Akkala {Region}

  • Anya war sehr zufrieden. Natürlich meldete sich unaufhörlich die Alarmglocke, die Teil ihres Gewissens war. Zu vieles schien hier perfekt zu laufen; so ganz spontan und zufällig. Es war sehr seltsam und nach allem, was sie durchgemacht hatte, hieß Perfektion und Glück immer, dass schon bald eine Katastrophe folgen würde. Andererseits hatte Symin versprochen, dass die Yiga mit ihrer Jagd auf sie aufhören würden und bis jetzt hatte er Wort gehalten. In den ganzen vielen Wochen waren sie nicht einem Yiga begegnet, zumindest wussten sie nichts davon. Die konnen sich ja als harmlose Landstreicher oder sorglose Reisende tarnen, was sie sicher auch taten. Aber Anya hatte ihnen ihren Dolch zurückgegeben und damit so etwas wie Frieden geschlossen.

    Und bisauf die Yiga fielen ihr keine kriegerischen Stämme ein. Halunken, Diebe und Betrüger gab es sicher trotzdem und das unter allen Völker, Stämmen und Rassen Hyrules, aber insgesamt schien ihr die Welt zurzeit friedlich. Und wieso nicht auch mal Glück haben?

    Zoltan ließ ihr dankenswerterweise den Vortritt für die Abenddusche. Er hatte ein Bad am Morgen genommen und beide hatten sich den Tag über nicht großartig körperlich verausgabt. Anya hingegen freute sich über das warme Wasser, das von oben auf ihre Schultern herunterlief. Es hatte etwas, denn der Sternhimmel leuchtete über ihrem Kopf, während ein paar harmlose Schleierwolken dahinzogen. Der Waschbereich war sehr gut abgeschirmt, doch ein bisschen zog der kräftige Wind zwischen den schmalen Ritzen der aufgestellten Wände und so war die Dusche schnell vorbei, bevor sie sich eine Erkältung einfangen konnte.


    Zurück im Wagen hatte es sich Zoltan bereits gemütlich gemacht. Anya schmunzelte darüber, dass er seine Sachen nicht einfach irgendwo hingeworfen hatte, sondern er sie akkurat gefaltet auf einen der Holzstühle hingelegt hatte. Sein Kopfkissen hatte er zusammengeknautscht und lehnte mit dem Rücken dagegen, die Arme gelassen hinter den Kopf verschrenkt. Auch Anya konnte es kaum erwarten, wickelte sich aus ihrem Handtuch raus und krabbelte unter die Decke. Er streckte einen Arm aus und Anya legte ihren Kopf auf diese tolle Kuhle zwischen seiner Schulter und Brust. Ein tiefer Seufzer entglitt ihr und sie war sich sicher, dass niemand in ganz Hyrule gerade bequemer lag. Dann zog sie ihren Mundwinkel nach oben und legte ihre Hand auf seinen Bauch. Zoltan zuckte heftig zusammen. "Verdammte Hölle, was ist DAS?"

    "Meine Hände sind kalt und du bist so schön warm!"
    "Och nööö!"

    "Und meine Füße auch."

    "Wag es nicht!", zischte Zoltan und zog die Beine an. Anya kiecherte. Es dauerte einen Moment, doch dann entspannte er sich wieder. Zaghaft streckte er die Beine wieder gerade aus. Anya zog sich die Bettdecke bis zum Kinn und lächelte, während sie ihre Augen schloss und Zoltans Atmung und seinen Herzschlag hörte. Gab es etwas schöneres? Er hatte seinen Arm um sie geschlungen und für sie gab es jetzt gerade keinen sicheren und schöneren Ort, als diesen. Neben ihr könnte die Verheerung ausbrechen; es würde sie nicht interessieren.


    Eine Weile des Schweigens verging.


    "Manu hat uns zum Frühstück eingeladen. Morgen früh um 10. Das ist wohl immer der erste Termin eines jeden Tages hier im Zirkus. Alle sitzen dann zusammen und besprechen den Tag."

    "Dann wirst du vermutlich auch die unbeschreibliche Freundlichkeit der anderen Artisten erleben dürfen."

    "Wahrscheinlich."

    Zoltan drehte seinen Kopf zu ihr und vergrub sein Kinn und seinen Mund in ihren Haaren. "Wir könnten hier aber auch einfach liegen bleiben."

    "Das wäre toll. Aber ich glaube, dann müssten wir wohl wieder ausziehen und die nächste Nacht wieder irgendwo in einem Zelt schlafen."

    "Dann lieber Frühstücken, oder?

    "Hmmm-mhhh."

    Anyas Hände waren inzwischen aufgewärmt und erneut legte sie ihre Hand auf seinen Bauch. Dieses Mal zuckte er nicht. Sein Bauch war hart wie ein Stein, da war kein Gramm Fett dran. Allerdings spürte sie auch seine Rippen und es schien ihr, als wären sie deutlicher zu fühlen, als früher. Er hatte abgenommen und sie auch. An ihr war es ihr schon länger aufgefallen. Natürlich sorgte sie für Essen, so gut es eben ging. Aber es gab oft Tage, da fingen sie nur Fische. Und manchmal ernährten sie sich nur von Äpfeln und Beeren, da sie gar kein Fleisch hatten.

    "Du weißt, dass ich Freiheit immer wollte. Und nun habe ich Freiheit. Ich liebe es, die Welt zu sehen und es gibt bestimmt noch hunderte Orte, die ich noch nie gesehen habe. Aber nun bist du an meiner Seite und in letzter Zeit..." Anya rappelte sich auf und setzte sich hin. "In letzter Zeit fühlt es sich so beschwerlich an. So gnadenlos. Jetzt liege ich hier mit dir in einem normalen Bett in einem Planwagen und es fühlt sich an, als ob ich im Schloss Hyrule bin, als es noch ein prunkvoller Ort war. Ich spüre hier Sicherheit und Freude. Mir graut es schon, wenn ich irgendwann dieses hier hinter mich lassen werde."

    Ein Moment verstrich, dann nahm sie Zoltans Hand. "Sei ehrlich zu mir, mein Liebling: Möchtest du ewig in Zelten schlafen, Hunger haben und hoffen, dass sich niemand von uns verletzt?" Anyas Stimme brach ein bisschen. Für Zoltan musste das jetzt überraschend wirken, aber die Wahrheit war, dass sie das schon länger beschäftigte. Irgendwie schämte sie sich auch dafür, weil sie so sprunghaft war. Aber es machte nun auch keinen Sinn, ihm nichts von ihren Zweifeln und Sorgen zu erzählen. Er war ihre bessere Hälfte und es gab niemanden in Hyrule, dem sie mehr vertraute. Zögerlich suchte sie seinen Blick während sie hoffte, er würde ihr Zittern nicht bemerken.

  • Da war er wieder: Der anya'sche Stimmungswechsel, an den sich Zoltan mittlerweile gewöhnt haben sollte, der ihn aber trotzdem immer wieder unerwartet aus dem Hinterhalt ansprang. Eben noch hatte sie ihn mit ihren kalten Gliedmaßen veralbert, nun saß sie da, mit hängenden Schultern, und stellte ihre derzeitigen Lebensumstände, die doch immerhin ihr eigener Wunsch waren, infrage. Vor ein paar Monaten, als sie auf dem Plateau waren, hatte Zoltan ihr gegenüber bereits angedeutet, dass dieses Vagabundenleben keine langfristige Option sein kann. Dass sie irgendwann Fuß fassen und sich eine sichere Existenz aufbauen mussten. Ihre Reaktion darauf war alles andere als wohlwollend, und er hatte dieses Thema ihr gegenüber nie wieder angesprochen. Obwohl, ja, obwohl es in den vergangenen Wochen immer wieder an ihm nagte. Aber dies war nicht der Zeitpunkt, sie zu belehren und Ich will ja nicht sagen, ich hab' es dir gesagt, aber ich hab' es dir gesagt zu sagen. Nein, er erkannte an ihrem Blick, dass sie jetzt seine Zuversicht und sein Verständnis brauchte. Er setzte sich so auf, dass sie sich gegenübersaßen, und umschloss ihre Hände mit seinen.


    Dann will ich ehrlich zu dir sein. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Es beschäftigt mich genauso wie dich. Wir haben da draußen nicht genug zu essen, keine medizinische Versorgung und überhaupt keine Ahnung, wohin das alles mal führen soll. Wir leben in den Tag hinein, ernähren uns von dem, was wir gerade so finden und leben in einem Zelt, das nicht mehr allzu viele Unwetter überstehen wird. Ich weiß, dass du dieses Gefühl der Freiheit liebst. Ich tue es selbst, aber... sind wir wirklich frei, wenn unser bloßes Überleben von so vielen Faktoren abhängt? Seufzend blickte Anya zur Seite und brauchte einige Momente, ehe sie antwortete.

    Wie ich es gerade erklärte habe, irgendetwas hat diese Unterkunft in mir ausgelöst. Es ist keine bitterkalte Holzhütte im Tabantha-Dorf, keine Abstellkammer, in der ich auf einem schimmeligen Strohsack schlafe und kein Zelt im Freien. Es ist so... menschenwürdig. Etwas, von dem ich bisher nicht wusste, dass ich es haben will, weil ich es nicht kannte. Geht es dir da nicht ähnlich?


    Zoltan dachte nach. Nun, er hatte zumindest die ersten 15 Jahre seines Lebens in einem halbwegs komfortablen Haus verbracht. Diese Erinnerungen waren jedoch schwammig, denn danach ging es steil bergab. Bei den Yiga hatte er eine feste Unterkunft, aber diese war, gelinde gesagt, nicht sehr gemütlich. In guten Nächten schlief er auf einer steinernen Pritsche. In schlechten Nächten, wenn er das Missfallen seiner Lehrmeister auf sich zog, war es ihm lediglich vergönnt, im stehen an eine Wand gelehnt zu schlafen. Sein Geschick im Umgang mit dem Schwert kam nicht von ungefähr. Das Privileg, auf jener steinernen Pritsche schlafen zu können, musste sich im Training hart erarbeitet werden. Schlampereien wie die falsche Beinhaltung oder die falsche Drehung des Handgelenks wurden nicht geduldet. Danach kamen die Jahre auf der Flucht. In denen er nicht einmal den Komfort einer Zeltplane über dem Kopf genoß, sondern einfach mit dem Rücken am möglichst bequemen Baumstamm schlief. Immer mit einem offenen Auge, auf der Hut vor dem Feind. Die Mühle in Hateno war noch in Ordnung, aber das stetige Geratter des Triebwerks hatte ihn so manche Nacht beinahe in den Wahnsinn getrieben. Ja, er gab Anya Recht: Das hier war etwas durchaus erstrebenswertes. Etwas, das sie haben könnten, wenn sie wollten. Er legte behutsam seine Hand in Anyas Nacken und führte mit seinen Fingern massierende Bewegungen aus, als könnte er so etwas von der Brutalität dieser jähen Erkenntnis von ihr nehmen.


    Mir geht es da sogar sehr ähnlich. Aber mach dir keine Sorgen. Wir müssen das nicht alles heute Nacht durchsprechen, ich bin froh, dass wir überhaupt einmal auf dieses Thema gekommen sind. Für die nächsten paar Tage sind wir gut aufgehoben, hoffe ich zumindest. Danach sehen wir weiter. Und wir werden es irgendwie zusammen schaffen. Daran glaube ich. Mein Wunsch wäre es, irgendwo Stabilität zu finden. Mir etwas aufzubauen, auf das ich am Ende meines Lebens mit Stolz zurückblicken kann. Und was immer das sein wird, will ich mit dir gemeinsam aufbauen.

    Anya wandte sich ihm zu und lächelte leicht.

    Woher hast ausgerechnet du plötzlich einen solchen Optimismus? Zoltan erwiederte das Lächeln.

    Ganz einfach, das Leben kann sich zum Guten wenden. Willst du mal eine lustige Geschichte hören? Vor einiger Zeit traf ich in Angelstedt eine Frau, die mir fast ihren Bananensaft ins Gesicht geschüttet hätte und fest entschlossen wirkte, mich nie wieder sehen zu wollen. Ich hätte nie geglaubt, dass ich kaum zwei Jahre später mit dieser Frau einmal unbekleidet unter einer Decke liegen und mit ihr über unsere gemeinsame Zukunft sprechen würde. Aber jetzt tue ich es. Anya sah ihn belustigt an.

    Das ist aber eine ziemlich aufregende Geschichte, neckte sie. Zoltan nickte.

    Oh ja, das ist sie... Er legte seine Lippen an ihre Stirn und drückte einen sanften Kuss drauf.

    Und ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wie sie weitergeht.

  • Auf Anyas Gesicht breitete sich ein erleichtertes Lächeln aus. Zoltan machte so vieles mit, meist ohne zu klagen. Heimlich hatte sie sich schon oft gefragt, ob er sich nicht langsam dachte, dass ihm das alles viel zu anstrengend mit ihr war. Vielleicht hatte er in ihr anfangs ein nettes Mädchen gesehen, mit der er endlich eine normale Zukunft haben konnte. Doch inzwischen musste er sich vorkommen, wie in einem nicht aufhörenden Albtraum, weil dieses nette Mädchen eine maulige Ziege war, die ihm ständig nur sagte, was er zu tun und zu lassen hatte. Doch er blieb immer bei ihr. Nie drohte er damit, sich auf Atreyus Rücken zu schwingen und abzuhauen; obwohl er locker irgendwo in Hateno oder Angelstedt ein ganz normales Mädchen hätte finden können, die sich etwas dankbarer für seine Mühen zeigte. Aber nein, er blieb.


    Und nicht nur das. Er ging ihren Weg mit, trotz all den Entbehrungen, die das mit sich brachte. Nie ließ er seine Launen an ihr aus. Nie.


    Zoltan legte sich hin und zog sie mit, sodass sie beide wieder zusammengekuschelt im Bett lagen. Ein letztes Mal schaute sich Anya um. Draußen wehte bestimmt immer noch ein kräftiger Wind, doch davon war hier kaum etwas zu merken. Schließlich merkte sie, wie sie die Müdigkeit überkam und das letzte, woran sie dachte war, dass sie hoffentlich morgen immer noch hier liegen würde. Sie hoffte, dass es nicht ein Traum war, hier zu sein.


    Und als Anya Stunden später ihre Augen öffnete, lag sie immer noch in diesem Bett. Spatzen saßen oben auf dem Dach des Planwagens und piepsten fröhlich, die Sonne schien bereits. Es dauerte einen Moment, aber dann bemerkte sie, dass ihr Rücken überhaupt nicht wehtat. Zum ersten Mal seit Wochen bohrte sich kein Stock in ihr Kreuz und zum ersten Mal seit längerem lag Zoltan noch neben ihr. Er war wach, lag aber noch im Bett und starrte an die Decke. Als er merkte, dass sie wach war, lächelte er ihr zu. "Guten Morgen. Schnarchi."

    Für einen Moment lächelte sie zurück, bis sie begriff, was er gerade gesagt hatte. Dann riss sie die Augen auf und wollte direkt lautstark protestieren, doch Zoltan kiecherte, lehnte sich zu ihr rüber und gab ihr einen Kuss.


    Einige Zeit später standen beide auf, beide verschmitzt lächelnd. So konnte man den Tag auch starten, dachte Anya. Keiner sagte etwas und Anya bereitete sich gedanklich auf den kommenden Tag vor. Nun galt es erstmal, die Feuerprobe zu bestehen. Zoltan hatte am Abend schon erwähnt, dass die Stammartisten gelinde gesagt nur wenig begeistert davon waren, dass sie nun Teil der Gemeinschaft waren. Anya war gespannt, ob das nur die übliche und erwartbare Anfangsskepsis war, oder ob sie wirklich so feindseelig waren, wie sie befürchtete.

    Sowohl Anya als auch Zoltan hatten reichlich Erfahrung damit, Außenseiter zu sein, die stets nur geduldet wurden, wenn überhaupt. Doch würde es eben vieles sehr viel einfacher machen, wenn die anderen sich mit der Tatsache einfach abfinden konnten, dass beide für einige Tage Teil der Gruppe wurden.


    Sie kramte eine lange dunkelblaue Hose aus ihrem Rucksack, ein graues Tanktop und zog ihren Poncho drüber. Dann öffnete sie die Plane und erblindete fast, weil die Sonne ihr direkt ins Gesicht schien. Eine angehme herrliche Luft kam ihr entgegen und der leichte warme Wind spielte mit ihren Haaren. Zoltan trat direkt hinter ihr aus dem Planwagen heraus und verschwand im Waschbereich und Anya entschied sich, erstmal ein paar Schritte zu gehen.


    Jetzt, wo der gesamte Festplatz menschenleer war, wirkte er riesig. Von dem Unrat, den die Gäste zweifellos hinterlassen haben mussten, war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte der Platzwächter alles aufgeräumt, von dem Manu ihr erzählt hatte. Anya beschloss zu den Pferden zu gehen und nach dem rechten zu sehen. Und beiden ging es gut. Jemand hatte ihnen einen großen Bottich Wasser hingestellt und etwas Heu ausgelegt. Es war kaum zu glauben! Manu musste ihr den Platzwächter unbedingt zeigen; für so viel Hingabe und Mühe musste sie sich unbedingt bedanken.


    Jetzt würde sie sich noch frisch machen und dann war es sicher auch bald Zeit für das gemeinschaftliche Frühstück. Die Nervosität stieg. Anya macht sich auf den Rückweg.

  • Nach all den Wochen und Monaten, in denen er stets darauf angewiesen war, sich in eher kalten Gewässern zu waschen, war die warme Dusche für Zoltan eine hervorragende Abwechslung. Am liebsten hätte er ewig dort gestanden und einfach nur das Wasser auf sich herabprasseln lassen, doch seine Freude wehrte nicht lang.

    Savotta, erklang es plötzlich links von ihm. Zunächst dachte Zoltan, Anya hätte beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten und drehte sich mit einem halben Grinsen auf dem Gesicht um. Dann fiel ihm ein, dass Anya kein Gerudo sprach. Und genau dies war der Fall: Eine Gerudo hatte scheinbar ungeniert den Waschraum betreten und begann ebenfalls, sich zu duschen.

    Was zur...? fluchte Zoltan, und schneller, als ein Mensch blinzeln konnte, hatte er nach seinem Handtuch gegriffen, es sich um die Hüften gebunden und war aus dem Duschraum gestürmt. Eilig schlüpfte er in seine Sachen, entschlossen, diesem peinlichen Moment zu entfliehen. Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg zum Speisezelt der Mitarbeiter, in dem bald das Frühstück beginnen sollte. Meine Güte, er würde Anya warnen müssen, dass dieses Zirkusvolk offenbar nicht viel auf Intimsphäre gab. Der Morgen hatte ausgesprochen gut angefangen, doch nun hatte seine Stimmung einen Dämpfer erhalten. Er hatte nur einen sehr kurzen Blick auf seine ungebetene Besucherin werfen können, war sich jedoch sicher, dass es sich um dieselbe Gerudo handelte, die gestern Abend in der Manege stand.


    Viel war im Zelt noch nicht los. Ein paar Helfer waren damit beschäftigt, das Buffet aufzubauen, und vereinzelt saßen einige der Artisten auf den Bänken. Unnötig zu erwähnen, dass keiner von ihnen Zoltan eines Blickes würdigte. Falls ihre Launen sich, wie Johann vermutet hatte, über Nacht doch noch gebessert hatte, merkte man davon nichts. Er suchte sich einen Platz möglichst weit am Rand und beschloss, auf Anya zu warten. Vielleicht lag es an der unangenehmen Begegnung im Waschraum, aber irgendwie war er gerade ziemlich nervös und konnte nicht still sitzen. Möglicherweise war Anya noch bei den Pferden, also würde er dort sein Glück versuchen. Wenn nicht, könnte er zumindest Atreju eine Viertelstunde seiner Zeit entbehren. Also verließ er das Speisezelt wieder und trat den Weg zum Pferdeverschlag an. Auch hier war keine Spur von Anya. Zu seiner Freude registrierte Zoltan jedoch, dass ihre Pferde bestens versorgt waren, mit einem freudigen Schnauben begrüßten sie ihn.


    Eine Weile verbrachte er damit, Atrejus Fell zu striegeln, als ihn jemand von hinten ansprach und ihn herumfahren ließ. Es war wieder Santiana. Was sollte das? Stellte sie ihm etwa nach? Wenigstens war sie dieses Mal angemessen bekleidet.

    Was da vorhin passiert ist, tut mir wirklich sehr leid. Ich hatte nicht die Absicht, dich zu belästigen, sprach sie mit ihrer tiefen, melodiösen Stimme. Du musst wissen, dass wir Gerudo im Umgang mit Waschräumen ein wenig unvorsichtig sind, da unser Volk nur aus Frauen besteht. Es fällt mir immer schwer, mich an die hylianischen Sitten zu gewöhnen und daran zu denken, dass ich hier versehentlich auf einen Vooi in der Waschkammer stoßen könnte. Ich erbitte nochmals deine Verzeihung.

    Zoltan, der eigentlich so tun wollte, als würde er die Frau nicht beachten, hatte sich während ihrer kleinen Ansprache wieder seinem Pferd zugewandt.

    Na, wenn das so ist: Entschuldigung angenommen, erwiederte er ohne die Spur einer Interesse, das Gespräch länger als nötig aufrecht zu erhalten. Absolut großartig. Der einzige von den Artisten, der ihm Beachtung schenkte, war eine Frau, die ihn erst in Verlegenheit brachte und ihm dann bis zu den Ställen nachlief. Nun wünschte er wirklich, er hätte Anya hier angetroffen. Santiana schien von seinem Unmut jedoch unbeeindruckt und redete weiter.

    Jedenfalls hatte ich gehofft, dich für einen Moment anzutreffen. Gestern Nacht sprachen die Geister meiner Ahnen zu mir, und sie übermittelten eine Botschaft für dich.

    Zoltan machte sich weiterhin nicht die Mühe, sich herumzudrehen. So langsam beschlich ihn das Gefühl, dass man sich hier einen dämlichen Scherz auf seine Kosten erlaubte.

    Wie nett, antwortete er betont gelangweilt. Und was haben die Geister der Ahnen mir so dringendes mitzuteilen? Wir mögen dich nicht, sieh zu, dass du Land gewinnst?

    Seine Schroffheit brachte seine unfreiwillige Gesprächspartnerin jedoch nicht aus der Ruhe.

    Es ist eine kurze Botschaft, deren Bedeutung auch mir nicht klar ist. Ich weiß nur, dass du sie empfangen sollst. Sie lautet Der Vater wird sich am Feuer verbrennen.

    Jetzt wurde es wirklich albern. Ärgerlich wandte er sich nun doch um.

    Das tut mir wahnsinnig leid für den "Vater", aber da werde ich ihm auch nicht helfen können. Ich habe jetzt wirklich keine Lust auf solchen Hokuspokus, okay?

    Ein mildes Lächeln schlich sich auf Santianas Gesicht.

    Du glaubst nicht an meine Gabe, Zoltan Smith aus Hateno? Zoltan verengte seine Augen.

    Woher, um alles in der Welt...? Außer Anya gab es so ziemlich niemanden, der seinen vollen Namen und seine Herkunft kannte. Die Gerudo sprach weiter.

    Als Jugendlicher bist du von Zuhause fortgegangen, hast dich unrühmlicherweise zu den Yiga verirrt, konntest ihnen aber wieder entrinnen. Du hast jahrelang auf der Flucht gelebt, bist ziellos umhergewandert. Die Dinge stehen mittlerweile wieder gut für dich. Du hast die Liebe gefunden und ich sehe eine strahlende Zukunft. Möchtest du immernoch sagen, meine Verbindung zur jenseitigen Welt wäre Hokuspokus?


    Das war ziemlich harter Stoff. Und definitiv kein blöder Witz, denn wie, zum Teufel, könnte all das das irgendjemand herausgefunden haben? Nun dachte er über diese Prophezeihung, oder was immer das sein sollte, nach. Warum sollte irgendein Vater, der sich verbrannte, ihn interessieren? Sein eigener Vater war lange tot. Allerdings... Anya hatte einen Vater. Sollte er gewarnt werden, dass Bjarne etwas zustoßen würde? Weshalb aber war die Botschaft dann für ihn bestimmt, und nicht für Anya? Er fasste Santiana ins Auge.

    Und du bist ganz sicher, dass deine Geister mir damit etwas mitteilen wollten? Und dieses Ereignis, was es auch sein mag - wann soll es stattfinden? Die Gerudo zuckte mit den Schultern.

    Für gewöhnlich treten die Ereignisse, die meine Ahnen voraussagen, nicht auf die Schnelle ein. Du solltest dir jedoch Gedanken machen, was es zu bedeuten haben könnte und dich vorbereiten.

    Zoltan beendete seine Striegelarbeiten. Er war nicht direkt aufgeregt oder verängstigt, aber wenn das stimmte, dann würde es sicherlich irgendwas mit Bjarne zu tun haben. Außer ihm fiel ihm absolut niemand ein, den er sonst mit dem Begriff "Vater" in Verbindung brachte.

    Wie du meinst. Wenn du mich nun entschuldigst... ich gehe nun zum Speisezelt. Ich glaube, meine Freundin erwartet mich dort schon. Man sieht sich. Und er stapfte an Santiana, die ihm ohne eine Regung im Gesicht hinterhersah, vorbei und wieder in Richtung des Zeltes.


    Er hatte gehofft, Anya noch für einige Momente allein zu erwischen, um ihr von seinem äußerst seltsamen Morgen und dieser Vorraussage zu erzählen. Er hoffte, sie würde ebenso wie er einen kühlen Kopf bewahren und nicht auf der Stelle nach Kakariko reiten, um sich der Gesundheit ihres Vaters zu vergewissern. Doch wie es schien, wurde daraus erstmal nichts. Als er ins Zelt kam sah er zwar Anya, die sich an einer Portion Würstchen mit Rührei zu schaffen machte, doch sie wurde bereits von Raja und Manu in Beschlag genommen, die ihr gegenüber auf der Bank saßen und munter auf sie einsprachen. Eigentlich war Zoltan nicht danach, den ganzen Vormittag lang Gesprächen über Schmuck, Frisuren oder was auch immer zu lauschen. Er erinnerte sich jedoch, dass es Manu gewesen war, die ihnen hilfsbereit den Planwagen zur Verfügung gestellt und sie so mit offenen Armen empfangen hat. Also beschloss er der Höflichkeit halber, sich wenigstens für eine Weile dazuzusetzen und mit Anya und den beiden anderen Frauen zu essen.


    Sie empfingen ihn freundlich, weniger so aufgedreht, wie sie sich gestern offenbar Anya gegenüber verhalten hatten. Auch stellten sie keine bohrenden Fragen oder glotzten ihn an, als hätte er ein drittes Auge auf der Stirn, sondern gaben sich Mühe, mit Anya und ihm ein lockeres Tischgespräch zu führen. Alles in allem machten sie tatsächlich einen netten Gesamteindruck. Als Zoltan sein Frühstück beendet hatte, erhob er sich und verabschiedete sich von beiden. Er beugte sich herunter zu Anya, gab ihr einen Kuss auf die Wange und flüsterte:

    Wenn du nachher fertig bist, warte ich im Wagen auf dich. Ich muss dir etwas erzählen!

    Und damit überließ er sie der Obhut ihrer neuen Kolleginnen.

  • Zoltan hatte recht teilnahmslos beim Frühstück gewirkt; er hatte kaum hingehört. Dabei war es durchaus interessant für Anya gewesen, mal alle Gesichter und Namen vereint zu sehen und sich von jedem einen ersten Eindruck zu verschaffen. Er hatte aber definitiv nicht zu viel versprochen: Die meisten Artisten wirkten verstimmt, als Johann Anya und Zoltan nochmal offiziell in der Runde willkommen hieß und jede einzelne Person vorstellte.

    Zuvor war sie nochmal kurz im Zelt gewesen, in der Hoffnung, dort auf Zoltan zu treffen, doch stattdessen fand sie nur sein benutztes Handtuch auf dem Boden ihres Planwagens. Das sah ihm gar nicht ähnlich, denn normalerweise war er recht penibel, was Ordnung und Sauberkeit anging. Und war er beim Frühstück dagesessen, aß sein Frühstück und verschwand auch wieder.


    Nachdem die Vorstellungsrunde vorbei war, verließen auch einige der anderen das Gemeinschaftszelt, doch Anya nutzte die Zeit, um mit Raja und Manu bei einer gemütlichen Tasse Kaffee alles Wichtige zu besprechen. Erstaunt registrierte Anya, dass ihre Aufgabe gar nicht so schlimm zu sein schien, als sie vorher vermutet hatte. Alles, was sie tun sollte, war ein paar Schmuckstücke zu tragen, den Gästen zu zeigen und allgemein einen höflichen Eindruck zu machen. Raja überließ ihr völlig, wie sie sich kleidete.

    "Naja, eine Bitte hätte ich da schon", warf Manu ein. "Ich würde doch so gern mal schminken und frisieren! Ich hab so viele Ideen und es wäre so toll, wenn du Ja sagen würdest?!" Ihre Augen hatten beim letzten Satz einen so bezaubernden Glanz, dass Anya gar nicht anders konnte, als zuzustimmen.


    Nachdem sich alle drei Frauen sehr angenehm unterhalten hatten, bat Anya schließlich noch darum, ihr den Schmuckstand im Detail zu zeigen, was Manu sehr freute. Raja verabschiedete sich aber bereits mit der Begründung, sie müsse bei den anderen Verkaufsständen nach dem Rechten sehen. Zum Abschied gab es links und rechts ein Küsschen, was auf Anya sehr befremdlich wirkte.

    Manu erklärte ihr, dass sie ihr gern zur Hand gehen würde, falls sie mit dem einen oder anderen kostbaren Stück Probleme hatte. Auf die Frage, woher sie all diese Waren hatten, zuckte Manu mit den Schultern. "Wir kommen eben viel herum, weißt du? Dass wir so wie hier relativ weit weg von jeder Siedlung Station machen, ist eher eine Ausnahme. Meistens sind wir in der Nähe von Dörfern. Und wenn wir Glück haben, können wir dort das ein oder andere Utensil finden. Dazu kommt, dass ich gerne Federn und Muscheln sammle und sie zu Ketten und vieles mehr verarbeite."

    "Das geht mir genauso", antworte Anya. "Ich liebe das sehr und nehme alles mit, was ich finde."


    Irgendwann entließ Manu Anya und verabredete sich für die Abendstunden mit ihr. Bis dahin hatte Anya nun frei und das gefiel ihr sehr. Da ihr der Kaffee so geschmeckt hatte, beschloss sie, nochmal schnell zum Gemeinschaftszelt zu gehen und sich eine Tasse abzuholen. Dieses war inzwischen fast leer, nur eine Gerudo saß einsam an ihrem Tisch und aß ihr Frühstück. Höflich grüßte Anya sie, als sie vorbeiging. Als sie mit ihrer Tasse in der Hand wieder den Rückweg antrat, sprach die Gerudo sie unvermittelt an: "Du bist Anya, stimmt´s?"

    "Das ist richtig. Savotta."

    "Die Neue hier?"

    "Äh ja, zusammen mit Zoltan."

    Die Gerudo nickte und legte den Kopf leicht zur Seite. "Ja genau. Mit dem habe ich gerade geduscht. Komisch, aber nett."

    Aus Anyas Gesicht wurde ein Fragezeichen. "Das kann ja nur heißen, dass du in unserem Waschbereich warst?"

    Die Gerudo erhob sich und seufzte leicht, nahm ihren leeren Teller in die Hand und schaute Anya gelangweilt an. "Euer Bereich, mein Bereich. Wen interessiert das? Ich ging spazieren und hatte spontan das Bedürfnis zu duschen."

    "Nun, dann hoffe ich doch sehr, dass du die nächsten Tage nicht in der Nähe unseres Planwagens spazieren gehst." Betont aufgesetzt grinste Anya die Gerudo an, die einen Kopf größer war, als sie. Ohne eine Reaktion abzuwarten, drehte sich Anya weg und ging zum Planwagen.


    War es das, was Zoltan ihr erzählen wollte? Mulmig war es ihr bei dem Gedanken schon, aber so gut kannte sie ihren Partner bereits, um sich sicher zu sein, dass Zoltan dieses "Erlebnis" sicher nicht angenehm fand. Und damit erklärte sich auch das achtlos zurückgelassene Handtuch.

  • Nachdem Zoltan in den Planwagen zurückgekehrt war, ertappte er sich dabei, dass er nicht wirklich etwas mit sich anzufangen wusste. Sein erster Impuls war, auf Atreju zu einem der beiden nahegelegenen Ställe zu reiten und selbst eine Eilbotschaft nach Kakariko zu schicken, dass Bjarne innerhalb der nächsten Tage nicht in die Nähe von irgendeinem Feuer kommen sollte. Aber mit welcher Begründung? Dass er soeben eine schwammige Prophezeihung gehört hat? Auch wenn sich die Wogen zwischen Anyas Eltern und ihm geglättet hatten, wollte er doch nicht riskieren sie denken zu lassen, der Auserwählte ihrer einzigen Tochter wäre ein Verrückter, der an Wahrsagerei glaubte und sich genötigt sah, bei irgendeinem Verdacht die Hühner aufzuscheuchen. Außerdem wäre Anya nicht sehr begeistert davon, wenn sie erführe, dass er heimlich und ohne sie ihre Eltern kontaktiert hatte.


    Also musste er sich irgendwie anders beschäftigen. Da wäre die Kiste mit Brettspielen. Aber es wäre reichlich witzlos, gegen sich selbst Schach oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht zu spielen. Er verfluchte Hyrule und den Mangel an Möglichkeiten, die es einem Mensch ohne Gesellschaft bot, sich für ein paar Stunden unterhalten zu können. Andererseits: Ihm stand ein Auftritt mit Zurschaustellung seiner Schwertkünste bevor. Was konnte es da schaden, ein wenig zu trainieren? So suchte er eine entlegenere Stelle auf, um ein paar trickreiche Hiebe und Ausweichmanöver durchzugehen. Dabei stellte er zufrieden fest, dass er immernoch ziemlich gut in Form war und er seinen Job würde erfüllen können, ohne sich bis auf die Knochen zu blamieren. Es verging etwas über eine Stunde, bis er sich zurück zum Planwagen machte. Möglicherweise wäre Anya wieder da, und er könnte ihr endlich berichten, was er erfahren hatte.


    Und er traf sie tatsächlich an. Sie saß auf dem Bett und lächelte ihm entgegen. Ein wenig gekünstelt, wie Zoltan fand.

    Oh, hallo, begrüßte sie ihn. Ich bin schnellstmöglich wiedergekommen, um zu hören, was du mir zu erzählen hast. Aber lass uns erst ein wenig plaudern. Wie war die Dusche heute morgen? Zoltan blickte sie entgeistert an. Und wusste, dass sie wusste, was sich ereignet hatte. Fluchend begann er, auf und ab zu laufen.

    Ich wusste es! Diese verdammten.... was haben sie dir erzählt, hm? Wut stieg in seinem Bauch auf. Natürlich war diese Aktion eine Nummer, um ihn ins Bockshorn zu jagen. Und scheinbar war es gelungen. Anya sprach gelassen weiter.

    Nun, ich traf vorhin noch diese Gerudo. Und sie hat mich freundlicherweise darüber informiert, dass du unter der Dusche nicht ganz allein warst. Ist das so? Zoltan nahm einige ruhige Atemzüge. Dann ließ er sich neben Anya auf das Bett fallen.

    Davon wollte ich dir auch erzählen. Unter anderem. Ich stand unter der Dusche, dachte an nichts böses, und plötzlich taucht sie neben mir auf! Ich schwöre dir, ich habe mich sofort aus dem Staub gemacht, bevor sie etwas sehen konnte oder ich etwas sehen konnte! Frustriert ließ er den Kopf hängen. Was war bloß falsch mit diesen Leuten? Erst lockte man ihn mit schönen Worten dazu, bei diesem Spektakel mitzuwirken, und dann spielte man ihm einen dämlichen Streich, der Anya vermutlich denken ließ, er wäre ihr untreu gewesen. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren war ihm zum heulen zumute. Gerade als er dachte, sie würde gar nicht mehr antworten, legte sich ihre Hand auf seine Schulter.

    Ist ja gut, ich glaube dir. Du hast also versehentlich eine Frau nackt gesehen, und sie dich. Deshalb musst du nicht ausflippen und mir gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. Also... du sagtest, das wolltest du mir unter anderem erzählen. Was kommt noch?


    Zoltan hob den Kopf und brachte ein schiefes Lächeln zustande.

    Danke, dass du mir glaubst. Ich glaube ja, das mit dieser Sache unter der Dusche war ein blöder Scherz, um dich gegen mich aufzubringen, aber.... dann wurde es wirklich seltsam.

    Und er erzählte Anya von Santianas Entschuldigung, ihrem beängstigendem Wissen um seine Person, ihrer Prophezeihung und seinen Verdacht, was es damit auf sich haben könnte.

  • Was in Anya innerlich vorging, als Zoltan ihr diese seltsame Geschichte erzählte, war ein absolutes Durcheinander. Reflexartig stand sie direkt auf, vergrub gedankenverloren eine Hand in ihren Haaren und vergaß zu atmen. Zoltan reagierte darauf, indem er seine Hand auf ihre Schulter legte und Blickkontakt suchte. Er umarmte sie, doch schon wenige Augenblicke später löste sie sich wieder und ging ein paar Schritte umher.


    Das machte alles keinen Sinn.


    Es dauerte einen Moment, doch dann fand Anya ihre Stimme wieder. "Was hat denn mein Vater damit zu tun?" Anyas Vater Bjarne war ein völlig normaler Mensch. Noch nie war er eine Schlüsselfigur für irgendwas oder irgendwen; er war ein Bauer und Handwerker eines vergessenen Dorfes am Rande der Welt, der seit kurzer Zeit in Kakariko lebte; einen Dorf, wo alles andere als einfältige Bewohner lebten, die sehr gut auf sich und ihre Gemeinde aufpassen konnten. Für Anya gab es in ganz Hyrule keinen Ort, der ihr sicherer erschien. Natürlich hatte sie wenig Kontakt zu ihrer Familie gehabt und das für sehr lange Zeit, aber sie war sich absolut sicher, dass es keinen Grund für eine sehende Gerudo gab, ihren Vater in einer bedeutungsschwangeren Vision zu sehen. Sie schüttelte mit dem Kopf.


    "Keine Ahnung. Vielleicht geht es hier weniger um Bjarne, sondern eher um dich oder mich. Vielleicht sollen wir von hier verschwinden, um nach Kakariko zu eilen und dort wäre dann irgendetwas." Zoltan sah ratlos aus. Er hob seine Augenbraue, während er das sagte.

    "Wir haben unsere Schulden beglichen. Du hast deinen Frieden mit deiner Vergangenheit gemacht und ich auch. Alles deutet darauf hin, dass die Vereinbarung mit den Yiga hält. Abgesehen davon haben wir mit niemandem sonst einen Konflikt." Anya stockte, biss sich auf die Lippe. "Tom. Tom vielleicht."

    "Absolut unwahrscheinlich", konstantierte Zoltan und Anya nickte.


    Rätselraten brachte sie nicht weiter und sie beschlossen, diese Dame aufzusuchen und zur Rede zu stellen. Anya wusste nicht ganz, was sie von all dem halten sollte. Da war eine Frau, die zufällig zur selben Zeit den privaten Waschbereich von Zoltan und ihr aufsucht, ihm dann ein Märchen erzählt und ganz zufällig beim Frühstückstisch sitzt, als Anya spontan nochmal für einen Kaffee dorthin zurückkehrt. Sicher machte sich die Gerudo bereits einen Spaß da raus. Es könnte alles viel harmloser sein, als es schien. Vielleicht hatte sie die Aktion in Kakariko vor einiger Zeit mitbekommen, oder spätestens die Familienfehde beim Stall der Orni und wusste deshalb so einiges. Das erschien Anya logisch. Aber sie konnte sich nicht erklären, wieso sie Zoltans privatestes Geheimnis wusste. Eine Verehrerin oder Spionin? Oder tatsächlich mit einer visionären Gabe gesegnet, die es lustig findet, Leuten grundlos Angst zu machen?


    Wir werden es herausfinden, dachte Anya.

  • Die Suche nach Santiana erwies sich als Schlag ins Wasser. Obschon überall Schausteller und Händler unterwegs waren, schien niemand gekonnt oder gewillt, ihnen Auskunft über den Verbleib der Gerudo zu geben. Man beschränkte sich auf ein gelangweiltes Schulterzucken oder ein schroffes "Keine Ahnung!". Geschweige denn, dass Santianas nicht eben unauffällige Gestalt irgendwo in Sichtweite geriet. Missmutig überlegte Zoltan, ob es auch eines ihrer außergewöhnlichen Talente war, sich unsichtbar zu machen. Nach einer Stunde erfolgloser Suche kehrten Anya und Zoltan zurück zu ihrem gemieteten Planwagen, wo sie nun auf dem Bett lagen, an die Decke starrten und versuchten, sich einen Reim auf all das zu machen. Sie diskutierten träge hin und her, bis Zoltan nach einer Weile des Schweigens eine Erleuchtung kam.

    Darauf hätte ich eher kommen sollen, murmelte er und setzte sich auf. Sie ist eine Gerudo. Und Gerudo lernen von kleinauf, wie man einen Yiga erkennt. Sie studieren ihre Verhaltensweisen, ihre Mimik und Gestik. Was zwingend notwendig ist, denn die beiden Stämme befinden sich seit Ewigkeiten im Krieg, und die Yiga sind Meister der Tarnung. Natürlich!

    Einmal in Gang gebracht, funktionierte sein logischer Verstand plötzlich wie eine gut geölte Maschine. Er war da etwas auf der Spur, und seine Stimme klang mit jedem Wort erregter.

    Als Johann mich gestern mit den Artisten bekannt gemacht hat, gerieten alle in Aufruhr. Alle, bis auf Santiana. Die stand nur stumm und reglos da und hat mich einfach nur angestarrt. Ohne eine Miene zu verziehen. Als würde sie mich analysieren. Da wusste sie es! Dass sie heute morgen zu mir in die Dusche kam, war kein Zufall oder Annäherungsversuch. Sie wollte sehen, ob ich die Narben trage, die Yiga-Offiziere ihren Novzien zufügen, wenn sie ungehorsam sind oder mangelhafte Leistungen erbringen....

    Ein säuerliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, und nun erhob sich auch Anya in eine sitzende Postion. Ihm entging nicht, dass über ihr Gesicht für einen Moment jener Ausdruck der Traurigkeit huschte, der stets dazukam, wann immer sie einen Blick auf seine Narben warf. Zoltan wurde plötzlich bewusst, dass er ihr soeben indirekt eine Frage beantwortet hatte, die ihr vermutlich schon lange auf der Zunge lag. Darum ging es jetzt jedoch nicht. Bevor Anya weitere Fragen stellen konnte, führte er seine Gedankenkette weiter aus.

    Sie hat Eins und Eins zusammengezählt und mich aus dem Konzept gebracht, um mich dann davon zu überzeugen, dass irgendjemand, der mir nahesteht, in Gefahr ist. Irgendwie... raffiniert, oder?

    Hinter Anyas Stirn schien es ebenfalls zu arbeiten. Schließlich flackerte auch in ihren Augen Erkenntnis auf.

    Das ergibt Sinn. Diese Frau hat einen sehr makaberen Sinn für Humor. Sie liebt es vielleicht, Unheil zu stiften. Immerhin hat sie mir gegenüber behauptet, sie hätte mit dir geduscht... nun guck nicht so!, herrschte sie ihn an, als sie seine schuldbewusste Miene bemerkte, und sprach weiter.

    Vielleicht hatte sie mit ihrem kleinen Scherz auf deine Kosten mehr im Sinn, als dass du einfach nur deine Sachen packst und verschwindest, um irgendwen vor einer angeblichen Gefahr zu retten. Vielleicht dachte sie, dieser Blödsinn würde dich heute Abend, wenn du in der Manege stehst, so sehr ablenken, dass du dich blamierst. Dass Johann dich davonjagt, ohne dir auch nur einen einzigen Rubin zu zahlen. Wäre das nicht ein Lacher für dieses seltsame Volk?

    Zoltan dachte darüber nach. Das klang nach einem ziemlich clever durchdachtem Plan, aber es ergab Sinn.

    Dieses raffinierte Miststück, grollte er. Nunja, es war nicht bewiesen, dass die Theorien, die sie in den letzten Minuten gesponnen hatten, auch tatsächlich der Realität entsprachen. Aber es ergab weitaus mehr Sinn als alles andere.


    Aber trotzdem: Woher kannte sie seinen vollen Namen? Woher wusste sie, woher er kam? Zwar war er viel in Hyrule herumgekommen, jedoch weit davon entfernt, eine prominente Persönlichkeit zu sein. Es sei denn... nun, diese Shiekah-Frau, die ihm am Vorabend aufgefallen war, hatte doch geplaudert. Denn die Shiekah kannten ihn. Der Knoten in seiner Brust, der sich in den letzten Stunden gebildet hatte, lockerte sich nur ein wenig. Wenn Santiana nicht das erreichen konnte, womit sie es mit ihrer Intrige möglicherweise abgesehen hatte, würde sie zur ultimativen Waffe greifen. Dem Wissen darum, dass er einst zu den Yiga gehörte. Er hatte es ihr gegenüber nicht einmal abgestritten, so überrumpelt war er vorhin gewesen. Darum würde er sich jedoch später kümmern. Denn falls niemand in Gefahr war und sie lediglich eine Art persönliches Problem mit ihm hatte, ließe sich das eventuell zivilisiert aus der Welt schaffen.


    Für's erste jedoch konnten Anya und er sich in der Gewissheit wähnen, dass all dies nur ein dummer und makaberer Scherz war. Und sich an dem Erfolgserlebnis erfreuen, das Rätsel gelöst zu haben. Seine Bedenken, dass Santiana nicht doch noch zu einem großen Schlag gegen ihn ausholen würde, hielt er erst einmal zurück.

  • "Ich halte es durchaus für denkbar, dass sie wirklich über übernatürliche Fähigkeiten verfügt", ergänzte Anya nach einer Weile. "Du hattest mir erklärt, dass in einem Zirkus Leute arbeiten, die außergewöhnliche Sachen können. Und das kann ich nach der Vorstellung gestern Abend auch bestätigen. Jeder hier scheint was drauf zu haben, was gewöhnliche Menschen nicht können. Wieso also nicht auch eine sehende Gerudo hier antreffen? Das würde eben erklären, wieso sie über Dinge Bescheid weiß, die geheim sind."

    Zoltan nickte. Schließlich seufzte er und nahm ihre Hand. "Wie sieht denn deine Tagesplanung aus?"

    "Ich habe keine Ahnung. Das Gespräch mit Raja und Manu habe ich geführt und ich weiß, wann ich wie dort am Stand auftauchen muss. Bis dahin ist aber noch Zeit. Ich sitze jetzt auch etwas ratlos hier herum. Die Pferde sind versorgt. Es ist komisch, wenn man plötzlich nichts mehr zu tun hat. Bis vor kurzem waren wir den ganzen Tag damit beschäftigt, uns ums Essen oder ums Zelt zu kümmern. Jetzt haben wir plötzlich Zeit im Überfluss. Seltsames Gefühl. Das hatte ich schon so lange nicht mehr. Es ist Jahre her."


    Zoltan erschien es ähnlich zu gehen. Anya fragte sich zwar, ob er sich nicht irgendwie vorbereiten müsste, aber schien tiefenentspannt zu sein. Offensichtlich hatte er bereits alles geklärt, was es zu klären gab: Wann er wo und wie seine Aufführung darbieten sollte, wie lange und all diese Dinge. Wäre Anya an seiner Stelle, wäre sie schon jetzt total nervös, würde irgendetwas üben und sich warm machen, auch wenn die eigentliche Aufführung noch Stunden hin wäre. Aber typisch Zoltan war davon nichts zu spüren. Eigentlich hatte sie ihn noch nie aufgeregt oder nervös gesehen.


    Da lagen sie nun zu zweit, händchenhaltend auf dem Bett und schwiegen. Anya schwelgte in Erinnerungen. Wohin das Schicksal sie getrieben hatte, war irgendwie seltsam und faszinierend zugleich. Es begann damit, dass sie damals vor Jahren ihre letzten Besorgungen in der Wüstenoase erledigt hatte und noch vor Sonnenaufgang den Rückweg zum Stall der Schlucht antreten wollte, bevor die Sonne sie grillen konnte. Ein komischer Orni namens Qarsaq machte dort Rast und erzählte allen, dass ein starkes Unwetter aufziehen würde; er hätte das auf dem Hinflug gespürt. Er als Vogel würde das spüren und alle anderen Wildtiere, die er sah, verhielten sich auch unruhig, sogar die Monster. Anya schlug die Warnung damals in den Wind. Ein bisschen Regen und Wind waren nichts neues für sie und Tristan. Also zog sie los, doch auf der Digdok-Brücke stürzte der Himmel über sie und ihren Esel ein. Tristan brach zusammen und legte sich hin; lag stundenlang einfach nur da, obwohl sich nach kurzer Zeit unter ihm bereits eine tiefe Pfütze gebildet hatte und Anya Sorge hatte, er würde dort ertrinken. Irgendwann stand er auf und humpelte den Weg bis zum nahegelegenden Stall nur noch hinter ihr her. Dort war alles voll; sämtliche Reisende drängten sich in das Zelt und im Stall war kein Zentimenter mehr Platz. Frierend und weinend musste sich Anya unter einen der Bäume stellen und dort spärlichen Schutz suchen. Dann entschied sie sich, Tristan nach Angelstedt zu bringen und ihn dort von seiner Last zu befreien.

    Und in Angelstedt kauerte ein hagerer, nach Tabak riechender Kerl im Lokal. Und der Typ lag nun neben ihr. Er mit dem Namen Zoltan, von schrecklichen Narben übersäht, wortkarg mit dunkler Vergangenheit. So jemanden hätte Anya früher nicht mal mit dem Arsch angeguckt, aber er war das Beste, was ihr hätte widerfahren können.


    "Wenn du noch fester zudrückst, dann sind meine Handknochen gebrochen und ich werde mich bei Johann arbeitsunfähig melden müssen."

    "Oh tut mir leid!"

    "Kein Problem. Du denkst in letzter Zeit viel nach und bist geradezu in einer anderen Welt, oder?"

    "Ja, gerade dachte ich an Tristan und Angelstedt."

    "Darüber denke ich auch manchmal nach. Ich hätte nie gedacht, dass sich damals dort alles ändern würde."

    Anya überlegte erneut. Daskida. Dieses elende Daskida. Der schlimmste Ort in Hyrule, für sie. Doch objektiv betrachtet auch der schicksalhafteste. "Ich überlege oft, ob ich Tristan besuchen sollte. Doch ohne dich würde ich das nie schaffen. Und so ganz überzeugt bin ich davon nicht, aber es lässt mich nicht los. Aber irgendwie glaube ich langsam, dass ich irgendwann dorthin zurückkehren sollte, um mich dort meinen Ängsten zu stellen." Anya kicherte bitter. "Ich rede immer von meinen Ängsten. Du bist es, der dort fast seinen Tod fand. Es ist so absurd." Schweigen. "Was denkst du heute über diesen Ort und was dort passiert ist? Du hast mir nie davon erzählt."

  • Zunächst wusste Zoltan nicht, wie er reagieren, was er antworten sollte. Es war irgendwie typisch Anya. Wochen- und monatelang schwieg sie sich über etwas aus, und plötzlich, wenn man es nicht erwartete, platzte es aus ihr heraus wie Eiter aus einer Pustel. In seinem Kopf arbeitete es. Bis zu jenem Zeitpunkt war Anya eine Händlerin gewesen. Eine ungetrübte junge Frau, die auf ihren Reisen immer wieder mal erlebt hatte, dass das Leben in der großen, weiten Welt nicht gerade angenehm war, doch mit dem Tod hatte sie es vermutliche nie zu tun gehabt. Erst recht nicht mit einem Tod, den sie selbst herbeigeführt hatte. Und dennoch hatte sie sich in jener Nacht Cassius entgegengestellt. Um was zu tun? Ihn, Zoltan, zu rächen, weil er sterbend am Wegesrand lag? Es wurde Zeit, dass er ihr nun, da sie es ansprach, erklärte, wen sie da getötet hatte.


    Hör mir zu, sagte er und legte sanft eine Hand auf ihre Wange.

    Ich weiß, dass es dich verfolgt. Und dass du das Bedürfnis hast, damit abzuschliessen. Du musst es nicht. Aber wenn du es möchtest, bin ich bei dir. Aber wenn du es tust, musst du dir einer Sache gewiß sein: Das, was du dort umgebracht hast, war kein Mensch. Es war nichtmal ein Tier. Es war eine Ausgeburt der Hölle.

    Und er erzählte ihr von Cassius. Sein grauenhafter Lehrmeister, der es liebte, Menschen zu quälen und zu töten. Männer, Frauen, Kinder - alles, was bluten konnte, fiel ihm zum Opfer. Und er machte es diesen Opfern nicht leicht, zu sterben. Zoltan musste viele Male dabei zusehen, und Zoltan wurde viele Male aufgefordert, sich an den Abartigkeiten zu beteiligen. Er hatte sich immer geweigert. Sich immer dagegen gewehrt. Das gefiel Cassius nicht, und diesen Unmut ließ er an Zoltan aus. Schläge, Schnitte und Brandwunden waren die Strafe für seinen Ungehorsam. Das Einzige, was den sadistischen Offizier davon abhielt, ihn in Stücke zu reissen und den wilden Tieren der Wüste zum Fraß vorzuwerfen, war seine Freundschaft zu Symin.


    Es gefiel ihm ganz und gar nicht, Anya diese Geschichten zu erzählen, obwohl er die schrecklichen Details ausließ.

    Also, flüsterte er und blickte dabei wieder an die Decke des Planwagens - Du hast in dieser Nacht ein Leben genommen, aber vielleicht hunderte andere gerettet. Wenn du diesen Ort noch einmal bei Tageslicht sehen möchtest, gehen wir meinetwegen dort hin. Dass ich dort fast gestorben bin, spielt für mich eigentlich keine Rolle. Ich habe davon nicht viel mitbekommen. Ich hatte unverschämtes Glück, dass du und Gustl mir hinterhergeilt kamt. Ich persönlich habe keine Angst vor diesem Ort. Das Kalzer-Tal, wo ich all diese Alpträume erleben musste, ist mein persönliches Daskida. Dort will ich nicht mehr hin. Angelstedt jedoch...


    Er seufzte und wandte sich Anya zu.

    Ich reduziere es nicht darauf, dass ich dort in der Nähe beinahe mein Leben verloren hätte. Was mir viel mehr bedeutet ist, dass ich dort den Sinn meines Lebens gefunden habe. Dich. Und so, wie du mich damals gerettet hast, will ich dich retten. Und dich auf diesem Weg begleiten, wenn es das ist, was du brauchst, um damit abzuschließen. Wir müssen nicht sofort dorthin. Aber wenn du bereit bist, bin ich es auch.


    Zur Bekräftigung seiner Worte drückte er sanft ihre Hand. In guten wie in schlechten Zeiten, schoss es ihm durch den Kopf.

  • Das tat wirklich gut zu wissen. Und Zoltan hatte Recht: Es eilte nicht. Wenn man davon absah, dass Tristan womöglich schon ziemlich alt war und womöglich in naher Zukunft versterben könnte. Aber sich dahinzuquälen würde auch niemandem etwas bringen und im Moment würde es noch eine Qual sein. Aber dass sie überhaupt inzwischen darüber nachdachte, verbuchte sie bereits als ersten Schritt in die richtige Richtung.


    Plötzlich gluckste Zoltan, ein Laut, den sie von ihm noch nie gehört hatte. Er schien sich ein Lachen zu verkneifen. "Du warst damals schon ne richtige Zicke, wenn ich so drüber nachdenke."

    Ein ratloser und leicht entsetzter Blick von Anya. Zoltan sah zu ihr herüber und grinste verschmitzt. "Naja, da sitzt man da gelangweilt am Arsch der Welt und betrinkt sich, denkt sich nichts. Plötzlich kommt da so ein Rotschopf herein, alle möglichen Glöckchen bimmelten und klirrten, breit grinsend. Diese Dame bestellte sich ein "Sex on the Beach" und ich verschluckte mich an meinem Getränk. Dann bekam ich eine Haarsträhne ins Gesicht und weg war sie. Draußen plötzlich mürrisch und schlecht gelaunt, gequält von einem Krog."

    Anya grinste sehr breit, ihr Blick an die Decke geheftet. "Oh ja. Dieser komische Typ, der seltsamerweise beschloss, ausgerechnet direkt neben mir seine Frische Luft-Pause zu verbringen, kramte betont lässig in seinem Tabakbeutel und stand dann ganz cool rauchend neben mir."

    "Ja! Vielleicht, so dachte ich mir, könntest du eine sichere Begleitung gebrauchen."

    "Selbstverständlich! Ich würde mir natürlich direkt so einen Schluckspecht mit 5 Achten im Turm dafür auswählen!"

    "Ich sag doch: Zicke."

    "Ich hatte einen Krog! Also was sollte mir schon passieren?" Die letzten Worte kamen nur lachend aus Anyas Mund. Schließlich seufzte sie herzlich. "Ich werde mich mal aktivieren. Es kann ja nicht schaden, den Stand ausgiebig zu begutachten und Manu wollte auch noch irgendwas mit meinen Haaren machen."

    Widerwillig erhob sich Anya aus ihrem Schlafparadis. Wieder fiel ihr ein, dass sie diesen Luxus bitter vermissen würde, wenn die Gastfreundschaft der Zirkusangestellten irgendwann aufgebraucht war. Sie gab Zoltan einen Kuss auf die Wange und machte sich Richtung Stand auf.

  • Den ganzen Vormittag über war Zoltan bewusst gewesen, dass er sich den größten Teil des Tages allein würde vertreiben müssen. Selbstverständlich würde er später noch einmal ein paar Übungen durchgehen, um vor diesem großen Auftritt in Form zu sein. Während er sich so lustig mit Anya unterhalten hatte, kam ihm jedoch etwas anderes in den Sinn. Sie sprachen über ihr erstes Treffen. Damals hatte Anya ihren bevorstehenden Geburtstag erwähnt. Und wenn Zoltans Zeitgefühl ihn nicht täuschte, stand dieser in wenigen Wochen einmal mehr bevor.


    Auch letztes Jahr in Hateno hatte er daran gedacht, allerdings hatte er dort nicht mehr Aufwand betrieben, als ihr während ihrer Schicht im Gasthaus Gesellschaft zu leisten und ihr ein unverschämt hohes Trinkgeld zu geben. Sie hatte sich revanchiert, indem sie an seinem Geburtstag immer dann, wenn Hogbert abgelenkt war, seinen Krug bis zum Rand nachfüllte und ihm dabei einen verschwörerischen Blick zuwarf. Er wusste nicht, wie er es in dieser Nacht zu seiner Mühle geschafft hatte, nur, dass er am nächsten Morgen dort wach wurde und sein Schädel sich anfühlte, als hätten ihn hundert Äxte gespalten.


    Doch nun wollte er Anya etwas besonderes bieten. Nicht einfach nur, weil die Dinge sich zwischen ihnen radikal geändert hatten, sondern auch, weil er nicht so recht wusste, wann sie überhaupt zuletzt einen Geburtstag gefeiert hatte, der ihrer würdig war. Und hier, wo gerade für eine kurze Zeit Händler aus ganz Hyrule mit allen möglichen Waren zusammenkamen, bot sich eine einzigartige Gelegenheit, ihr vorher noch etwas wirklich ausgefallenes zu besorgen. Also so ließ er Anya etwas Vorsprung, und machte sich dann auf den Weg zum Festgelände, wo die Händler bereits eifrig dabei waren, ihre Ware auszulegen und Wechselgeld in die Kassen zu legen.


    Der Schmuckstand, an dem Anya arbeiteten sollte, war nur von Raja besetzt, die ihrerseits damit beschäftigt war, ihren Stand vorzubereiten. Gut, also hatte Manu noch Anya in Beschlag, und er konnte unauffällig Ausschau nach einem passenden Geschenk halten. Schmuck würde es definitiv nicht sein. Zum einen war es zu klischeemäßig, dass ein Mann seiner Liebsten Schmuck kaufte, zum anderen bestand die Gefahr, dass die beiden anderen Frauen sich verplappern würden. Nun, was dann? Er schlenderte umher, und da fiel ihm ein Stand ins Auge, der Bücher verkaufte. Wäre das nicht perfekt? Auch wenn Anya immernoch über Worte und einzelne Buchstaben stolperte, bereitete ihr das Lesen Freude. Er konnte sich vorstellen, dass sie es als großes Zeichen der Anerkennung ihrer Fortschritte betrachten würde, wenn er ihr das erste eigene Buch schenkte. Nur welches? Er ging die Auslage durch. Gedichte, Kindergeschichten, kitschige Romane... da sah er es. Ein hübsches Buch, mit rotem ledernen Einband. Die Geschichten der Recken, verkündete der Titel.


    Es mochte daran liegen, dass sie in einem kleinen Dorf am Rande Hyrules aufgewachsen war, wo man sich nicht viele der Sagen und Legenden Hyrules erzählte, doch hatten diese es Anya scheinbar sehr angetan. Gerade von den Mythen um die fünf Recken, die vor einem halben Jahrhundert gegen die Verherrung kämpften, war sie äußerst angetan. Vielleicht, weil diese heutzutage noch sehr präsent und greifbar waren. Er blätterte ein wenig hindurch und überflog die Texte. Dies waren keine gesammelten Gerüchte und zusammengesponnenen Anekdoten, sondern richtige Biografien über den Krieger Revali, die Gerudokönigin Urbosa, die Zoraprinzessin Mipha, den Goronenlord Daruk und den Träger des Meisterschwertes Link. Besser ging es nicht.


    Da er momentan nicht zahlen konnte - Johann würde ihm seine Rubine erst am Ende der Vorstellungen auszahlen - bat er die Verkäuferin, das Buch für ihn bis zum nächsten Tag zurückzulegen und in grünes Wachspapier einzuschlagen. Zusätzlich ließ er es mit silbernen Schleifen und Bändern verzieren und versprach der Frau fünf Rubine dafür extra. Guter Dinge, ein besonderes Geschenk besorgt zu haben, schlenderte er über das Viertel mit den Gastroständen zurück zur Brücke. Das heißt, er wollte zur Brücke. Doch an einer der Buden, die Getränke anboten, saß der riesige Rasputin. Allein an einem Tisch. Er hatte Zoltans Blick aufgefangen und winkte ihn heran. Eigentlich hatte Zoltan sich vorgenommen, diese komischen Leute zu ignorieren, so gut es ging, nachdem sie ihm einen nicht allzu herzlichen Empfang bereitet hatten. Doch angestachelt dadurch, dass der kräftige Mann ihm ein aufrecht wirkendes Lächeln schenkte, wurde er doch neugierig, und bewegte sich in seine Richtung.