Stall der Orni {Gasthof}

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Wir haben eine neue Forenkategorie eingeführt, das "Zelda-Spiel des Monats!" Hier könnt ihr mehr darüber erfahren. Den Anfang machen Zelda I und Zelda II - was haltet ihr von diesen legendären Abenteuern?

  • Der Stall der Orni ist vielen Hylianern bekannt als ein Ort der Begegnungen - unweit von den Toren des Dorfes des gefiederten Volkes gelegen, findet hier täglich kultureller Austausch statt - insbesondere musizierende Orni, die mit ihrer Kunst ihr täglich Brot verdienen, locken Freunde der Unterhaltung von nah und fern herbei. Ein dichter Forstbestand macht diesen Gasthof auch zu einem wichtigen Punkt für den hylianischen Holzhandel - die gute Befahrbarkeit der hierherführenden Routen lassen das Geschäft blühen und sorgen somit für den Großteil der Einnahmen. Erwähnenswert ist auch der üppige Beerenwuchs, der dem Stall den Ruf einbringt, eine der besten Konfitüren Hyrules anzubieten - sofern man bereit ist, für derlei Gaumenfreuden ein paar Rubine mehr auf den Tresen zu legen. Doch nicht nur Reisenden, Händlern, Feinschmeckern und Musikanten bietet der Stall Unterkunft - auch haben sich die Bewohner des östlich gelegenen Tabanta-Dorfes in Zelten ringsherum angesiedelt, um den unruhigen Zuständen im nördlichen Hyrule zu entfliehen. Aller Multikultur zum Trotz bleiben diese jedoch eher unter sich und pflegen ihre über Generationen gelebten Bräuche.


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    Mit wachsender Unruhe erwartete Hella die Rückkehr des Orniboten, den sie mit ihrem Brief an Anyanka betraut hatte. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich mit der Aufforderung, ihre Tochter möge nun endlich heimkommen, ein wenig zu lange Zeit gelassen hatte - es erschien ihr mit jedem Jahr unwahrscheinlicher, dass sie überhaupt jemals gedachte, zurückzukehren. In keinem ihrer Briefe hatte sie je auch nur angedeutet, ihre Reisen abzubrechen und ihrem Versprechen nachzukommen. Und genau dies war es, was sie so enorm beunruhigte - denn mit der Zeit barg Anyas Abwesenheit, ihr Streifzug durch das ganze Land, eine Gefahr für dieses Versprechen - die Gefahr, dass sie einen Mann kennenlernen würde und somit mißachten würde, was sie ihrer Familie schuldig war. Und nun hatte Hella es nicht mehr hinauszögern können. Denn auch Tom hatte längst das Mannesalter erreicht, und er und sein Vater machten allmählich deutlich, dass es langsam an der Zeit für die versprochene Vermählung war. Sie seufzte. Ehrlich gesagt mißfiel ihr, wie sich Tom entwickelt hatte - mit seinen 25 Jahren war er, obwohl ein fleißiger und aufrechter Arbeiter, immernoch das verwöhnte Kind, das die anderen herumschubste und mit dem Wohlhaben seines Vaters prahlte. Sie wusste, wie störrisch Anya sein konnte, und sie wusste, welche Erwartungen der junge Mann an seine Zukünftige hatte - ihre abenteuerlichen Reisen wären nichts mehr weiter als Erinnerungen, der Rest ihres Lebens würde beinhalten, das Heim und die Kinder zu hüten. Doch sie wusste, dass ihre Tochter, wenn die Umstände es erforderten, sich mit einer Situation arrangieren konnte. Dies gab ihr die Hoffnung, dass sie ihre Pflicht erkennen und ihrem Ruf folgen würde. Denn seit sie das Dorf verlassen hatten, waren ihre Lebensumstände mehr als bedauerlich. Das Zelt war alles andere als wohnlich, und dazu dieser ständige Lärm vom Stall! Wenn alles so lief, wie es sollte, dann würde nun also Anya Tom ehelichen, und dieser konnte ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Wenn...


    Gnädige Frau? Die jähe Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war der Ornibote, den sie geschickt hatte, auf sie zugetreten. Er deutete eine Verbeugung an.

    Ich bin erfreut, Ihnen mitteilen zu können, dass ich Ihre Tochter antreffen konnte und sie bei bester Gesundheit ist. Obschon sie sich an einem sonderbaren Ort aufhält - Sie haben vom Vergessenen Plateau gehört?

    Natürlich hatte sie das. Sonderbar war es allerdings - vor 50 Jahren wurde dieser Ort von der Verheerung völlig zerstört, unbewohnbar gemacht und obendrein unzugänglich. Was verschlug eine Händlerin, wie Anya es sein wollte, an diesen verlassenen Ort? Sie legte die Stirn in Falten.

    Was tut sie dort? Soweit ich weiß, gibt es dort keine Menschenseele. Dieses Mädchen und ihre Flausen...

    Der Orni lächelte leicht.

    Es scheint, als würde sie dort... Urlaub machen. Wie Ihnen sicherlich zu Ohren kam, war sie jüngst in die Unruhen in den Dörfern von Necluda verwickelt. Wahrlich beeindruckende Geschichten! Nun, jedenfalls hält sie sich mit jemand anderem, der an ihrer Seite kämpfte, dort auf. Ein junger Mann namens Zoltan. Kann ich annehmen, dass sie ihn kennen?

    Die Worte trafen Hella wie ein Schlag. Anya! An diesem verlassenen Ort! Mit einem Mann! In ihr schrillte eine Alarmglocke. Ihr schlechtes Gefühl schien sich zu bewahrheiten.

    Nein, ich kenne ihn nicht! Und ich verlange zu wissen, was sie dort mit ihm treibt! Ist sie mit diesem Mann etwa... liiert?

    Der Bote zuckte mit den Schultern.

    Bei allem Respekt, Gnädigste. Mein Beruf ist es, Briefe zuzustellen und Grüße zu übermitteln. Nicht, meine Kundschaft über ihr Liebesleben auszufragen. Nun, vielleicht kann Ihre Tochter Ihnen diese Frage demnächst selbst beantworten. Wenn Sie mich nun entschuldigen...

    Mit einer weiteren Verbeugung machte er sich von dannen.

    Hella zitterte. Bleib ruhig, redete sie sich ein. Vielleicht waren dort auch noch andere Leute, die der Bote nicht gesehen hat. So muss es sein. Anya würde nicht wagen...

    Würde sie das wirklich nicht? Wer konnte ihr garantieren, dass sie nicht ihre Pflicht vergessen hatte? Dass sie nicht mit diesem Kerl liiert war? Vielleicht - bei allen Göttern! - von ihm in Umständen war?

    Welche Blamage, welche Schande das wäre... sie brauchte einige weitere Momente, um sich zu sammeln. Warte erst einmal ab. Noch ist sie nicht hier. Vielleicht... ja, vielleicht erwartet sie inzwischen schon selbst sehnsüchtig die Hochzeit. Himmel, sie ist mittlerweile erwachsen und weiß, dass ihre Träumereien keine Zukunft haben!

    Fürs Erste konnte sie sich davon überzeugen, dass Anyas haarsträubendes Abenteuer im fernen Necluda der Abschluss ihrer Reise war, dass sie anstandslos - und vor allem allein - heimkehren würde. Ja. So wird es kommen. Ganz sicher.


    Hella hätte wissen müssen, dass es so ganz sicher nicht kam.


  • Bjarne POV


    Bjarne stand am Rand des kleinen Zeltplatzes neben dem Stall. Schon eine ganze Weile lang verfolgte er das Kartenspiel zweier Männer an einem Tisch. Er wollte nicht aufdringlich sein, und doch war so vertieft darin, dass er immer näher gekommen war. Schließlich wurde er bemerkt.

    Ein Mann mit einem langen braunen Vollbart und einem dicken Bauch rief ihm zu: "Hey, wenn du mitmachen willst, dann setz dich doch einfach."

    Zaghaft lächelte Bjarne und trat in vorsichtigen Schritten an den Tisch. "Danke. Ähm, was spielt ihr?"

    "Gwent heißt das. Kennst du das?"

    "Ähm nein." Bjarne ließ sich langsam auf einen Stuhl nieder.
    Die beiden fremden Männer sahen sich lächelnd kurz einander an, bis der eine Mann weiter sprach. "Na dann zeigen wir dir mal, wie es geht. Es ist ein Strategiespiel. Siehst du diese Karte?" Er zeigte auf eine buntbemalte Karte, auf dem ein Ritter in glänzender Rüstung abgebildet war. Außerdem war eine große 4 in der Ecke der Karte zu sehen. "Dieser Kämpfer hat 4 Punkte. Er kann mühelos alle niedrigeren Karten besiegen."

    "Ja, aber da habe ich ein Wort mitzureden!", sagte der andere Mann am Tisch. Er war hager und hatte eine Zigarette im Mundwinkel. "Ich spiele eine Hexe. Sie hat zwar nur 2 Punkte, aber dafür kann sie das Spielfeld in eine Eislandschaft verwandeln. Die Waffen des Ritters sind hier nutzlos."

    "Nicht, wenn ich dir vorher meinen Dieb auf den Leib hetze und der dir deine Hexe stiehlt!"


    Fasziniert sah Bjarne zu. Diese Karten waren wunderschön und das Spiel war spannend. Die beiden Männer schienen weder um Geld noch um Güter zu spielen; sie saßen hier einfach nur und hatten Freude am reinen Spielen. Die Runde war schnell vorbei. Der Hagere hatte gewonnen, weil er zuletzt eine besondere Karte mit 17 Punkten ausspielte, die der geballten Kampfkraft der Ritter und Monster auf der Gegenseite standhalten konnte, die zusammen nur auf 15 Punkte kam.

    "Ach dieser Lump kriegt mich jedes Mal!", lachte der Vollbärtige und ließ seine große schwere Faust auf den Tisch fallen, dass es nur so rummste. "Was sagst du? Willst du´s auch mal versuchen?"

    Bjarne nickte und setzte sich aufrecht auf seinen Stuhl.

    Naürlich verlor er die ersten beiden Runden, aber das machte ihm nichts aus. Er merkte, wie er das Spiel immer besser verstand und wie viel Spaß es ihm machte. Die dritte Runde gewann er dann endlich. Er war überglücklich.


    Doch seine Freude sollte nicht lange währen. Bjarne konnte irgendwann seine Frau entdecken, die ihn offenbar suchte. Sie lief wie ein aufgescheuchtes Huhn umher und sah sich suchend um. Seine Mundwinkel fielen wieder nach unten und er räusperte sich. "Das hat sehr viel Spaß gemacht, doch nun muss ich wieder. Ich danke euch für das tolle Spiel." Er sah die Männer dabei nicht wirklich an, sein Blick war auf seine Frau gerichtet, die ihn immer noch nicht gefunden hatte. Der Vollbärtige drehte sich herum und sah Hella. Als er sich wieder Bjarne zuwandte, legte er ihm seine große Hand leicht auf die Schulter.

    "Nimm´s nicht so schwer. Wir sind noch ein paar Tage hier. Komm einfach wieder vorbei, wenn du Lust auf Gwent hast."

    Bjarne nickte abermals, lächelte ganz leicht und stand auf.


    Jetzt sah ihn auch Hella und begann direkt laut zu klagen: "Oh du glaubst nicht, was ich gerade erfahren habe?!"

    Bjarne seufzte nur, während er Hella erreichte und blieb mit sorgenvollem Blick vor ihr stehen. Er fragte nicht, was los war, in dem Wissen, dass sie ihm eh direkt erzählen würde. Das stimmt auch. "Der Postbote kam gerade zurück. Er hat unserer Tochter den Brief überreicht!" Hellas Stimme klang wehleidig und Bjarne wusste nicht, wieso.

    "Aber das ist doch gut! Das heißt, ihr geht es gut, oder nicht?!" Er war ungemein erleichtert darüber, Kunde von seiner Tochter zu hören. Nachdem ihm zu Ohren gekommen war, dass sie gegen eine Horde Banditen in gleich zwei Orten kämpfen musste, hatte er eine Weile lang keinen Schlaf gefunden.

    Hella reagierte aber sonderbar. Sie zog mit ihren spitzen Fingen am Ärmel seines Wams und ging mit ihm abseits der Hörreichweite des Stalls und duckte ihren Kopf. Eben lag noch Wehleidigkeit in ihrer Stimme, doch jetzt klang sie hart, obwohl sie leicht flüsterte: "Anyanka ist aber nicht mehr in Kakariko. Auch nicht in Hateno!" Sie schaute nochmal um sich, vermutlich um sich zu vergewissern, dass wirklich niemand sie hören konnte. "Sie ist auf dem Vergessenen Plateau! Und sie ist dort nicht allein! Stell dir vor, der Postbote bemerkte einen Mann, der mit ihr dort war! Außer den beiden war sonst niemand dort zu sehen."

    Bjarne wusste sofort, wie Hella diese Neuigkeit verstand. Sogar für seine traditionsliebende Ehefrau war es nicht schlimm, dass sich Anya in Begleitung eines Mannes befand. Doch dem Postboten zurfolge war sie allein mit ihm an diesen abgeschiedenen Ort. Für Hella konnte dies sicher nur bedeuten, dass Anyanka ihr Leben bereits mit jemanden teilte, der nicht Tom war. "Oh", war alles, was Bjarne zustande brachte.

    "Sag mir bitte, dass es einen nachvollziehbaren Grund gibt, dass sich meine Tochter allein mit einem Mann fernab der Zivilisation herumtreibt! Sag mir, dass sie ihr Versprechen noch einhält und doch noch den Mann heiratet, den wir ihr ausgesucht haben!"

    "A..also.. warte. Wir haben bereits darüber gesprochen, dass nicht Anya ein Versprechen abgegeben hat, sondern du hast es Toms Vater gegeben."

    "Ja, natürlich. Das ist dasselbe. Als ihre Mutter ist es meine Pflicht, den bestmöglichen Mann für sie zu wählen. Das war bei mir so, bei meiner Mutter und bei ihrer Mutter ebenfalls."

    "Tom war der einzige, der in Frage kam."

    "Bjarne, wir werden diese Unterhaltung nicht schon wieder führen. Was versprochen ist, ist versprochen. Anyanka wird und muss Tom heiraten. Wir verlieren sonst noch unseren Stand in der Gemeinde; das verkrafte ich nicht auch noch!" Beim letzten Satz brach Hellas Stimme und sie hielt sich die Hand vor dem Mund. "Anyanka und Tom sind die Zukunft."


    Hella ging wieder zurück zu ihrer Unterkunft und ließ Bjarne dort stehen, wo sie ihn hingezogen hatte. Er schaute seiner Frau noch einen Moment nach, ehe er mit hängendem Kopf hinterher ging.

  • Wenige Stunden, nachdem Hella die bsorgniserregende Nachricht des Orni erhalten hatte und die Dunkelheit sich über den Stall gesenkt hatte, tat Tom, was er jeden Abend tat: Er saß mit seinen zwei besten Freunden und Feldarbeitern Petrek und Golja bei einer Karaffe Wein (auf die für gewöhnliche etliche mehr folgten), an einem Tisch in der Mitte des großzügigen Raumes, den sie in den wenigen Wochen des Aufenthaltes hier zu "ihrem Tisch" erkoren hatten. Er war heute besonders guter Dinge: Hella hatte ihn aufgesucht und ihm berichtet, dass sie einen Brief nach Anya geschickt hatte, mit der unterschwelligen Aufforderung, sie möge sich endlich wieder der Sippe anschließen und auf ihren zukünftigen Gemahl - ihn - treffen. Dieses Luder hatte ihn weiß Gott lange genug warten lassen - zog kurz vor der Vermählung von dannen, um als Händlerin die Welt zu bereisen. Und ihre Eltern, diese leichtfüßigen Trottel, ließen sie ziehen. Natürlich, im Dorf von Tabanta konnten sie sich einen gewissen Lebensstandard erlauben und waren so schnell auf eine Mitgift nicht angewiesen - doch nun konnte Tom deutlich spüren, wie diese klapperige alte Schnepfe von Hella darum buhlte, noch ein wenig Zeit zu verschaffen, um seine Angetraute heranzuschaffen und selbstverständlich davon zu profitieren. Und nun sollte es endlich so weit sein.


    Zugegeben, die Kleine hatte es ganz gut geschafft, ihn in seinem Stolz als Mann anzugreifen. Als junger Bursche hatte er sich wenig daraus gemacht, dass dieses rothaarige Ungeheuer einst seine Frau werden sollte - Tradition war Tradition, und so nahm er es einfach achselzuckend hin, als sein Vater ihm eines Tages stolz verkündete, er würde die junge Dorfschönheit zur Gemahlin bekommen. Als sie beide dann ins heiratsfähige Alter kamen, begriff er die Tragweite all dessen - Anya hatte sich von einem Wildfang, der scheinbar nur aus Knien und Ellenbogen bestand, zu einer ansehlichen Frau entwickelt. Himmel, diese Titten!, hatte er oft gedacht, bevor der Tag der Vermählung näher rückte. Doch dann war sie verschwunden. Und er wurde darauf vertröstet, dass sie lediglich ein wenig umherreisen würde, die Welt kennenlernen, bevor sie ihren Pflichten als Frau nachkommen würde.


    Ein Jahr verging, dann zwei. Nach fünf Jahren bekam er regelrechte Wutanfälle, wenn er darüber nachdachte, wo sich dieses Miststück rumtreiben mochte - ohne ihm zwischenzeitlich auch nur eine kurze Nachricht zu schicken. Nun, nach acht Jahren, platzte ihm der Kragen. Fast täglich suchte er Bjarne und Hella auf und erinnerte sie daran, dass es dringend an der Zeit wurde, dass er sich vermählte und Nachfolgen zeugte - und dass es ihre Pflicht war, dafür zu sorgen, bevor er ihre armseligen Ärsche mithilfe des Einflusses seines Vaters an die Luft setzte. Doch dann schien sich das Blatt ein wenig zu wenden. Im Dorf wurde es zunehmend unsicherer, und der Rat beschloss, die Siedlung aufzugeben und vorerst am nahegelegen Stall der Orni zu residieren, bis sich eine Lösung gefunden hatte. Tom hatte getobt wie ein Wahnsinniger. Wie ein Zigeuner sollte er, Sohn des größten Bauern des Dorfers, in einem Zelt umherreisen, während dieses verdammte Luder sich nicht sehen ließ und seinen Ruf als Mann ins Wanken brachte, indem er als Junggeselle darben musste?


    Und nun saß er hier, umgeben von reisendem Pöbel, zusammen mit diesen beiden Idioten, und Anya ließ und ließ auf sich warten. Aber nicht mehr lange. Hella hatte ihm und seinem Vater ihr Wort gegeben, dass ihre Ankunft nahte. Einige Konflikte im Osten des Landes hatten sie aufgehalten. Zur Hölle mit Konflikten im Osten! Er wollte endlich, nach all den Jahren, bekommen, was ihm zustand. Er hatte seinem Vater sogar ein eigenes Zelt abgeschwatzt, in dem sie nach ihrer Ankunft mit ihm wohnen würde. Tom lächelte, und er sah dabei aus wie eine fette Kröte, die soeben eine saftige Fliege verspeist hatte. Oh ja, ein eigenes Zelt. Und dort würde es mit ihr erst einmal zur Sache gehen. Er hatte lange genug gewartet. Und er musste sich vergewissern, dass er vor der Hochzeit nicht die Katze im Sack kaufte, oder? Er lachte, und trank seinen Becher Wein in einem Zug leer, um direkt nachzuschenken.


    Seine beiden Gefährten grinsten zwangsergeben, warfen sich jedoch einen besorgten Blick zu. Sie kannten Tom zu gut, und diesem armen Mädchen würden schwierige Zeiten bevorstehen, sobald sie einen Fuß auf dieses Gelände gesetzt hatte.

  • Ein Tag war vergangen, seitdem der Ornibote versicherte, dass Anyanka den Brief erhalten hatte. Und es gab noch immer keine Nachricht von ihr. Hella wusste, dass ihre Tochter nicht schreiben konnte, aber sie hoffte dennoch irgendwie, dass sie irgendein Zeichen geben würde und ihr Erscheinen ankündigen würde. Tag ein, Tag aus musste sie jetzt hier harren, hatte keine Aufgabe. Im Stall wurde sie nicht gebraucht und außer Wäsche waschen hatte sie keinen Inhalt.


    Ihre Nachbarin Maggie erging es ähnlich. Beide Frauen saßen etwas verloren auf einer kleinen provisorischen Bank vor den Zelten und unterhielten sich.

    "Deine Tochter wird kommen. Ich kenne sie ja auch etwas und obwohl sie sehr dickköpfig ist, wird sie euch nicht im Stich lassen. Hab Vertrauen in dein Kind. Sie ist eine gute Seele."
    Hella nickte nur und betete innerlich, dass Maggie recht haben würde. Nervös rieb sie sich die Hände und grub mit der Schuhspitze gedankenverloren eine kleine Kuhle in den Boden. "Es geht ja nicht nur um Bjarne und mich. Es geht doch auch darum, dass sie ein Zuhause hat. Ein Leben als Nomadin ist doch nichts. Und offensichtlich ist es gefährlich geworden, wenn man die Gerüchte hört. Ich will nicht, dass ihr jemand ein Haar krümmt und sie um ihr Leben kämpfen muss. Bei Tom hat sie es sicher, das weiß ich."

    Maggie sagte darauf nichts. Ihr Blick heftete sich an Tom, der ein paar Meter entfernt einen Baum fällte. Sie hielt nicht viel von diesem Burschen und er kam ihr jähzornig und verzogen vor. Er war definitiv nicht so wie Bjarne oder wie ihr verstorbener Mann Mika, nicht ruhig und gelehrig. Doch Maggie sagte nichts. Es war nicht ihre Angelegenheit und es war unziemlich, sich hier einzumischen. Doch innerlich war sie froh, dass sie keine Tochter hatte, die diesen Typen heiraten würde. Maggie fragte sich, wieso Hella offenbar so wenig Bedenken wie sie hatte. Sie schien etwas komplett anderes in ihm zu sehen, als alle anderen. Doch das macht sowieso kaum irgendetwas aus. Der Brauch hatte Priorität und stand stets über allem. Hellas Tochter würde diesen Mann heiraten. So war es seit vielen Jahren versprochen.


    Eine Weile später kam Tom zu den beiden Frauen heran. Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht und bat um etwas Wasser. Hella stand sofort auf und ging zum Brunnen, um seinem Wunsch gerecht zu werden. Beide hielten einen kleinen Smalltalk, erkundigten sich gegenseitig nach dem Befinden und tauschten Höflichkeiten aus, ehe Tom sich wieder den Bäumen zuwandte.

    "Ich finde, er hat sich echt gemacht. Als Junge war er oft sehr anstrengend, aber als Erwachsener hat er Manieren und Anstand. Anyanka wird staunen." Hellas Lächeln war strahlend, doch ließ es langsam ab. "Sie wird ihn lieben lernen. So war es doch bei uns allen, richtig?"

    "Naja, bei dir wohl eher weniger. Du hast Bjarne geheiratet, als du schon verliebt in ihn warst."

    "Ja, aber bei allen anderen war und ist es so gewesen. Und ich hätte meinen versprochenen Mann geheiratet und mich mit der Zeit sicher auch in ihn verliebt. Wir Frauen können sowas. Und Anyanka ist eine Tochter unseres Dorfes, in ihr steckt dasselbe. Ich weiß das einfach. Sie besitzt dieselbe Stärke, wie wir alle. Und sie wird glücklich sein, denn dafür sorge ich seitdem sie auf der Welt ist und ich werde das bis zu meinem letzten Atemzug tun."

    "Du sagtest, dass ein Fremder in ihrer Nähe war, als sie den Brief erhalten hatte. Was weißt du über ihn?"

    "Nichts! Rede bitte nicht so laut und offen über ihn, ich will nicht, dass Tom irgendetwas davon erfährt. Es könnte ein einfacher Mitreisender sein, vielleicht ein Händler. Oder ihr wurde nach den Ereignissen in Kakrikos.." - "Kakariko heißt der Ort" - "Ja, meine ich ja, also ihr könnte eine Art Bewacher zur Seite gestellt worden sein. Das ist doch wahrscheinlich, oder?"

    "Weiß nicht, Hella. Ich kenne diesen Ort nicht und auch nicht seine Bewohner. Aus welchem Grund sollte man einer einfachen Händlerin einen Bewacher zuteilen?"

    "Ich will es gar nicht wissen. Aber es ist unmöglich, dass es Anyankas Ehemann ist. So etwas würde sie nie tun. Niemals."


    Hella und Maggie unterhielten sich noch eine Weile, bis eine der Frauen irgendwann genug hatte und das Gespräch erstarb. Hellas hoffender Blick war stets auf Tom gerichtet. Sie glaubte sehr fest daran, dass in ihm die Zukunft ihrer Tochter, ihres Ehemannes und ihre eigene stecken würde. Sie hatte aber nicht gesehen, dass sich Toms Lächeln abrupt in ein zorniges und bitteres Gesicht verwandelt hatte, als er sich nach der Trinkpause bei den Frauen wieder den Bäumen zugewandt hatte. Sie sah nicht seine Gedanken und die waren düster. Er hatte es satt, darauf zu warten, dass seine zukünftige Gattin endlich hier erschien. Oder auch nicht. Tom musste noch nie warten und nun hing alles davon ab, ob dieses Ding endlich hier auftauchen würde.

    Er schwor sich, dass er direkt nach ihrer Ankunft mit der Zeremonie beginnen wollte; es sollte keine wertvolle Zeit mehr verstrichen werden. Und dann würde er endlich das bekommen, was ihm nach Recht und Brauch zustand. Was mit ihren Eltern danach geschehen würde, interessierte ihn überhaupt nicht. Mit Sicherheit würde er seinen Teil der Vereinbarung, ihren Eltern Haus und Hof zu bieten, nicht nachkommen wollen.

  • Die letzten zwei Tage waren für Hellas Nerven die reinste Zerreissprobe gewesen. Sie konnte nicht schlafen, sie konnte nicht essen, sie konnte sich nicht auf ihr Tagewerk konzentrieren. Sowie einzeln Reisende oder Gruppen von solchen am Stall ankamen, erkundigte sie sich, ob diese Anya begegnet seien - doch stets wurden ihre Fragen danach verneint. Eines zog sich wie ein roter Faden durch diese Gespräche: Sowie sie ihre Tochter beschrieb, hakten die Befragten nach, ob sie damit etwa jene Frau meinte, die sich in Hateno und Kakariko an der Seite einiger Freiwilliger einem Trupp von Banditen in den Weg gestellt habe. Hella wandte sich an diesem Punkt stets ab. Sie war es leid, diese haarsträubenden Geschichten von Kämpfen und Banditen zu hören. Anyas Platz war hier, und nicht auf irgendwelchen Schlachtfeldern. Auch gerade war sie wieder dabei, unruhig in der Nähe des Stallzeltes herumzustreifen und auf Neuankämmlinge zu warten. Irgendwann tat sich dann tatsächlich etwas. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als ein junger Mann auf einem Pferd herangeritten kam. Der Fremde erzeugte unter denen, die seine Ankunft mitbekamen, für Aufsehen: Nicht nur war er schwer bepackt und herrschte den Stallmeister grob an, sich um sein Gepäck und sein Pferd zu kümmern, auch seine Erscheinung zog einige Blicke auf sich. Er war recht groß, und so wie man es unter seiner schwarzen, an einen Soldaten gemahnenden Kleidung erkennen konnte, sportlich gebaut. Doch das merkwürdigste an ihm waren die dunklen Brillengläser, die er trug. Vermutlich aus einem bestimmten Grund - seine obere, linke Gesichtshälfte wirkte reichlich zerschunden. Der Mann verweilte vor dem Zelt und ließ argwöhnisch seinen Blick schweifen. Eine Gruppe junger Mädchen am Feuer konnte ihrerseits kaum ihre Blicke von ihm lösen - tuschelnd und kichernd nahmen sie ihn in Augenschein. Hella verdrehte die Augen. Diese jungen Hühner und ihre Mannstollheit!

    Doch auch sie selbst wagte noch einen Blick auf den Neuankömmling - und erstarrte. Sie hatte etwas an ihm entdeckt, das so gar nicht zu seiner militärischen Haltung und Kleidung passte. An seinem rechten Arm, über den Ärmelaufschlag, hing ein Armband, gefertigt aus Blumen und Muscheln. Ein Armband, wie sie schon hunderte davon gesehen hatte - denn Anya hatte einst unermüdlich solche gebastelt. Und nun, nach dem Gerücht, dass sie mit einem Mann durch die Lande zog, tauchte hier dieser Kerl auf, mit einem dieser Armbänder - ihrer Armbänder - behangen. Das musste er sein - dieser Kerl, von dem der Ornibote gesprochen hatte. Aber wo war Anya?

    Und dann fand ihr Verstand etwas, an dass er sich klammern konnte, um sie vor dem ausflippen zu bewahren: Vielleicht war es nicht Anya gewesen, die ihm dieses Band gemacht hatte. Vielleicht hatte Anya auf ihren Reisen durch Hyrule diesen Schmuck einfach zu einer Art Mode gemacht, und nun gab es im ganzen Land junge Frauen, die ihrem liebsten einen solchen Schmuck bastelten. Ja, vielleicht hatte dieser Mann sogar irgendwo Kinder, die ihm dieses Band geflochten hatten. Sie verkniff es sich, den Fremden direkt darauf anzusprechen. Zum einen wirkte er nicht besonders freundlich, und zum anderen wollte der Teil ihres Verstandes, der diese vorzügliche Ausrede ersonnen hatte, nicht auf den eventuellen Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, sollte es sich bei diesem Mann tatsächlich um jenen Zoltan handeln. Hella wandte sich ab. Sie würde noch einen Spaziergang machen, dann ihren Mut zusammennehmen und den Fremden fragen, ob er vielleicht ihrer Tochter über den Weg gelaufen war.


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    >>>>>> Zoltan kommt aus Richtung der Hügel-Region


    Zoltan und Anya hatten sich, nachdem sie ihre Pferde den ganzen Tag lang zu Höchstleistungen angetrieben hatten, kurz vor einem kleinen Canyon in der Nähe des Stalls vorerst getrennt. Er wusste, dass es Anya nicht allein darum ging, vorerst kein Aufsehen zu erregen - sie brauchte so kurz vor dem Ziel noch einmal eine Weile für sich allein. Ihre Nervösität war geradezu greifbar, und so machte Zoltan sich davon, nachdem sie noch einmal ihre Liebe zueinander aussprachen.

    So wie Zoltan am Stall ankam und sein Pferd und Gepäck abgab, blickte er sich um. Die Leute aus dem ehemaligen Tabanta-Dorf waren nicht schwer auszumachen unter den anderen Stallbesuchern. Sie trugen grobe, zweckmäßige Fellkleidung und schienen sich vom Rest der Meute fernhalten zu wollen. Vielleicht lag es daran, dass Anya ihm erzählt hatte, dass die Dörfler ihre Gemeinde seit Generationen durch Inzucht am Leben erhielten - jedenfalls wirkten diese Menschen auf ihn tatsächlich irgendwie... degeneriert. Ganz anders als Anya, deren Vater, so hatte sie ihm erzählt, nicht aus dem Dorf stammte, sondern ihre Mutter einst am Stall von Maritta kennenlernte. Soviel zu seinem ersten Eindruck. Eine Tabanta-Frau in seiner Nähe musterte ihn besonders argwöhnisch, bevor sie sich abwandte und mit steifem Schritt in Richtung der kleinen Zeltsiedlung etwas abseits des Stalls verschwand.

    Zoltan zuckte mit den Schultern und betrat das Innere des Zeltes.

    Drinnen herrschte, obwohl es unter der Woche war, reichlich Stimmung. Die Trinker und Spieler der Gegend ließen sich auch von diesem Umstand nicht um ihr allabendliches Amusement bringen. Wie immer, wenn Zoltan ein gut besuchtes Stallzelt oder einen Gasthof besuchte, war auf magische Weise exakt ein Platz direkt am Tresen frei, und wie immer nahm er diesen sogleich in Beschlag. Er nahm seinen Becher Likör entgegen und beäugte das Treiben um ihn herum. An der hinteren "Wand" des kreisrunden Raumes war ein ältlicher Shiekah umgeben von begeisterten Zuhörern dabei, eine wehmütige Ballade vorzutragen und sich dazu auf einer Ziehharmonika zu begleiten. Zoltan, der sich für gewöhnlich nicht viel aus Musik machte, musste zugeben, dass der Bursche Talent hatte, und für eine Weile ließ er sich von der dargebotenen Kunst in den Bann ziehen.

    Applaus brandete durch den Raum, als die Ballade endete, und der Musikant ging nahtlos in eine etwas flottere Nummer über. Sein Blick huschte weiter durch den Raum und blieb an einem Tisch hängen, an dem drei Männer in ein Kartenspiel vertieft waren. Einer dieser Gesellen erregte seine Aufmerksamkeit. Er trug die Kleidung der Tabanta-Leute, und den speziellen Rotton seiner Haare, wenngleich sich graue Strähnen hindurchzogen, hätte er überall erkannt: Dieser Mann musste Anyas Vater sein. Auch wenn er seine Gesellschaft zu genießen schien, lag ein Schatten der Traurigkeit auf seinem müden Gesicht - einen ähnlichen Ausdruck hatte Zoltan in den letzten Tagen nur allzu oft an seiner Liebsten bemerkt. Er kämpfe den Impuls nieder, zu dem Mann zu stürmen, ihn zu packen, durchzuschütteln und seine Meinung zu Zwangsehen kundzutun. Er hatte Anya versprochen, kein Aufsehen zu erregen. Doch dazu wäre er auch nicht gekommen. Zwei andere Männer, ebenfalls in jene Tracht der Dorfleute gekleidet, betraten aufgeregt das Zelt und näherten sich dem Rothaarigen.

    Bjarne!, rief der eine, ein korpulenter Kerl mit schütterem, braunen Haar. Sie ist da! Deine Tochter! Komm!

    Sein Begleiter, ein Glatzkopf mit blondem Vollbart, gestikulierte wild herum.

    Hella dreht fast durch! Sie verlangt, dass wir dich an den Ohren hier rausziehen! Also komm lieber freiwillig mit!

    Der Mann, Bjarne, ließ sich nicht zweimal bitten. Er knallte seine Karten auf den Tisch, entschuldigte sich hastig bei seinen Mitspielern, und folgte den aufgeregten Männern aus dem Zelt. Nun war es also soweit: Anya stellte sich ihren Eltern. Zoltan leerte seinen noch fast vollen Becher in einem Zug und wies den Wirt an, nachzufüllen.

    Viel Glück, Liebste, dachte er und nahm sein neues Getränk entgegen.

  • << Anyanka kommt aus Richtung Hügel-Region >>


    Seven scheute. Sie spürte die Nervosität ihrer Reiterin. "Ssshhhhhhhh", versuchte Anya ihre Stute zu beruhigen, doch eigentlich sagte sie es zu sich selbst. Direkt vor ihr war der Stall und sie versuchte, so viel Zeit wie es auch nur irgendwie ging auf den letzten Metern herauszuschinden, doch der steil abfallende Weg zum Stall ließ ihre Stute traben. Anya hatte ihren Umhang umgelegt und die Kapuze tief in das Gesicht gezogen in der Hoffnung, den Stall unerkannt zu erreichen, doch hatte ihr das windige Wetter schnell einen Strich durch die Rechnung gemacht: Die Kapuze wehte ihr vom Kopf und die langen roten Locken wehten wie aufloderndes Feuer umher. Die rote Abendsonne sorgte ebenfalls dafür, dass ihre Haare noch mehr leuchteten und im Nu war ihr jämmerliches Vorhaben dahin. Denn in diesem Moment trat jemand von rechts aus einem Gebüsch heran und erkannte sie sofort. Laut brüllend lief er die paar Meter zum Gasthof und machte sogleich alle darauf aufmerksam: Anyanka war angekommen!


    Am liebsten hätte sie ihrer Stute sofort die Sporren gegeben und wäre davon galoppiert. Und für den Bruchteil einer Sekunde war sie sehr sehr sehr nahe an dieser Entscheidung. Doch geholfen hätte das gar nichts. Augenblicklich versammelte sich eine Menschenmasse um Seven und sie, sodass die Stute noch mehr scheute und laut wieherte, mit dem Kopf immer wieder noch oben schlug und leicht anstieg. Anya betrachtete wütend die Leute um sie herum, während sie ihr Pferd zu bändigen versuchte. Alle riefen laut ihren Namen und redeten auf sie ein; es waren nicht nur welche aus dem Tabanta-Dorf, sondern auch völlig fremde Menschen. In dem Geschrei hörte sie nur "Kakariko". "Seid still! Seid still, ihr Idioten!", rief sie, doch ihre Stimme ging in dem Lärm unter. Sie drehte mit Seven einen engen Kreis, um sie am Steigen zu hindern, doch die Menschen hörten nicht auf zu schreien und zu brüllen. Schließlich stieg Seven auf und warf sie ab; mit lauten Krachen fiel sie zu Boden und ihre Stute rannte davon. Jetzt begriffen auch die Menschen und schlagartig wurde es still. Ächzend richtete sie sich auf und funkelte die Masse mit einem bösen Blick an. "Idioten."

    Doch dann teilte sich vor ihr die Gruppe und dann sah sie ihren Vater. Er hatte Tränen in den Augen. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob sie es wirklich war, doch nach einigem Zögern schritt er langsam an sie heran.

    "Papa?" Auch Anya war sich nicht sicher. War das ihr Vater? Wenn ja... war er sehr alt geworden. Doch ohne zu sprechen sprang er auf sie zu, packte sie und drückte sie ganz fest an sich. Sie hörte ihn weinen und auch ihr liefen die Tränen am Gesicht herab.

    "Meine Tochter! Ich bin so froh!" Bjarne hielt sie lange fest, als wollte er nie wieder loslassen. Doch schließlich, nach einer ganzen Weile, löste er seine Umarmung und sah seiner Tochter nach einer sehr langen Zeit ins Gesicht. Anya erkannte ihn kaum wieder. Die letzten Jahre mussten extrem hart gewesen sein; man konnte es ihm ansehen. Das schlechte Gewissen bohrte sich unerbittlich einen Weg durch ihren Kopf. Während sie ihr Leben genoss, musste ihre Familie im Dorf den immer unwirklicheren Bedingungen standhalten. Und so mischten sich unter den Freudentränen nun auch welche aus Kummer und Mitleid.


    "Anyanka!" Plötzlich griff eine zierliche Hand mit kleinen schmalen Fingern nach ihr und schließlich sah sie in das nasse Gesicht ihrer Mutter, die sie ebenfalls fest umklammerte. Auch Anya drückte ihre Mutter. Und so sehr sie sich freute, ihre Familie wiederzusehen; am liebsten wollte sie gar nicht hier sein. Die Tränen ihrer Eltern und auch ihre Tränen waren Zeugnis von der Last einer uralten Tradition. Die Umklammerung ihrer Mutter fühlte sich wie Ketten an, die ihr angelegt wurden. Ihre Mutter würde sie von nun an keine Sekunde aus den Augen lassen, das wusste sie. Doch sie wusste auch, dass sie hier nicht allein war, denn hier irgendwo war Zoltan. Ihm gehörte ihre Zukunft und er war ihr Trumpf.


    "Komm mit. Ich zeige dir, wo wir leben und dann erzählst du mir alles." Während ihre Mutter das sagte, zog sie Anya bereits mit sich. So wie damals, als Anya noch ein Kind war, zog ihre Mutter sie hinter sich her. Und während sie am Stalleingang vorbeigingen, entdeckte Anya ihren Zoltan am Tresen. Ihre Blicke trafen sich, doch keiner von ihnen machte eine verdächtige Bewegung. Doch ihre Blicke hefteten aneinander, bis Zoltan wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden war.


    Wir sehen uns morgen, warf sie ihm in Gedanken zu.

  • Nun war Zoltan also auf sich allein gestellt, und Anya war es ebenso. Zum ersten Mal seit langer Zeit waren sie voneinander getrennt, und es fühlte sich so... falsch an. Missmutig kippte er den nächsten Likör herunter, einen neuen bestellend. Sein Blick schweifte zu dem Tisch, an dem immernoch die beiden Spieler saßen. Scheinbrat ratlos, wie es ohne einen Dritten in ihrer Runde weitergehen könne. So richtig observiert hatte er sie nicht. Die beiden jungen Männern waren in ihren Mitzwanzigern, und - das erkannte er erst jetzt - Zwillinge. Während der eine jedoch ein blaues Gewand über seinem Oberkörper trug, war der andere mit einem identischen Textil in Rot bekleidet. An den Hosen sah er es: Auch sie gehört zu den Tabanta-Leuten. Könnte er besser sein? Die Kerle brauchten einen Ersatzspieler, und er wollte mehr über diese Dorfleute herausfinden. So nahm er seinen aufgefüllten Likörbecher und schritt zu ihrem Tisch.

    Gentlemen, eröffnete er das Gespräch. Ich bekam unverschämterweise mit, dass euch ein Spieler fehlt. Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich...? Er wies auf den freien Platz, an dem noch die hastig hingeworfenen Karten des Aufgestandenen lagen. Die Zwillinge wechselten einen misstrauischen Blick. Karten spielen mit einem Fremden? Aber sei es drum, viel gab es hier eh nicht zu tun, also luden sie ihn ein.

    Wie siehts denn aus, Fremder?, fragte der in dem Blauen. Kannst du ein Fläschen ranholen? Es spielt sich besser, wenn alle locker drauf sind!

    Zolan lächelte und holte den halbvollen Gebrannten aus seiner Tasche.

    Der böse Junge hier reicht, um uns angemessen zu bespaßen. Nun denn, was spielt ihr?

    Sie erklärten ihm die ziemlich einfachen Regeln des Spiels, alle schenkten sich einen Becher ein, und los ging's.

    Für eine Weile waren sie auf ihr Spiel fokussiert, bis der Zwiiling in Rot seine Nugierde nicht zurückhalten konnte.

    Sag mal, was hast'n da an deinem Auge? Sieht übel aus. In Ärger geraten?

    Zoltan, nun schon recht angeschwipst, fand, dass es eine gute Zeit für eine Geschichte gab.

    In der Tat. Ein paar Freunde und ich gerieten in Kakariko in einen Hinerhalt von Bandidten. Konnte zusammen mit meinem Kumpel Symin eine ganze Truppe von denen plattmachen, aber dann - theatrlische Pause, um einen Schluck von seinem Getränk zu nehmen -

    BUMM! Die Zwillinge schreckten zurück.

    Explodiert neben mir ein Pulverfass. Hat mich durch das halbe Dorf gefegt, ich sag's euch. Als nächstes lag ich auf einer Art Krankenstation, meine halbe Visage war Hackfleisch, und ich konnte auf einem Auge nix sehen. Kann ich immer noch nicht, wenn Licht ans Auge kommt. Deshalb habe ich die hier. Er tippte gegen seine Sonnenbrille.

    Wow! Machte der Blaue. Echt in Kakariko? Eine junge Frau von hier, Anya heißt sie, war wohl auch dort in etwas verwickelt. Kennst du sie etwa?

    Zoltan lehnte sich zurück. Er hatte Anya versprochen, nicht zu sehr mit der Tür ins Haus zu fallen.

    Ja, tue ich. Ziemlich gut sogar. Wir waren eine Weile unterwegs. Hat es ziemlich drauf. Ein Teufelsweib!

    Doch Rot und Blau widmeten nicht mehr ihm seine Aufmerksamkeit, sondern beobachteten etwas - oder jemanden - hinter ihm.

    Teufelsweib, ja? fragte eine Stimme hinter Zoltan. Er fuhr herum, und ihm war augenblicklich klar, wer sein Gegenüber war. Anya hatte ihm geraten, nach dem größten, hässlichsten und lautesten von allen Ausschau zu halten, wenn er Tom finden wollte. Nun, dies war er wohl. Zoltan ließ ein charmantes Lächeln aufblitzeln, das bisher nur sehr wenige Menschen zu Gesicht bekommen hatten.

    Und was für eins. Zu gut und zu talentiert, um an diesem Rande der Welt zu versacken, aber wir werden sehen. Und du bist?

    Ungerührt von seinem Becher trinkend, blickte er Tom beinahe zu freundlich an und erwartete seine Antwort.

  • TOM POV


    "Der Ehemann. Wenn auch noch nicht vor den Göttern, aber sie ist mein. Schon seit wir Kinder waren, sind wir einander versprochen. Wenn du nett bist, darfst du vielleicht als Zaungast bei der Zeremonie dabei sein." Toms Worte waren scharf wie Stahl und sein Blick war stechend, als er das sagte. Abschätzend trat er um den Tisch herum, um diesen merkwürdigen Typen von vorn zu betrachten. So einen komischen Vogel hatte er noch nie gesehen. Er war blass wie ein Geist, komplett in dunkler Kleidung, groß aber dürr. Sein Gesicht war zur Hälfte mit Narben übersäht und er trug eine dunkle Brille. Wenn der Typ aus Hyrule stammte, dann vom anderen Ende des Landes.

    "Na dann hab ich mal eine Neuigkeit für dich: Sie ist nicht hier, weil sie dich heiraten möchte. Ganz im Gegenteil", lallte der Clown. Er zog dabei einen Mundwinkel leicht nach oben, während er sein Blatt auf der Hand betrachtete und warf schließlich eine Karte auf den Tisch.


    Tom ließ das ziemlich kalt. Da plusterte sich ein hässlicher Fremder vor ihm auf, wollte ihn provozieren. Er mochte vielleicht in diesem jämmerlichen Kartenspiel die besseren Karten haben, im wahren Leben hatte aber Tom den Trumpf. Nichts würde verhindern, dass er sein Weib schon bald ehelichen würde und dann... ja dann... In seinem Kopf spielten sich bereits gewisse Szenen ab, wie die Hochzeitsnacht laufen würde und wie er später mit ihr und den Kindern irgendwo leben würde. Diese jämmerliche Gestalt vor ihm wäre dann nur noch ein Furz im Wind; eine klägliche und verblasste Erinnerung, wenn überhaupt.


    Schnaufend ließ er von den dreien ab und drehte sich weg, um sich seinen Kameraden zu widmen. Diese erkundigten sich rasch über den Fremden, doch Tom wiegelte ab: "Ach was! Als ob das jetzt irgendeine Rolle spielt, ob so ein dahergelaufener Typ irgendwelche Geschichten erzählt. Wahrscheinlich hat er ihre Ankunft vorhin auch bemerkt und festgestellt, dass sie gar nicht mal so hässlich ist und nun spielt er sich auf. Sie ist allein hierhergekommen. Würde er sie kennen, oder sie ihn, wären sie doch zusammen aufgetaucht." Tom ließ sich seine Worte kurz durch den Kopf gehen, kaute auf einem Zahnstocher herum und fuhr schließlich fort. "Ihr könnt ihn ja im Auge behalten, sicher ist sicher. Ich habe jetzt was anderes vor." Schließlich warf er noch einen Blick über seine Schulter, konnte im Augenwinkel die drei Kartenspieler sehen und verließ dann das Zelt des Stalls. Sie ist mein.




    ANYANKA POV


    Anya betrat das Zelt ihrer Eltern und hatte Mühe, den Schrecken zu verbergen, der durch ihren Körper fuhr. Es war klein und dunkel, die Zeltplane hatte kleine Löcher, die zum Teil notdürftig mit zerschlissenem Stoff gestopft worden waren. Rechts befand sich der Schlafbereich mit zwei uralten Pritschen und einen Haufen Decken und links standen ein paar Säcke mit Klamotten und den wichtigsten Habseligkeiten wie Verbandszeug, Kochgeschürr und einigen wenigen Grundnahrungsmitteln. Absolut nichts hatte das mit ihrem elterlichen Zuhause im Dorf zu tun, wie sie es noch kannte, indem ausreichend Platz für alles gewesen war. Ihre Mutter allerdings bemerkte den Schock ihrer Tochter und ließ den Kopf hängen. "Das ist alles, was wir gerade haben. Wir leben jetzt schon seit einigen Wochen so und jeder Tag mehr ist einer zu viel. Wir können hier nicht aufrecht stehen. Und wenn es regnet, ist alles komplett nass. Erst vorgestern musste ich das Mehl wegwerfen, weil es nass geworden war und schimmelte. Auch die Hälfte der Kartoffeln ist bereits vergammelt." Hella schluckte laut und versuchte zu verhindern, dass sie sofort losweinte. Sie drückte die Hand ihrer Tochter noch fester und zog sie zu eine der Pritschen und setzte sich. "Du kannst dir kaum vorstellen, wie glücklich ich bin, dass du da bist."


    Natürlich wusste Anya, warum ihre Mutter so dachte. Sie und ihr Vater waren dazu verdammt, hier zu verrotten, genau wie die Lebensmittel, wenn sie nicht schnell eine neue Bleibe fanden. In den Augen ihrer Mutter gab es durch Anyas Vermählung aber den ersehnten Ausweg, wenn sie dann ins neue Heim des jungen Ehepaars einziehen würden.

    Anyas Plan, direkt und noch heute Abend reinen Tisch zu machen, verflog in diesem Moment, als ihr klar war, wie verzweifelt ihre Eltern waren. An ihrer Entscheidung, Tom nicht zu heiraten, hatte sich nach wie vor nichts geändert, nur wie sie das jetzt sagen wollte, war ihr nicht klar. Vermutlich würde ihre Mutter vor Kummer sterben, wenn sie es ihr hier und jetzt einfach mitteilen würde, und so behielt sie es erstmal für sich.

    "Habt ihr denn nie etwas zurückgelegt? Ich meine, es war doch schon lange klar, dass das Tabanta-Dorf irgendwann aufgegeben werden muss. Habt ihr nie nach etwas anderem Ausschau gehalten?"

    Hella sah ihre Tochter mit großen fragenden Augen an. "Was meinst du mit zurücklegen? Wie das denn? Die Nachfrage nach Eseln ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Zu wenige haben sich bei uns noch einen gekauft. Und von der Landwirtschaft allein kann man nichts aufsparen. Wir haben das mehr zum Selbsterhalt betrieben, jedenfalls die letzten Jahre."

    "Und Tom? Hat er irgendwo etwas in Aussicht?"

    "Äh... davon gehen wir aus?! Er ist jung und tatkräftig; er hat sicher einen Plan."

    "Das heißt, er hat nichts. Sonst würde er doch wohl kaum in einem solchen Zelt leben, oder? Ich nehme mal an, seines sieht genauso aus wie dieses hier."

    Jetzt ließ Hella die Hand ihrer Tochter langsam los, während sie ihr in die Augen sah. "Ich weiß, als Kind war er manchmal schwierig. Aber er ist erwachsen geworden und er wird ganz toll für dich sorgen. Und dein Vater und ich werden auch nicht die Hand in den Schoß legen, wenn wir bei euch wohnen. Bjarne wird Tom draußen helfen und wir beide kümmern uns um das Haus." Hellas boxte leicht auf Anyas Oberarm und strahlte sie an. "Es wird so toll werden, vertrau mir!"

    "Mutter, hör mir zu. Wir müssen mal dringend über etwas sprechen."


    Und wie es der Zufall so wollte, betrat in diesem Moment Anyas Vater Bjarne das Zelt. Er hielt einen Korb mit Gemüse und etwas Fisch in den Händen. "Unsere Nachbarn haben uns ein paar leckere Sachen überlassen, damit wir heute gut essen können." Sein Lächeln war warm und glücklich, er konnte die Augen nicht von seiner Tochter lassen. Eilig schob er eine kleine Kiste zu den Pritschen, stellte den Korb drauf und setzte sich. Anya seufzte innerlich. Es war deutlich zu spüren, dass ihre Eltern eine unglaublich harte und schwere Zeit hier durchmachten und ihre Ankunft heute Abend musste sie unglaublich glücklich machen. Sollte sie diese Stimmung nun ruinieren oder sollte sie ihren Eltern diesen glücklichen Moment lassen? Letztlich brachte sie es nicht übers Herz und entschied sich, es für heute gut sein zu lassen.


    Das Abendessen war ein Mahl aus zusammengesammelten Dingen, die eigentlich überhaupt nicht zusammen passten. Aber ihre Eltern genossen jeden Bissen und auch Anya fühlte sich seltsam wohl in dieser Runde. Sie hatte es fast vergessen, wie es war, mit der Familie zu essen. Viel wurde nicht geredet, aber ihre Eltern sahen beide überglücklich aus.


    Schließlich war es spät am Abend und ihr Vater bot ihr an, auf seiner Pritsche zu schlafen, was Anya nur dankend ablehnte. "Nicht doch Papa, ich schlafe im Stall. Wenn ihr wollt, kann ich für euch auch Betten reservieren, dann könnt ihr auch mal wieder richtig gut schlafen? Keine Sorge, ich kann es mir ganz locker leisten."

    Doch ihre Eltern lehnten das Angebot ab, wahrscheinlich aus Scham. Zum Abschied drückte sie ihre Eltern und verließ endlich das beengte Zelt. Nach einigen Metern zu Fuß holte sie ganz tief Luft, blieb stehen und schaute in den Sternenhimmel hinauf. Himmel, was soll ich nur machen? Ich kann doch nicht zulassen, dass meine Eltern hier versauern? Was soll ich tun?

  • Die beiden Dussel vor Zoltan glotzen ihn an wie eine Kuh im Gewitter. Dass jemand dem selbsternannten Obermacker des ehemaligen Dorfes Widerworte gab, kam offenbar nicht sehr häufig vor. So erfreute er sich ein wenig an der Show, die er den beiden bieten konnte, ärgerte sich aber auch ein wenig über sich selbst. Er hatte sich verplappert. Nicht, dass es eine Rolle spielte, früher oder später käme ohnehin raus, was es mit ihm und Anya auf sich hatte, und wie sehr dies die Zukunft ihrer Eltern beeinflussen würde. Allerdings war es ausgemacht, dass Anya diesen Zügel in der Hand behielt, bis der richtige Moment für ihre Offenbarung gekommen war. Vermutlich saß sie gerade mit ihren Eltern zusammen und redete mit ihnen über Belanglosigkeiten - SO dringend wäre diese Vermählungsangelegenheit sicher auch nicht, als dass dieses Thema bei der ersten, langersehnten Zusammenkunft der Familie nach so langer Zeit direkt angeschnitten werden würde. Er beruhigte sich damit, dass Tom ihn offenbar nicht wirklich ernstgenommen hatte. Er hatte das Zelt stapfenden Schrittes verlassen, ohne sich noch einmal umzublicken. Neben all dem Stumpfsinn strahlte er auch die Siegesgewissheit eines verzogenen Bengels aus. Oh weh. Das Leben in der "echten" Welt würde dem Burschen noch ziemlich zu schaffen machen. Und Zoltan genoß es insgeheim, dass er selbst Teil seiner allerersten Lektion war. Jedenfalls hatte er hier vorerst genug gesehen und gehört. Die drei starken Getränke hatten ihre Wirkung bereits entfaltet, und er hatte wahrlich keine Lust, sich richtig zu betrinken. Dann würde ein mögliches erneutes Zusammentreffen mit Tom weniger zivilisiert enden, und eben dieser zivilisierte Teil von ihm wollte vermeiden, dass Anyas Eltern den Partner ihrer Tochter auch noch als Schlägertyp kennenlernten, wenn schon ihre Pläne durchkreuzt wurden. Nein, er musste sich bei den Herrschaften nicht unbedingt noch unbeliebter machen. Auch, wenn er seine Gründe hatte, sie zu verabscheuen und es ihm egal sein konnte, was sie von ihm hielten. So wollte er sich wenigstens Anya zuliebe zusammenreissen.


    Er entschuldigte sich bei seinen Spielpartnern, erhob sich und verließ das Zelt, mit dem Ziel, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Mittlerweile wurde die Stimmung weniger ausgelassen. Der Shiekah-Musikant saß mit einigen Bewunderern an einem Tisch und führte gedämpfte Gespräche, ein paar nicht ganz so trinkfeste Thekenbelagerer hatten sich sogar schon in ihre Betten verzogen. Zwei junge Männer, mit denen Tom sich zuvor kurz unterhalten hatte, blickten ihm nach, machten jedoch keine Anstalten, ihm zu folgen. Er ging ein paar Meter und blickte zu der Ansammlung von Zelten in einiger Entfernung. Gedämpftes Licht drang aus einigen Eingängen, doch zu hören war nichts. Wie seltsam. Wäre es nicht eine Art, eine verlorene Tochter des Dorfes mit einem rauschenden Fest zu begrüßen? Vielleicht respektierte man auch einfach, dass die kleine Familie erst einmal unter sich bleiben wollte. Er wandte sich dem Felsmassiv zu, welches das Dorf der Orni beherbergte. So wie er das erkennen konnte, herrschte dort noch reger Betrieb trotz der vorrückenden Stunde - hier und da verließen Vogelmänner das Dorf oder landeten. Seine neue Bekanntschaft war allerding nicht darunter... Wastls Silhouette wäre kaum zu übersehen gewesen. Mit einem Mal empfand er etwas, von dem er gar nicht wusste, dass er dies zu empfinden überhaupt in der Lage war - er fühlte sich merkwürdig einsam. Kein vertrautes Gesicht, keine Anya, nur er. Hier, allein irgendwo mitten in Tabanta. Und das, obwohl er gerade mal wenige Stunden von Anya getrennt war. Hatte er so etwas auf unbewusster Ebene auch damals gefühlt, als er teilweise wochenlang durch die Lande zog, während Anya in Hateno das Wirtshaus hütete? Es war fast schon kriminell, wie fremd ihm sein eigenes Seelenleben war. Er drehte sich eine Zigarette, paffte vor sich hin und starrte weiter auf den felsigen Turm der Orni. Dann riss ihn das Geräusch herannahender Schritte aus seinen Gedanken.

  • Hella POV


    Hella hatte versucht zu schlafen. Eigentlich war es bereits viel zu spät, denn sie achtete normalerweise sehr darauf, mit dem Sonnenuntergang schlafen zu gehen. Doch das Auftauchen ihrer Tochter hatte selbstverständlich alles verändert und Hella hatte ihre penible Einhaltung ihrer selbstauferlegten Disziplin ausnahmsweise beiseite gelegt. Sie war hundemüde und doch drehte sie sich unruhig auf ihrer knarrenden Pritsche hin und her. Irgendetwas hinderte sie am Einschlafen. Kam es ihr nur so vor oder verhielt sich ihre Tochter seltsam? Irgendwie hatte Hella nicht das Gefühl gehabt, dass sich Anya irgendwie wohlgefühlt hätte. Es war so, als hätte die ganze Zeit irgendetwas im Raum gestanden.

    Bjarne schnarchte laut und Hella sah mit ihren müden Augen zu ihm hinüber. Sie überlegte eine Weile, doch dann stand sie auf, zog sich warme Kleidung an und verließ das Zelt. Was sie hier draußen machen wollte, wusste sie nicht. Es war so lange her, dass sie die Welt bei Nacht sah, dass sie sich schon kaum noch daran erinnern konnte. Was machte man so, wenn man nicht schlafen konnte?


    Um sie herum war es dunkel und aus jedem Zelt drangen Schnarchlaute. Nur im großen Zelt brannte noch spärliches Licht, aber es war recht still insgesamt. Dann hörte sie etwas hinter sich und erschrocken fuhr die herum, versuchte mit ihren müden Augen etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Da bewegte sich doch etwas im Schatten? Hella stand wie angewurzelt da und plötzlich bewegte es sich wieder. Mit schnellen Schritten ging dort jemand hinter den Zelten umher! Hella wollte schreien, aber ihre Stimme versagte und so ging sie einen Schritt zurück, stolperte und landete auf den Boden. Die unbekannte Person bemerkte sie jetzt und schien auf sie zuzukommen und gerade, als Hella Luft holte, betrat der Mann den schwachen Lichtschein des Mondes. Es war Tom.


    "Hella? Was machen Sie hier draußen?"

    "Oh meine Güte!" Sie atmete schwer aus und hielt sich die Hand an die Brust. Sie war erleichtert, dass es Tom war und nicht irgendein Dieb. "Ich kann nicht schlafen und wollte mir die Beine vertreten. Was machst du hier?"

    "Dasselbe eigentlich. Naja, ich musste mal und bin in die Büsche gegangen." Tom half ihr auf und dann standen beide da, sagten eine Weile lang nichts. Bis Tom irgendwann anfing. "Sie ist zurück. Bestimmt ist das der Grund, warum wir beide hier nachts noch wach sind."

    "Ja, das ist es ganz sicher. Sie hatte heute bei uns im Zelt zu Abend gegessen. Es war schön." Hella lächelte schwach. "Aber irgendetwas war mit ihr los. Ich weiß nicht was."

    "Ich schon." Tom ließ seine Antwort etwas wirken. Hella reagierte wie erhofft mit großen neugierigen Augen. Sie trat ein Schritt an ihn heran und fragte ihn wortlos, was er wusste. "Sie kam nicht allein. Da ist jemand. Ein fremder Mann. Er prahlte damit, dass er zu ihr gehören würde. Und dass sie nicht vorhätte, mich zu heiraten."

    "Wer?", fragte sie atemlos, während ihr Kopf bereits Amok lief. Anya war in Begleitung eines Mannes gekommen, vermutlich derselbe, von dem der Orni-Bote berichtet hatte. Doch Hella hatte niemanden an ihrer Seite gesehen, also konnte das einfach nicht sein.

    "Weiß nicht, wer das ist. Er sieht aus wie ein Bettler. Abgerissen, komplett dunkel gekleidet, säuft wie ein Loch und saß vorhin im Stall."

    "Hatte er ein Armband?"

    "Ja! Ja, ich glaube schon! Kennen Sie ihn?"

    "Ich habe vorhin so jemanden gesehen." Hella wandte sich etwas ab. Das musste sie verdauen. Wenn das überhaupt ging. Sie bemerkte nicht, wie Toms Gesicht sich zu einem diabolischen Grinsen verzog. Bald darauf verabschiedete er sich und ließ Hella einfach damit stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.


    Spontan reifte in ihr der Gedanke, dass sie jetzt sofort in das große Zelt rennen und ihre Tochter aus dem Bett jagen wollte. Wütend und panisch setzte sie sich in Bewegung. Sie wollte nicht bis morgen warten, sie wollte das jetzt aus dem Mund ihrer Tochter hören. Jemand stand ihr Weg, doch sie lief an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Sie merkte nicht, dass dieser Jemand jener Mann war, der Anya heimlich begleitet hatte.

  • Tatsächlich bewegten sich die fremden Schritte nicht auf ihn zu, sondern an ihm vorbei. Zoltan hob seine verdunkelten Brillengläser an, um einen genaueren Blick auf die Frau zu werfen, die in Richtung Stall rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Es war die Frau, die ihn bei seiner Ankunft so kritisch beäugt hatte. Wäre es möglich...? Ihm fiel kein guter Grund ein, weswegen die Frau, sofern es denn tatsächlic Anyas Mutter war, so aufgescheucht mitten in der Nacht herumlaufen sollte. Nun, vielleicht... vielleicht hatte Anya die Bombe doch platzen lassen und war im Streit davongelaufen. Er war oft Zeuge dieser Art von Konfliktbewältigung gewesen. Dann wäre es tatsächlich denkbar, dass ihre Mutter wie wild geworden nach ihr suchte. Wie dem auch sei, im Zelt war sie Zoltans Wissens nach nicht, und aller Wahrscheinlichkeit nach hätte sie auf sich aufmerksam gemacht, wenn sie auf dem Weg dorthin an ihm vorbeigekommen wäre. Zögerlich trat er einige Schritte auf den Eingang des Stalls zu. Dass Anya irgendwo hier herumlief, während auch gleichzeitig dieser Tom hier herumschnüffelte, gefiel ihm überhaupt nicht. Selbstverständlich war Anya schon mit heftigeren Kalibern als diesem Kerl fertiggeworden, aber dennoch. Er hatte sein Ziel noch nicht ganz erreicht, als auch jene Frau wieder aus dem Zelt geeilt kam - offenbar war sie nicht fündig geworden. Sie kam vor ihm abrupt zu stehen, und für einen Moment blickten beide sich an.

    Einen schönen Abend, sagte Zoltan glatt und tippte grüßend an seine Schläfe. Kann ich Ihnen bei etwas behilflich sein? Sie wirken aufgebracht. Und es sind schlechte Zeiten für wehrlose Frauen, um nachts halb blind durch die Gegend zu hasten. Eine Menge gefährliches Volk treibt sich überall rum, das kann ich Ihnen versichern...

    Die Mine der Frau verfinsterte sich, ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich.

    Einer wie Sie, zum Beispiel? Ich verlange auf der Stelle zu wissen, wo meine Tochter ist! Ich habe dieses Armband - sie deutete auf besagten Gegenstand - gesehen, und ich wusste es. Ich konnte es nur nicht glauben. Aber jetzt habe ich erfahren, dass Sie... und Anya...

    Zornig schüttelte sie den Kopf.

    Sie Unglücksrabe! Haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, welchen Ärger Sie über unsere Familie bringen? Sie verraten mir jetzt, wo Anyanka ist, und dann will ich Sie nicht mehr in Ihrer Nähe sehen! Ich kann mir denken, was Sie Ihnen erzählt hat, und es geht Sie nichts an! Das ist eine reine Familienangelegenheit. Ich überlasse meine Tochter und ihr Glück nicht einem dahergelaufenem...

    Zoltan hob die Hand, und sie verstummte.

    Zunächst einmal weiß ich nichts über den derzeitigen Verbleib Ihrer Tochter. Ich dachte, Sie wäre bei Ihnen. Aber seien Sie versichert, dass ihr Verschwinden mich nicht weniger sorgt als Sie. Zum anderen Punkt... nun, in gewisser Weise geht mich das, was Anya mir erzählt hat, etwas an. Sofern wir denn von derselben Sache sprechen...


    Hella schnaubte. Wie konnte dieser aufgeblasene Taugenichts es wagen, sie zu belehren? Dieser Kerl stank geradezu nach Ärger, und mit so einem trieb ihre Tochter sich herum! Kein Wunder, dass Anya so seltsam gewirkt hatte. Dieser Mensch hatte sie verdorben.

    Ich wiederhole mich nur einmal: Es ist eine Familienangelegenheit! Eine Tradition! Verziehen Sie sich in das Loch, aus dem Sie gekrochen sind, und lassen Sie die Finger von Anyanka! Das Gesicht des Mannes verhärtete sich.


    Ihre sogenannten Traditionen haben hier keinerlei Bedeutung. Dies ist nicht Ihr verkorkstes Dorf, dies ist hylianischer Grund und Boden. Hier gelten Gesetze, wenn auch dieser Tage nur noch wenige. Aber seien Sie sich sicher... es gibt eines, das die Zwangsheirat verbietet. Und auch, wenn Sie es mir nicht ansehen, bin ich befugt... Was, zum Teufel, rede ich da? Ich bin kein Malkus, der Leute mit irgendwelchen hanebüchenen Geschichten übertölpelt!

    Aber nun hatte er sich einmal reingeredet, und seine dumme Zunge musste wohl oder übel ihr begonnenes Werk vollenden. Doch bevor es dazu kam, wurde die Stille der Nacht mit einem Mal zerrissen. Stimmen von zwei streitenden Leuten - ein Mann und eine Frau. Die Frau war unverkennbar Anya, und es lag nahe, wer dort mit ihr sprach, oder besser gesagt: sie anbrüllte.

    Zoltan und Hella blickten sich alarmiert an, ihr eigener Streit vorerst vergessen. Dann eilten sie in die Richtung des Lärms.

  • Der nächste Tag würde der entscheidene sein und es würde nur noch Stunden dauern, bis die Sonne wieder aufging und das Unvermeidliche seinen Lauf nahm. Die Erkältung machte Anya noch immer zu schaffen, sie fühlte sich schlapp, aber sie wusste auch, dass sie noch nicht schlafen konnte. Anya hatte deswegen eine kleine Runde abseits des Stalls gedreht, tief versunken in die Gedanken.


    Es würde unangenehm werden, das stand fest. Doch mit dem Plan, den sie und Zoltan zuvor besprochen hatten, würde man das Gröbste umgehen; es wäre immer noch schlimm, aber machbar. Wenn du wählen kannst zwischen schlecht und ganz schlecht, dann nehme schlecht. Einer der philosophischen Sprüche, den Anya in Hateno aufgeschnappt hatte und den sie sinnvoll und gut fand. Und morgen dann würde sie das versuchen, in die Tat umzusetzen. Sie versuchte es sich vorstellen, dass ihre Eltern, Tom und sie beisammen saßen und Anya dann irgendwann Zoltan dazuholen würde, nachdem sie mit ruhiger Stimme und schonenden Worten ihre Entscheidung mitgeteilt hatte, das Eheversprechen nicht einzulösen. In ihren Gedanken trat Zoltan mit seiner eloquenten und besonnenen Art auf; beide würden sich wie immer blind verstehen; fokussiert auf das Ziel.


    Das schneebedeckte Gebiet war allerdings nahe und der eisige Wind hatte Anya veranlasst, nun doch das warme Bett im Stall aufzusuchen. Doch so weit war sie nicht gekommen. Dann als sie das erste Zelt auf dem Rückweg passiert hatte, bewegte sich jemand, der daneben stand. Ein bäriger Typ, ziemlich groß und breit. Im schwachen Mondlicht war schwer zu erkennen, wer er war, aber sie sah, wie er sie anblickte. Anya hatte nicht vor anzuhalten, doch der Typ machte einen Satz und versperrte ihr den Weg.

    "Du warst mal echt hässlich. Hätte nie gedacht, dass du dich so machst. Ich muss zugeben, dass ich ganz zufrieden sein kann."

    Anyas Augen kniffen sich zu dünne Schlitze zusammen. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff. Oh nein. Sie holte Luft. Zeig ihm nicht, wie du dich fühlst. Spiele ein Spiel. "Der Rotzbengel von damals, richtig?" Ihr war elend zumute, aber Tom sollte das nicht spüren. Anya stellte sich mit beiden Füßen fest auf den Boden, hob das Kinn etwas an und versuchte, ein Pokerface zu machen. Nur nicht schwach wirken. Dass Tom und sie sich jetzt schon trafen, durchkreuzte ihre Pläne auf eine gefährliche Weise. Innerlich verfluchte sie sich dafür, nicht einfach ins Bett gegangen zu sein.

    "Dein Ehemann."

    "Noch nicht."

    Tom lächelte schief, sodass seine schiefen Zähne etwas sichtbar wurden. Dann lachte er leise, sah kurz auf den Boden und trat leichtfüßig an sie heran. "Also von mir aus können wir die Hochzeitsnacht auch schon auf heute verschieben."

    "Verpiss dich, Tom."

    Er grinste und hob die Hände. "Nichts für ungut. Ganz wie du willst. Sag mal, weiß dein Liebhaber eigentlich, dass du hier ganz alleine herumschleichst?"

    "Wovon redest du da bitte?" Anya stand tatsächlich auf dem Schlauch. Sicher wollte Tom sie lediglich aus der Reserve locken ohne irgendetwas zu wissen.

    "Och bitte. Ich rede von dem Typen der aussieht, als hätte Ganon ihn gerade ausgeschissen. Du weißt schon, schwarze Klamotten, das Armband, das wie deines aussieht. Er stinkt nach Alkohol. Klingelt´s?"

    Schock. Anya hatte vergessen, wie man spricht. Woher wusste er das?

    Tom gab ihr ungefragt und bereitwillig die Antwort: "Der sitzt da im Zelt und erzählt jedem Gast, dass du sein Mädchen bist. Auch mir. Ganz schön blöde, der Typ." Tom lachte jetzt laut und donnernd, dass ihm die Tränen in die Augen stießen. "Ich an seiner Stelle hätte es anders gemacht. Naja, deine Mutter hat jedenfalls der Schlag getroffen, als ich es ihr eben gerade erst erzählte."


    Tom konnte unmöglich von Zoltan sprechen! Er konnte unmöglich von ihm wissen, dass sie ein Paar waren. Das hätte Zoltan nie getan! "Was redest du da?" Anya schrie fast. "Du träumst doch echt, du Idiot!"

    "Nein, zum Glück nicht. Was auch immer du vor hattest, es wird nicht funktionieren. Wir beiden heiraten. Dein Trumpf hat sich in eine Ente verwandelt. Der Typ steht als lächerlicher Idiot da."


    Ein Wortgefecht entbrannte, aber Anya schaffte es nicht, Tom kleinzukriegen. Und bald darauf erkannte sie ihre Mutter und Zoltan, wie sie gemeinsam und zusammen nebeneinander herbeigelaufen kamen. Das ist nicht wahr?!

    "Was ist hier los?", wollte Hella wissen.

    "Ihre Tochter hat tatsächlich versucht, uns zu belügen." Toms Stimme klang auf einmal wehleidig, als hätte man ihn gerade tief verletzt. Doch Anya wusste, dass es gespielt war. Letztlich änderte das aber nichts daran, dass ihre Mutter augenblicklich zu hyperventilieren anfing. Sie zitterte, sie schnappte nach Luft, krallte ihre beiden Hände in Anyas Arme und sackte fast zusammen. "Sag mir, dass wir uns irren. Du bist hier, weil du Tom heiraten wirst. Das stimmt doch? Bitte!"

    "Mama, ich erkläre alles morgen, in Ordnung? Geh schlafen." Ein jämmerlicher Versuch, noch irgendwas zu retten. Doch Anyas Mutter schien das nur noch übler mitzuspielen und sie fing heftig an zu weinen. Diese kleine dünne Frau brach gerade völlig in sich zusammen, verzog das Gesicht schmerzverzerrt, während Tränenbäche darüber flossen.

    "Du musst ihn heiraten! Du hast es versprochen! Wir werden Geächtete sein und wir werden hier in diesen Zelten sterben, wenn du das nicht tust!"

    "Oh Mama!" Hella lag nun fast auf dem kalten Boden und weinte hemmungslos, Anya kniete daneben und versuchte, irgendetwas für ihre Mutter zu tun. Daneben standen diese beiden großen Männer. Keiner von beiden bewegte sich oder sagte irgendetwas.


    Wut stieg in ihr auf. Anya hatte große Angst, denn sie wusste, dass ihrer Mutter gerade jede Perspektive genommen wurde. Auf die schlimmste und schmerzvollste Art, die möglich war. Zu verdanken hatte sie das diesem vorlauten Idioten namens Tom, der rücksichtlos wie immer einfach nur sein Ding durchzog.


    Doch Zoltan. Zoltan war der Urheber hiervon. Anya und er hatten diesen Tag genau besprochen. Sie hatten eine Abmachung getroffen. Sie hatte ihn eindringlich um Zurückhaltung gebeten und ihn gefragt, ob er das akzeptieren konnte, was er bejaht hatte. Er kannte ihr Vorhaben genau und er wusste ganz genau, dass er nicht derjenige sein durfte, der die Bombe platzen ließ. Und er wusste auch, warum sie das wollte. Doch Zoltan hatte es nicht mal einen Abend lang geschafft, sich an sein Wort zu halten. Er hatte sie betrogen. Dieser Schmerz war kaum auszuhalten.


    Wütend stand Anya langsam auf und funkelte ihn an. Sie biss die Zähne so heftig zusammen, dass ihr Kiefer schmerzte. Sie wusste kaum, was sie jetzt tun konnte. Am liebsten hätte sie sich jetzt auf Sevens Rücken geschwungen und wäre davongeritten, anschließend hätte sie sich irgendwo in Eldin in eine Höhle verkrochen und wäre nie wieder irgendwo aufgetaucht.

  • Zoltan wusste nicht recht, was er mit der Situation anfangen sollte. Wie es aussah, war Anya ziemlich wütend auf ihn, und das fiese Grinsen, das Tom ihm über ihren Kopf hinweg zuwarf, hatte anscheinend etwas damit zu tun. Was hatte er getan, dass...? Dann dämmerte es ihm. Die beiden Kartenspieler - er hatte ihnen erzählt, dass er Anya kannte, dass sie zusammen gereist waren.

    Anya wandte sich zu Tom.

    Mach dich wenigstens einmal in deinem Leben nützlich. Bring meine Mutter nach Hause. Ich habe hier noch etwas zu bereden.

    Das Grinsen verschwand, und eine seltsame Wandlung vollzog sich an Tom.

    Kommen Sie hoch, Frau Keen. Das wird sich alles klären, da bin ich mir sicher... kommen Sie...

    Er führte sie so behutsam fort, als würde er mit einem verletzten Vogel hantieren. Was für ein Laientheater!

    Anya wartete, bis die beiden außer Sicht- und Hörweite waren, bevor sie sich über Zoltan hermachte.

    Hast du sie noch alle? Hier aufzutauchen und gleich rumzuerzählen, was zwischen uns ist? Wir hatten etwas abgemacht. Und du gehst her und reisst alles nieder. Wie schon so oft. Ich dachte zwei wunderbare Tage lang, dass du doch so etwas wie Einfühlungsvermögen besitzt. Aber nichts da! Lass mich einfach mal raten, sprach sie, und ein ganz und gar nicht freundliches Lächeln legte sich auf ihre Lippen, im starken Kontrast zu ihren zornfunkelnden Augen.

    Du hast wieder gesoffen, stimmt's? Und deine große Klappe übernehmen lassen. Hast du meine Mutter gerade gesehen?

    Das grausame Lächeln verschwand wieder, und sie verstummte. Offensichtlich auf eine Erklärung wartend. Zoltan beschloss, ihre letzte Spitze zu übergehen.

    Ich habe überhaupt nichts rumerzählt! Ich habe mit zwei Typen Karten gespielt. Wir sprachen über Kakariko, und ich erwähnte nebenbei, dass du dabei warst und wir uns kennen. Dann schleicht sich auf einmal dieser Dorftrottel an, spielt sich auf und reisst dumme Sprüche. Ich habe ihm nur gesagt, dass du zu gut für ihn bist. Nichts über uns. Nichts. Weißt du, woran deine Mutter erkannt hat, dass ich mit dir zu tun habe?

    Er hob den Arm mit dem Band und wedelte damit umher.

    Falls du wütend auf mich sein willst und mir unterstellen willst, dass ich zu blöde war, mich an deine Anweisung zu halten, dann weil ich tatsächlich zu blöde war, an dieses Band zu denken. Und nicht, weil ich diesem Idioten mehr erzählt habe, als für seine Ohren bestimmt sein sollte!

    Seine Stimme war ebenfalls lauter geworden, doch hauptsächlich aus Wut auf sich selbst und seine Unaufmerksamkeit. Und Wut auf Tom, der vermutlich doch schlauer war, als er aussah, und nun versuchte, Anya gegen ihn aufzuhetzen.

    Anscheinend hatte dies funktioniert. Zoltan hatte in der Tat gesehen, wie das Elend ihrer Mutter sie aus der Bahn geworfen hat. Und nun stand er hier als Sündenbock. Und ihm fiel nichts ein, was er tun konnte, um die Lage zu verbessern.

    Anya schwieg lange. Dann wandte sie sich ab.

    So oder so, die Situation hat sich gerade verschlimmert. Ob Tom gelogen hat oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Es war keine gute Idee, dich überhaupt mit hierher zu nehmen. Ich ahnte schon, dass das nicht gut endet. Sie lachte bitter auf. Das tut es ja schließlich nie, oder? Wie dem auch sei, ich muss mich um meine Mutter kümmern. Und mein Vater wird auch einige Fragen haben.

    Sie setzte sich in Bewegung, und zögernd ging Zoltan ihr einige Schritte nach. Anya blieb stehen.

    Hast du es immernoch nicht kapiert? Dich kann gerade hier niemand gebrauchen!

    Kurz verschlug es Zoltan die Sprache.

    Ich dachte nur... Anya unterbrach ihn.

    Hör einfach auf zu denken. Ich muss jetzt retten, was noch zu retten ist. Und das funktioniert nicht, wenn du herumstehst und jeden mit deiner bloßen Anwesenheit provozierst!

    Ein Klumpen fiel in Zoltans Magen.

    Und was genau heißt das jetzt? Anya blickte ihn wieder an. Ihr Blick war weiterhin hart.

    Ich will, dass du gehst. Nimm dein Pferd, mach dich aus dem Staub, und misch dich hier nicht mehr ein. Ich komme hier alleine zurecht. Ich werde dich schon irgendwie finden.

    Zoltans Magen landete nun mitsamt Klumpen in seinen Kniekehlen. Sie schickte ihn fort. Nach allem, was sie gemeinsam durchlebt hatten, schloß sie ihn aus. Nach allem, was sie in den letzten Tagen beschlossen hatten, wollte sie die Sache nun alleine regeln. Allers wegen diesem Armband und der dreisten Lüge Toms.

    Gut, sagte er schließlich. Schweren Herzens wandte er sich ab. Er wusste nicht, wohin er gehen würde - nur, dass es nicht allzu weit weg sein würde. Auch wenn es höchst unwahrscheinlich war, dass Anya in nächster Zeit Wert auf seine Anwesenheit legte, wollte er erreichbar bleiben.

    Dann... viel Glück. Anya nickte stumm.

    Danke.

    Damit drehte sie wieder um, setzte ihren Weg fort, und ließ ihn allein zurück.

  • Anya machte ein paar Schritte und die Wut kochte noch immer in ihr. Was war hier passiert? Hatte sie irgendwas verpasst? Das da war doch immer noch der Typ, den sie in Angelstedt traf und das Schicksal sie kurz darauf zusammenschweißte? Das da war doch der Typ, der ihr vor anderthalb Wochen am Strand von Hateno von seinem Leben erzählte? Derselbe Typ hatte doch mit ihr gerade mehrere Tage auf dem Plateau verbracht. Anya verstand die Welt nicht mehr.


    Sie wusste, er folgte ihr nicht. Aber sie wusste, dass er jetzt von ihr ausgeschlossen wurde. Und ja, er hatte das verdient! Er hatte alles aufs Spiel gesetzt und die Folgen waren nicht abzusehen. Er hatte es ihr nicht zugestanden, dass sie sich um ihre Familie zunächst in Eigenregie kümmern durfte. Er hatte es an sich gerissen und scheinbar vergessen, dass es sich nicht um ein paar unbekannte Leute handelte, sondern um Anyas eigene Familie.


    Und doch... Er würde nun irgendwo im Dunklen hocken, abgeschottet und ausgestoßen. Es wäre für ihn wahrscheinlich wieder genauso, wie es noch vor wenigen Wochen war.

    Zoltan hatte es ihr mal gesagt, seitdem nie wieder. Aber sie erinnerte sich noch gut an sein Gesicht. Irgendwo in ihm schien es ihn unglaublich zu schmerzen, allein zu sein. Wollte sie ihm das wirklich antun? Wollte sie ihn nun einfach bestrafen, weil er einen Fehler gemacht hatte? Anya begriff, dass Zoltan ihres Wissens nach keine herzliche Familie hatte. Wahrscheinlich hatte er gar nicht begreifen können, was Familie heißt. Und selbst Anya hatte das auch erst so richtig in den letzten Tagen erst verstanden.


    Sie blieb stehen. Und wieder schaute sie in den Himmel, sah die Sterne und atmete aus. Sie drehte sich um und da stand er immer noch an Ort und Stelle, schaute sie an. Sie war so enttäuscht, fühlte sich so verraten. Sie konnte nicht fassen, dass er das getan hatte. Doch sie war nicht fähig das zu tun, was sie bei jedem anderen Menschen auf der Welt jetzt getan hätte. Sie wollte ihn nicht bestrafen, sie konnte es nicht.


    "Du... du hast..." Anya versuchte irgendwie, ihm zu erklären, was er in ihren Augen getan hatte. Doch sie fand nicht die richtigen Worte. "Ich weiß gar nicht, was ich denken soll, Zoltan!"

    Zoltan machte zögerlich ein paar Schritte auf sie zu. "Ich war wirklich ein dummer Idiot. Ich habe nur für einen Moment nicht aufgepasst, nicht nachgedacht."

    "Naja, das hier ist keine Lapalie. Was ist, wenn ich nun Tom heiraten muss, weil meine Mutter und mein Vater mir keine andere Wahl lassen? Gerade eben hatte ich Angst davor, dass sie einen Herzinfarkt bekommt. Genau das wollte ich vermeiden."

    "Hör zu, bitte." Zoltan ging nun eilig zu ihr hin, und schaute ihr in die Augen. "Dieser Tom ist gar nicht mal so dämlich. Ich habe nicht gesagt, dass wir ein Paar sind; er hat es aus einer beiläufigen Bemerkung von mir einfach so herausgelesen. Den Rest hat dieses Armband erledigt. Das ändert jetzt nichts mehr dran, aber ich will nur... bitte glaube mir, dass ich dich nicht verraten habe."

    Anya sagte nichts. Sie wusste im Moment nicht, was sie überhaupt denken oder fühlen sollte und konnte. Es war alles zu viel.

    "Wir müssen morgen deiner Familie klarmachen, dass eine Zwangsehe verboten ist. Das ist aber nicht alles. Wir müssen eine Lösung anbieten. Wenn deine Familie begreift, dass sie die Hoffnung auf ein gutes Leben nicht verlieren, nur weil du nicht heiratest, dann gibt es doch auch für sie keinen Grund mehr, an diesem Mist hier festzuhalten. Das ist das Ziel okay? Das müssen wir schaffen!"
    "Versprich mir, dass du mir morgen die Führung überlässt. Ich will, dass du absolut verstehst, dass ich die einzige hier bin, die sich erklärt und die hauptsächlich mit meinen Eltern redet. Hast du das verstanden?"

    Zoltan nickte.

    "Gut. Dann lass uns jetzt schlafen gehen." Sie nahm seine Hand und gemeinsam gingen sie zum großen Zelt. Anya hoffte, dass sie wenigstens noch für ein paar Stunden schlafen konnte.

  • Auf dem Weg zum Stallzelt schwiegen sie, denn trotzdem sie sich an den Händen hielten, lag immernoch eine angespannte Stimmung zwischen ihnen. Anya hatte letztendlich zwar davon abgesehen, ihn wie einen geprügelten Hund fortzujagen, aber das mochte längst nicht bdeuten, dass ihre Wut verraucht war, oder dass sie seinem Urteilsvermögen in der Angelegenheit traute. Vor allem letzteres hatte sie eben noch sehr deutlich gemacht. So blieb ihm nicht viel übrig, als sich auf das Gefühl von ihrer Hand in seiner zu konzentrieren... und da war etwas, das ihn besorgte. Ihre Hand fühlte sich an wie eine glühende Kohle. Mit der Erkältung, die sie in den letzten beiden Tagen mit sich herumgeschleppt hatte, schien es nicht besser geworden zu sein, im Gegenteil.

    Dein Fieber ist stärker geworden, teilte Zoltan ihr mit. Anya schnaubte,

    Danke für diesen Befund, Herr Doktor. Das merke ich selber. Und der Stress der letzten Stunden macht es nicht besser. Hälst du jetzt einfach die Klappe? Mir ist nicht nach Plauderei über meinen gesundheitlichen Zustand.

    Zoltan seufzte, aber auch ein kleines Lächeln erlaubte er sich. Solche Worte hätten so oder so ähnlich aus seinem Mund stammen können. Als sie das Innere des Stalls betraten, versuchte Anya gar nicht erst, ihre Müdigkeit zu verbergen. Sie steuerte auf das erste freie Bett zu, entledigte sich ihrer Schuhe, und verschwand unter der Decke. Zoltan jedoch wusste, dass an Schlaf für ihn noch nicht zu denken war. Er musste sich noch ein paar Dinge durch den Kopf gehen lassen.


    Einige Minuten später, als er sicher war, dass Anya tief und fest schlief, zog er einen Stuhl an die Seite ihres Bettes und machte es sich dort bequem. Selbstverständlich konnte er kaum die Augen von ihr lassen, und zu sehen, wie entspannt sie schlief, beruhigte ihn selbst. Da hier also keine Gefahr im Verzug war, beschäftigte er sich mit seinen eigenen Gedanken. Morgen also würde er dabei sein, wenn Anya gegenüber ihren Eltern und Tom mit offenen Karten spielte. Er würde sich daran halten, ihr die Führung zu überlassen. Seine Rolle wäre also, wie ein Elefant im Porzellanladen im Raum zu stehen. Aber... er hatte während seinem Gespräch mit Anyas Mutter etwas angerissen. Zum Glück wurden sie unterbrochen, denn er hätte zu der Zeit nicht recht gewusst, wie er fortfahren sollte. Doch nun hatte er alle Zeit der Welt, weiter über dem zu brüten, was er eigentlich hat verklickern wollen. Gesetze. Dass dieser unselige Brauch hier keinerlei Bedeutung hatte. Er dachte an den Brief von Mutter Marohu in seiner Tasche. Er dachte daran, dass niemand aus Anyas Familie der Schriftsprache mächtig war. Könnte er...? Er lehnte sich weiter in seinen Stuhl zurück, fixierte die Stalldecke. Ein Plan, der ebenso durchschlagen wie scheitern könnte, machte sich in seinem Kopf breit. Immer vorausgesetzt, Anya ließ ihn dazu kommen. Diesmal würde er seine Überlegenheit nicht durch provokante Gesten und Äußerungen verdeutlichen. Jedenfalls nicht so. Das hatte er Anya versprochen. Irgendwann, die letzten Gäste des Stalls hatten sich davon gemacht, dämmerte er doch davon.


    In dieser Nacht träumte Zoltan schlecht. Anya und er standen auf der verlassenen Einöde, welche einst die lebhafte Ebene Hyrules war. Dunkle Wolken flogen über den Horizont, es regnete. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Sein Traum-Ich wusste, dass sie sich gestritten hatten, furchtbar gestritten. Er bettelte, flehte, dass sie sich zu ihm umdrehen und ihn anhören soll. Er brachte Entschuldigungen und Erklärungen vor. Versprechen und Argumente. Aber nichts half, sie zeigte ihm stumm und kalt ihren versteiften Rücken. Ein besonders greller Blitz erleuchtete die Ebene, als sie endlich zu ihm herumfuhr.

    Es interessiert mich nicht, was du zu sagen hast. Verschwinde endlich. Verschwinde aus meinem Leben, ich will dich nie wiedersehen! Du bringst mir nichts als Unglück. Ich werde Tom heiraten, und ich werde mit ihm glücklich. Irgendwann. Du bist dann nichts mehr für mich. Du bist jetzt schon nichts mehr für mich! Ich verfluche den Tag, an dem wir uns kennengelernt haben!

    Entsetzt beobachtete Zoltan, wie sich Anya in ihre Mutter Hella verwandelte.

    Du Unglücksrabe! Du Taugenichts! Schmorr in der Hölle, in die du gehörst! Meine Tochter braucht dich nicht!

    Hella verwandelte sich in Tom.

    Du armer Tropf! Ich habe dir gesagt, sie gehört mir. Warum geht das nicht in deinen Dickschädel? Sie wird bald unser erstes Kind erwarten. Also scher dich davon!

    Aus Tom wurde... eine Lichtgestalt. Zoltan asoziierte diese Lichtgestalt mit Mut, Zuspruch, Stärke. Mit der Wesenheit, die ihm auf dem Plateau begegnet war. Doch nun ging von ihr nur noch Kälte aus.

    Du hast versagt. Du hattest eine Chance, Zoltan Smith, und diese hast du verspielt. Sie gehört nicht mehr zu dir. Ich schäme mich dafür, meine Zeit mit dir verschwendet zu haben!

    So ging es immer weiter. Die Geister seines Vaters, seines alten Mentors, Symin... sie alle machten ihre Aufwartung, ihn zu verspotten. Ihn daran zu gemahnen, dass er wieder allein war. Allein. Diesmal für immer. Für immer... immer... immer....


    Keuchend fuhr Zoltan hoch. Beschämt stellte er fest, dass seine Wangen nass von Tränen waren. Hastig griff er nach seiner dunklen Brille, um seine verquollenen Augen zu verdecken, doch zu spät. Mindestens eine Person hatte bemerkt, in welchem Zustand er sich befand.

    Zoltan? Klang Anyas Stimme rechts von ihm. Ist alles in Ordnung? Du... hast geredet im Schlaf... und geweint.

    Er schüttelte nur den Kopf und erhob sich.

    Ich... nichts. Ich muss mich zurechtmachen. Ich bin gleich wieder da. Geht es dir denn gut?

    Fahrig blickte er zu Anya, welche ziemlich blass aussah. Ihre Nase war gefährlich gerötet.

    Ich bring dir einen Tee mit, murmelte er.

    Er musste diese grausigen Traumbilder verdrängen.

  • Anya brauchte einen sehr langen Moment. Hatte sie geträumt? Es war so, als hätte Zoltan irgendetwas gesagt, gerade eben.Sie versuchte sich zu konzentrieren, aber alles was sie fühlte, war Eiseskälte. Sie zog die Decke bis zum Kinn, doch damit waren ihre Füße im Freien. Also zog sie sich wie ein Baby zusammen, doch das tat höllisch weg. Ihr Rücken, ihr Bauch, ihre Gelenke... alles fühlte sich an, als wäre jemand mit einem Pferd drüber gelaufen. Sie musste sich eingestehen, dass sie ordentlich krank geworden war. Und das war zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt passiert.


    Eine ganze Weile lang versuchte sie irgendwie, ihren ganzen Körper warm zu halten und gleichzeitig so bequem wie möglich zu liegen, doch es gelang ihr nicht. Dann kam Zoltan mit irgendjemanden zurück an ihr Bett und beide unterhielten sich kurz, doch sie hatte keine Ahnung, was gesprochen wurde. Die fremde Person kam etwas näher heran und hob die Decke hoch. War der Typ verrückt? Es war bitterkalt und der zog ihr die Decke weg? Anya versuchte noch, sie festzuhalten, fiel allerdings dabei aus dem Bett. Irgendwas erzählten sich die beiden, bis sie plötzlich eiskalte Hände an ihrem Körper spürte. Sie wurde hochgehoben und dann war da nichts mehr.


    Das nächste, was passierte, geschah unmittelbar danach. Jetzt lag Anya aber wieder und öffnete langsam die Augen. Sie blickte auf eine Wand aus braunen Tüchern, die mit blauen Strichen verziert war. Als sie ihren Kopf drehte, sah sie Zoltan, der auf einem Stuhl neben ihr saß. Er trug wie immer seine Brille, aber sie wusste, dass er sie ansah. Ihr Mund war trocken und sie konnte kaum sprechen, aber Zoltan hatte ihr bereits ein Becher Wasser gereicht.


    Deja vu...


    Nachdem Anya einen Schluck getrunken hatte, richtete sie sich etwas auf und lächelte ihn an. "Und wieder liege ich in einem Bett, mir geht es dreckig und du bist das Erste, was ich sehe. Das hatten wir doch schon mal, oder?"

    "Ja, vor nicht mal zwei Wochen."

    "Wo bin ich hier?"

    "Immer noch im Stall, aber wir haben hier Tücher aufgehangen, damit du es etwas ruhiger hast. Der Tag ist schon angebrochen und die ersten Gäste torkeln bereits umher."

    "Oh...okay." Anya nippte erneut an ihrem Becher. Sie war endlos schlapp und müde, aber ihr war nicht mehr so kalt. Wieder richtete sie sich etwas auf und als die Bettdecke deswegen etwas herunterrutschte, bemerkte sie, dass sie ihre Kleidung nicht mehr anhatte. Erstaunt blickte sie Zoltan an.

    "Du hast alles nassgeschwitzt. Deswegen liegst du jetzt in meinem Bett, weil deins komplett durch ist. Und ich.. ich habe dich ausziehen müssen."

    "Komplett?"

    "Nein." Zoltan sah auf den Boden und drehte seinen Kopf leicht weg, während Anya vor Scham fast im Boden versunken wäre. Ohje, wie peinlich!

    "Tut mir leid", brachte sie nur hervor.

  • Nachdem Zoltan sich einigermaßen frisch gemacht und seine Gedanken sortiert hatte, kehrte er zu Anya zurück... welche sich im fieberhaften Delirium befand. Schöne Scheisse!

    Ist hier irgendjemand Arzt?, rief er in das Zelt hinein, in dem bereits wieder Emsigkeit herrschte. Die Stallgäste glotzen ihn verdutzt an, zuckten mit den Schultern.

    Habe ich mir gedacht, murrte er. Doch dann tart doch jemand auf ihn zu. Es war der alte Shiekah, der am Vorabend musiziert hatte. Er sah ziemlich zerrupft aus, vermutlich hatte Zoltans Ruf ihn erst aus dem Bett geworfen.

    Geht es um die junge Dame dort?, fragte er. Dann musterte er Zoltan.

    He, Junge. Du bist mir gestern schon aufgefallen. Ich war reichlich beschäftigt, so konnten wir nicht ins Gespräch kommen... aber bist du nicht einer von denen, die in Kakariko... Zoltan wischte mit seiner Hand durch die Luft.

    Ja, ja! Bin ich! Was ist denn nun? Können Sie ihr helfen, oder nicht? Der noch halb betrunkene Shiekah scharrte mit den Füßen.

    Nun... ja. Könnte ich. Dieses Mädchen war auch dabei, oder? Mein Volk steht tief in Eurer Schuld, also... Zoltan knurrte.

    Also reden Sie nicht, tun Sie etwas! Sie verschleppt seit Tagen eine Erkältung!

    So begann der Prozess, Anya zu verarzten. Als es darum ging, ihre überflüssige Kleidung abzulegen, überließ der Alte Zoltan das Feld.

    Ich meine, Sie sind ihr näher als ich, und, ähm... es ist ja nur zu medizinischen Zwecken, und, ähm... Erneut fuhr Zoltan ungeduldig mit dem Arm durch die Luft.

    Er machte sich daran, Anya hinter einem provisorischen Sichtschutz bis auf die Unterwäsche zu entkleiden und legte sie behutsam auf das benachbarte Bett. Jenes, in dem sie gelegen hatte, war zerwühlt und von Schweiss durchtränkt. Er konzentrierte sich auf den rein praktischen Aspekt, dachte nicht daran, dass er seine Partnerin zum ersten Mal - und unter anderen Umständen, als er es sich insgeheim ausgemalt hatte - entkleidete. Dann endlich war es vollbracht.


    Kurze Zeit später erwachte Anya, und sie wechselten einige scheue Worte über das, was in den letzten Minuten geschehen war.

    Es muss dir nicht leid tun, flüsterte Zoltan ihr zu und strich über ihre fiebrige Wange.

    Ich habe nur für dich gesorgt. So wie du damals für mich. Das hatte nichts... naja, sexuelles.

    Anya lächelte, setzte zu einer Antwort an, doch sie wurden von einer öligen Stimme unterbrochen. Zoltan verdrehte die Augen.

    Sieh an, sieh an, sieh an!, ätzte Tom, der hinter dem Sichtschutz hervorkam.

    Wirklich, Anyanka. Deine arme Mutter ist krank vor Sorge, welchen Unsinn du hier verzapfst, und du liegst dir und lässt es dir von deinem Stecher besorgen? Ich muss wohl wirklich...

    Zoltan reichte es. Zur Hölle mit seinem Vorsatz. Er riss den dezent schwereren Mann am Kragen.

    Du, Bursche, kommst jetzt mal mit! Er ignorierte die Proteste des um sich wirbelnden Tom, zerrte ihn vor den Augen aller Anwesenden im Zelt nach draußen, an die Luft. Dort angekommen, stieß er den Dicken von sich.

    Was, in drei Teufels Namen, ist eigentlich dein Problem? Anya ist krank. Sie verschleppt etwas, seit wir hierher aufgebrochen sind. Und du? Schleichst hier herum, verbreitest Lügen, redest sie schlecht, schleimst dich bei ihren verarmten Eltern ein. Was für ein Tier bist du eigentlich? Er funkelte sein Gegenüber an. Oh, wie gerne er diesem Klops jetzt eine verpassen würde, dass seine Nase ihm zum Hinterkopf herausschoß! Aber er hatte einen Plan. Anya hatte einen Plan. Und so wollte er es dabei belassen, dieses Ekel nur auf seinen Platz zu verweisen. Tom keuchte, das Gesicht rot vor Wut. Aber in seinen Augen lag auch... Angst?

    Es interessiert mich einen Dreck, wie sehr du hier den Helden spielst! Sie wird meine Frau, und du wirst verschwinden! Hörst du! Du weißt ja gar nicht, wen du hier vor dir hast! Zoltan lächelte nur.

    Nun, mein Lieber: Du weißt nicht, wen du hier vor dir hast. Ich bin mehr als nur ein dahergelaufener Landstreicher, der mit Anya reist. Ich bin mehr, als du jemals sein wirst. Aber das werde ich dir hoffentlich in Kürze näher erörtern. Und dann, mein Freund, geht es dir an den Kragen. Richte der guten Madam Keen doch bitte meine Grüße aus, sie mag dir erzählen, worüber ich gestern mit ihr sprach. Du sitzt mächtig in der Tinte, Tom. Aber wie gesagt: Dazu später mehr. Und nun entschuldige mich. Ich habe mich um jemanden zu kümmern, der meiner Zeit mehr wert ist! Damit wandte Zoltan sich ab.


    Tom blickte ihm dümmlich nach, als der fiese Fremde zurück in den Stall verschwand. Er wusste nicht, was dieser Kerl da angedeutet hatte, aber es klang tatsächlich unangenehm. Sogar sehr.

    Glotzt woanders hin!, herrschte er die Stallbesucher an, welche die Szene mitverfolgt hatten. Er richtete sich auf und stapfte in Richtung der Zelte. Nun, mal sehen, was diese alte Schrulle zu erzählen hatte.

  • Bjarne POV


    Ein neuer Morgen, ein neuer Tag. Seit einigen Wochen schon bedeutete das eigentlich nichts Besonderes mehr, aber gestern war endlich seine Tochter eingetroffen und Bjarne fühlte sich direkt glücklich und zufrieden. Was heute wohl alles schönes passieren würde? Vielleicht würden sie einen Spaziergang machen und sich gegenseitig berichten, was sie so in den letzten Jahren erlebt hatten. Oder sie würden zusammen jagen; in der Nähe gab es eine Herde mit Rehen und Hirschen. Und vielleicht würde Anya ja ein paar Tage bleiben, bis sie wieder ihre eigenen Wege ging... oh... nein, natürlich würde sie bleiben. Sie würde nicht mehr fortgehen, nie wieder...

    Seine gute Stimmung wurde etwas eingetrübt.


    Der Brauch, die alte Tradition würde Anya von heute an ihr selbstbestimmtes Leben nehmen. Und in ein paar Jahrzehnten würde auch sie ihre Kinder zu etwas zwingen... Bjarne schüttelte den Kopf und vertrieb so diese Gedanken. Nicht jetzt. Er stand auf und stellte mit großer Verwunderung fest, dass Hella tiefschlafend auf ihrer Pritsche lag. Die Morgendämmerung war bereits vorbei und seine Frau lag immer noch im Bett? Das hatte es noch nie gegeben. Vorsichtig beugte er sich über sie, da er sich vergewissern wollte, ob es ihr gutging, aber sie schien einfach nur zu schlafen. Verdutzt beschloss er, seine Frau nicht zu wecken und schlich sich aus dem Zelt. Es war ein sonniger Morgen. Der See unterhalb des Orni-Dorfes war wie jedes Mal mit leichten Nebel verdeckt, der sich schon bald auflösen würde. Die Luft war klar und frisch und Bjarne fühlte sich bereit für den Tag.


    Gerade, als er sich zum großen Zelt aufmachen wollte, stapfte ihn Tom entgegen. Der sah nicht so gut gelaunt aus. "Guten Morgen."

    Als Antwort bekam er nur ein Knurren. "Aber, aber! Was ist denn dir über die Leber gelaufen?"

    "Nicht jetzt, Herr Keen. Ist ihre Frau schon wach?"

    "Nein?" Das war jetzt wirklich seltsam und Bjarne versperrte Tom den Eingang zum Zelt. "Lass sie bitte schlafen. Außerdem ist das unser privates Zelt."

    "Das ist mir gerade ziemlich egal." Gerade ausgesprochen, sammelte sich Tom wieder etwas, blieb stehen und schnaubte. "Sie haben gestern Abend einiges verpasst."

    "Was denn bitte?"

    "Also ihre Tochter..." Tom stockte. Er schien sich auf die Lippe zu beißen und entschied wohl, es doch nicht auszusprechen. Als Bjarne ihn aber eindrücklich ansah, fuhr Tom zögernd fort. "Anyanka... sie ist krank. Sie liegt im Zelt. Ich ... ich wollte ihnen das gerade mitteilen."


    Krank? Bjarne verstand gar nichts. Das war ein seltsames Gefühl, als hätte Tom etwas anderes gewollt. Es erklärte nämlich nicht, wieso er so wütend aussah. Bjarne hatte beim Abendessen gestern durchaus mitbekommen, dass seine Tochter etwas verschnupft gewirkt hatte, hin und wieder hatte sie auch mal gehustet. "Sie war gestern schon leicht erkältet, das ist wahr. Und das wühlt dich so auf?"

    Tom tippelte unruhig hin und her. Es schien ihn zu stören, dass Bjarne sich keinen Zentimeter vom Zelteingang bewegt hatte.

    "Danke, dass du es uns gesagt hast. Wir werden sofort nach ihr sehen. Ist sonst noch was?"

    "Nein." Tom rieb sich die Nase, schnaubte leicht, blickte noch einmal zum großen Zelt und ging dann endlich weg. Bjarne sah ihm hinterher, wie er stapfend zu seinem Zelt ging und darin verschwand.


    Einen Moment lang stand Bjarne noch an Ort und Stelle, bis er sich zum Stallzelt aufmachte. Drinnen angekommen bemerkte er direkt die großen Tücher, die eines der Betten umschlossen. Einige Gäste im Stall nahmen an den Tischen gerade ihr Frühstück zu sich.

    "Ein Becher Milch, bitte", wies er den Barmann an, ohne die Augen von den Tüchern zu lassen. "Gibt es hier ein Problem?"

    "Ein Gast ist krank. Die junge Dame, die gestern hier ankam. Sie hat Fieber."

    Tom hatte also doch recht gehabt. Bjarne nahm seine Milch entgegen und trat vorsichtig an die Vorhänge heran. Er räusperte sich. "Ähm hallo? Anya, bist du da?"

    Einen kurzen Moment später öffnete sich ein Spalt und Bjarne blickte in das Gesicht eines fremden Mannes, der ihn ebenfalls anstarrte. Zumindest vermutete er das, denn eine Art Brille verdeckte sein halbes Gesicht.

    "Oh Entschuldigung. Ich dachte, meine Tochter würde hier..."

    Der Fremde nickte leicht und trat einen Schritt zur Seite, so dass Bjarne das Bett sehen konnte, in dem Anya lag. Sie sah sehr blass aus, hatte glasige Augen, aber sie lächelte ihn an. Vorsichtig trat er an ihr Bett und setzte sich auf den Stuhl.

    "Sei vorsichtig Papa. Ich will dich nicht anstecken."

    "Keine Sorge. Ich habe zwanzig Jahre Tabanta-Wetter hinter mir. Mich haut so schnell nichts um." Er lächelte und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.


    Beide sahen sich nur lächelnd an und genossen den gemeinsanem Augenblick. Das war immer das besondere an ihr, fand Bjarne. Seine Tochter und er hatten schon immer die Fähigkeit, gegenseitiges Schweigen zu genießen und einfach über das Beisammensein zu freuen, ohne große Worte.

    Doch irgendwann brach Anya die Stille. "Ich möchte dir jemanden vorstellen." Sie zeigte mit dem Finger auf diesen fremden Mann, der bei ihr war. "Papa, das ist Zoltan. Eigentlich hatte ich mir einen anderen Plan zurechtgelegt, aber nun sind die Umstände, wie sie sind."

    Bjarne stand von seinem Stuhl auf und drehte sich zu diesem Zoltan um. Dieser junge Mann erstarrte zu einer Säule und schien die Luft anzuhalten, doch nach einem Moment des Zögerns reichte er ihm die Hand. "Hallo, ich heiße Bjarne. Woher kennt ihr euch?"

    Die Frage war an beide gerichtet, aber Anya antwortete: "Wir kennen uns bereits seit einer Weile. Wir haben einiges zusammen durchgemacht."

    "Ah, verstehe." Bjarne überlegte kurz, dann klingelte es. "Dann sind sie der junge Mann, der meine Tochter in Hateno und Kakariko beschützt hat?"

    "Ähm... naja... in Kakariko war es eher umgekehrt, aber ja."

    "Oh, ich freue mich riesig, sie kennenzulernen! Ich bin ihnen vom ganzen Herzen dankbar!" Und tatsächlich war Bjarne so voller Dankbarkeit, dass er die Hand des Mannes heftig schüttelte und ihm die andere Hand auf die Schulter legte. "Sie müssen mir so viel erzählen! Haben sie vielleicht ein paar Minuten? Ich meine, ich will sie sicher nicht nerven jetzt. Aber vielleicht könnte Anya noch ein bisschen Schlaf vertragen... Wenn sie nicht wollen, ist das aber auch okay."

    "Geht nur. Ich würde tatsächlich nochmal kurz die Augen zumachen wollen", grinste Anya und zwinkerte beiden zu.

  • Zoltan hätte nicht gedacht, dass sich sein Auftritt so plötzlich ergeben würde, und dass Anya doch ihm überlassen würde, was als nächstes geschah. Er sammelte sich. Jetzt bloß nichts vermasseln. Er hatte ein gutes Gefühl, dass er zu diesem Mann besser durchdringen würde als zu seiner hysterischen Frau oder gar dem habgierigen Tom. Die beiden Männer verließen das Zelt, traten in die Sonne, und Zoltan geleitete Bjarne zu einem abgelegenen freien Tisch, welche für jene Gäste, die lieber im Freien saßen, bestimmt war.

    Herr Keen, richtig? Bitte, setzen Sie sich. Da sowohl Ihre Gattin als auch Ihre Tochter derzeit das sind, was wir Fachleute als vernehmungsunfähig bezeichnen, wende ich mich nun an Sie. Seien Sie mein Gast. Möchten Sie etwas trinken? Sich vielleicht eine Zigarette drehen? Zoltan setzte ein aalglattes Lächeln auf, als er dem älteren Herrn den Stuhl zurechtrückte. Malkus, du wärest gerade stolz auf mich!


    Bjarne wusste nicht, wie ihm geschah. Eben noch dachte er, dieser junge Mann wäre schlicht ein Freund seiner lieben Anya, doch plötzlich verschräfte sich dessen Ton. Er sprach von Fachleuten. Und Vernehmungen. Was geschah hier? Er beschloß, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

    Nun, Herr... er blickte Zoltan fragend an. Dieser setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.

    Smith. Aber Bitte, ich bin da liberaler als einige meiner Kollegen. Nennen Sie mich Zoltan. Also? Was kann ich Ihnen gutes tun, bevor wir zum Geschäft kommen?

    Nun schluckte Bjarne. Er hatte nie gelernt, zu lesen oder zu schreiben, aber er war nicht dumm. Dieser Mann war nicht nur ein dahergelaufener Kerl, der mit seiner Anya angebändelt hatte, er hatte eine... offizielle Position inne. Und zweifelsohne ging es hier um... dieses Versprechen. Er hatte Hella gewarnt, dass die Dorfbräuche in der weiten Welt auf wenig Gegenliebe stoßen würden. Dass sie schlimmeres als feuchte Betten und schimmelige Kartoffeln zu befürchten hatten, sollte diese Zwangsehe der Öffentlichkeit zu Ohren kommen. Und nun saß er hier. Er konnte die Augen des Mannes ihm gegenüber nicht sehen, doch er wusste, sein Blick war stechend. Endlich fasste er sich.

    Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Zoltan, würde ich mir gerne eine Zigarette drehen. Und ein starkes Bier wäre mir recht. Für gewöhnlich trinke ich nicht um diese Zeit, eigentlich trinke ich gar nicht viel, aber... Sein Gesprächspartner winkte ab.

    Sie plappern, Herr Keen. So etwas tun Menschen, die etwas zu verbergen haben. Aber Sie haben vor mir nichts mehr zu verbergen, da ich über alles, was sie verbergen könnten, bereits informiert bin. Also. Entspannen Sie sich, und beantworten Sie einfach meine Fragen. Wäre das machbar? Ein weiteres Haifischlächeln, und eine Kellnerin mit üppigem Busen stellte einen großen Krug Starkbier vor Bjarne ab. Zoltan nickte ihm aufmunternd zu.

    Zum Wohl! Bjarne zögerte noch einen Moment.

    Trinken Sie nichts? Ich meine... Sie und meine Tochter... und... ich dachte... Die Miene Zoltans blieb hart.

    Ich bin im Dienst, Herr Keen. Also bitte, bewahren wir uns die Vertraulichkeiten für später auf. Ich komme direkt zum Punkt: Ist es wahr, dass Ihre Tochter, Anyanka Keen, zuwiderhandelnd dem Gesetz des Königshauses von Hyrule, einem Mann versprochen wurde, den zu heiraten sie jedoch nicht gedenkt? Zoltan lehnte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch, und sein Kinn auf die ineinander verschränkten Hände. Bjarne bleib ruhig, nahm einen großen Schluck von seinem Bier, und setzte den Krug ab.

    Ja. Die Tradition unseres Dorfes sieht es vor, dass Mädchen und Jungen bereits im Kindesalter einander versprochen werden, um den Fortbestand unserer Sippe zu gewährleisten. Ebenso... Zoltan fuhr mit dem Arm durch die Luft, und Bjarne verstummte.

    Stopp. Da haben wir es: Die Tradition Ihres Dorfes. Sprechen wir hier von jenem Dorf, welches kürzlich aufgelöst wurde? Und jener Sippe, die sich nun offiziell auf hylianischem Grund und Boden befindet? Die dunklen Brillengläser bohrten sich in Bjarnes Augen. Er schluckte.

    Ja, jedoch... Sie müssen wissen... meine Frau und ich, wir haben alles verloren. Unsere Anya zu verheiraten, wäre unsere einzige Hoffnung, dem Elend, das wir nun durchleben, zu entfliehen. Wir.... Erneut wurde er durch eine Geste unterbrochen.

    Alles schön und gut. Sie und Ihre Frau fürchten um Ihren Status als ehrbare Mitglieder Ihrer Gemeinde. Jedoch... diese Gemeinde gilt hiermit als aufgelöst. Sehen Sie... Zoltan kramte den Brief von Mutter Marohu hervor. Wissend, dass alles, was er nun sagen würde, nichts mit dem tatsächlichen Inhalt gemein hatte.

    Dieses Schreiben weist mich als Vollstrecker Lady Impas aus. Als ehemalige königliche Beraterin hält sie, trotz der Unannehmlichkeiten und des Falls des Königshauses vor nunmehr 50 Jahren, einen Status als Sprecherin des Hofes inne. Als ihr Vollstrecker unterstehe ich somit direkt dem Königshaus Hyrule. Von dem wir alle hoffen, dass es noch nicht gänzlich untergegangen ist. Somit hat mein Wort auf den Ländereien Hyrules Macht. Verstehen Sie mich, Herr Keen? Mehr Macht als irgendwelche Bauerntraditionen. Möchten Sie einen Blick auf dieses Schreiben werfen? Zoltan musterte den Mann vor ihm wie ein Raubtier, das eine schwache Beute entdeckt hatte. Zu seiner Verwunderung blitzte in den Augen des Älteren ein Funken Amüsiertheit auf.

    Das wird nicht nötig sein, Herr Zoltan. Leider bin ich der Kunst des Lesens nicht mächtig. Doch bin ich durchaus geneigt, Ihren Worten Glauben zu schenken - selten traf ich einen Mann, der so souverän auftrat und mich davon überzeugen konnte, dass er derjenige ist, für den er sich ausgibt. Insofern ergebe ich mich Ihren Punkten. Meine Tochter möge von ihrer Pflicht entbunden sein. Allerdings... Bjarne nickte vorsichtig in Richtung der Zeltstadt. Zu einem der Zelte, welches prunkvoller als alle anderen wirkte. Zoltan nickte verständnisvoll.

    Machen Sie sich darum keine Sorgen. Diese beiden Herren werde ich als nächstes vernehmen. Ich habe leider das Gefühl, dass sie nicht so entgegenkommend sein werden wie sie - hatte ich doch bereits das zweifelhafte Vergnügen, den jungen Tom kennenzulernen - aber wie gesagt, seien sie unbesorgt. Sollten sie Anzeichen zeigen, meinen Anweisungen zuwiderzuhandeln, werden entsprechende Maßnahmen getroffen. Hiermit sind Sie entlassen. Sehen Sie nach Ihrem... Zoltan überlegte. Dann ließ er seine dunkle Brille sinken, und schenkte Bjarne ein Zwinkern. Nach unserem Mädchen. Alles weitere wird sich ergeben, so Hylia will. Ich wünsche Ihnen einen Schönen Tag! Nun schenkte Zoltan dem Mann ein aufrechtes Lächeln, und dieser erwiederte es. Nicht nur das - er strahlte.

    Ihnen ebenfalls, Herr Zoltan. Ich... Ich danke Ihnen. Von Herzen!

    Damit wandte Bjarne sich ab in Richtung Stall. Zoltan lehnte sich zurück, und atmete lange und ausgiebig aus. Wow. Das war tatsächlich gut gegangen.

    Er sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dass seinem Freund Malkus nicht etwa etwas zugestoßen sei und sein Geist von ihm Besitz ergriffen hatte. Doch nun... würde er sich Tom widmen.

  • Anya wollte die Augen eigentlich zumachen und etwas Ruhe finden. Aber ihr Geist sagte nein. Sie konnte sich das nicht leisten, jetzt hier ewig rumzuliegen; nicht, wo Tom und ihre Mutter ihr auf die Schliche gekommen waren - und das viel schneller, als sie erwartet hatte. Und vor allem deshalb nicht, weil Zoltan zu ihrem Leidwesen nicht imstande war, die Füße still zu halten. Hier hinter den Vorhängen war sie zu abgeschirmt.


    Also pellte sich Anya aus dem Bett, zog sich hastig ihre Klamotten an, bevor Tom hier unvermittelt reinplatzte oder auch ihre Mutter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das passierte und dann wäre es mit der Ruhe eh vorbeigewesen. Gerade, als Anya sich ein Top und ihre Hose angezogen hatte, steckte ihr Vater den Kopf in ihr Separet.

    "Sag mal", druckste er. "Erzählst du mir was über diesen Zoltan?"

    "Hm. Ich weiß nicht Papa. Hier sind zu viele Ohren."

    "Na dann komm mit."

    Anya und ihr Vater verließen das große Zelt. Als hätte sie was ausgefressen, sah sie sich mehrmals um. Sie wollte sichergehen, dass sie niemand sah oder verfolgte, während sie ihrem Vater zu einer abgelegenen Stelle etwas abseits des Stalls begleitete. Dort waren ein paar kleine Felsen und eine große Tanne mit kleinen Büschen, ein kleines Versteck.


    Bjarne kam direkt zur Sache. Er wartete nicht mal, bis sich beide hingesetzt hatten. "Woher kennst du den?"

    "Ich habe ihn das erste Mal in Angelstedt getroffen. Also pass auf. Ich erzähle es dir." Und dann tat sie es; jedes Detail, jede gemeinsame Erfahrung. Naja, sie erzählte manches stark verändert. Der Daskida-Vorfall zum Beispiel war nicht mit einem tödlichen Angriff auf einen Yiga-Offizier, sondern mit einem harmlosen Banditen, den Anya übelst verdreschen und in die Flucht schlagen konnte. Auch war Zoltan kein ehemaliger Yiga in ihrer Erzählung, sondern ein ehemaliger Söldner, der hin und wieder für Schurken arbeiten musste, um am Leben zu bleiben. Es ging ihr tatsächlich auch viel eher darum, dass ihr Vater ein Gefühl dafür bekam, wie Anya und Zoltan so zusammenwachsen konnten. Bjarne hörte sehr genau zu. Als Vater waren seine Sorgenfalten auf der Stirn berechtigt, aber er verzichtete darauf, seiner erwachsenen Tochter ins Gewissen zu reden.

    Er rieb sich mehrmals das Kinn und starrte Löcher in die Luft, aber eigentlich sah er ganz positiv aus, fand Anya. Schließlich berichtete sie auch davon, wann und wie sie den Brief ihrer Mutter erhalten hatte. Offen gestand sie ihrem Vater, wie es ihr die Schuhe ausgezogen hatte, wie sich alles in ihr weigerte, diesen Typen zu heiraten und wie sie es trotzdem tun würde, um ihre Eltern zu schützen.


    "Zoltan scheint einen Plan zu haben", warf Bjarne schließlich ein. "Er hat ein Schreiben dabei, dass offiziell aussieht. Er behauptet, es sei von der Königlichen Beraterin Impa höchstpersönlich und dass sie mit dieser Art von Eheschließung nicht einverstanden ist."

    "Bitte was?"

    "Ja, dein Gefährte versucht sein Bestes, um die Hochzeit zu verhindern."

    Anya vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das konnte alles nicht wahr sein?! Zoltan hatte es ihr versprochen! Was tat er denn jetzt? Sie hatte keine Ahnung von diesem Plan, denn er hatte ihr nichts davon gesagt. Sie wusste jetzt überhaupt nicht, wann was passierte. "Verdammt!", polterte sie, gefolgt von einem Hustenanfall.