Der Stall der Orni ist vielen Hylianern bekannt als ein Ort der Begegnungen - unweit von den Toren des Dorfes des gefiederten Volkes gelegen, findet hier täglich kultureller Austausch statt - insbesondere musizierende Orni, die mit ihrer Kunst ihr täglich Brot verdienen, locken Freunde der Unterhaltung von nah und fern herbei. Ein dichter Forstbestand macht diesen Gasthof auch zu einem wichtigen Punkt für den hylianischen Holzhandel - die gute Befahrbarkeit der hierherführenden Routen lassen das Geschäft blühen und sorgen somit für den Großteil der Einnahmen. Erwähnenswert ist auch der üppige Beerenwuchs, der dem Stall den Ruf einbringt, eine der besten Konfitüren Hyrules anzubieten - sofern man bereit ist, für derlei Gaumenfreuden ein paar Rubine mehr auf den Tresen zu legen. Doch nicht nur Reisenden, Händlern, Feinschmeckern und Musikanten bietet der Stall Unterkunft - auch haben sich die Bewohner des östlich gelegenen Tabanta-Dorfes in Zelten ringsherum angesiedelt, um den unruhigen Zuständen im nördlichen Hyrule zu entfliehen. Aller Multikultur zum Trotz bleiben diese jedoch eher unter sich und pflegen ihre über Generationen gelebten Bräuche.
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Mit wachsender Unruhe erwartete Hella die Rückkehr des Orniboten, den sie mit ihrem Brief an Anyanka betraut hatte. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich mit der Aufforderung, ihre Tochter möge nun endlich heimkommen, ein wenig zu lange Zeit gelassen hatte - es erschien ihr mit jedem Jahr unwahrscheinlicher, dass sie überhaupt jemals gedachte, zurückzukehren. In keinem ihrer Briefe hatte sie je auch nur angedeutet, ihre Reisen abzubrechen und ihrem Versprechen nachzukommen. Und genau dies war es, was sie so enorm beunruhigte - denn mit der Zeit barg Anyas Abwesenheit, ihr Streifzug durch das ganze Land, eine Gefahr für dieses Versprechen - die Gefahr, dass sie einen Mann kennenlernen würde und somit mißachten würde, was sie ihrer Familie schuldig war. Und nun hatte Hella es nicht mehr hinauszögern können. Denn auch Tom hatte längst das Mannesalter erreicht, und er und sein Vater machten allmählich deutlich, dass es langsam an der Zeit für die versprochene Vermählung war. Sie seufzte. Ehrlich gesagt mißfiel ihr, wie sich Tom entwickelt hatte - mit seinen 25 Jahren war er, obwohl ein fleißiger und aufrechter Arbeiter, immernoch das verwöhnte Kind, das die anderen herumschubste und mit dem Wohlhaben seines Vaters prahlte. Sie wusste, wie störrisch Anya sein konnte, und sie wusste, welche Erwartungen der junge Mann an seine Zukünftige hatte - ihre abenteuerlichen Reisen wären nichts mehr weiter als Erinnerungen, der Rest ihres Lebens würde beinhalten, das Heim und die Kinder zu hüten. Doch sie wusste, dass ihre Tochter, wenn die Umstände es erforderten, sich mit einer Situation arrangieren konnte. Dies gab ihr die Hoffnung, dass sie ihre Pflicht erkennen und ihrem Ruf folgen würde. Denn seit sie das Dorf verlassen hatten, waren ihre Lebensumstände mehr als bedauerlich. Das Zelt war alles andere als wohnlich, und dazu dieser ständige Lärm vom Stall! Wenn alles so lief, wie es sollte, dann würde nun also Anya Tom ehelichen, und dieser konnte ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Wenn...
Gnädige Frau? Die jähe Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war der Ornibote, den sie geschickt hatte, auf sie zugetreten. Er deutete eine Verbeugung an.
Ich bin erfreut, Ihnen mitteilen zu können, dass ich Ihre Tochter antreffen konnte und sie bei bester Gesundheit ist. Obschon sie sich an einem sonderbaren Ort aufhält - Sie haben vom Vergessenen Plateau gehört?
Natürlich hatte sie das. Sonderbar war es allerdings - vor 50 Jahren wurde dieser Ort von der Verheerung völlig zerstört, unbewohnbar gemacht und obendrein unzugänglich. Was verschlug eine Händlerin, wie Anya es sein wollte, an diesen verlassenen Ort? Sie legte die Stirn in Falten.
Was tut sie dort? Soweit ich weiß, gibt es dort keine Menschenseele. Dieses Mädchen und ihre Flausen...
Der Orni lächelte leicht.
Es scheint, als würde sie dort... Urlaub machen. Wie Ihnen sicherlich zu Ohren kam, war sie jüngst in die Unruhen in den Dörfern von Necluda verwickelt. Wahrlich beeindruckende Geschichten! Nun, jedenfalls hält sie sich mit jemand anderem, der an ihrer Seite kämpfte, dort auf. Ein junger Mann namens Zoltan. Kann ich annehmen, dass sie ihn kennen?
Die Worte trafen Hella wie ein Schlag. Anya! An diesem verlassenen Ort! Mit einem Mann! In ihr schrillte eine Alarmglocke. Ihr schlechtes Gefühl schien sich zu bewahrheiten.
Nein, ich kenne ihn nicht! Und ich verlange zu wissen, was sie dort mit ihm treibt! Ist sie mit diesem Mann etwa... liiert?
Der Bote zuckte mit den Schultern.
Bei allem Respekt, Gnädigste. Mein Beruf ist es, Briefe zuzustellen und Grüße zu übermitteln. Nicht, meine Kundschaft über ihr Liebesleben auszufragen. Nun, vielleicht kann Ihre Tochter Ihnen diese Frage demnächst selbst beantworten. Wenn Sie mich nun entschuldigen...
Mit einer weiteren Verbeugung machte er sich von dannen.
Hella zitterte. Bleib ruhig, redete sie sich ein. Vielleicht waren dort auch noch andere Leute, die der Bote nicht gesehen hat. So muss es sein. Anya würde nicht wagen...
Würde sie das wirklich nicht? Wer konnte ihr garantieren, dass sie nicht ihre Pflicht vergessen hatte? Dass sie nicht mit diesem Kerl liiert war? Vielleicht - bei allen Göttern! - von ihm in Umständen war?
Welche Blamage, welche Schande das wäre... sie brauchte einige weitere Momente, um sich zu sammeln. Warte erst einmal ab. Noch ist sie nicht hier. Vielleicht... ja, vielleicht erwartet sie inzwischen schon selbst sehnsüchtig die Hochzeit. Himmel, sie ist mittlerweile erwachsen und weiß, dass ihre Träumereien keine Zukunft haben!
Fürs Erste konnte sie sich davon überzeugen, dass Anyas haarsträubendes Abenteuer im fernen Necluda der Abschluss ihrer Reise war, dass sie anstandslos - und vor allem allein - heimkehren würde. Ja. So wird es kommen. Ganz sicher.
Hella hätte wissen müssen, dass es so ganz sicher nicht kam.