Mitten im dichten Djungel von Phirone bietet sich Reisenden und Spaziergängern eine schöne Möglichkeit zu rasten und zu verweilen: der Stall am See.
Er ist einer der ältesten Ställe Hyrules und einer der beliebtesten. Jedenfalls war das vor der Verheerung so, als man noch ohne um sein Leben zu fürchten im Floria-See baden gehen oder von einer der riesigen Klippen ins Wasser springen konnte. Wo einst Schulklassen ihre Ausflüge machten und frisch vermählte Paare ihre Flitterwochen verbrachten, wachen nun Monster am Wegesrand und machen Jagd auf naive und sich überschätzende Abenteurer.
Der Stall wird heute noch von Spirituellfaszinierten frequentiert, da einst Farodra der Donnerdrache in den Gewässern gelebt haben soll. Viele erhoffen sich wohl Erkenntnisse und sicher auch Begegnungen mit diesem mystischen Wesen, welches man aber getrost zu den Fabelwesen zählen kann, denn schließlich hat nie jemand einen Drachen gesehen. Einen Besuch ist der Stall aber trotzdem wert. Zum einen wird der Gast hier von Bob betreut, dem Stallbetreiber mit ausgesuchter Höflichkeit. Und zum anderen finden sich in unmittelbarer Umgebung einige wertvolle Ressourcen wie Schwertbananen, Maxi-Durian und Ausdauerkäfer.
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Es war natürlich bereits weit nach Mitternacht, als Anya völlig erschöpft den Stall am See erreichte. Tristan lahmte seit dem Nachmittag und so ging es ab da an nur schleppend voran. Immerhin waren sie unterwegs nicht auf irgendwelche Monster getroffen, es könnte also schlimmer sein. Obwohl sie auf der Stelle hätte einschlafen können, musste sie sich nun erstmal um ihren Esel kümmern. Sie band Tristan fest und sattelte ihn ab. Danach nahm sie einen Lappen aus der kleinen Ledertasche, reinigte ihn noch einmal kurz und trocknete das schweißnasse Fell ab. Anschließend striegelte sie es sauber und entfernte gründlich alle Sandkörner, Blätter und was sich eben sonst noch alles im rauen Haar ihres Süßen verfangen hatte. Zuletzt kratzte sie noch die Hufen aus und fand den kleinen Zweig, der wohl für sein Lahmen verantwortlich war und zupfte ihn weg. Als sie damit fertig war, ging sie zum Tresen, um sich ordnungsgemäß anzumelden und ein Unterstellplatz und Futter für Tristan sowie ein Abendessen und ein Bett für sich selbst zu ordern. Bob, der Stallbesitzer, schnarchte laut in seinen dichten grauen Bart hinein. Anya musste schmunzeln. Immer, wenn sie hier am Stall war, sah sie dasselbe Bild, egal ob sie spät nachts oder mitten am Tage hier ankam. Sie räusperte sich etwas und klopfte auf den Holztisch.
Sofort stand Bob auf seinen zwei Beinen, taumelte und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. "Ich muss wohl eingeschlafen sein", brummelte er und gähnte. Es dauerte seine Zeit, bis er wieder in dieser Welt war und ratterte seinen gewohnten Text runter. "Guten Tag, äh Abend hier am Stall am See. Wir freuen uns über ihren Besuch. Was kann ich ihnen... oh... Anya? Ich glaub es nicht! Anya, was für eine Freude!"
"Hallo Bob, schön dich zu sehen", freute sich Anya. "Kann ich Tristan hier unterstellen und etwas Hafer für ihn bekommen? Und gibt es noch Reste vom Abendessen und ein schönes weiches Bett für mich?"
"Aber na klar, selbstverständlich! Für dich natürlich zum Freundschaftspreis!" Glücklicherweise schlief heute Nacht niemand hier, sonst wäre derjenige garantiert wach geworden, so laut redete Bob. "Wie geht es dir? Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen... Wie lange ist es schon her?"
"Ach bestimmt schon ein Jahr oder so. Ich weiß es nicht mehr. Ich bin auf der Durchreise und möchte nach Angelstedt. Dort muss ich versuchen Tristan abzugeben. Er ist inzwischen zu alt für den Job." Traurig blickte sie zu ihrem Esel, der immer noch angebunden war und inzwischen ein Nickerchen machte. "Ich hasse es. Ich will ihn gar nicht weggeben. Aber er schafft das nicht mehr." Anya musste sich zusammenreißen. Tränen hatte sie eh schon keine mehr, also schüttelte sie kurz ihren Kopf und sah wieder zu Bob. "Ich bringe ihn schnell zum Unterstand."
Kurz darauf saß Anya am Tisch im Stall und aß. Es gab Eintopf mit Zwiebeln, Möhren und ein bisschen Fleisch. Er war nicht besonders gut gewürzt, aber darauf kam es jetzt auch nicht an. Bob schlief inzwischen auch wieder. Er war einfach mitten im Gespräch weggenickt. Hungrig schlang sie alles runter, wusch sich danach, legte eine Notiz auf den Tresen mit dem Vermerk, dass sie gern gegen 8 Uhr geweckt werden wollte und legte sich ins Bett.
Sie träumte wirres Zeug. Sie war bei ihrem Bruder, aber er war viel größer als sonst und sah irgendwie monströs aus. Und sie waren weder in Tabanta-Dorf noch in Hateno, eigentlich kannte sie den Ort überhaupt nicht. Gerade als sie versuchte, mit ihrem Bruder zu sprechen, rüttelte eine große schwere Hand ihre Schulter. "Guten Morgen. Es ist 8 Uhr. Zeit zum Aufstehen." Anya hätte schwören können, dass sie eben erst eingeschlafen war. Ihre Beine schmerzten und ihr Nacken auch. Es dauerte einige Minuten, dann richtete sie sich auf und streckte sich. Als sie sich gewaschen und angezogen hatte, trat sie hinaus und genoss das Sonnenlicht und die Wärme. Sie liebte das so sehr, dass sie manchmal selbst kaum glauben konnte, dass sie im kalten Hebra geboren und aufgewachsen war. Kälte war so gar nichts für sie. Als Tristan sie bemerkte, wieherte er aufgeregt. "Guten Morgen, mein Held. Hast du gut geschlafen?" Sie ging zu ihm rüber und krauelte ihn hinter den Ohren. "Ich hab dich lieb!" Im Unterstand waren noch 4 Pferde untergebracht, aber da Anya der einzige Gast im Stall war, wunderte sie sich darüber. "Bob, warum hast du so viele Pferde hier?"
Er zuckte mit den Schultern. "Naja, vor einigen Tagen kam ein Reisender vorbei, der gleich zwei Tiere hier abgegeben hatte. Er meinte, er braucht sie nicht mehr. Ich weiß, dass Joren vom Stall am Hochland gerade zwei Pferde benötigt, da ihm seine entlaufen waren. Aber ich muss warten, bis er das nächste Mal hier vorbeischaut." Bob und Joren waren Freunde seit frühen Kindertagen und versuchten stets, sich gegenseitig zu unterstützen. Anya kam gut mit Bob aus, aber zu Joren hatte sie nur einen dünnen Draht. Er war manchmal etwas zu grob mit seinen Tieren umgegangen und das gefiel ihr nicht. "Aber ich weiß nicht, wie lange ich so viele Tiere versorgen kann." Bob sah ratlos aus.
Anya grübelte seit Tagen, wie sie all ihre Waren transportieren konnte, wenn Tristan nicht mehr an ihrer Seite war. In Angelstedt gab es Milchkühe, sonst nichts. "Bob, ich könnte dir den großen Blauen abkaufen."
Er macht große Augen und runzelte die Stirn. Dabei konnte man zwei große Narben auf seiner Stirn sehen, die er sich schon als Kind zugegezogen hatte, nachdem er von einem Baum gefallen war. "Hast du denn so viel Geld?" Das war wirklich eine gute Frage. Anya zählte ihre Rubine und kam zu dem Entschluss, dass sie diese Investition mache musste. Selbst mit Freundschaftsrabatt kostete sie der Aufenthalt mit allem Drum und Dran 260 Rubine. Das war schon ziemlich happig, aber eine bessere Lösung hatte sie nicht."Hat er einen Namen?", fragte sie, als sie eine Proberunde mit dem Pferd gedreht hatte.
"Es ist eine Stute. Sie hat aber keinen Namen, soweit ich weiß. Du kannst sie gerne registrieren lassen. Für 20 Rubine..." Anya blickte Bob besorgt an. "Ach, weißt du was? Ich schenke sie dir."
"Du bist ein Schatz, Bob! Ich nenne sie Seven. Kannst du sie eintragen?"
Kurze Zeit später half Anya noch dabei, den Unterstand auszumisten und die Tiere zu versorgen. Dann kochte sie noch einen guten Schmorrbraten mit Erbsen und Pilzen. Schließlich war sie mit allem fertig, sattelte ihre Tiere und packte ihre Sachen zusammen. Dann ging sie zu dem kleinen gedrungenen Mann, der so ein herzensguter Mensch war, drückte ihn ganz doll und versprach auf dem Rückweg nochmal kurz anzuhalten. Dann setzte sich Anya mit ihrem kleinen Konvoi in Bewegung. Seven trug die ganze Last plus sie selbst und Tristan trottete ohne Gepäck fröhlich hinter ihnen her. Vielleicht würde sie am Abend Angelstedt erreichen.