bestimmt nicht zufrieden geben, ehe ich die Antwort erhielt. „Nun, dieses Gebräu hat über den Lauf der Jahre verschiedene Namen mit sich getragen“, begann er mit seinen Erklärungen. „Heiltrank, rotes Elixier… ich bevorzuge Herztrank.“ Skeptisch musterte ich ihn und zog dabei eine Augenbraue hoch. Wovon redete er das? „Es wirkt besser als jedes Medikament und kann den Heilungsprozess bei jeder Art von Verletzung beschleunigen. Damit wird dein Fuß in Null Komma Nichts geheilt sein.“ Unsicher starrte ich meinen Fuß an. Es wäre zwar schön, wenn es stimmte, allerdings wunderte es mich mehr, wieso ich noch nie etwas von diesem „Wunderheilmittel“ gehört hatte.
„Verzeihen Sie, Tom…“ „Bitte, duz’ mich doch“, unterbrach mein Onkel das Wort von Zelda. Sie nickte und sprach weiter: „Wieso verfügst du über solch ein Mittel?“ Erwartungsvoll starrte ich ihn an. Auch mich interessierte die Antwort brennend. „Ja, und warum kennt es sonst niemand? Wer weiß wie vielen Menschen mit diesem Zeug geholfen werden könnte!“, fügte ich noch hinzu. „Es ist ein Familiengeheimnis. Selbst wenn ich es der Öffentlichkeit präsentieren würde, das Heilkraut für den Trank existiert schon lange nicht mehr, es hätte also keinen großartigen Nutzen für den Rest der Welt. Ich selbst habe davon nur noch fünf Flaschen. Sie dienen bloß für den absoluten Notfall.“
Er setzte sich mir gegenüber und musterte mich von oben bis unten. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Körper breit. Aber mein Onkel hatte tatsächlich Recht. Jetzt, wo ich den Trank getrunken hatte, fühlte ich mich viel lebendiger und voller Energie. Vorsichtig versuchte ich meinen verletzten Fuß zu bewegen und es funktionierte, auch wenn es noch immer leicht schmerzte. Erstaunt machte ich große Augen und starrte meinen Onkel irritiert an. „Es gibt noch mehr Tränke dieser Art“, erzählte er weiter. „Aber ihre Wirkung ist uns im Moment noch nicht von Nutzen.“ Er seufzte einmal tief und ließ seinen Blick zwischen mir und Zelda hin und her schweifen.
„Link, Zelda… ich muss euch etwas erzählen. Hört mir aufmerksam zu!“
Er machte eine kurze Pause, vermutlich überlegte er, womit er anfangen sollte. Unsicher sahen Zelda und ich uns an, ehe wir meinen Onkel erwartungsvoll anstarrten.
„Ich weiß sehr gut über alles Bescheid. Über unsere Herkunft, das Zeichen auf euren Handrücken, ja sogar darüber, dass das Schicksal großes für euch vorherbestimmt hat.“ Mit einem Mal hatte ich noch größere Augen, als ohnehin schon. Ich brauchte einen Moment um den Sinn seiner Worte zu verstehen.
„Du wusstest das? Und warum hast du mir nie davon erzählt?“ Ich wurde wütend. Sehr wütend. Es war mein Schicksal, meine Bestimmung, mein Leben! Ich hatte ein Recht darauf zu erfahren woher ich stamme, was mir bevorsteht und auch darauf, wer ich bin! Wieso wurde es mir verschwiegen? Wieso war alles so furchtbar kompliziert?!
„Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Link… Wissen ist Macht, aber Wissen kann auch gefährlich werden. Sobald du eingeweiht bist steckst du komplett in der Sache mit drin und es gibt für dich kein zurück mehr!“
Ich schluckte. Auch wenn es mir nicht gefiel, aber ich musste mir eingestehen, dass er Recht hatte. Beschämt starrte ich zu Boden. Ich hätte ihn nicht anschreien dürfen.
„Hat das Ganze etwas mit dem Buch zu tun, dass sich mit Link… ‚vereint’ hat?“, fragte Zelda vorsichtig. Mein Onkel nickte. Woher wusste er von dem Buch? Davon hatte ich bis jetzt niemanden erzählt, außer Zelda. Aber ich beschloss nicht zu fragen. Eigentlich war die Antwort selbsterklärend. Wahrscheinlich wusste er von der Existenz dieses Buches bereits und auch davon, dass es eine wichtige Rolle spielte. Oder so ähnlich.
„In dem Buch wurde ein Reich namens Hyrule erwähnt. Was hat es damit auf sich?“ Zelda war deutlich die Neugier anzumerken. Ihre Augen strahlten vor Wissensdurst. Ich selber war mir nicht so sicher, ob ich noch mehr erfahren wollte, aber das Verlangen nach klaren Antworten besiegte mich schließlich doch.
„Hyrule ist ein Königreich, das vor sehr langer Zeit einmal auf dieser Welt existiert hat. Aber nach einem schrecklich Krieg ging das Reich zu Grunde.“ „Weshalb fand dieser Krieg statt?“, fragte ich. Man führte einen Krieg immerhin nicht völlig umsonst, jedenfalls nicht, wenn man noch halbwegs bei Verstand war. „Das weiß man heute nicht mehr genau, aber es müsste sich um einen Glaubenskrieg gehandelt haben. Wie ihr sicher bereits wisst verehrten die Hylianer drei Göttinnen. Allerdings zogen eines Tages Andersgläubige in das Reich ein und wollten durch einen Kreuzzug den ‚heidnischen’ Glauben verbannen, im ihre eigene Religion durchsetzen zu können. Die Waffen der Feinde waren viel fortschrittlich als die der Hylianer. Sie hatten keine Chance. Viel Blut wurde vergossen und nur die königliche Familie mitsamt einigen wenigen konnten fliehen und überleben.“ Das klang wie Geschichtsunterricht für mich. Stöhnend schlug ich mir meine Hände auf das Gesicht. „Das ist alles so kompliziert“, jammerte ich und ließ mich nach hinten fallen.
„Eine Frage hätte ich da noch“, sagte Zelda und verschränkte ihre Arme. „Und die wäre?“, fragte mein Onkel und starrte die Blonde erwartungsvoll an. „Wie kommt es, dass sich niemand mehr an diese Zeit erinnert? Egal wie lange das alles her ist, es muss doch ein paar Überbleibsel geben. Ruinen, Schriften, Malereien… irgendwas, dass auf die Existenz dieses Königreichs hinweist!“
„Das ist eine berechtigte Frage. Die Antwort ist eigentlich recht simpel. Sie lautet: Magie.“
Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch und starrte meinen Onkel skeptisch in die Augen.
„Das soll doch ein Scherz sein, oder?“ „Aber nein! Ihr habt in dem Buch doch mit Sicherheit auch gelesen, dass die Hylianer der Magie mächtig waren, vor allem die Prinzessin verfügte über mächtige Kräfte. Nach ihrem Entkommen versiegelte sie die Erinnerungen an das Reich in den Menschen. Sie verschaffte sich Zugang zum heiligen Reich und wünschte sich von dem Artefakt der Göttinnen – dem Triforce – dass Hyrule und alle Hinweise auf dessen Existenz ausgelöscht werden sollten. Da die neue Bevölkerung keine Magie praktizierte, ging auch der Gebrauch dessen verloren. Die wenigen Überlebenden siedelten sich in einem kleinen Dorf, weit weg von dem Rest der Welt, an und überlieferten ihre Geschichte von Generation zu Generation, allerdings sollte sie unter den Familienmitgliedern bleiben und nicht an die Außenwelt getragen werden. Den Grund für das Handeln der Prinzessin kenne ich allerdings nicht, doch ich vermute, dass sie weitere Auseinandersetzung vermeiden wollte. Ob es eine andere, bessere Lösung gegeben hätte, weiß ich ebenfalls nicht, aber ich zweifle nicht an ihrer Tat, denn die Prinzessinen Hyrules waren immer voller Weisheit.“
Ich war mir mit der ganzen Sache immer noch nicht so sicher. Selbst wenn ich spitze Ohren oder ein Dreieck auf meinem linken Handrücken hatte und selbst wenn ich Träume hatte, in denen ich drauf gehen könnte, ja sogar selbst wenn ich gerade einen Zaubertrank getrunken hatte… es wirkte einfach unwirklich. Nicht real. Egal wie lange ich schon träumte, ich konnte es immer noch nicht glauben. Wie konnte so etwas Wirklichkeit sein? Magie, Auserwählte, Göttinnen, Artefakte, Monster, Helden, Prinzessinnen… das klang wie eine Fantasygeschichte! Wie der Plot eines Filmes und ich war die Hauptrolle!
„Wie lange weißt du schon, dass etwas im Gange ist?“, fragte ich meinen Onkel. Seit ich angefangen hatte zu träumen verhielt er sich anders als sonst. Er war ruhiger, besorgter, vorsichtiger, nicht so, wie ich ihn kannte.
„Seit ich euch Beide abgeholt und ins Krankenhaus gefahren habe weiß ich es sicher, vorher hatte ich bloß Vermutungen. Weißt du noch wie ich reagiert habe, als du mir zum ersten Mal von Zelda erzählt hast, Link?“ Ich erinnerte mich noch sehr gut daran. Als ich ihren Namen erwähnt hatte war er schlagartig ruhiger geworden, die Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen und er war plötzlich wie geistesabwesend. Vorsichtig nickte ich, als Antwort auf seine Frage.
„Nun, es war mir von Anfang an klar, dass du eines Tages auf ein Mädchen namens Zelda treffen würdest. Aber in diesem Moment kam es so plötzlich und unerwartet. Ich hatte Angst, dass die „Zeit reif“ sein könnte, da ich gehofft hatte, dass zumindest deine Kindheit ruhig verlaufen würde. Nur ich war mir nicht sicher, es hätte auch bloß ein Zufall sein können, dass sie ebenfalls Zelda heißt. Aber als ich sie dann gesehen habe, war ich mir wirklich sicher, da du ja auch spitze Ohren hast, Zelda. Ihr müsst wissen, die ‚Prinzessinnen des Schicksals’ aus Hyrule trugen immer den Namen Zelda. Unter deinem Pflaster hast du mit Sicherheit auch dasselbe Dreieck wie Link, nicht war?“ Zelda starrte auf die Hand mit dem dicken Pflaster, sagte allerdings nichts dazu. „Dein Schweigen deute ich als ein ‚Ja’“, sagte mein Onkel.
Prinzessinnen des Schicksals… aber Zelda war doch keine Prinzessin, zwar eine Nachfahrin des Königshauses von Hyrule, aber dieses existierte schon lange nicht mehr. Wobei das ja nichts heißen musste. Ich warf einen kurzen Blick zu Zelda rüber, nur um zu sehen, wie sie auf die Informationen reagierte. So wie es aussah war sie zwar verwirrt, aber sie konnte die Fakten viel leichter verarbeiten und akzeptieren als ich. Zumindest sah es für mich so aus.
„Die ‚Zeit reif’?“, fragte Zelda etwas spöttisch. „Was passiert denn, wenn die ‚Zeit reif’ ist?“ Diese Frage konnte ich mehr als nur nachvollziehen. Was war damit gemeint? Erwartungsvoll starrte ich meinen Onkel an und wartete auf eine Erklärung. Er antwortete nicht sofort, ließ sich Zeit, um die passenden Worte finden zu können.
„Euch jetzt davon zu erzählen könnte gefährlich werden.“ Mit diesen Worten war es amtlich. Wir wurden zum Narren gehalten. Man erzählte uns etwas von Auserwählten und Schicksal, wollte aber nicht erklären, was denn nun Schlimmes passieren sollte. Aufgebracht stöhnte ich und verschränkte meine Arme. „Kannst du es nicht wenigstens im Groben sagen?“, fragte ich ihn. Immerhin wollte ich wissen, WARUM ich auserwählt sein sollte und WIESO das alles her passierte.
„Nun…“ Mein Onkel ließ sich immer noch ganz schön Zeit. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, das Thema war kompliziert, aber ich war schließlich nicht unbedingt für meine Geduld bekannt. Nervös und angespannt begann ich bereits mit meinem gesunden Fuß auf den Boden zu tippen, was ich immer tat, wenn ich dabei war vor Ungeduld zu platzen.
„Ich denke, ich kann euch folgendes erzählen…“ Zelda und ich hoben gleichzeitig unsere Köpfe und hörten ihm aufmerksam zu. „Laut der Legende geschieht immer etwas, wenn der Auserwählte und die Prinzessin sich treffen. Egal in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, egal für wie gut und wie lange, dass sie einander kennen hat immer eine größere Bedeutung. Ob die Geschehnisse allerdings gut oder schlecht sein werden, das vermag leider keiner vorauszusehen.“
Unsicher starrten Zelda und ich uns in die Augen, dabei schluckte ich einmal kurz und unmerklich. Wenn das stimmte, dann stand uns noch einiges bevor…