Der größte und tiefste See Hyrules gibt dieser Region ihren Namen. Ruhig und glatt wie ein Spiegel, glasklar und reich an Fischen präsentiert sich der Hylia-See stets seinem Betrachter. Eine gewaltige Brücke überspannt das riesige Gewässer von Nordwest nach Südost, die Hylia-Brücke. Ihre besten Zeiten hat sie schon hinter sich; einige Pfeiler sind bereits eingestürzt und auch die beiden Türme sind bereits erodiert. Einst soll der See das Zuhause von Farodra dem Donnerdrachen gewesen sein, doch das ist nur ein weiteres Märchen um diesen schönen Ort.
Das gesamte Gewässer wird von grünen Hügeln umgeben, auf denen saftiges Gras wächst. Südlich des Sees entspringt der Kolar-See einer Quelle und wandert als Evandra-Fluss ins Meer, zwischen den Hügeln gibt es weite Ebenen, mal mit üppigem Grün, mal mit karger Savanne. Während das Nordufer bereits die nördliche Grenze des Bezirks bildet, erschließt sich das Gebiet im Süden bis zum Meer von Phirone. Es gibt hier viele Pferdeherden, jedoch nur wenige Einwohner.
------
Anyanka lehnte an einem Fels am Wegesrand unweit des Südturms der Hylia-Brücke. Tristan döste im Schatten; den linken Hinterhuf hatte er angewinkelt und die langen Ohren hingen träge herunter. Endlich schien die Sonne wieder, endlich ist es wieder warm genug. Vor sich hatte sie alle Kleider ausgebreitet damit sie in der Sonne trocknen konnten. Es war ein schöner Sommermorgen, und doch war das Herz so schwer. Es ist die richtige Entscheidung; eine Entscheidung für Tristan. Du wusstest doch, dass dieser Tag irgendwann kommen würde! Anya und Tristan hatten zwei wirklich schlimme Wochen hinter sich. Der Dauerregen hatte wirklich alles von ihnen abverlangt, doch ganz besonders von ihrem lieben Gefährten. Eigentlich wusste sie es schon, seitdem er sich vor einem Jahr ein Stein in die Hufe eingetreten hatte. Da wurde ihr zum ersten Mal klar, welche Belastung es eigentlich für ihn sein musste.
Tristan war ihr Esel; ihr einziger Begleiter. Die einzige Kreatur, die sie dauerhaft an ihrer Seite ertrug. Sie konnte ihm alles anvertrauen und er beschwerte sich nie. Er folgte ihr immer überall hin, doch vor allem trug er alle Waren und machte es ihr so möglich, ihr geliebtes Leben als Nomadin führen zu können. Wie würde es nur weitergehen ohne ihn?
Dicke Tränen rannen über ihr Gesicht. Es ging nicht mehr, sie konnte nicht weiterhin so selbstlos sein und so tun, als wäre der Moment nicht gekommen.
Vor über sechs Jahren kreuzten sich ihre Wege völlig unerwartet. Damals besuchte Anyanka zum ersten Mal in ihrem Leben Akkala. Zwischen den bunten Laubbäumen stand ein langohriger Esel, der sich geduldig an Mähne und Schweif ziehen ließ - von einem kleinen Kind, das den Esel offenbar als Spielzeug betrachtete. Seine Mutter stand daneben und betrachtete das Geschehen.
"Guten Tag", begrüßte sie Anya. "Entschuldigung, aber ich musste gerade an meine eigene Kindheit denken. Meine Eltern haben eine Eselzucht in Hebra und ich habe auch immer mit den Tieren gespielt. So geduldig und ruhig waren diese aber nie!"
Anya lächelte die Frau aufgeschlossen an, doch diese drehte sich nur so halb zu ihr hin, ihr Blick ruhte aber weiterhin auf ihren Sohn. "Ja, aber damit wird bald Schluss sein. Ich kann es mir nicht mehr leisten, einen Esel zu versorgen. Ich gehe wieder mit einem Kind und das Heu wird immer teurer. Ich werde ihn abgeben müssen." Eine Weile schwieg die Frau, dann sagte sie: "Kennst du dich mit Eseln aus? Möchtest du ihn vielleicht mitnehmen?"
Anya war verblüfft über dieses plötzliche Angebot. Damals hatte sie sich gerade von ihrem alten Zelter trennen müssen, nachdem dieser auf nassem Felsgestein ausgerutscht war und sich übel verletzt hatte. Seither wanderte sie mit einem Rucksack und einem Karren umher, was durchaus anstrengend war. Die Frau bemerkte ihre Verblüffung und ergänzte: "Für zwei Opale gehört er dir."
"Jetzt sofort?"
Die Frau nickte und trat einen Schritt näher an sie heran. Während sie sprach, konnte Anyanka ihre schiefen Zähne sehen. "Es würde mir ehrlich gesagt eine riesige Last abnehmen, wenn du ihn gleich nehmen würdest. Es wird jeden Tag schwieriger, ihn zu versorgen."
Einen Opal und 150 Rubine später hatte Anya auf einmal einen Esel. Die Frau verriet ihr noch, dass sie ihn Tristan genannt hatte. Für Anya war das Thema damit erledigt.
Doch heute wünschte sie sich, sie hätte wenigstens mal nach dem Alter gefragt. Wer weiß, wie alt Tristan schon war. Es konnte gut möglich sein, dass sie einen Opa durch Hyrule zerrte, der sich in Wahrheit nur noch quälte. Sie sah ihn an, sah dabei zu, wie er im Schatten graste und dabei die Augen geschlossen hielt. Es sah jetzt im Moment jedenfalls nicht danach aus, als ginge es ihm schlecht. Er schien glücklich mit der Wärme zu sein. Aber Anya wusste es besser. Vor 33 Tagen brachen sie am Stall der Schlucht nahe der Gerudo-Wüste auf. Gerade als sie die Digdok-Brücke erreicht hatten, brach der Himmel über sie zusammen. Sie mussten rennen, um den sintflutartigen Regenfällen zu entkommen. Doch Tristan schaffte das nicht mehr und legte sich einfach hin, mitten im Regen, mitten im Sturm. Es dauerte fast drei Stunden, bis er wieder aufstand und dann nur langsam weiter trottete. Und während der gesamten zwei Wochen gab es immer wieder so eine Situation wie diese. Das war der Moment, in dem Anya klar wurde, dass sie sich von Tristan würde verabschieden müssen. Nun waren sie auf dem Weg nach Angelstedt und Tristan liebte Angelstedt. Als sie das letzte Mal da waren, wieherte er vor Glück, schubberte seinen Rücken an den Palmen und jagte den Käfern und Echsen hinterher. Eines Abends rannte er sogar hinter dem Hund her, bis dieser völlig erschöpft war. Angelstedt war sein Paradies. Jetzt musste sie es nur schaffen, die Leute dort davon zu überzeugen, einen alten Esel aufzunehmen. Doch sie hatte schon eine Idee, wie sie das anstellen konnte.
Anya schaute in den Himmel und versuchte, anhand des Sonnenstands die Tageszeit abzuschätzen. Wahrscheinlich war es bereits vormittags, wenn sie sich beeilten, konnten sie bis zum Einbruch der Dunkelheit den Stall am See erreichen. Allerdings mussten sie nun noch durch Finras Wald und dann weiter durch das dichte Djungelgebiet Phirones. Der Weg war nicht ganz ungefährlich. Sie holte tief Luft, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sammelte ihr Hab und Gut ein. Tristan verstand sofort, trottete auf sie zu und wartete, bis sie ihm die Gepäckstücke aufgeladen hatte. Mein toller Tristan, du hast dir einen schönen Lebensabend verdient.