Majora's Mask

  • Nachdem ich meine "Ocarina of Time"-Geschichte fertiggestellt hab, konnte ich es mir nicht verkneifen, mit "Majora's Mask" anzufangen. Offenbar kann ich nicht mehr ohne eine unvollendete Zelda-Geschichte auf meiner Festplatte leben...


    In diesem Sinne: Viel Spaß!


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    Prolog


    Dicke Nebelschwaden zogen zwischen den Baumreihen hindurch und schimmerten im Mondlicht wie von Silberfäden durchwirkt. Unwillkürlich drängte sich Link das Bild gigantischer Geisterbräute auf, die ihre Schleier hinter sich her ziehend durch den Wald liefen, und der Junge zog fröstelnd seinen moosgrünen Umhang fester um seine Schultern.
    Außer der Rufe nachtaktiver Vögel und Eponas gelegentlichem Schnauben durchbrach kein Laut die Nacht und das machte den jungen Recken nervöser als er es sich eingestehen wollte. Die Schenkel fest an die Flanken seines halbwüchsigen Pferdes gedrückt, fragte er sich, seit wann er dermaßen angespannt war, dass er hinter jedem Busch und jedem Stamm eine Bedrohung vermutete.
    Nach seinem Sieg über Ganon hatte der Herr der Zeiten kaum Gelegenheit gehabt, seine Gefühle zu erforschen oder gar zu sortieren.
    Er war erleichtert gewesen, da war er sich sicher, und verwirrt, weil er nach dem Kampf dem Tode näher gewesen war als dem Leben, aber trotzdem noch immer atmete. Dann hatte sich Enttäuschung und das Gefühl, abgewiesen zu werden, in ihm breit gemacht, als Zelda ihm eröffnet hatte, sie wolle ihn in seine Kindheit zurückversetzen.
    Hatte er tatsächlich all die Jahre gekämpft, bloß um am Ende in eine Welt geschickt zu werden, in der die Bedrohung noch immer am Horizont lauerte?
    Link wusste, dass Zelda nur sein Bestes im Sinn gehabt hatte, und er konnte nicht bestreiten, dass ein Teil von ihm sich sehr wohl über die sich ihm bietende Gelegenheit freute. Endlich konnte er gehen, wohin er wollte und tun, was immer er wollte, solange er nicht den Zugang zum Heiligen Reich öffnete.
    Dennoch wurde seine andere Hälfte das Gefühl nicht los, wieder einmal nur benutzt worden zu sein.
    Dieser Teil seiner Persönlichkeit fühlte sich aus seiner Heimat verbannt und hielt dem jungen Helden immer wieder vor, dass er nicht so frei war wie er gerne glauben wollte. Solange er nicht alt genug wäre, das Master-Schwert zu führen, durfe er sich Hyrule nicht mehr nähern – zu groß war die Gefahr, dass Ganondorf ihn in die Fänge bekäme und auf diese Weise doch noch ins Lichtreich gelangen würde.
    Link griff in seinen verzauberten Lederbeutel mit dem unendlichen Fassungsvermögen, der an seinem Gürtel befestigt auf seiner Hüfte lag, und zog die Okarina der Zeit hervor.
    Als er nach seiner Rückkehr in die Gegenwart mit Prinzessin Zelda gesprochen hatte, um sein Wissen bezüglich der Zukunft mit ihr zu teilen und sie in den Plan einzuweihen, den er gemeinsam mit Navi, seiner treuen Fee, ausgeheckt hatte, hatte sie ihm das magische Relikt der hylianischen Königsfamilie in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, es mit auf seine Reisen zu nehmen.
    „Aber Prinzessin“, hatte er ihr geantwortet, „das ist nicht nötig. Ich habe schon den Kokiri-Smaragd bei mir. Ohne ihn kann Ganondorf das Zeitportal sowieso nicht öffnen.“
    Doch Zelda hatte abwehrend mit dem Kopf geschüttelt und insistiert: „Nimm sie mit. Es kann nicht schaden, wenn wir diese zusätzliche Vorsichtsmaßnahme ergreifen. Außerdem…“
    Ein dunkler Schatten war auf das Gesicht der Thronerbin gefallen und sie hatte ihr Gesicht abgewendet, damit Link nicht die Angst in ihren Augen hatte sehen können, „… außerdem kann ich weder dafür garantieren, dass ich meinen Vater von Ganondorfs Absichten überzeugen kann noch dafür, dass wir einen friedlichen Weg finden werden, den Gerudo-König in sein Reich zurückzuschicken. Ich sähe die Okarina wirklich nur ungerne in den Händen dieses Dämons. Also, bitte, nimm sie mit dir!“
    Da Link nicht gewusst hatte, was er darauf hätte erwidern sollen, hatte er schließlich die Okarina der Zeit an sich genommen und sie in seinem Wunderbeutel verstaut.
    Der Herr der Zeiten drehte die magische Flöte zwischen seinen Fingern und fragte sich, wie es inzwischen wohl um Hyrule bestellt war.
    Hatte Zelda ihren Vater überzeugen können, dass der Herrscher des Wüstenvolks eine Gefahr darstellte?
    Und wenn ja, hatte er genügend diplomatisches Geschick besessen, um Ganondorf in seine Heimat zurückzuschicken, ohne dass dieser Verdacht geschöpft hatte?
    Oder herrschte zu diesem Zeitpunkt womöglich Krieg in Hyrule, wie bereits vor dreizehn Jahren?
    Mit einem Stich im Herzen dachte Link daran, dass er nun, da er sich im Exil befand, keine Gelegenheit mehr hatte, mehr über seine Eltern in Erfahrung zu bringen. Sein Vater, Hauptmann der königlichen Garde, war nur wenige Monate nach Links Geburt bei einem Angriff auf Schloss Hyrule ums Leben gekommen. Seine Mutter hatte aus der vom Krieg überrannten Stadt fliehen können, war dann jedoch dem Fluch des Kokiri-Walds erlegen, als sie ihren Sohn zu dem einzig sicheren Ort gebracht hatte, der ihr eingefallen war.
    Link war Jahre lang in dem Glauben aufgewachsen, ein Kokiri zu sein, hatte seine Andersartigkeit jedoch stets gespürt und hatte seine Kindheit als Einzelgänger verbracht. Lediglich Salia hatte etwas Licht in die Dunkelheit seiner Einsamkeit gebracht.
    Und dann war der Tag gekommen, an dem Navi plötzlich aufgetaucht war.
    Der Tag, an dem sich das Schicksal des Herrn der Zeiten offenbart hatte.
    Der Tag, an dem das Blutvergießen und Töten angefangen hatten…
    Link schüttelte sich, als er an all die großen und kleinen Kämpfe dachte, die er in seinem Leben bereits bestritten hatte. Epona, die das Erbeben seines Körpers spürte, bog den Hals herum und stubste den Jungen mit ihrer samtigen Schnauze sanft gegen das Knie.
    „Ist schon in Ordnung, mein Mädchen. Mir geht’s gut.“ Link tätschelte ihr beruhigend die Halsseite, was ihr ein erfreutes Schnauben entlockte.
    Doch obwohl die Reaktion seines Pferdes dem Knaben ein Lächeln entlockt hatte, konnte sie nicht seine düsteren Gedanken vertreiben und Link krallte seine Finger fester um Zügel und Okarina, als er an den Tag dachte, an dem sich die konstante nervöse Anspannung die ihn noch immer fest im Griff hatte, in seinem Herzen festgesetzt hatte.
    Es war der Tag, an dem er erkannt hatte, dass Navi verschollen war…

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    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • Maskenkobold


    Nachdem Zelda die beiden Abenteurer in ihre Kindheit zurückgeschickt hatte, hatten Link und Navi beschlossen, sich aufzuteilen.
    Link hatte sich zunächst zu Schloss Hyrule begeben, wo er die hylianische Thronerbin getroffen und sie auf die vor ihnen liegenden Gefahren vorbereitet hatte. Anschließend war er zu den Goronen weitergezogen, um ein weiteres Mal Dodongos-Höhle von den gefährlichen, Goronen-fressenden Reptilien zu säubern und so die Hungersnot der felsenessenden Gesteinswesen erneut zu beenden.
    Wie erwartet hatte der Junge sich dieses Mal, wo er wusste, was auf ihn zukam und er über deutlich mehr Kampferfahrung verfügte, wesentlich geschickter angestellt als zuvor und war abgesehen von einigen oberflächlichen Kratzern unbeschadet aus der Höhle wieder herausgekommen.
    Darunia hatte ihn erneut zum Bruder der Goronen ernannt und mit Reichtümern überschütten wollen, aber Link hatte dankend abgelehnt. Er wollte nichts außer der Gewissheit, dass es seinen Freunden gut ging.
    Navi war unterdessen zu den Zoras aufgebrochen, um sie vor Ganondorf, der in Bälde Lord Jabu-Jabu, den Schutzpatron der Fischwesen, verfluchen würde, zu warnen und vor allem Prinzessin Ruto von dem weißen Wal fernzuhalten, damit dieser sie nicht verschluckte.
    Doch als Link nach der Säuberung von Dodongos-Höhle in Zoras Reich angekommen war, hatte dort dieselbe hektische Aufregung geherrscht wie zuvor. Zunächst hatte der Recke sich keinen Reim darauf machen können, doch dann hatte er begriffen, dass alles beim Alten gewesen war: Prinzessin Ruto war verschwuden!
    Nachdem Link sie ein weiteres Mal aus dem Inneren von Lord Jabu-Jabu befreit hatte – dieses Mal hatte er gut Acht gegeben, sich nicht wieder versehentlich mit dem Zora-Mädchen zu verloben – hatte der Junge sich mit wachsender Sorge und Angst unter den Fischwesen umgehört, ob sie seine Fee gesehen hatten.
    Doch niemand konnte ihm sagen, wo Navi sein könnte…
    Link erinnerte sich, wie er mit Mia, einer Leibdienerin König Zoras, auf dem Steinpfad vor dem Wasserfall, der unbefugten den Zugang zu Zoras Reich versperrte, gesessen und sie gefragt hatte: „Und du hast Navi wirklich nicht gesehen? Sie ist etwa so…“, er hatte Daumen und Zeigefinger soweit gespreizt wie er konnte, „… groß, hat langes, goldenes Haar, dunkelgrüne Augen und das Mundwerk eines Bauarbeiters.“
    In Mias Augen hatte sich ein dunkler Schatten des Bedauerns breit gemacht, als sie erneut verneinen musste. Link hatte sie bestimmt schon zehnmal nach seiner Fee gefragt, aber egal wie sehr sich die Zora-Frau auch bemühte, sie konnte sich nicht daran erinnern, Navi gesehen zu haben.
    Schließlich war Link zu dem Schluss gekommen, dass seine Freundin nie bei den Zora angekommen war.
    Doch was mochte sie abgehalten haben?
    Und – noch viel wichtiger – wo war sie jetzt?
    In der Hoffnung, etwas über den Verbleib seiner Fee in Erfahrung zu bringen, hatte der Junge sich anschließend in das nahegelegene Kakariko und sogar auf die Lon-Lon-Farm begeben, aber auch dort hatte niemand Navi gesehen. Das einzig Positive an diesen Abstechern war der Umstand, dass Link seit seinem Besuch auf der Farm nicht mehr zu Fuß gehen musste.
    Als er Epona, mit der er in der Zukunft viel Zeit verbracht hatte und die ihm in so manch brenzliger Situation aus der Patsche geholfen hatte, gesehen hatte, hatte der Junge ohne nachzudenken geseufzt: „Ich wünschte, ich könnte sie mitnehmen…“ Zu seiner großen Überraschung waren Talon und Malon damit tatsächlich einverstanden gewesen, obwohl die Stute noch nicht einmal ausgewachsen war.
    Anschließend war Link in sein Heimatdorf im Kokiri-Wald zurückgekehrt. Es war der letzte Ort gewesen, von dem er sich hatte vorstellen können, dass man dort etwas über den Verbleib seiner Fee wissen könnte. Vielleicht hatte sich ja aus ihm unbekannten Gründen nachhause zurückkehren müssen.
    Doch auch hier war Link lediglich auf ratlose Gesichter gestoßen…
    Aus Verzweiflung und Ratlosigkeit hatte Link sich dazu entschlossen, für einige Tage im Kokiri-Dorf zu bleiben, obwohl er sich mehr als unwohl dabei gefühlt hatte. Zwar hatte er sich darüber gefreut, ein wenig Zeit mit Salia, seiner besten Freundin, verbringen zu können, bevor er Hyrule für sehr lange Zeit verließ, aber auf der anderen Seite hatte ihn die permanente Angst gequält, Ganondorf könnte auf der Suche nach ihm in den Kokiri-Wald einfallen.
    Zudem hatte er sich nun, da er wusste, dass er kein Kokiri, sondern Hylianer war, noch unglücklicher und deplatzierter in seinem Heimatdorf gefühlt als zuvor.
    Am Abend des dritten Tages war plötzlich Salia in seinen Wohnbaum geplatzt. Ihre alabasterfarbenen Wangen waren mit roten Flecken überzogen gewesen und ihre Augen hatten gefunkelt wie ein Sternenmeer. „Ich glaube, wir haben eine Spur von Navi!“, hatte sie gerufen, bevor Link sich hatte erkundigen können, was sie von ihm wollte.
    „Wo ist sie?!“ Der Junge war derart schnell aufgesprungen, dass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, um einen Riss in einer seiner grünen Tuniken zu nähen, hintenüber gekippt und mit einem dumpfen Knall zu Boden gefallen war.
    „Wir wissen es nicht genau“, hatte Salia sich sogleich bemüht seine womöglich unbegründete Hoffnung zu dämpfen. Dann hatte sie ihm erzählt, dass Tia, ihre Fee, das Gerücht aufgeschnappt hatte, in dem Feenbrunnen in den Verlorenen Wäldern sei eine neue Fee aufgetaucht, die angeblich aus einer Feenquelle nahe des Zora-Flusses stammte und von einem Überfall berichtet hatte, der in etwa zu der Zeit stattgefunden haben musste, als Navi verschwunden war.
    Ohne ein einziges Wort zu entgegnen, hatte Link sich an Salia vorbei aus der Tür gedrückt und war in die das Kokiri-Wald umschließenden Verlorenen Wälder gerannt. Selbst, als seine Lunge dermaßen gebrannt hatte, dass er geglaubt hatte, sie müsste platzen, hatte der Junge seine Schritte nicht verlangsamt.
    Am Feenbrunnen angekommen, hatte er sofort nach Hira, eine der Anführerinnen des hier ansässigen Feenstamms gesucht. Da er in der Zukunft bereits einmal diese Feenquelle besucht hatte, wusste er, dass Hira trotz ihrer Skepzis Hylianern und Kokiri gegenüber aufgeschlossen genug war, um sich sein Anliegen anzuhören.
    Zu Links großer Überraschung hatte er sich jedoch nicht rechtfertigen müssen. Kurz nachdem er die Quelle betreten hatte, war plötzlich Tia, die von Salia hinter ihm hergeschickt worden war, neben ihm aufgetaucht und hatte sich dafür verbürgt, dass dem Jungen zu trauen war.
    Dennoch hatte ihn die zugewanderte Fee mit ängstlichen Blicken gemustert, bevor sie stockend berichtet hatte: „Es… Es war an einem Nachmittag vor fast zwei Wochen. Ich erinnere mich noch, dass die Sonne geschienen hat und einige meiner Freundinnen überlegt haben, ob sie das Erdloch, in dem sich unser Brunnen befand, verlassen sollten, um am Zora-Fluss ein Sonnenbad zu nehmen. Es war ein wirklich wunderschöner Tag…
    Aber dann tauchte plötzlich ein Mann in unserer Quelle auf. Zuerst dachte ich, es wäre dieser widerwärtige Zauberladenbesitzer aus Hyrule-Stadt. Ich hatte ihn schon häufiger in der Nähe unseres Brunnens herumlungern sehen und glaubte, nun wäre es ihm schlussendlich doch noch gelungen, unser Zuhause zu finden.
    Bei genauerem Hinsehen habe ich jedoch feststellen müssen, dass es nicht der Betreiber des Zauberladens war. Erst war ich darüber erleichtert, aber heute wünschte ich, er wäre es gewesen… Denn obwohl er schon seit Jahren versucht hatte, Feen aus unserer Quelle zu fangen, hatte er sich dabei nie besonders geschickt angestellt.
    Dieser Fremde jedoch… Er kam mit einem Schmetterlingsnetz und bewegte sich unglaublich schnell. Kaum eine von uns ist ihm entkommen…
    Es war nur Glück, dass ich an seinem Netz vorbei nach draußen schlüpfen konnte. Dort habe ich mich hinter einem Busch versteckt, weil ich vor Schreck so schwach war, dass meine Flügel mich nicht mehr trugen.
    Als der Fremde schließlich auf sein Pferd gestiegen ist, habe ich an seinem Gürtel eine Flasche mit einer Fee bemerkt, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, was mich überrascht hat – meines Wissens nach gibt es in der Nähe unserer Quelle keinen anderen Feenbrunnen. Außerdem war es keine Feenweise und damit für den Verkauf völlig unbrauchbar.“
    Bei diesen Worten war ein Stromstoß durch Links Körper geschossen und er hatte sich bis in die Haarspitzen angespannt vorgelehnt: „Hatte diese Fee langes, goldenes Haar und dunkelgrüne Augen?“ Sein Gegenüber hatte zögerlich genickt, woraufhin Link am liebsten laut gejubelt hätte, obwohl Angst ein Stahlband um sein Herz gelegt und langsam zugezogen hatte.
    Endlich hatte er eine Spur entdeckt!
    „Weißt du, wohin er geritten ist?“ Link war drauf und dran gewesen, die Antwort aus der armen Fee herauszuschütteln, als diese in nachdenkliches Schweigen verfallen war. Doch dann hatte sie endlich mit kraus gezogener Stirn geantwortet: „Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er ist nach Süden geritten. Vermutlich wollte er in das Land jenseits der Berge, um seine Beute dort zu verkaufen.“
    Daraufhin war Link aufgesprungen und ohne ein Wort des Dankes aus dem Brunnen heraus gehastet. Zurück im Kokiri-Dorf hatte er sämtliche Essensvorräte und Kleidung, die er auf die Schnelle hatte finden können, in seinen Wunderbeutel gestopft und war auf Eponas Rücken aus den Wäldern galoppiert. In seiner Hast hatte er sogar vergessen, sich von Salia zu verabschieden.


    Seitdem war bereits eine gute Woche vergangen, in der er nur dann kurze Pausen gemacht hatte, wann immer Epona zu erschöpft gewesen war. Inzwischen war sein Po wundgescheuert und sein Rücken war derart verspannt, dass er so hart wie Holz war. Trotzdem trieb Link sich und sein Pferd in der stetigen Hoffnung, den Fremden doch noch einzuholen, weiterhin unbarmherzig an.
    Was der Unbekannte wohl mit Navi vorhatte?
    Die geflohene Fee hatte Recht gehabt, als sie angemerkt hatte, eine normale Fee sei für den Verkauf ungeeignet. Nur die magiebegabten Weisen konnten Verletzungen heilen oder Zaubertränke verstärken.
    Ob der Fremde den Unterschied nicht erkannt hatte?
    Link glaubte nicht wirklich an diese Theorie. Die Beschreibung, die er von dem Feenfänger erhalten hatte, klang nach einem Profi. So jemand musste Feenweise und normale Feen auseinanderhalten können.
    Warum hatte der Unbekannte Navi gefangen?
    Und viel wichtiger: Wohin hatte er sie gebracht?
    Link wurde unsanft aus seinen Grübeleien gerissen, als Epona plötzlich ein erschrockenes Wiehern ausstieß und sich aufbäumte. Da er sich nicht besonders gut festgehalten hatte, wurde Link bei der unerwarteten Bewegung vom Rücken der Stute geworfen und schlug unsanft auf dem Boden auf.
    Mit dem Kopf knallte der Junge auf die Wurzel eines in der Nähe stehenden Baumes und sogleich begann die Welt vor seinen Augen sich zu schnell zu drehen und von den Rändern ausgehend schwarz zu werden.
    Das Letzte, was Link sah, bevor Ohnmacht ihn überwältigte, war ein kleines geflügeltes Mädchen mit langem, gewelltem Haar, das goldgelb schimmerte und vor ihm in der Luft schwebte.
    Navi…?


    Während Link vollkommen regungslos unter der stämmigen Eiche lag und Epona nervös auf der Stelle tänzelte, gesellte sich eine zweite Fee zu der zuerst aufgetauchten. Der geflügelte Junge hatte halblanges, zerzaustes Haar und fast schwarze Augen, die Link skeptisch musterten. Das Auffälligste an ihm war jedoch der brombeerfarbene Schimmer seines Feenglanzes.
    „Sieht so aus als wäre er völlig weggetreten“, stellte der Feenjunge fest und warf einen Seitenblick auf das geflügelte Mädchen neben ihm, das mit einem grimmigen Zug um die Lippen nickte. „Dann ist es jetzt Zeit. Hey, Horrorkid“, die Fee ließ ihre Stimme zu einem lauten Rufen anschwellen, „du kannst jetzt rauskommen!“
    Aus den Nebelschwaden tauchte ein eigentümliches Wesen auf.
    Es war in etwa so groß wie Link, aber seine Extremitäten schienen aus trockenen Ästen und Zweigen zu bestehen. Seine Füße steckten in zusammengewickelten Lumpen und auch seine knielangen Hosen und sein rotes Hemd waren zerrissen und ausgefranst. Auf seinem Kopf saß ein offenbar selbstgebastelter, hoher Hut aus Grashalmen und dünnen Zweiglein.
    Insgesamt hätte das Horrorkid nicht besonders angsteinflößend gewirkt, wäre da nicht die sonderbare Maske gewesen, die es vor dem Gesicht trug. Sie sah aus wie ein mit wilden, bunten Wirbeln bemaltes Gesicht, in dessen Mitte außergewöhnlich große, gelbglühende Augen prangten. Diese aufgemalten Pupilen schienen bis zum Grund eines jeden blicken zu können, der ihrer ansichtig wurde. An den Rändern der Maske waren bunte, spitz zulaufende Stacheln angebracht, die den bedrohlichen Eindruck noch verstärkten.
    Mit langsamen, schleppenden Schritten näherte sich das Horrorkid dem noch immer ohnmächtigen Link und den beiden Feen. Für einen Moment schien es den am Boden liegenden Jungen zu betrachten, dann wandte es seine Aufmerksamkeit der Okarina der Zeit zu.
    Die magische Flöte war Link aus den Händen gefallen, als er von Eponas Rücken gestürzt war, und lag noch immer neben seinen leicht gekrümmten Fingern im Laub.
    Als der Waldkobold sich nach der Okarina bückte, drang ein düsteres Lachen aus seiner Brust, das selbst seinen beiden Feen die Haare zu Berge stehen ließ.
    „Was haben wir denn hier?“ Die Stimme des Kobolds war überraschend tief und hatte einen merkwürdigen Beiklang, der an das Rascheln von trockenen Blättern erinnerte.
    Während das Horrorkid geradezu ehrfürchtig mit der flachen Hand über die dunkelblau glasierte Oberfläche der Flöte strich, schwebte das Feenmädchen zu ihm herüber und stellte fest: „Es scheint eine Art Musikinstrument zu sein.“
    „Ja, meinst du?“ Der Waldkobold, der in seinem Leben noch nie ein anderes Instrument gesehen hatte als die langgezogenen, aus ausgehölten Zweigen bestehenden Flöten seiner Artgenossen, warf seiner Begleiterin einen neugierigen Seitenblick zu. Diese nickte und sagte: „Ganz sicher.“ Dann deutete sie auf das Mundstück der Okarina und forderte: „Versuch mal, hier reinzupusten!“
    Sofort schob das Horrorkid seine Maske ein wenig hoch und versuchte, auf der Okarina zu spielen. Da die klaffende, dunkle Öffnung seines Mundes keine Lippen hatte, dauerte es einige Minuten, bis es dem Horrorkid gelang, der Flöte einen Ton zu entlocken. Da dieser auch noch völlig schief klang, brachen der Kobold und das geflügelte Mädchen neben ihm in Lachen aus.
    Unterdessen betrachtete der Feenjunge mit deutlicher Sorge in den Augen das Heft von Links Schwert, das über die Schulter des Knaben hinweglugte, und rief: „Äh… Leute… Ich will ja wirklich kein Spielverderber sein, aber ihr solltet die Flöte zurücklegen und dann sollten wir verschwinden, bevor er hier“, er deutete auf den noch immer besinningslosen Link, „wieder zu sich kommt.“
    „Entspann dich, Tael“, forderte das Feenmädchen, dessen Gesichtszüge eine erstaunliche Ähnlichkeit zu Taels aufwiesen. „Wir erlauben uns doch nur einen kleinen Spaß.“
    Einen erneuten Blick auf Links Schwert werfend murmelte der Feenjunge: „Ich hoffe, er wird das genauso amüsant finden wie ihr…“ Seine Bemerkung ging jedoch völlig in dem Gelächter unter, das einem weiteren misslungenen Flötversuch des Horrorkids folgte.


    Der Kobold und seine geflügelte Begleitung waren noch immer mit der Okarina beschäftigt, als Link Minuten später die Augen wieder aufschlug. Sein Schädel dröhnte und die Welt schien sich um ihn herum zu drehen und zu beben. Es dauerte einige Herzschläge lang, bis es dem Knaben endlich gelang, seinen Blick wieder scharf zu stellen, und noch länger, bis er begriff, dass er sich die komischen, fiependen Geräusche neben sich nicht nur einbildete.
    Als ihm dann auch noch mit reichlich Verzögerung auffiel, dass er vor seinem Sturz die Okarina der Zeit in den Händen gehalten hatte und diese nun verschwunden war, rappelte Link sich so schnell er trotz seines Schwindels konnte auf.
    Etwa zeitgleich warf Tael ihm einen weiteren Blick zu und rief alarmiert: „Taya! Horrorkid! Er ist wach!“
    Sofort wirbelten die Beiden zu Link herum, wobei das Horrorkid die Okarina hinter seinem Rücken verbarg.
    Link betrachtete skeptisch die Maske des Waldkobolds. Trotz der knalligen, bunten Farben, mit denen sie bemalt war, hatte sie etwas unsäglich Düsteres. Je länger Link auf die strahlendgelben Augen starrte, desto mehr bekam er das Gefühl, eine eiskalte, schwarze Hand strecke sich nach seinem Herzen aus.
    Fröstelnd sah der Junge zur Seite und machte vor Schreck beinah einen Satz nach hinten.
    Wieso sah Navi ihn so geringschätzig an?!
    Was hatte er sich dieses Mal zuschulden kommen lassen?
    Erst bei genauerem Hinsehen fiel Link auf, dass die Fee, die neben dem Horrorkid in der Luft schwebte, nicht Navi war, sondern ihr nur zum Verwechseln ähnlich sah. Ihr Haar war in etwa gleich lang und strahlte in demselben gelbgoldenen Ton, ihre Lippen hatten einen ähnlichen Schwung und auch das Stubsnäschen hätte Navis sein können. Doch im Gegensatz zu Navi hatte diese Fee haselnussbraune Augen.
    Der auffälligste Unterschied war jedoch die Herablassung, mit der Taya ihn betrachtete. Navi hatte ihn niemals so angesehen, selbst dann nicht, wenn er furchtbaren Mist gebaut hatte…
    „Wir… äh… wollten gerade gehen!“, platzte das Horrorkid in Links Gedanken und machte einen Schritt nach hinten. Link schüttelte jedoch den Kopf und streckte die rechte Hand aus. „Nicht, bevor ihr mir nicht meine Okarina zurückgegeben habt.“
    „Deine was?“ Das Horrorkid legte den Kopf schief und schien den Jungen vor sich neugierig zu mustern. Während Taya amüsiert grinste, warf Tael, der inzwischen zu den beiden herübergeschwebt war, dem Kobold einen besorgten Seitenblick zu.
    „Du weißt ganz genau, von was ich rede.“ Link zog ein grimmiges Gesicht mit hart aufeinander gepressten Lippen und zu Schlitzen verengten Augen, bevor er präzisierte: „Das Ding, das du hinter deinem Rücken vor mir zu verstecken versuchst!“
    Das Horrorkid schob das Kinn leicht zum Hals so als würde es ein überraschtes Gesicht machen. „Ich? Ich soll etwas vor dir verstecken?“ Als vermeintlichen Beweis, dass es nichts verbarg, streckte es erst die eine, dann die andere Hand flach vor sich aus.
    Als Tael sah, dass sich Links Mimik daraufhin noch verfinsterte und der Junge langsam die Linke nach seinem Schwert ausstreckte, raunte er dem Waldkobold zu: „Was machst du denn da, Horrorkid? Gib ihm einfach seine blöde Flöte zurück!“
    Doch das Horrorkid ignorierte ihn…
    Während sie beobachtete, wie Link sich leicht vornüberbeugte und zum Angriff ansetzte, machte sich auch auf Tayas Antlitz Sorge breit und sie stimmte Tael zu: „Ja, Horrorkid, gib ihm seine Okarina zurück. Wir wollen keinen Ärger.“
    Aber der Kobold reagierte auch dieses Mal nicht…
    Da Link nur ungern Gewalt anwendete, entschied sich der Knabe jedoch dagegen, sein Schwert zu ziehen. Stattdessen wollte er sich auf das Horrorkid stürzen, es zu Boden ringen und ihm auf diese Weise die Okarina entreißen.
    Nie im Leben hätte der Herr der Zeiten damit gerechnet, dass das Horrorkid seinem Angriff würde ausweichen können…
    Entsprechend überrascht war Link, als der maskierte Kobold plötzlich über ihn hinweg sprang und mit einer eleganten Drehung in der Luft auf Eponas Rücken landete.
    Die junge Stute bäumte sich vor Schreck auf, wiehrte und rannte in blinder Panik davon. Nur mit Mühe gelang es Link gerade noch rechtzeitig, herumzuwirbeln und sich mit einem Hechtsprung an das Bein des Horrorkids zu hängen. Dieses rutschte bei dem plötzlichen, einseitigen Mehrgewicht beinah vom Pferd, klammerte sich aber tapfer in Eponas Mähe fest.
    Taya und Tael wechselten derweil besorgte Blicke und beeilten sich, das galoppierende Pferd und seinen Reiter einzuholen.


    Link wurde unsanft über den Waldboden geschleift und riss sich an Zweigen und spitzen Steinchen die Haut auf. Das Horrorkid bemühte sich derweil nach Kräften, den Jungen mit Tritten abzuschütteln – jedoch ohne Erfolg. Tatsächlich gelang es Link sich am Bein des Kobolds immer weiter nach oben zu ziehen, bis...
    … bis Epona einen besonders engen Haken schlug.
    Sofort rissen die Fliehkräfte an Links Körper, bis er sich nicht mehr halten konnte und mehrere Meter weit in einen Busch geschleudert wurde. Sich mehrfach überschlagend kam der Junge im weichen Moos zu liegen.
    Obwohl der Schwindel von zuvor mit doppelter Intensität zurückkam und er Schürfwunden am ganzen Körper hatte, sprang Link sogleich wieder auf die Füße und rannte hinter der fliehenden Epona her.
    Es war wenig überraschend, dass der Junge nicht mit seinem verschreckten Pferd mithalten konnte, obwohl er so schnell lief wie ihn seine Füße trugen. Mit brennender Lunge und schmerzenden Muskeln fiel er immer weiter zurück, bis von Epona und dem Horrorkid nichts mehr zu sehen war. Dennoch verlangsamte er seine Schritte nicht.
    Er durfte die Okarina der Zeit nicht verlieren!
    Er durfte Epona nicht verlieren!
    „Verdammt, wo sind sie hin?“ Keuchend sah Link sich zu allen Seiten um und verfluchte dabei stumm den weichen Moosboden, der sämtliche Spuren schluckte wie ein Schwamm. Doch auch nach mehreren Minuten Suchen konnte der Junge kein Anzeichen entdecken, das ihm die Richtung verraten hätte, in die das Horrorkid geritten war.
    Da waren keine abgeknickten Zweige, kein von Hufen herausgerissenes Moos, keine an Sträuchern hängen gebliebene Haare oder Stofffetzen…
    Der Junge war bereits drauf und dran, vor Verzweiflung in Tränen auszubrechen, als er aus den Augenwinkeln zwei leuchtende Lichtkugeln entdeckte, die zielstrebig auf den dunkelsten Teil des Waldes zuhielten.
    Taya und Tael!
    Mit neuer Hoffnung hetzte Link den beiden hinterher.


    Das Blätterdach war in diesem Waldabschnitt dermaßen dicht, das kein einziger Lichtstrahl hindurchfiel, obwohl der Mond voll und hell am Himmel stand.
    Link zog unbehaglich die Schultern vor, als er bemerkte, dass es hier vollkommen still war. Zu still…
    Kein einziges Tier war zu hören, kein Knacken von Holz. Es war beinah als hause der Tod selbst in diesem Wald…
    Was konnte das Horrorkid an einem solchen Ort bloß wollen?
    Link hatte jedoch keine Gelegenheit, sich lange Gedanken über die Absichten des Kobolds zu machen. Denn wenige Minuten, nachdem er den beiden Feen in den düsteren Waldabschnitt gefolgt war, stolperte er plötzlich über eine Wurzel, die er in der Finsternis übersehen hatte. Doch anstatt lang hinzuschlagen, stürzte der Junge kopfüber in ein Loch, das so dunkel und tief war wie der Abyssos.
    Er fiel und fiel und fiel…
    Während er durch die undurchdringliche Finsternis stürzte, zogen verschiedene Bilder seines Lebens vor seinem geistigen Auge vorbei.
    Er sah sich zusammen mit Navi vor dem verschütteten Eingang zu Dodongos-Höhle eine Rast machen. Damals hatte Navi ihm eröffnet, dass Feen keine gewöhnliche Nahrung zu sich nehmen konnten und sich stattdessen von den schönen Dingen der Natur ernährten. Link erinnerte sich, wie ihr Feenglanz in der Sonne bunt gefunkelt hatte und er sich gefragt hatte, wie Sonne wohl schmecken mochte.
    Er sah Epona, die wie wild durch die Gerudo-Festung getobt war, um für genügend Durcheinander zu sorgen, dass er, Link, ungesehen aus seiner Gefängniszelle entkommen konnte.
    Er sah Salia, die als grün leuchtende Lichtgestalt vor ihm gestanden und ihm eröffnet hatte, die Weise des Waldes zu sein. Oh, wie schuldig hatte er sich ihr gegenüber gefühlt, weil er es nicht geschafft hatte, ihr Leben zu retten!
    Er sah Shiek wie er im Gästesaal der Gerudo-Festung auf seiner Bettkante gesessen und ihm bis auf den Grund seiner Seele geblickt hatte.
    Shiek… Zelda…
    Ein tiefer Stich fuhr dem Jungen mitten ins Herz und er wünschte sich zum wiederholten Mal, er hätte den Mut aufgebracht, der Prinzessin seine wahren Gefühle zu zeigen.
    Aber nun war dies alles egal.
    Er würde bald auf den Boden aufschlagen und zerschmettert werden…


    Doch zu seiner großen Überraschung blieb der schmerzhafte Aufprall aus. Stattdessen war es als fiele er in eine Art magisches Spinnennetz, das seinen Fall bremste, bis er sanft und leicht federnd auf dem Untergrund aufsetzte.
    Rätselnd sah der Junge sich um.
    Den hölzernen Wänden nach zu urteilen, schien sich in einer Art hohlem Baum oder Wurzelstrang zu befinden. Hier und da wuchsen dicke, pinke Blüten und von der Decke hingen fluoreszierende Pilze, die die Höhle in ein mystisches, blaues Licht tauchten.
    Inmitten dieses Lichtkegels schwebte das Horrorkid von seinen beiden Feen flankiert in der Luft und schien Link süffisant anzugrinsen. Während auf Tayas Lippen ebenfalls ein amüsierter Ausdruck lag, zog Tael ein unglückliches Gesicht.
    Der Herr der Zeiten wollte sich sofort auf den Kobold stürzen und notfalls aus ihm herausprügeln, wo Epona abgeblieben war, aber sein Körper war vollkommen bewegungsunfähig.
    Ob das Horrorkid ihn mit einem Zauber paralysiert hatte?
    „Was ist eigentlich mit deinem dummen Esel los?“ Wandte sich das Horrorkid nach einem Moment gegenseitigen Anstarrens an Link. „Er gehorcht keinem meiner Befehle… Aber keine Angst, ich hab dir die Arbeit abgenommen, den ollen Klepper loszuwerden.“
    Obwohl jede seiner Muskelfasen gelähmt zu sein schien, spürte Link wie sich seine Augen mit Tränen füllten, bis diese schließlich über die unteren Lider traten.
    Er hatte Epona verloren!
    War es nicht schlimm genug, dass Navi weg war?
    Wie hatte er nur so unachtsam sein können und noch eine weitere Freundin verlieren können?
    Unterdessen fuhr das Horrorkid fort: „Ich hab mir, als dein störrisches Ross mich abgeworfen hat, einen Finger verknackst. Das ist – wie du dir vielleicht vorstellen kannst – bei meinen hölzernen Händen wirklich unangenehm! Wobei…“, der Kobold schien Links zu Fäusten geballte Hände zu betrachten, „… bei genauerer Betrachtung glaube ich nicht, dass du das nachvollziehen kannst. Aber das lässt sich ja ändern!“
    Mit diesen Worten schnippste das Horrorkid mit den Fingern der rechten Hand und plötzlich senkte sich tiefschwarze Finsternis über Links Augen.
    In dieser unnatürlichen Dunkelheit nahm Link zunächst nichts anderes wahr als das immer lauter werdende, schaurige Lachen des Kobolds. Doch dann taucht aufeinmal wie aus dem Nichts eine ganze Horde Laubkerle auf, die ihn mit Deku-Nüssen beschossen. Der Junge versuchte, blind in die Finsternis davon zu rennen, aber er kam nicht vom Fleck, während die Laubkerle immer mehr aufholten und ihn schließlich unter sich begruben…

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    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • Ein schreckliches Schicksal


    Als Link wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden, das Gesicht halb in einer flachen Pfütze. Noch immer schlug sein Herz beinah doppelt so schnell wie normal und das dringende Bedürfnis, schnellstens davonzulaufen, flaute nur allmählich ab. Um sich selbst wieder ein wenig zu beruihgen und sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, holte der Junge tief Luft und atmete prompt ein wenig Wasser ein, was ihn husten ließ.
    Bei den Geräuschen, die aus seinem Mund kamen, gefror dem Jungen jedoch das Blut in den Adern.
    Was war mit seiner Stimme passiert?!
    Auf einmal klang sie disharmonisch und so knarzig wie die lang nicht mehr geölten Scharniere einer alten Tür.
    Links Puls stieg noch ein wenig mehr, obwohl der Knabe nicht geglaubt hatte, dass dies möglich war. Vielleicht, versuchte der Junge sich selbst zu beruhigen, war es nur das Wasser, das seine Stimme so merkwürdig klingen ließ.
    Während er sich mühsam wieder aufrappelte, musste er sich jedoch eingestehen, dass er nicht von ganzem Herzen an diese Theorie glauben konnte.
    Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht…
    Als Link es endlich geschafft hatte, sich trotz seiner vor Schreck weichen und nachgiebigen Knie in eine aufrechte Position zu hieven, verstärkte sich das Gefühl des Unwohlseins noch.
    War der Boden schon immer so nah gewesen?
    Die Panik fuhr dem Knaben jedoch erst richig in die Glieder, als er sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht streichen wollte: Sein Arm war plötzlich zu kurz und reichte ihm nur noch knapp bis zu Kinn.
    Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er seine zitternden Hände vor sich ausstreckte. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, wäre der Junge am liebsten zurückgewichen, doch ihm war bewusst, dass man vor seinem eigenen Körper nicht davonlaufen konnte.
    Dort, wo noch Minuten zuvor Hände mit langen, schlanken, aber nichtsdestotrotz kräftigen Fingern gewesen waren, befanden sich nurn Greifer aus entrindetem Holz, die Link an die Fäustlinge erinnerte, die Salia ihm im letzten Winter gestrickt hatte: während der Daumen jeweils separiert war, schienen die anderen vier Finger einer jeden Hand zu einer Fläche zusammengewachsen zu sein.
    Auch seine Arme hatten sich deutlich verändert: ihr Umfang hatte sich in etwa halbiert und anstatt von sonnengebräunter Haut überzogen zu werden, waren sie nun von graubrauner Rinde überzogen.
    Link spürte, dass er viel zu schnell atmete – ganz so als wäre er die gesamte Strecke von Kakariko hoch nach Goronia gerannt – und er mahnte sich stumm zur Ruhe. Wenn er weiterhin derart hechelnd atmete, würde er schon sehr bald erneut ohnmächtig werden.
    Und wer konnte schon sagen, was das Horrorkid in dieser erneuten Zeit der Weggetretenheit mit ihm anstellen würde?
    Link hob zögernd den Blick und musterte die drei Gestalten, die beinah reglos ihm gegenüber in der Luft schwebten.
    Tael zog ein bedauerndes, mitleidiges Gesicht, während Taya aussah als könnte sie sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen. Das Horrorkid hatte sich unterdessen auf die Seite gedreht und den Kopf auf eine Hand gestützt, sodass es aussah als lümmelte es auf Chaiselongue. Hinter der bunt bemalten Maske waren seine Gesichtszüge nicht zu erkennen, aber Link war sich fast sicher, dass der Waldkobold ihn trotz seiner betont lässigen Körperhaltung gespannt und aufmerksam beobachtete.
    Da alle Drei den Eindruck erweckten als warteten sie auf irgendetwas, vermutete Link, dass er das wahre Ausmaß seiner Verwandlung noch nicht entdeckt hatte.
    Sein Mund fühlte sich an als hätte ihm jemand ein Knäul Schafwolle in den Rachen gestopft, das jetzt allen Speichel aufsaugte und unangenehm gegen seine Kehle drückte. Dennoch zwang er sich mit wild schlagendem Herzen, einen Blick in die Pfütze vor sich zu werfen.
    Irgendwie erinnerte ihn diese Situation an den Moment, in dem er nach seinem siebenjährigen Schlaf im Heiligen Reich aufgewacht war und hatte erkennen müssen, dass er plötzlich im Körper eines ausgewachsenen Mannes gesteckt hatte.
    Dieses Mal war die Angst und die Verwirrung, die Links Geist fest in ihrem stählernen Griff hatten, jedoch um einiges größer als damals. Im Heiligen Reich waren wenigstens Rauru und Navi bei ihm gewesen, die beruhigend auf ihn eingewirkt und ihm erklärt hatten, was mit ihm passiert war.
    Außerdem war er damals wenigstens noch menschlich gewesen…
    Was das Horrorkid aus ihm gemacht hatte, konnte er nur erahnen. Der Anblick seiner hölzernen Arme und Hände ließ nichts Gutes vermuten…
    Der Junge atmete ein letztes Mal tief durch, dann betrachtete er sein Gesicht, das sich auf der Wasseroberfläche vor ihm spiegelte.
    Als er dem ihm entgegenblickenden Antlitz ansichtig wurde, wusste Link zunächst nicht, ob er geschockt zurückweichen, schreien, weinen oder lachen sollte. Die ganze Situation wirkte derart surreal und obskur auf den Knaben, dass sein Geist sich weigerte, die wahre Tragweite seiner Verwandlung zu begreifen.
    Das, was ihm mit großen, gelb leuchtenden Augen aus der Pfütze entgegen glotzte, war das Gesicht eines Laubkerls…
    Link trug noch immer seine geliebte, grüne Zipfelmütze, unter der ein Schopf hellbraunen Haares hervorlugte, und seine ihm nun viel zu große Tunika hing wie ein alter Kartoffelsack an seinem zierlichen Holzkörper. Dünne, hölzerne Beine ragten wie Stelzen aus den Schäften seiner kniehohen Lederstiefel hervor, die ihm überraschenderweise noch immer gut zu passen schienen.
    In einer Mischung aus bodenlosem Entsetzen und der Weigerung das Geschehene zu begreifen, schüttelte Link seinen riesigen Schädel, der in etwa so groß war wie sein restlicher Körper zusammen, und stieß ein hysterisches Lachen aus. Bei den krächzenden Lauten, die aus seinem röhrenförmigen Rüssel kamen, hätte sich der Junge am liebsten die Ohren zugehalten.
    Das Horrorkid hingegen schien keinen Anstoß an den merkwürdigen Geräuschen zu nehmen. Stattdessen setzte es sich mit einer überraschend geschmeidigen Bewegung auf und überschlug die Beine. Dann stellte es mit einer Stimme, die vor boshaftem Humor nur so strotzte, fest: „So gefällst du mir viel besser.“
    Link wollte ihm Gemeinheiten an den Kopf werfen und es anschreien, es solle ihn gefälligst zurückverwandeln, aber außer unverständlichem Geknarze brachte er nichts zustande. Er wusste, dass Laubkerle in der Lage dazu waren, zu sprechen – im Deku-Baum hatte er sich mit mehreren der kleinen Kobolde unterhalten.
    Offenbar musste er jedoch erst noch lernen, wie er die Zunge dieses neuen Körpers gebrauchen musste, um Worte aus seinem lippenlosen, rüsselartigen Mund herauszubringen.
    Als es den brennenden Zorn in Links Augen sah, brach das Horrorkid in schallendes Gelächter aus, während Taels Blick zwischen diesem und Link hin und her zuckte. Mit leiser Stimme wandte der Feenjunge schließlich ein: „Jetzt hattest du deinen Spaß, Horrorkid, aber ich glaube, dieses Mal sind wir wirklich zu weit gegangen. Verwandel ihn zurück, gib ihm seine Okarina wieder und dann lass uns weiterziehen.“
    Taya bedachte ihn mit einem verstimmten, aber nichtsdestotrotz liebevollen Blick. „Du bist eine Spaßbremse, Tael!“ Dann wandte sie sich ebenfalls an das Horrorkid: „Aber vielleicht hat er dieses Mal ausnahmsweise mal Recht.“
    Der Waldkobold schüttelte allerdings nur den Kopf und bestimmte: „Ich hatte noch lange nicht genügend Spaß. Lasst uns sehen, wie gut er sich als Deku schlägt.“ Link war sich fast sicher, dass das Horrorkid hinter seiner Maske breit grinste, als es sich an ihn wendete: „Na los, versuch doch, mich zu fangen!“
    Mit diesen Worten schwebte es rückwärts aus dem Raum in eine Art hohle Wurzel hinein. Tael zögerte einen Moment, folgte seinem Begleiter dann jedoch ohne einen weiteren Blick auf Link.
    Taya, die den Jungen noch immer mit einem amüsierten Funkeln in den Augen betrachtete, sank vor Lachen beinah auf den Boden, als Link bei seinem Versuch, dem Horrorkid zu folgen, über seinen Gürtel stolperte, der ihm von seinen plötzlich schmaler gewordenen Hüften gerutscht war und um seine Füße gelegen hatte.
    Da er sich mit seinen kurzen Stummelärmchen nicht abfangen konnte, stürzte Link lang hin und atmete aufgewirbelten Dreck und kurze Moosfasern ein, was ihn erneut husten ließ. Taya ließ sich unterdessen auf seinem Kopf nieder und höhnte: „Na, so wird das aber nichts!“
    Ihre gute Laune verflog jedoch schnell, als das Horrorkid mit den Fingern schnippste und plötzlich eine undurchdringlich wirkende Rankenwand aus dem Boden schoss, die den Zugang zu der Wurzel versperrte.
    Während Taels panisches „TAYA!“ noch in der Luft hing, starrten sich Fee und Laubkerl aus vor Entsetzen geweiteten Augen an.
    Das Horrorkid hatte sie eingesperrt…



    Während Taya schon nach Sekundenbruchteilen wieder zu sich fand und zu der Rankenwand herübereilte, um verzweifelt an den dornenbewehrten Pflanzen zu zerren, brauchte Link deutlich länger, bis er sich dazu aufraffen konnte, wieder aufzustehen.
    Auf einmal wirkte alles in seinem Leben düster und sinnlos…
    Navi war verschollen und Epona verschleppt, er sich hatte die Okarina der Zeit stehlen lassen und saß nun mit einer unverschämten und geradezu bösartig wirkenden Fee in irgendeinem unterirdischen Gewölbe fest.
    Und zu allem Überfluss war er auch noch in einen Laubkerl verwandelt worden…
    Der Junge hievte sich auf, bis er auf dem Hintern saß, zog dann die Beine an und versuchte, seine Stummelärmchen darumzuschlingen. Da sie dafür jedoch zu kurz waren, musste er sich damit begnügen, seine Unterschenkel mit den Händen zu umfassen. Das knackende Geräusch, das seine Gelenke bei jedem Beugen verursachten, jagte dem Knaben eisige Schauer über den Rücken.
    Er wollte seinen eigenen Körper zurück!
    Und er wollte wissen, wo Epona und Navi waren…
    Verzweiflung schien den Jungen zu Boden zu ziehen als ob sein gesamter Körper mit Metallgewichten beschwert worden wäre. Resigniert ließ er seine Stirn gegen seine Knie sinken, während sich erste Tränen aus seinen Augenwinkeln lösten. Als wäre seine Situation nicht sowieso schon schlimm genug verursachte das ungewohnte Gewicht seines plötzlich riesigen Schädels allmählich stechende Schmerzen in seinem Nacken.
    Ein Teil seines Unterbewusstseins wunderte sich stumm darüber, dass sein hölzerner Körper überhaupt so etwas wie Schmerz empfinden konnte.
    Bevor er sich jedoch ernsthaft darüber Gedanken machen konnte, riss ihm plötzlich etwas an den Haaren und zwang ihn, den Kopf wieder zu heben.
    Taya schwebte vor ihm in der Luft und sah ihn aus zornigen, funkensrpühenden Augen an. „Das ist alles deine Schuld! Deinetwegen wurde ich von meinem Bruder getrennt!“
    Link blinzelte sie ungläubig an.
    Er sollte für diese Situation verantwortlich sein?!
    Hatte er darum gebeten, dass die beiden Feen Epona erschreckten?
    Oder darum, dass das Horrorkid ihm Okarina und Pferd stahl?
    Hatte er das Horrorkid auf Eponas Rücken gesetzt und sie in den dunkelsten Teil des Waldes getrieben?
    Hatte er sie etwa in dieses merkwürdige unterirdische Gewölbe gestürzt?
    Hatte er die Rankenwand aus dem Nichts erschaffen und sie somit jedem Ausweg beraubt?
    Am liebsten hätte er laut aufgelacht, doch alles, was aus seinem Rüssel kam, klang wie Schluchzer vermischt mit Schluckauf.
    Taya stützte die Hände in die Hüften und forderte: „Steh endlich auf! Du musst einen Weg finden, dass wir diese Höhle verlassen können. Du musst mich zurück zu Tael bringen!“
    „Einen Dreck muss ich!“, schoss es Link durch den Kopf. Da er jedoch noch immer nicht wusste, wie er in dieser Gestalt sprechen konnte, wandte er lediglich das Gesicht ab und starrte an die Wand rechts von ihm.
    Nur Sekunden später tauchte das Feenmädchen wieder in seinem Blickfeld auf und fuchtelte wild mit den Armen. „Hey! Du kannst mich doch nicht einfach ignorieren!“ Für einen Moment dachte Link, die Fee würde ihn anschreien, aber dann brökelte der zornige Ausdruck in ihrem Antlitz plötzlich ab. Darunter kam eine besorgte Miene zum Vorschein und Taya flüsterte: „Bitte! Hilf mir! Tael ist doch noch so klein und das Horrorkid…“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe, bevor sie neu ansetzte: „Mein Bruder braucht mich und ohne dich schaffe ich es nie hier raus. Bitte!“
    Links erster Impuls war, sich erneut abzuwenden und mit der Hand nach ihr zu schlagen wie nach einer lästigen Schmeißfliege. Ein Blick in ihre geweiteten, verletzlich wirkenden Augen ließ ihn dieses Vorhaben jedoch verwerfen.
    Irgendwie erinnerte ihn Taya in diesem Moment noch stärker an Navi als zuvor. Diese hatte ein ganz ähnliches Gesicht gezogen, wenn ihr vor Sorge um Link beinah das Herz zersprungen wäre.
    Seufzend hievte Link sich auf die Füße und sah an sich herunter. Seine Tunika, die ihm in seinem menschlichen Körper bis zu den Knien gereicht hatte, wirkte nun wie ein bodenlanges Kleid. Der Riemen, an dem Schwert und Schild befestigt waren, war ihm ebenfalls auf einmal zu weit und drohte, von seiner Schulter zu rutschen.
    Taya legte bei diesem Anblick den Kopf schief und murmelte: „In dieser Gestalt werden dich deine Kleider vermutlich ziemlich behindern, wenn wir sie nicht hochstecken. Hmm…“ Sie schürzte die Lippen und sah sich aufmerksam in dem Gewölbe um. Dann deutete sie auf Links Gürtel, der noch immer auf dem Boden lag, dort, wo der Junge zuvor über ihn gestolpert war. „Ich hab’s! Binde dir deinen Gürtel wieder um!“
    Obwohl Link sich nicht erklären konnte, was sein Gürtel mit der Länge seiner Tunika oder der Weite seines Waffengurtes zu tun haben sollte, tat er wie ihm geheißen.
    Während sich der Junge damit abmühte, mit dem Dorn der Schnalle ein neues Loch ins Leder zu stechen, damit der den Gürtel eng genug um seinen schmalen Körper binden konnte, hob Taya den Saum seiner Tunika an und schob ihn so geschickt unter das breite Lederband, dass es, als sie ihr Werk vollendet hatte, beinah aussah als hätte sie den Stoff mit Nadel und Faden gekürzt.
    Link sah staunend an sich herab und stieß ein erfreutes Quietschen aus, als er „Gut gemacht!“ rufen wollte. Als er angesichts seines erneut missglückten Sprechversuchs den Kopf hängen ließ, sah es für einen Moment so aus als wollte Taya etwas Tröstendes sagen.
    Stattdessen deutete sie jedoch nur auf Links Waffengurt und murmelte: „Dazu fällt mir leider keine schnelle Lösung ein. Aber ich glaube sowieso nicht, dass du als Deku ein Schwert führen kannst. Deine Arme erscheinen mir viel zu kurz dafür. Vielleicht solltest du den ganzen Gurt einfach hier lassen.“
    Link schüttelte vehement den Kopf, während er sich über die Bezeichnung «Deku» wunderte.
    Kannte man hierzulande Laubkerle unter diesem Namen?
    Dann wand er sich aus seinem Waffengurt und mühte sich unter Tayas neugierigen Blicken damit ab, Schwert, Schild und Gurt in seinem Wunderbeutel verschwinden zu lassen. Die fehlende Länge seiner Arme erwies sich dabei als nicht zu verachtendes Hindernis. So musste er sein Schwert beispielsweise an der Klinge anfassen und es Stück für Stück durch seine Hand in den Beutel gleiten lassen, da seine Armspanne zu gering war, um es im Ganzen hineinzuschieben.
    Als er nach dem Verstauen seiner Waffen wieder aufsah, betrachtete Taya ihn mit einem Blick, der zwischen Verblüffung, Wissensdurst und Argwohn schwankte. „Dein Gürtel wurde mit einem Feenzauber versehen.“ Es war eine Feststellung, trotzdem klang der Tonfall wie eine Frage.
    Link nickte und watschelte auf die Rankenwand am Eingang zur Wurzel herüber, wobei sich seine neuen, hölzernen Beine ungewohnt steif und schwerfällig anfühlten. Taya sah ihm auf der Unterlippe kauend hinterher. Es brannte ihr unter den Nägeln, herauszufinden, woher der Fremde einen von Feen verzauberten Lederbeutel hatte.
    War er etwa mit Angehörigen ihrer Art befreundet?
    Oder gehörte er zu dem gefürchteten Volk aus dem Süden, das sich auf den Handel mit Feen und von ihnen erschaffenen magischen Relikten spezialisiert hatte?
    Das Feenmädchen nahm sich vor, von nun an doppelt vorsichtig zu sein – immerhin war der Junge in Richtung Süden unterwegs gewesen, als sie seinen Weg gekreuzt hatten.
    Warum hätte er in diese öden Landen reisen sollen, wenn er nicht von dort stammte?



    Link war unterdessen an der Rankenwand angelankt und befühlte die ineinander verwobenen Schlingpflanzen. Die einzelnen Stränge waren in etwa so dick wie der Unterarm eines durchschnittlich kräftigen Mannes und von einer borkenartigen Schicht überzogen.
    Der Knabe war sich sicher, dass er sie kaputt reißen könnte – selbst in seiner jetzigen Gestalt – doch das würde sehr viel Kraft und Energie kosten.
    Gab es keinen einfacheren Weg?
    Unwillkürlich drängte sich Link der Gedanke an Dins Feuerinferno auf. Damit wäre die Rankenwand in null Komma nichts niedergebrannt gewesen!
    Doch Link hatte nicht daran gedacht, nach seinem Besuch bei Prinzessin Zelda auch den Feenbrunnen in der Nähe des Schlosses aufzusuchen, um sich den Zauber von der dort lebenden Feenkönigin aushändigen zu lassen. Anders als bei den Zeitreisen, die ihm das Master-Schwert ermöglicht hatte, hatte er durch Zeldas Zauber nur die Ausrüstungsgegenstände behalten, die er zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihn zurückgeschickt hatte, bereits besessen hatte.
    Andererseits, überlegte der Knabe, war es angesichts seiner jetzigen Gestalt vielleicht ganz gut, dass er Dins Feuerinferno nicht dabei hatte und so in Versuchung geführt wurde, den Zauber einzusetzen. Zwar war er bislang stets von der magisch heraufbeschworenen Flammenwand verschont geblieben, aber als Laubkerl sollte er vermutlich besser nicht mit dem Feuer spielen.
    Also blieb ihm wohl nichts anderes übrig als die Ranken mit Gewalt auszureißen…
    Hätte er noch seinen menschlichen Körper gehabt, wäre ihm sein Missmut wohl überdeutlich ins Gesicht geschrieben gewesen, doch nun blieb sein Antlitz so starr und unbewegt wie eine Maske, als er die Hände auf die erste Schlingpflanze legte und kräftig anzog.
    Die Ranke gab einen knarrenden Laut von sich, ließ sich jedoch nicht bewegen – egal, wie kräftig Link an ihr riss.
    Taya, die inzwischen zu ihm herüber geschwebt war, versuchte, sich durch einen Ritz zwischen zwei Pflanzen hindurch zu zwängen, aber ohne Erfolg. Entmutigt ließ sich sich auf Links Kopf nieder und seufzte: „Wir kommen nie hier raus, oder?“
    Link ließ seinen Blick zu ihr hinaufschnellen, konnte aber außer einem wilden Wust Haare nichts sehen. „Gib nicht so schnell auf“, wollte er sie trösten, doch erneut kam nur ein krächzendes Quietschen aus seinem Rüssel.
    Als kurz darauf leises Schluchzen aus Richtung seiner Mütze erklang, legte der Knabe mit neuem Feuereifer seine Hände wieder auf eine der Schlingpflanzen. Er konnte Taya zwar nicht sonderlich leiden, aber er hatte es noch nie haben können, wenn jemand in seiner Gegenwart weinte – schon gar nicht, wenn dieser jemand so hilf- und schutzlos war wie eine Fee.
    Die Füße gegen die Rankenwand gestemmt, riss Link unter Einsatz seines vollen Körpergewichts an der Pflanze. Als Laubkerl war er zwar deutlich leichter als er es gewohnt war, doch sein Einsatz zeigte trotzdem endlich Wirkung. Zuerst wurde nur das Knarren immer lauter, aber dann gab die Ranke schließlich nach und riss. Durch den plötzlichen Stabilitätsverlust, fiel Link hintenüber und rollte, sich mehrfach überschlagend, über den weichen Moosboden.
    Taya, die sich gerade noch rechtzeitig von seinem Kopf hatte abstoßen können, fauchte erbost: „Pass doch auf!“ Erst danach fiel ihr Blick auf die Rankenwand, in der nun ein Loch prangte, das groß genug war, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Sofort bereute sie es, Link angeschnauzt zu haben, verlor darüber allerdings kein Wort. Stattdessen kletterte sie durch das neu entstandene Loch und ließ den völlig verdatterten Jungen allein zurück.
    Dieser rappelte sich wieder auf die Füße, klopfte sich Dreck und Moosreste aus seiner Kleidung und schickte der Fee einen Schwall Gequieke hinterher, der so viel heißen sollte wie: „Gern geschehen, du undankbare Zicke!“
    Für einen Moment erwog er, umzudrehen und einen Weg zurück in den Wald zu suchen, dorthin, wo er gewesen war, bevor ihn das Horrorkid beraubt und in dieses Loch gelockt hatte. Einen langgezogenen Seufzer ausstoßend, verwarf Link diesen Gedanken jedoch schnell wieder.
    Er musste die Okarina der Zeit zurückbekommen und irgendwie aus dem Horrorkid herauskitzeln, wo es Epona hingebracht hatte. Erst danach würde er weiter nach Navi suchen können.
    Gernervt vor sich hin quietschend, machte der Knabe sich an die schweißtreibende Arbeit, weitere Schlingpflanzen kaputt zu reißen, um das Loch soweit zu vergrößern, dass er sich hindurchzwängen konnte.
    Zum ersten Mal seit seiner Verwandlung konnte Link der geringen Körpergröße seiner neuen Gestalt etwas Positives abgewinnen. Trotzdem war er völlig aus der Puste, als er endlich durch die Rankenwand auf die andere Seite klettern konnte.



    Am liebsten hätte der Junge eine kurze Rast eingelegt, um wieder Atem zu schöpfen, aber er trieb sich unbarmherzig weiter. Das Horrorkid hatte bereits zu viel Vorsprung. Womöglich hatte Taya es inzwischen bereits erreicht und über Links Kommen vorgewarnt. Schaudernd dachte Link an all die Hinterhalte, die der Waldkobold in diesem Moment planen könnte, um ihn in eine noch misslichere Lage zu bringen…
    So schnell ihn seine stelzenartigen Beine trugen, trippelte Link durch die sich lang hinziehende, hohle Wurzel. Es kam ihm vor als wäre er bereits Stunden unterwegs, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte.
    Hinter einer Biegung tauchte ein hölzerner Auswuchs auf, der überraschend lebendig wirkte. Link näherte sich vorsichtig dem seltsamen Ding und machte vor Schreck direkt einen Satz nach hinten.
    Das, was er für das hölzerne Pendant zu einer Warze oder einem Tumor gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein toter Laubkerl, der mit den Wänden der hohlen Wurzel verwachsen zu sein schien. Seine leeren Augen waren weit aufgerissen und der Rüssel seltsam verzerrt, so als hätte der Deku vor Schmerzen geschrien.
    Was jedoch das größte Unwohlsein in Link auslöste, war die unverkennbare Ähnlichkeit, die das Gesicht des toten Laubkerls zu seinem eigenen Antlitz aufwies, das er in der Reflektion auf der Pfütze gesehen hatte.
    Hatte der Fluch, mit dem das Horrorkid Link belegte hatte, etwas mit dem Tod dieses Dekus zu tun?
    Schaudernd wandte der Knabe sich ab und rannte schnellstens weiter. Am liebsten hätte er den Anblick des gepeinigt wirkenden Gesichtes sofort wieder vergessen, aber er schien sich tief in seinen Geist gegraben zu haben und ihn zu verfolgen.
    Erst, als sich die Wurzel plötzlich zu einem großen, gemauerten Gewölbe öffnete, verdrängten andere Gedanken das Bild des toten Dekus aus Links Geist.
    Sich langsam um die eigene Achse drehend, schob der Junge sich tiefer in den Raum und staunte nicht schlecht. Das verliesartige Gemäuer war mindestens zwei Stockwerke hoch und ziemlich vermodert. Zwischen den Ritzen der einzelnen Mauersteine blitzen grüne Algenteppiche hervor, während die Steine selbst von Moos und graublauen Flechten überzogen waren.
    Zunächst konnte Link sich auf die Algen keinen Reim machen, doch dann hörte er das Plätschern von Wasser und entdeckte kurz darauf das riesige Wasserrad, das sich, vom Fluss angetrieben, gemächlich drehte.
    Was war dies für ein seltsamer Ort?
    Link spürte, wie ihn trotz der Umstände die Abenteuerlust überkam und er folgte neugierig dem mit Bändern vom Rest des Raumes abgetrennten Weg, an dessen Ende eine lange, sich sanft windende Treppe wartete.
    Oben angekommen, bemerkte Link zuerst die verwittert aussehende Orgel, die eine ganze Raumseite einnahm. Ihre stumpf gewordenen Pfeifen waren genau wie das Mauerwerk von Flechten und Moos überzogen, das Holz wies Flecken von Pilzbefall auf und einige der Tasten waren gesprungen.
    Wer stellte ein Musikinstrument an einem solchen Ort auf?!
    Der Anblick der Orgel brachte Erinnerungen an Links Kampf gegen Ganondorf zurück und der Junge wandte sich abrupt ab.
    Zwar hatte er die Auseinandersetzung für sich entscheiden und Hyrule retten können, aber er dachte trotzdem nicht allzu gerne an den Großmeister des Bösen zurück. Denn, wann immer er dies tat, musste er auch unwillkürlich an Zelda und ihr Alter Ego Shiek denken, was noch immer widersprüchliche Gefühle in ihm wachrief.
    In die Wand ihm gegenüber war ein riesiges, doppeltüriges Tor eingelassen worden, dessen Holz mit verschlungenen Ornamenten in strahlenden Farben bemalt war. Vor dem Ausgang schwebte Taya und zog ein ratloses Gesicht.
    Als sie Links Gegenwart bemerkte, wirbelte sie zu ihm herum und rief: „Da bist du ja endlich! Ich warte hier schon eine halbe Ewigkeit auf dich. Los, mach endlich dieses verdammte Tor auf!“
    Link zog eine Augenbraue in die Höhe und stieß ein abfälliges Schnauben aus. Er hatte keinerlei Lust, sich von dieser unverschämten Fee herumkommandieren zu lassen. Entsprechend stützte er die Hände in die Hüften, verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein und sah abwartend zu Taya hinauf.
    Diese wurde zunehmend ungeduldiger und fragte in gereiztem Ton: „Sag mal, bist du taub oder so? Du sollst das Tor aufmachen!“
    Als Link daraufhin noch immer nicht reagierte, ließ sie schließlich Kopf und Schultern hängen und murmelte: „Ich bin zu schwach, um es selbst zu tun. Also, könntest du mir bitte helfen? Bitte?!“
    Der Junge verspürte nicht schlecht Lust, sie noch ein wenig länger schmoren zu lassen. Sollte sie ruhig ein wenig dafür leiden, dass sie und ihre Freunde ihn derart schäbig behandelt hatten!
    Da Link jedoch selbst neugierig darauf war, was sich hinter diesem Tor verbarg, gab er nach kurzem Zögern seine steife Körperhaltung auf und schritt zum Ausgang herüber.
    Doch kaum, dass er eine Hand auf das Holz eines Türflügels gelegt hatte, ertönte hinter ihm plötzlich ein Kichern und eine helle Stimme fragte: „Dich hat ein schreckliches Schicksal ereilt, nicht wahr, mein Freund?“

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  • Vertraute Fremde

    Link wirbelte erschrocken herum, während Taya sich hinter ihm versteckte – jedoch nicht, ohne neugierig über seine Schulter hinweg zu spähen.
    Der Fremde war ein Mann mittleren Alters, den Link auf Grund seiner überlangen, spitz zulaufenden Ohrmuscheln als Hylianer identifizierte. Seine Gesichtshaut war von einem beinah ungesund wirkenden Grau und seine Augen auffällig schmal. Link konnte nicht einmal die Farbe seiner Iriden erkennen, obwohl der Unbekannte nicht mehr als zwei Meter von ihm entfernt stand. Seine schmalen Lippen hatte er zu einem breiten Lächeln verschoben und seine vor die Brust erhobenen Hände waren wie zum Gebet ineinander gelegt.
    Das Auffälligste an ihm war jedoch der gigantische Rucksack, der auf seinem Rücken thronte und den Mann mit seinem Gewicht zu Boden drückte. Das beutelähnliche Ding war offenbar bis zum Rand gefüllt und so schwer, dass sein Träger nicht mehr aufrecht stehen konnte. Stattdessen hatte er den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt als wollte er einen Bückling machen.
    Als Link die bemalten, gesichtsförmigen Holzschalen bemerkte, die zu dutzenden am Rucksack des Fremden hingen, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, warum der Unbekannte ihm entfernt bekannt vorkam: der Maskenhändler aus Hyrule-Stadt!
    Kurz nachdem er die Hauptstadt Hyrules das erste Mal betreten hatte, war in direkter Nachbarschaft zur Zitadelle der Zeit ein neuer Laden eröffnet worden, der den klangvollen Namen «Fröhlicher Maskenladen» getragen hatte. Der Mann, der nun vor Link und Taya stand, sah ganz genauso aus wie der Betreiber jenes Maskengeschäfts. Link erinnerte sich, dass er ihn ab und zu gesehen hatte, wenn er auf dem Weg zu oder aus der Zitadelle der Zeit gewesen war.
    Aber weshalb sollte sich ein einfacher Maskenhändler an einen derart sonderbaren Ort wie diesen, weit weg von Hyrule, verirren?
    Vielleicht, überlegte Link, verwechselte er den Fremden und er stand einem Doppelgänger gegenüber?
    Mit einem Schaudern dachte der Knabe an seine Begegnung mit seinem eigenen Schattenweltgegenstück zurück. Es war vielleicht nicht der schwierigste Kampf gewesen, den er im Laufe seines Abenteuers, das er als Herr der Zeiten hatte bestreiten müssen, aber nichtsdestotrotz hatte ihn das Aufeinandertreffen mit seinem Doppelgänger stärker beeindruckt als das meiste andere, was er in seinem Leben bereits gesehen hatte. Noch immer fühlte es sich an als habe er seinen Bruder erschlagen…
    Link war so tief im Reich seiner Erinnerungen, dass er heftig zusammenzuckte, als der Fremde ihn erneut ansprach: „Ich erinnere mich daran, dich in Hyrule-Stadt gesehen zu haben. Aber damals warst du noch nicht so… hölzern. Was ist passiert?“
    Also war der Unbekannte doch kein Doppelgänger, sondern tatsächlich der Maskenhändler aus Hyrule!
    Der Knabe versuchte zu antworten, aber als wieder nur unartikuliertes Quietschen aus seinem Rüssel kam, brach er seufzend ab und deutete mit einem Kopfnicken auf Taya, die sichtlich erschrak und sich ruckartig abwandte.
    Dennoch erbleichte der Maskenhändler bei ihrem Anblick, was Link angesichts seiner eh schon unnatürlich blassen Hautfarbe verblüffte. Die Hände um die Riemen seines Rucksacks gekrampft, stieß der geschockt wirkende Mann aus: „Du…! Wo… Wo ist meine Maske?!“
    Während Link irritiert die hölzernen Augenbrauen zusammenzog, setzte Taya eine perfekte Unschuldsmiene auf und flötete: „Maske? Ich weiß überhaupt nicht, von was du redest.“
    Der Maskenhändler stutzte erst, dann fauchte er: „Verkauf mich nicht für dumm, kleine Fee! Ich habe dich erkannt! Du warst dabei, als dieser unsägliche Kobold meine wertvolle Maske gestohlen hat!“
    Sofort schob sich das Bild der knallbunt bemalten, bedrohlich wirkenden Maske, die das Horrorkid zuvor getragen hatte, vor Links geistiges Auge und er quiekte von plötzlicher Erkenntnis erhellt leise auf.
    Taya trat ihm mit aller Kraft, die sie ihrem zierlichen Feenkörper entlocken konnte, gegen die Schulter und warf ein strahlendes, entschuldigendes Lächeln in Richtung des Maskenhändlers: „Ach so, diiiiiiieeeee Maske meinst du! Ja… also… ähm… Um ganz ehrlich zu sein, wir sind auch gerade auf der Suche nach ihr. Wir wollten sie dir zurückbringen, weißt du?“
    Überrascht wirbelte Link zu ihr herum und starrte sie fassungslos an. Obwohl sie, da war der Junge sich sicher, gelogen hatte wie gedruckt, zeigte sie kein Anzeichen von Scham. Weder war ihr Lächeln brüchig geworden, noch hatten sich ihre Wangen rot verfärbt.
    Ob sie es derart gewohnt war, die Unwahrheit zu sagen, dass ihr das Lügen bereits in Fleisch und Blut übergegangen war?
    Der Maskenhändler schien von Links Verblüffung jedoch nichts zu bemerken. Stattdessen wurde sein Gesicht plötzlich von einem erfreuten Grinsen erhellt und er rief: „Tatsächlich?“ Dann ließ er seinen Oberkörper mehrfach Richtung Boden schnellen, als er sich tief vor Link und Taya verbeugte. „Oh, ich danke euch! Ich danke euch!“
    Verlegen warf der Junge der neben ihm schwebenden Fee einen zornigen Blick zu. Na, da hatte sie ihm ja ganz schön etwas eingebrockt! Zuerst hatte sie ihm gemeinsam mit ihren Freunden die Okarina der Zeit und Epona gestohlen und jetzt verließ sich ihretwegen auch noch das Maskenhändler darauf, dass er ihm seine Maske zurückbrachte…
    Dabei musste er doch so schnell wie möglich nach Süden weiterziehen und Navi suchen…
    Als sein Anfall spontaner Dankbarkeit vorüber war, richtete sich der Maskenhändler wieder soweit auf wie es sein schwerer Rucksack zuließ und sagte: „Ich werde hier auf euch warten, aber, bitte, beeilt euch. Ich habe wichtige Termine, die ich dringend einhalten muss. Deswegen muss ich spätestens in drei Tagen abreisen. Meint ihr, ihr könnt mir meine wertvolle Maske bis dahin wiederbeschaffen?“
    Tayas Lächeln wurde noch eine Spur breiter und sie versicherte im Brustton der Überzeugung: „Aber sicher doch! Das wird ein Klacks für mich und… äh… den Deku-Jungen!“
    Link rollte genervt mit den Augen und wollte rufen „Mein Name ist Link!“, aber außer Knarzen und Quieken brachte er nichts zustande.
    Der Maskenhändler schien dies als Zustimmung zu werten und verbeugte sich erneut. „Ich danke euch.“ Dann wandte er sich an Link und sagte: „Als Zeichen meiner Dankbarkeit, werde ich dir einen Weg zurück zu deiner wahren Gestalt zeigen. Alles, was ich dafür brauche, ist das Musikinstrument, das dir gestohlen wurde.“
    Bei diesen Worten riss der Junge überrascht die Augen auf.
    Woher wusste dieser Mann, dass ihm die Okarina der Zeit entwendet worden war?
    Nur zu gerne hätte er sich danach erkundigt, aber da er wusste, dass wieder nur seltsame Quietschlaute aus seinem Mund gekommen wären, nickte er dem Maskenhändler nur stumm zu und lehnte sich dann gegen einen Flügel des Tores.
    Er würde später, wenn er wieder in seinem menschlichen Körper steckte, noch Gelegenheit haben, den Maskenhändler auszufragen.
    Jetzt war es erst einmal an der Zeit, herauszufinden, was hinter diesem Tor lag!



    Mit dem Anblick, der sich Link und Taya nur Sekunden später bot, hatte der Junge im Traum nicht gerechnet! Er hatte vermutet, irgendwo im Wald aufzutauchen, vielleicht an einem Fluss oder See. Aber nie im Leben hätte er geglaubt durch das Tor direkt in das Zentrum einer belebten Stadt zu stolpern!
    Entsprechend überrascht betrachtete Link das bunte Treiben um ihn herum. Direkt vor ihm waren einige hölzerne Stände, die vermutlich während der Markttage von Händlern benutzt wurden, um ihre Waren feilzubieten. In etwas weiterer Entfernung waren einige kräftig aussehende Männer dabei, einen hölzernen Turm zu errichten, dessen Zweck sich Link nicht erschloss. Das rhythmische Ratschen und Klopfen ihrer Sägen und Hämmer vermischte sich mit dem vergnügten Pfeifen der Männer zu einer sonderbaren Melodie.
    Während Link sich mit vor Staunen geweiteten Augen umsah, atmete Taya neben ihm tief ein und seufzte freudig: „Ah! Unruh-Stadt, du herrlich brodelnder Hexenkessel des Lebens!“
    Bei ihrem erfreuten Ausruf horchte Link auf.
    Hieß die Stadt, in der sie sich nun befanden so?
    Unruh-Stadt?
    Er hatte noch nie von einer Ortschaft gehört, die diesen Namen trug.
    Wie weit war er von seinem Weg abgekommen?!
    Doch bevor sich der Knabe ernsthaft den Kopf darüber zerbrechen konnte, wo er sich befand und wie er je an sein eigentliches Ziel zurückfinden sollte, wurde er plötzlich von einem Hund mit struppigem, weißen Fell angesprungen. Eigentlich hätte der Streuner Link kaum bis zum Knie gereicht, doch in seiner jetzigen Gestalt begegnete er dem Tier beinah auf Augenhöhe.
    Entsprechend wurde er von der Wucht des Aufpralls zu Boden gerissen und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Rücken.
    Der Schreck fuhr dem Jungen jedoch erst richtig in die Glieder, als der Köter ihm von dem Geräusch splitternden Holzes begleitet in den Unterarm biss.
    Ein Teil von Link registrierte verwundert, dass er keinen Schmerz fühlte, obwohl der Hund seine scharfen Zähne tief in seinen Arm versenkte. Der Rest von ihm war vollends damit beschäftigt, in dem Versuch, den Streuner abzuschütteln, um sich zu treten.
    Taya, die ein überraschtes Gesicht ziehend über ihm schwebte, mutmaßte: „Sieht so aus als hielte er dich für ein übergroßes Stöckchen…“
    Link warf ihr einen giftigen Blick zu und stieß einen Schwall Quieklaute aus, die so viel heißen sollten wie: „Es ist mir verdammt nochmal egal, für was mich der Köter hält! Hilf mir gefälligst, ihn loszuwerden!“
    Der Junge hatte keine große Hoffnung, dass Taya auch nur einen Finger zu seiner Rettung rühren würde. Entsprechend überrascht war er, als die Fee plötzlich zu dem Hund hinabstieß, ihn an der aufrechtstehenden Muschel seiner Ohren packte und ein markerschütterndes Kreischen ausstieß, das selbst die an dem Turm arbeitenden Zimmermänner irritiert aufschauen ließ.
    Der Hund stieß einen winselnden Laut aus und ließ lange genug von Link ab, dass dieser ihn abschütteln konnte. Doch nur Sekunden später bleckte das Tier wieder mit einem Knurren die Zähne und machte sich bereit, sich erneut auf den Deku-Jungen zu stürzen.
    „Lauf!“ Taya machte eine Handbewegung als wolle sie Link notfalls vor sich her schieben – dabei musste man dem Knaben gar nicht erst sagen, dass er die Beine in die Hand nehmen sollte. So schnell er konnte wirbelte er herum und rannte an dem Gebäude, durch das sie Unruh-Stadt betreten hatten, vorbei und einen hölzernen, leicht ansteigenden Weg hinauf.
    Laufen fiel Link in seinem neuen Körper mit den sich steif anfühlenden, kurzen Beinen noch immer schwer. Dementsprechend rechnete sich der Junge wenige Chancen aus, den Hund durch Schnelligkeit abhängen zu können. Stattdessen versuchte er, seinen Verfolger durch Hakenschlagen und abrupte Richtungswechsel abzuschütteln.
    Tatsächlich wurde das verräterische Kratzen der Hundekrallen auf dem Holz und Stein allmählich immer leiser, als der Streuner Stück für Stück die Lust verlor, Link zu verfolgen, und langsamer wurde. Trotzdem hetzte der Junge weiter, bis er sich ganz sicher war, den Köter endgültig abgehängt zu haben.
    Erst dann blieb er stehen und sah sich erneut um.



    Die kleine Verfolgungsjagd hatte ihn offenbar in einen anderen Stadtteil gebracht. Während sich dort, wo er Unruh-Stadt betreten hatte, offenbar das Marktviertel befand, hatte Link sich nun in einen Bezirk verirrt, der in erster Linie dem Amüsement gewidmet war.
    Direkt vor dem Jungen befand sich eine Schießbude, deren Dach mit einem gigantischen Oktorok geschmückt war, und hinter ihm hatte jemand ein ganzes Gebäude in Form einer Schatztruhe aufgebaut. Die mit bunten Lettern auf das Holz gemalten Werbesprüche identifizierten das eigenwillig aussehende Truhen-Haus als Glücksspielbude. Neben der Schießbude war ein weiteres Etablisment, das «bombigen Spaß» versprach.
    Link schritt langsam über den zentralen Platz des Viertels und sah sich aufmerksam um. Obwohl Unruh-Stadt in etwa so groß zu sein schien wie Hyrule-Stadt, fühlte der Knabe sich zu seiner eigenen Überraschung weniger beengt als in der Stadt seiner Geburt. Vielleicht, so überlegte er, lag es daran, dass hier die einzelnen Gebäude recht weit auseinander standen und Platz für breite Straßen und Plätze zu lassen, anstatt dicht an dicht zu stehen.
    Taya, die während der Flucht vor dem streunenden Hund neben Link hergeflogen war, sah sich ebenfalls aufmerksam um. Im Gegensatz zu Link wirkte sie jedoch eher suchend als neugierig. Nur zu gerne hätte der Junge sie gefragt, wonach sie Ausschau hielt, aber da vermutlich wieder nur Geknarze aus seinem Rüssel gekommen wäre, trat er stattdessen schweigend ein kleines Steinchen vor sich her.
    Allmählich ging es ihm gehörig auf die Nerven, dass er sich nicht artikulieren konnte…
    Was, wenn er mal Hilfe brauchen sollte?
    Er konnte in seinem jetzigen Zustand ja nicht einmal nach dem Weg fragen!
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Taya plötzlich: „Horrorkid und Tael müssen hier irgendwo sein, aber die beiden waren schon immer gut darin, sich zu verstecken. Ich fürchte, so lange Horrorkid nicht will, dass wir sie finden, können wir uns dumm und dämlich suchen.“
    Bei diesen Aussichten stieß Link ein leises Quietschen aus, das so viel heißen sollte wie: „Ganz große Klasse…“
    Irritierenderweise zuckten Tayas Mundwinkel angesichts seiner Reaktion ein wenig in die Höhe und sie fuhr fort: „Ich schlage deswegen vor, dass wir besuchen die Große Fee. Sie lebt im Norden der Stadt und ihr entgeht nichts, was in Unruh-Stadt passiert.“
    Link nickte begeistert. Zum Glück kannte sich wenigstens Taya in dieser ihm fremden Gegend aus. Er hatte sich schon plan- und anhaltslos durch die Straßen irren und zunehmend verzweifeln sehen.
    Dankbar über diesen Hoffnungsschimmer wollte der Junge sich sogleich in den Norden der Stadt aufmachen, doch in diesem Moment öffnete sich die Eingangstür des in der Nähe befindlichen Gasthofs «Zum Eintopf» und Link erstarrte in der Bewegung.
    Basil?!
    Was, im Namen der Göttinnen, machte der Stallknecht der Lon-Lon-Farm an diesem Ort?
    Und wieso hatte er sich herausgeputzt als gehöre er zum Ensemble eines Zirkus?
    Der Knabe starrte dem brummig aussehenden Mann, der die Treppen neben dem Wirtshaus erklomm und Link nicht eines Blickes gewürdigt hatte, aus großen Augen hinterher.
    Bedeutete Basils Anwesenheit, dass auch Talon und Malon hier waren?
    Verwirrt zog Link die Augenbrauen zusammen.
    Zuerst tauchte der Maskenhändler aus Hyrule-Stadt hier in der Fremde auf und jetzt auch noch Basil?
    Die Verwirrung des Jungen wurde jedoch erst perfekt, als Taya ihn ungeduldig von der Seite ansah und blaffte: „Kommst du?! Oder willst du den ganzen Tag hier herumstehen und Gorman hinterherstarren?“
    Gorman?
    Link blinzelte irritiert.
    Hieß der Mann von zuvor so?
    Dabei war Link sich so sicher gewesen, dass er Basil erkannt hatte…
    Mit den Schultern zuckend, beschloss der Junge nach kurzem Zögern, dass es keine Rolle spielte, wen er gesehen hatte oder gesehen zu haben glaubte. Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, das Horrorkid zu finden und ihm die Maske und die Okarina der Zeit abzuluchsen, damit er baldstmöglich seinen menschlichen Körper zurückbekam.
    Trotzdem konnte er das nagende Gefühl des Unbehagens nicht abschütteln, während er Taya in den Norden der Stadt folgte…


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    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • Zersplittert


    Taya führte Link dieselbe Treppe hinauf, die Gorman zuvor erklommen hatte, und der Knabe beobachtete, wie der schlecht gelaunt wirkende Mann ein Haus mit bunt bemalter Frontfassade betrat. Aus den Augenwinkeln sah Link einen kleinen Jungen mit gelbem Kopftuch, der mit ausgebreiteten Armen vor einer schmalen Gasse stand und die drei Passanten argwöhnisch musterte.
    Da der Schock über die enorme Ähnlichkeit Gormans zu dem Stallknecht der Lon-Lon-Farm Link noch immer in den Knochen saß, wunderte er kaum über das sonderbare Verhalten des Jungen und starrte stattdessen Gorman hinterher, der im Inneren des Gebäudes verschwunden war.
    Ob Basil wohl einen Zwilling hatte?
    Taya, die Links Blick mit den Augen gefolgt war und sein Interesse missdeutete, erklärte: „Das dort drüben ist das Rathaus von Unruh-Stadt. Wenn du das Gefühl haben solltest, zu sorgenfrei zu sein, statte dem Bürgermeister und seinen Beratern einen Besuch ab. Du kannst dir sicher sein, dass sie Probleme finden werden, wo gar keine sind!“
    Der Knabe zog eine Augenbraue in die Höhe und stieß einen Schwall Quiek- und Knarzlaute aus: „Ich wurde überfallen, meines Pferdes und meines wertvollsten Besitzes beraubt und in einen Laubkerl verwandelt. Seh ich aus wie jemand, der zu wenig Sorgen hat?!“
    Zu Links Überraschung nickte Taya mit einem beinah mitfühlend wirkenden Gesichtsausdruck.
    Hatte er es endlich geschafft, verständliche Worte von sich zu geben?
    Sobald die Fee antwortete, sank dem Jungen der Mut jedoch sogleich wieder, da ihre Worte überdeutlich machten, dass sie lediglich mutmaßte, was er gesagt haben könnte: „Ja, du hast vollkommen Recht. Politiker sind wirklich eine Plage. Ständig denken sie sich neue Regeln aus, um unsereins den Spaß zu verderben…“
    Link dachte daran, dass zu der Vorstellung von Spaß, die Taya, ihr Bruder und das Horrokid teilten, offenbar auch Wegelagerei gehörte und grunzte augenrollend: „Das ist ja überraschend!“
    Mit einem erneuten Nicken entgegenete die Fee: „Ja, ganz genau. Ich stimme dir in jedem Punkt zu.“ Einige Herzschläge lang bedachte der Junge seine Begleiterin mit einem zwischen Unglauben, Genervtheit und einer Spur Amüsement schwankenden Gesichtsausdruck, dann verfielen die Beiden in Schweigen, bis sie durch einen breiten Torbogen in das angrenzende Viertel traten.
    Der Norden der Stadt war offenbar zur Erholung gedacht. Anstatt wie die anderen Teile Unruh-Stadts mit unzähligen Gebäuden voll gequetscht und gepflastert zu sein, wurde dieses Viertel von grünen Wiesen, vereinzelten Bäumen, Blumen und unbefestigten Wegen bestimmt. Rechts neben sich entdeckte Link zwischen hohen Gräsern eine steinerne Rutsche, die vermutlich für die Kinder der Stadt erbaut worden war.
    In der Nähe schwebte ein riesiger, dunkelvioletter Ballon, dessen Sinn sich dem Knaben nicht erschloss, bis er einen Jungen entdeckte, der versuchte, mit einem schmalen Rohr kleine Steinchen auf den Ballon zu schießen, indem er ins hintere Ende des Rohrs pustete. Offenbar hoffte er, den Balln auf diese Weise zum Platzen bringen zu können.
    Mit einem Anflug von Amüsement bemerkte Link, dass der Junge die gleichen Kleider trug wie jener, der er kurz zuvor im Osten der Stadt gesehen hatte. Der einzige Unterschied war, dass sich dieser statt eines gelben, ein rotes Tuch um den Kopf gewickelt hatte. Links Erheiterung verflog jedoch schnell wieder, als er dem Blick des Jungen begegnete…
    In den Iriden des Fremden, die so dunkel waren, dass sie pechschwarz wirkten, lagen Argwohn, Ablehnung und ein wenig Angst.
    Link konnte sich darauf keinen Reim machen und fragte sich, ob es an seinem neuen Erscheinungsbild lag, dass der andere Junge ihn derart feindselig ansah, obwohl sie sich niemals zuvor begegnet waren.
    Zu gerne hätte der Knabe seine Begleiterin gefragt, ob die Menschen in Unruh-Stadt ein Problem mit Dekus hatten, da er jedoch wusste, dass Taya ihn nicht verstehen konnte, schwieg er und folgte ihr mit gesenktem Kopf den sandigen Pfad entlang.



    Nach einigen Minuten kamen die Beiden an eine leichte Anhöhe und Link konnte am Ende des Weges ein reich verziertes Tor entdecken. Taya erklärte in beinah ehrfürchtigem Ton: „Wir sind fast da. Hinter diesem Torbogen befindet sich die Quelle der großen Fee. Sie ist sehr weise und mächtig – also benimm dich gefälligst, wenn wir vor sie treten!“
    Link warf ihr einen schelen Seitenblick zu und knarzte: „Genau… Weil ich derjenige von uns bin, den man an seine gute Kinderstube erinnern muss…“
    Taya warf ihre Stirn in Falten und schien angestrengt zu überlegen, was ihr Begleiter gesagt haben könnte. Als ihr nichts Überzeugendes einfiel, bekräftigte sie: „Das ist mein Ernst!“
    Als Antwort stieß Link ein Grunzen aus, das ausnahmsweise nichts weiter bedeuten sollte. Es war ganz einfach das, was ein Grunzen normalerweise war: ein Ausdruck tief empfundener Genervtheit.
    Ohne Tayas Reaktion abzuwarten, setzte sich der Junge wieder in Bewegung und marschierte die Anhöhe zu dem mit bunten Farben, Goldapplikationen und Edelsteinen verzierten Torbogen hinauf. Es dauerte nur Sekunden, bis die Fee wieder zu ihm aufschloss und neben ihm in der Luft flog.
    Es war offensichtlich, dass Taya nervös und angespannt war, die große Fee zu treffen. Anstatt wie sonst ein leicht spöttisches Lächeln auf den Lippen zu haben, hatte Taya diese zu einem dünnen Strich zusammengepresst und auch ihre ansonsten schelmisch funkelnden Augen wirkten auf einmal leicht gehetzt.
    Während die beiden neben einander her gingen, erinnerte sich Link an sein erstes Aufeinandertreffen mit einer Feenkönigin. Navi war damals ebenfalls sehr angespannt, im Gegensatz zu Taya jedoch voller Vorfreude gewesen. Die Enttäuschung, die seine Fee nach dem Treffen mit einer ihrer Königinnen empfunden hatte, versetzte dem Knaben noch immer einen Stich im Herzen.
    Das Gefühl eines Déjà-vus wurde noch verstärkt, als Link und Taya den Feenbrunnen betraten. Genau wie in Hyrule waren auch hier die Wände mit einer merkwürdigen Substanz überzogen, die alles funkeln und blitzen ließ wie ein Meer flüssiger Edelsteine. Der Brunnen selbst bestand aus schneeweißem Marmor und das Wasser in der flachen Senke war von einem zarten Türkisblau.
    Während Link das Gefühl hatte, plötzlich wieder in Hyrule zu sein, und davon völlig überwältigt war, kreischte Taya entsetzt: „Die große Fee! Oh nein!“
    Erst jetzt registrierte der Junge den Schwarm orange-gelber Lichtgestalten, der über der Mitte des Brunnens in der Luft schwebte. Die einzelnen Gestalten erinnerten Link an die Nussbrotkerle, die Salia im Winter häufig gebacken hatte: riesiger Kopf mit geschwungener Haartolle, winziger Körper mit kurzen Ärmchen und Beinchen und hauchdünne, lange Flügel.
    Taya sank am Rand des Brunnen auf den Boden und fragte tonlos: „Was ist bloß geschehen?“
    Dabei blickte sie derart erschüttert aus der Wäsche, dass Link sie am liebsten umarmt hätte, obwohl er der Fee ansonsten alles andere als positive Gefühle entgegenbrachte.
    Während der Junge noch überlegte, wie er Taya trösten könnte, wagte sich eine der Lichtfiguren vor und sagte mit hoher, piepsiger Stimme: „Liebe Taya und Link, hochverehrter Held aus Hyrule…“
    Link horchte überrascht auf und hätte beinah überhört, was das Lichtmännchen noch zu sagen hatte.
    Woher kannte dieses Ding seinen Namen?
    Und wieso wusste es, dass er aus Hyrule stammte?
    Unterdessen sprach die Lichtfigur weiter: „Ich weiß, ihr seid hierher gekommen, weil ihr euch Hilfe erhofft habt, aber in unserem jetzigen Zustand können wir leider nichts für euch tun.“
    „Aber… Was ist denn nur passiert?!“, wiederholte Taya ihre Frage von zuvor und sah aus großen, schimmernden Augen zu dem seltsamen Wesen auf.
    Das Lichtmännchen schien für einen Moment zu überlegen, dann antwortete es beinah zögerlich: „Es war das Horrorkid… Es kam in unsere Quelle und hat einen uralten Zauber auf uns gesprochen. Dadurch hat sich unser Körper in viele Einzelteile gespalten – das Ergebnis seht ihr hier.“
    Taya machte ein beinah empörtes Gesicht. „Aber die große Fee ist viel mächtiger als das Horrorkid! Sie hätte es mit einer simplen Bewegung der Hand aus dem Brunnen fegen können!“
    Es war eine andere Lichtgestalt, die sich hinzugesellte und entgegnete: „Du unterschätzt die Macht, die ihm seine Maske verleiht…“
    Bei diesen Worten horchte Link erneut auf.
    Die Maske, die das Horrorkid dem Maskenhändler geraubt hatte, verfügte über sonderbare Kräfte?
    Wollte der Händler sie deswegen unbedingt zurückhaben?
    Unterdessen erwiderte Taya in trotzigem Ton: „Mag sein! Aber wieso habt ihr euch nicht wieder zusammengeschlossen, nachdem das Horrorkid gegangen war?“
    Es war das erste Lichtmännchen, das antwortete: „Nun, junge Taya, damit sind wir am Grunde unseres Problems angekommen. Als das Horrorkid seinen Zauber auf uns gesprochen hat, sind Teile von uns geflohen und haben versucht, sich außerhalb des Brunnens in Sicherheit zu bringen. Fast alle haben inzwischen ihren Weg zurück gefunden, aber ein Teil ist bislang nicht zurückgekehrt. Ohne diesen fehlenden Teil können wir uns nicht zur großen Fee zusammenschließen.“
    Link stieß einige Knarzlaute aus, als er das Horrorkid bildgewaltig verfluchte. Das Lichtmännchen verzog daraufhin die Lippen zu einem breiten Lächeln und rief erfreut: „Ihr wollt uns helfen? Habt Dank!“
    Im ersten Moment wollte der Knabe den Kopf schütteln, um deutlich zu machen, dass er nichts dergleichen gesagt hatte, entschied sich dann aber doch dagegen. Die große Fee war seine beste Chance, das Horrorkid zu finden, seine Okarina und die Maske und damit auch seine ursprüngliche Gestalt zurück zu bekommen und sich schnellstmöglich wieder auf die Suche nach Navi zu machen.
    Also nickte er stattdessen und wurde dafür von Taya mit einem dankbaren Blick bedacht.
    Auch das Lichtmännchen lächelte noch ein wenig breiter und wiederholte sich: „Habt Dank! Bringt uns unseren fehlenden Teil und wir werden euch all eure Fragen beantworten.“
    Link nickte und Taya schwang sich wieder in die Lüfte, um sich gemeinsam mit dem Knaben auf die Suche nach dem verirrten Feenteil zu machen.



    Ihre Suche führte die Beiden zunächst zurück in den Süden der Stadt, wo die Zimmerleute noch immer fleißig an ihrem Holzturm werkelten. Link warf argwöhnische Blicke in jede Ecke, immer damit rechnend, jeden Moment wieder von dem angriffslustigen Streuner angesprungen zu werden.
    Unterdessen erklärte Taya: „Das große Gebäude dort in der Mitte ist übrigens der Uhrenturm. Den Großteil des Jahres steht er einfach nur hier herum, zeigt die Zeit an und ist ziemlich hässlich. Aber wenn der Karneval beginnt, öffnet sich der Zugang zum Inneren des Turms und der Vorstand des Karnevalkomitees nutzt diesen Weg, um die Spitze des Uhrenturms zu erklimmen und von dort aus ein Feuerwerk zu entzünden. Das ist dann der Startschuss für das größte und schönste Fest, das du dir vorstellen kannst!“
    Die Fee warf einen verträumten Blick zur Spitze des steinernen Turms und Link fragte sich, ob sie womöglich hier in Unruh-Stadt aufgewachsen war. Anders konnte er sich den starken nostalgischen Beiklang in ihrer Stimme nicht erklären. Er versuchte, sich eine kindliche Taya vorzustellen, die gemeinsam mit ihrem Bruder Tael zwischen Feiernden, bunten Lampignons, Girlanden und Feuerwerkblumen umhertanzte, und musste über die Bilder in seinem Kopf schmunzeln.
    Das Amüsement verging ihm jedoch schnell wieder, als sich hinter ihm plötzlich ein Knurren erhob, das dem Jungen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch Taya rief erschrocken: „Oh nein! Der Köter von vorhin! Renn!“
    Ohne einen Blick zurück zu werfen, sprintete Link los, wobei er sich Mühe gab trotz seiner Orientierungslosigkeit eine andere Richtung einzuschlagen als zuvor. Er war sich ziemlich sicher, dass sich der Feensplitter weder im Osten noch im Norden der Stadt befand.
    Taya bewarf den Streuner unterdessen mit kleinen Steinchen, um ihn von Link abzulenken – jedoch ohne großen Erfolg. Der herrenlose Hund hetzte stur hinter dem Laubkerl her, wobei er die Lefzen leicht anhob und die lange, rosa Zunge seitwärts aus dem Maul hängen ließ.
    Link warf einen Blick über die Schulter zurück und erschauderte. Die Stellen, an denen sich die scharfen Zähne des Streuners in seine hölzernen Glieder gebohrt hatten, schmerzten noch immer und würden wohl für immer von Zahnspuren gezeichnet sein. Der Junge konnte nur hoffen, dass diese Bissmale verschwinden würden, sobald er seine wahre Gestalt zurückbekam.
    Die beiden Flüchtenden hielten auf einen rot bemalten Torbogen zu, als auf einmal eine schrille, irgendwie rostig klingende Stimme erklang: „He! Du da! Weg von meiner Deku-Blume!“
    Link, der sich erschrocken nach dem Ursprung der Worte umsah, stolperte über seine steifen Beine und stürzte. Da er sich mit seinen kurzen Stummelärmchen nicht abfangen konnte, fiel der Junge wie ein gefällter Baum zu Boden, wo er noch ein gutes Stück rutschte, bevor er zum Liegen kam.
    Der ihn verfolgende Köter stieß ein erfreutes Knurren aus und machte einen Satz nach vorn, um sich auf seine wehrlose Beute zu stürzen. Link rollte sich auf den Rücken und zog die Beine an, bereit dem Streuner die Füße in den Bauch zu rammen. Taya hingegen wandte sich ab und schlug sich die Hände vors Gesicht als wollte sie das Kommende nicht sehen.
    Doch anstatt auf Link zu landen und ihm die Zähne in den Leib zu schlagen, wurde der Hund plötzlich von einem schwer aussehenden Leinensack zur Seite geschleudert. Der Streuner rollte über den Boden, überschlug sich mehrfach und rannte dann jaulend und leicht humpelnd davon.
    Irritiert setzte Link sich wieder auf und entdeckte einen grimmig aus der Wäsche guckenden Deku, der einen gewaltigen Bauch vor sich her trug und zwei Leinensäcke geschultert hatte. Mit dem Kinn auf den am Boden sitzenden deutend, wiederholte der Deku: „Weg von dieser Deku-Blume! Das ist Privatbesitz!“
    Noch verwirrter als zuvor sah Link sich um und entdeckte schräg hinter sich eine riesige Blüte mit ausladenden goldenen Blütenblättern, unter denen safrangelbe Kelchblätter hervorlugten. In der Mitte der Blume, dort wo sich eigentlich das Pollenkissen hätte befinden sollen, war ein klaffendes Loch, das jedoch nicht so aussah als wäre es mit Gewalt geschaffen worden.
    Noch bevor Link sich einen Reim auf dieses sonderbare Gewächs machen konnte, stolzierte der Deku an ihm vorbei, sprang auf die Blume und versank bis unter die Achseln im Loch. Dann wandte er sich wieder dem Jungen zu, der ihn aus geweiteten Augen verblüfft anstarrte. „Wenn ihr hier seid, um vor dem Karneval noch schnell Materialien für eure Kostüme einzukaufen, muss ich euch leider enttäuschen. Ich bin restlos ausverkauft.“
    Taya, die sich von dem barschen Ton des Händlers angestachelt fühlte, schnappte: „Ach, und warum bist du dann überhaupt noch da?“ Während Link ihr einen irritierten Blick zuwarf – Was interessierte sie, was dieser Händler trieb? – antwortete der Angesprochene: „Weil ich noch kein Souvenier für meine Frau habe. Habt ihr schon mal etwas von einem Edelstein namens ‚Mondträne‘ gehört? Angeblich soll es ihn in dieser Gegend geben und er soll von beinah überirdischer Schönheit sein – das wäre genau das Richtige für meine Frau.“
    Link zuckte desinteressiert mit den Schultern und Taya schüttelte den Kopf: „Aber… das sind doch nur Gerüchte!“ Der Deku-Händler verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Da habe ich anderes gehört. Ich werde diese Stadt nicht ohne eine Mondträne verlassen!“
    Taya setzte bereits zu einem bissigen Gegenkommentar an, stoppte sich jedoch selbst und sagte stattdessen: „In Ordnung. Wir hören uns für dich nach diesem Edelstein um.“ „Oh! Wirklich?!“ Der Deku-Händler klatschte begeistert in die Hände und sah Taya dankbar an. Link hingegen lief bei dem listigen Funkeln in den Augen der Fee ein Schauer über den Rücken.
    Sie führte irgendetwas im Schilde, da war er sich ganz sicher…
    Nur was?
    Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Nur Sekunden später nickte Taya bekräftigend und entgegenete: „Sicher doch! Versprochen! Heiliges Ehrenwort! Aber…“ Ihre Mundwinkel zuckten zu einem durchtrieben wirkenden Grinsen in die Höhe. „Aber im Gegenzug hilfst du uns!“
    Der Deku stutzte für einen Moment, dann nickte er zaghaft. „In Ordnung. Was kann ich für euch tun?“
    „Wir suchen eine verirrte Fee“, setzte Taya an, wurde aber sogleich wieder vom Händler unterbrochen: „Was? Eine verwirrte Fee?“ Das Feenmädchen rollte mit den Augen und seufzte genervt: „Eine verirrte Fee, keine verwirrte.“ Dann beschrieb sie dem Deku-Händler die winzigen Lichtmännchen, in die sich die große Fee aufgespalten hatte und fragte anschließend: „Hast du so etwas hier in der Gegend gesehen?“
    Der Deku überlegte für einen Moment und schüttelte dann den Kopf, was seinen gesamten Körper durchrüttelte. „Nein, tut mir leid.“
    Mit einem leisen Quieken ließ Link enttäuscht den Kopf hängen und seufzte. Es wäre auch wirklich zu schön gewesen, wenn ausnahmsweise mal etwas einfach gewesen wäre…
    Taya hingegen zeigte sich wesentlich weniger leicht zu entmutigen. Anstatt sich sogleich wieder auf die Suche nach dem Feensplitter zu machen, foderte sie in herrischem Ton: „Na, dann sperr die Lauscher auf und frag herum!“
    Im ersten Moment machte es den Anschein als wollte der Deku-Händler protestieren, aber dann schien ihm wieder einzufallen, dass Taya versprochen hatte, sie und Link würden sich im Gegenzug um Informationen über die sagenhaften Mondtränen bemühen. Also nickte er lediglich, was Taya ein zuckersüßes Lächeln aufs Gesicht zauberte. „Sehr schön!“
    Dann nickte sie Link zu und die beiden traten durch den roten Torbogen in das angrenzende Viertel.



    Während Link den leicht ansteigenden Weg entlang marschierte und nur am Rande die bunt bepflanzten Blumenkübel und bemalten Ladenfronten wahrnahm, betrachtete er seine Begleiterin aus den Augenwinkeln.
    Obwohl er jetzt schon seit mehreren Stunden – die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten – mit Taya durch Unruh-Stadt lief, konnte er die Fee noch immer nicht einschätzen. Manchmal machte es den Eindruck als hätte sie ein weiches, mitfühlendes Herz, doch im nächsten Augenblick wirkte sie wieder emotionskalt, berechnend und allein auf ihr Wohl bedacht.
    Obwohl Navi sich niemals durchtrieben gezeigt hatte, musste der Junge plötzlich an seine verschollene Freundin denken. Navi hatte während ihres gemeinsamen Abenteuers dazu geneigt, ihr empfindsames Herz hinter einer harten Schale aus Zynismus und anscheinender Empathielosigkeit versteckt.
    Ob es bei Taya ähnlich war?
    „Hier ist keine verirrte Fee“, platzte das Feenmädchen in Links Gedanken und drehte sich suchend um die eigene Achse. In ihrem Gesicht mischten sich Ärger und Sorge zu einem beinah bedrohlich wirkenden Ausdruck. Zum ersten Mal seit seiner Verfluchung war Link beinah froh um seine neue Gestalt. Er war sich sicher, dass Taya ihm in diesem Moment ordentlich den Marsch geblasen hätte, hätte er etwas Falsches gesagt…
    Da er sich noch immer nicht verbal verständigen konnte, deutete er stumm auf die Tür einer in der Nähe befindlichen Schwertkampfschule und hoffte, Taya würde den Hinweis verstehen.
    Denn, wer sagte eigentlich, dass sich der Feensplitter nicht in irgendein Gebäude verirrt hatte – zum Beispiel durch ein offenstehendes Fenster – und nun nicht wieder zum Feenbrunnen zurückkehren konnte, weil er gefangen war?
    Während Link darauf wartete, dass Taya auf sein Gefuchtel reagierte, bemerkte er einen weiteren Jungen, der die Uniform-ähnliche Kleidung trug wie die beiden anderen, die Link in Ost- und Nord-Unruh-Stadt gesehen hatte. Dieser trug ein blaues Kopftuch statt eines roten oder gelben und Link fragte sich, ob es sich bei den Jungen vielleicht um Drillinge handelte, da sie sich zusätzlich zu der uniformen Kleidung auch noch zum Verwechseln ähnlich sahen.
    „Was willst du denn?!“, keifte Taya, als sie mit Verzögerung bemerkte, dass Link mit dem Arm in der Luft ruderte und auf die Schwertkampfschule deutete. „Du kannst kein Schwert mehr führen!“
    Der Knabe legte den Kopf schief und blickte seine Begleiterin mit einem «Stell dich nicht dümmer als du bist»-Blick an als könnte er seine Gedanken direkt in ihr Gehirn projezieren, wenn er sich nur genug anstrengte.
    Tatsächlich erhellte kurz darauf Erkenntnis ihr Gesicht und sie rief: „Ach, du meinst die verirrte Fee könnte sich womöglich in einem dieser Geschäfte verstecken? Gar keine dumme Idee!“ Die Verblüffung in Tayas Stimme war regelrecht beleidigend.
    Doch anstatt einen Gedanken daran zu verschwenden, ob seine Begleiterin ihn für dumm oder zurückgeblieben hielt, wandte Link sich um und watschelte auf die nächstgelegene Tür zu – nur, um dann ernüchtert stehen zu bleiben.
    So klein wie er war, konnte er den Türknauf nicht erreichen…
    Aus Verzweiflung versuchte Link, die Klinge durch springen zu fassen zu kriegen, aber der einzige Effekt, den er damit erzielte, waren stechende Kopfschmerzen, weil er sich immer wieder den Kopf an dem Knauf anstieß.
    Wenn seine Arme doch bloß nicht so verdammt kurz gewesen wären…
    Taya schwebte derweil hinter ihm in der Luft, beobachtete seine fruchtlosen Bemühungen und kicherte leise vor sich hin. Dabei war ihr eigentlich gar nicht zum Lachen zumute.
    Was, wenn sie den verlorenen Feensplitter nicht finden sollten?
    Es war schlimm genug, dass sie dann die große Fee nicht zusammensetzen könnten, noch dramatischer erschien Taya jedoch, dass sie damit womöglich ihre letzte Chance vertun würden, etwas über den Aufenthaltsort des Horrorkids zu erfahren.
    Was, wenn sich der Waldkobold bereits in diesem Moment aus dem Staub machte und Tael mit sich nahm, ihn regelrecht entführte?
    Früher hatte sie sich keine Sorgen gemacht, wenn Tael alleine mit dem Horrorkid umhergestreift war. Aber das Horrorkid hatte sich verändert…
    Es war immer ein Schelm gewesen, ein kleiner Tunichtgut, der nichts als Schabernack im Kopf gehabt hatte, aber seit es diese Maske trug, hatten sich die Streiche, die es den Menschen spielte, gewandelt. Früher waren es harmlose Streiche gewesen, aber seit es diese Maske trug, schien das Horrorkid tatsächlich danach zu trachten, Schaden anzurichten und Leid zu säen.
    Anfangs hatte Taya es noch lustig gefunden, wenn der Kobold mit der Magie der Maske Unfug getrieben hatte, aber als sie begriffen hatte, dass aus Spaß Ernst geworden war, hatte sie schnell jegliche Freude verloren. Tael und sie waren nur deswegen beim Horrorkid geblieben, weil sie geglaubt… nein, gehofft hatten, sie könnten es davon überzeugen, die Maske wieder abzulegen und zu seinem früheren Selbst zurückzukehren – immerhin war es ihr Freund und Freunde ließ man nicht so einfach im Stich!
    Doch wenn Tael irgendetwas passieren sollte, weil das Horrorkid nun vollends durchdrehte, würde Taya sich nie verzeihen, dass sie ihren Bruder nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte…
    Ihre trüben Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ein kleiner Mann, der lediglich aus einem Wust dunkelbrauner Locken, Bart und einer gigantischen Nase zu bestehen schien, die Tür zur Schule aufriss und Link ärgerlich zu mustern schien, was jedoch schwer auszumachen war, da seine Augen in dem Meer seiner Haare untergingen.
    „Was willst du denn, Kleiner?!“, blaffte der Mann Link an. „Wir unterrichten keine Deku! Also hör auf, zu klopfen und zieh Leine!“ Dann knallte er dem völlig konsternierten Jungen die Tür wieder vor der Nase zu.
    Link sah irritiert zu Taya auf, die etwas hilflos wirkend mit den Schultern zuckte. „Vermutlich hast du ihn nur genervt, weil du bei deinen Versuchen, die Tür zu öffnen, immer wieder dagegengestoßen bist. Lass uns unser Glück lieber woanders versuchen.“



    Gesagt, getan.
    Den Rest des Tages verbrachten die Beiden damit, in der Nähe von Hauseingängen herumzulauern und darauf zu hoffen, dass jemand das Gebäude betrat oder verließ, sodass sie ins Innere schlüpfen konnten, solange die Tür geöffnet war.
    Doch alles, was ihre Bemühungen brachten, war die Erkenntnis, dass Dekus in Unruh-Stadt offenbar nicht sonderlich beliebt waren. Mehr als einmal wurde Link kaum, dass er ein Geschäft betreten hatte, wieder herausgeworfen, wobei nicht selten die Worte „Wir verkaufen nicht an Deku“ fielen.
    Die Sonne war schon fast untergegangen, als Link sich auf die Treppenstufen neben dem Gasthaus «Zum Eintopf» sinken ließ und Taya aus traurigen Augen resigniert und müde ansah. Vom vielen Herumlaufen taten ihm die Füße weh und auch wenn seine hölzerne Haut keine Schürfwunden bekommen konnte, hatte er das Gefühl, dass er sich bei dem einen oder anderen Rauswurf verletzt hatte, als er auf den Boden gestürzt war.
    Auch Taya wirkte inzwischen ziemlich entmutigt. Mit jeder Stunde, die verging, hatte sie mehr und mehr das Gefühl, ihren Bruder endgültig verloren zu haben. Um sich selbst einzureden, dass ihre Situation nicht so düster war wie sie ihr vorkam, sagte sie mit mehr Zuversicht als sie empfand: „Vielleicht hat ja der Deku-Händler etwas gesehen oder gehört. Komm, lass uns zu ihm zurückgehen und ihn fragen.“
    Wenige Minuten später standen die Beiden wieder vor der goldenen Deku-Blume und sprachen mit dem Händler, der auf ihre Nachfrage hin begeistert nickte: „Oh ja, ich hab eure verwirrte Fee gesehen! Sie ist zum Waschplatz geflogen.“ Bei diesen Worten deutete er gen Süden, wo sich eine kurze Treppe erhob und zu einem Teil der Stadt führte, den Link und Taya noch nicht erkundet hatten.
    Taya setzte bereits dazu an, den Deku erneut zu korrigieren, aber Link quiekte ein schnelles „Danke! Du hast uns sehr geholfen!“ und marschierte augenblicklich davon. Die neu aufflammende Hoffnung, den Feensplitter doch noch finden zu können, erfüllte den Jungen derart mit Adrenalin und Tatendrang, dass er völlig überhörte wie der Händler antwortete: „Gern geschehen.“


    Der Waschplatz war ein winziger, gepflasterter Platz, der von einem künstlich angelegten Kanal durchzogen und von einem einzelnen Baum gesäumt wurde. Auf einer morsch aussehenden Bank saß ein Mann mit Leierkasten, der traurig klingende Lieder spielte und Link einen Schock versetzte.
    Der Müller aus Kakariko!
    Link war derart gelähmt vor Überraschung, dass er erst mit Verzögerung registrierte, dass Taya ihm etwas zurief: „He! Der Feensplitter haut ab!“
    Fast im selben Augenblick sauste eine orangegelbe Gestalt an Link vorbei und verließ den Waschplatz.
    Sofort wirbelte der Junge herum und rannte hinter dem Lichtmännchen her, der in Richtung Ost-Viertel davonflog. Als Taya ihn einholte, fauchte sie Link an: „Wieso hast du den Splitter entkommen lassen?! So spannend ist Guru-Guru nun wirklich nicht!“
    Link stutzte, blieb aber nicht stehen.
    Guru-Guru?
    Er wusste zwar nicht, wie der Müller aus Kakariko hieß, aber bei dem Klang dieses Namens beschlich ihn dennoch das Gefühl, dass er genau wie bei Gorman einem Doppelgänger begegnet war. Guru-Guru klang jedenfalls nicht nach einem hylianischen Namen.
    Was war dies bloß für ein sonderbarer Ort?!
    Inzwischen hatten sie Ost-Unruh-Stadt erreicht, doch von der verirrten Fee war weit und breit nichts mehr zu sehen. Link hob einige in der Nähe stehende Obstkisten an, um sich zu vergewissern, dass der Feensplitter sich nicht darunter versteckte, während Taya leise vor sich hin zeterte: „Du musstest den Splitter ja entkommen lassen. Klasse… einfach nur klasse… Das hast du wirklich, wirklich gut gemacht!“
    Link wollte gerade zu einem protestierenden Quieken ansetzen, als er die verirrte Fee auf dem Vordach des Gasthofs entdeckte. Sie versteckte sich halb hinter einem Gerüst, das eine riesige Glocke hielt, und beobachtete aufmerksam ihre Verfolger.
    Der Knabe nickte mit dem Kinn in Richtung des Lichtmännchens und versuchte, seine Begleiterin auf diese Weise so unauffällig wie möglich auf seinen Fund aufmerksam zu machen. Diese warf ihm jedoch nur einen ärgerlichen Blick zu und fragte schnippisch: „Hast du irgendwelche Zuckungen?!“
    Als Link daraufhin mit den Augen rollte, sah Taya sich doch noch um und zuckte vor Überraschung leicht zusammen, als auch sie den Feensplitter entdeckte. „Du bleibst hier“, raunte sie Link zu und flog dann auf das Vordach des Gasthofs, wo sie sich langsam und vorsichtig der verirrten Fee näherte.
    „Hab keine Angst! Wir sind hier, um dir zu helfen!“ Taya war etwa einen Meter von dem Lichtmännchen entfernt stehen geblieben und streckte nun betont langsam die Hand nach ihm aus.
    Dieses lugte argwöhnisch um einen Gerüstpfeiler herum und musterte Taya aus ängstlichen Augen. „Ja? Wirklich?“
    Taya nickte und erklärte: „Wir wollten die große Fee besuchen und haben dabei von eurem Unglück erfahren. Die anderen Splitter haben uns losgeschickt, um dich zu suchen. Du bist der Letzte, der noch fehlt.“
    Für einen langen Moment sahen sich die Beiden schweigend und abwartend an, während Link unten angespannt hin und her lief und wartete.
    Dann wagte sich das Lichtmännchen aus seinem Versteck und schwebte zögerlich auf Taya zu. „In Ordnung. Ich glaube dir. Ich werde euch zurück zum Brunnen folgen.“
    Als Link dies hörte, machte er vor Freude einen kleinen Luftsprung.
    Endlich hatten sie zumindest einen kleinen Erfolg erzielt!
    Er konnte nur hoffen, dass die große Fee wirklich wusste, wo sich das Horrorkid aufhielt…


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    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)