Elec the dead?
Mit einem leichten Zucken seiner Mundwinkel nahm Sal Eves Entschuldigung für ihre harschen Befehlsworte an und nickte leicht. Er konnte sich vorstellen, dass es nicht leicht für sie war, ihre Gewohnheiten abzulegen. So ging es wohl jedem; Menschen waren schließlich Gewohnheitstiere. "Denkste? Ich glaube ich würde Schuhe mit ordentlich Spucke putzen. Da würdest du es dir anders überlegen", führte er ihren Scherz trocken weiter. Und doch schafften sie es nun gemeinsam zu scherzen. Das war schon beeindruckend, wenn man bedachte, dass sie sich vor wenigen Augenblicken noch fast an die Gurgel gingen und einander beleidigten.
Morgans Worte waren ihm sehr schwer gefallen. Aber das lag keineswegs nur daran, dass er immer eher still war und lieber Zuhörer; es lag nicht nur an der jahrenlangen Einsamkeit, die er fristete. Er hatte sich selbst geschworen nie mit jemanden über Alice und Scarlett zu sprechen. Und jetzt hatte er sich zwei fast Fremden anvertraut, um ihnen eine wohl gemeinten Rat zu geben, sich besser von ihm fernzuhalten. Und was geschah stattdessen? Sie wendeten sich nicht misstrauisch ab, wie es wohl gesünder wäre. Nein. Eve reichte ihm eine Zigarette und teilte ihren Tabak mit dem Vatermörder, so wie er zuvor teilte. Es herrschte allgemein ein geben und Nehmen; zwischen Worten und Anvertrautem, zwischen Alkohol und Tabak und vor allem der Menschlichkeit, die geteilt wurde. Evelyn teilte vorsichtig ihre Thesen und Gedanken, warum Sal so reagierte, wie er nun reagierte.
Ihre Antwort erhielt sie in Form von Morgans Erzählungen. Wenn er Details auch ausließ, so teilte er gerade sein Innerstes mit den beiden. Sie überließen ihn dabei das Wort und lauschten respektvoll. Es hätte dabei so vieles schief gehen können, aber das tat es nicht. Nein, zum ersten Mal seit einer sehr, sehr langen zeit fühlte sich Sal nicht alleine. Denn auch unter Menschen und betrunken in den Tavernen war er doch alleine gewesen. Seit er seine Familie verlor und sich selbst aufgab war es stets so, als ob zwischen ihm und anderen Menschen eine Art Mauer bestand. Unsichtbar, aber fest und meterdick. Erst jetzt bröckelte diese Wand zum ersten Mal und hatte Löcher. Löcher, durch welche er Eve und Malkus sah. Sie sahen ihn an, während er mit seinen Worten kämpfte, aber sie verurteilten ihn nicht mit ihren festen Blicken. Aber wie man oftmals so schön sagte: ein Bild sagte mehr als tausend Worte. Nachdem der Räuber geendet hatte und Eve nur seinen Spitznamen hauchte, während Malkus gänzlich schwieg, hätte sich Morgan nicht besser verstanden gefühlt, hätten sie etwas gesagt. Sie waren einfach hier und gingen nicht. Verdient hatte einer wie er das sicher nicht. Er, der für das Leid im eigenen Leben selbst verantwortlich war und sich deshalb nie beschwerte. Und doch teilte er das Leid zum ersten Mal. Dabei war er nicht einmal besoffen und das machte das Ganze noch unerträglicher. Erträglich machte es nur die Tatsache, dass er wohl, wie der Zufall es wollte, an zwei Individuen geraten war, die ihn nicht voller Abscheu verurteilten, selbst wenn er es verdiente. und es tat... gut. Auch wenn er sich selbst gerade für seine Schwäche und Verletzlichkeit hasste.
Mit leicht geöffneten Mund beobachtete Morgan überrascht, als Eve sich dann doch erhob und sich den Staub abklopfte. Würde er nun doch die Rechnung für seine gewagten Worte bekommen? Hass ernten? Würde sie sich abwenden? Wie egal sollte es ihm doch sein! Warum nur war es aber nicht so...?
In Erwartung schluckte der Mann mit den müden Augen. Es war ihm nicht egal, was Eve ihn nun zu sagen hätte. Doch sie reagierte nicht so, wie Sal es zuerst befürchtete. Im Gegenteil. Er empfing Mitgefühl und Empathie, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Diese Dinge waren ihm derart fremd geworden, dass er Evelyn einen Moment schockiert ansah. Aber verstand sie denn nicht? Er wollte sie vor sich und seinem Pech schützen, genau wie Malkus! Ob der Schweigende verstand? Noch immer verwirrt sah er zwischen den beiden her.
"Du... du musst dich nicht entschuldigen. Es ist passiert. Und du hast nur Recht, wenn du misstrauisch und vorsichtig bist. Ich weiß selbst genau, wie es ist... wie gefährlich es ist, jemanden zu nahe an sich kommen zu lassen." Er blickte ihr tief in die Augen. Sie hatten geliebte und geschätzte Menschen verloren. Da musste man keinen großen Unterschied machen. Doch im gegensatz zu ihm hatte Eve nicht die Fähigkeit verloren, sich anderen erneut zu öffnen und zu vertrauen. Nun legte sie ihre Philosophie also ab und wollte sich mit ihrem wichtigen und gefährlichen Unterfangen ausgerechnet ihnen beidne anvertrauen? Obwohl das Schicksal aller auf dem Spiel stand?
"Eve... danke, dass du mir Mordred lässt. Es ist das Einzige, was mir noch bleibt. Aber darum ging es mir nicht", er seufzte und atmete den Rauch seiner Zigarette tief ein. Ob der Zigarettenrauch Malkus wohl störte?
"Ich will euch nicht in Gefahr bringen. Hab' euch wohl genug Ärger gemacht. Mit jemanden wie mir werdet ihr nicht gewinnen können. Ich denk' mal, du brauchst für dein Unterfangen starke und kluge Köpfe. Fähige Menschen. Wenn die Schriftrollen das Leid des Landes beenden können, dann solltest du kein Risiko eingehen. Malkus wird dir sicher ne gute Hilfe sein, aber mit mir... da hat man nur Ärger", gab er zu und zuckte mit den Schultern, "ich hab euch vorgewarnt. Ist es wirklich das, was ihr wollt?", fragte er die beiden und ein melancholisches Lächeln zierte sein müdes Gesicht erneut, als Eve vor ihm salutierte. "Tu' das nicht..." murmelte er nur machtlos.
Sie ging um das Feuer herum, setzte sich zu dem zynischen Griesgram und gab ihn einen Stubs, während sie ihre Fragen stellte. Mit gerunzelter Stirn blickte er aus der Peripherie nun zu ihr, bevor er ins Feuer blickte und allmählich nickte. Sal zögerte, ob er ihr nun antworten sollte. Sie zwang ihn nicht dazu. Als er ihr also antwortete, wagte Morgan es tatsächlich aus freien Stücken - und weil er das sanfte Pflänzchen der gemeinsamen Zusammenarbeit und des Vertrauens gießen wollte. Vielleicht... vielleicht wollte er ihnen helfen? Auch wenn das ganze Unterfangen noch immer so verloren auf ihn wirkte. Gewiss war Eve eine geübte und erfahrene Kriegerin. Zäh war sie sehr, das wusste er mittlerweile zu gut. Das alleine konnte sie aber nicht davor bewahren zu versagen!
"Alice...", sprach er schließlich stockend. Er konnte das Zittern in seiner Stimme einfach nicht besiegeln und ihren Namen auszusprechen und damit Eves Vermutung zu bestätigen, schmerzte ihn. "... ja, du erinnerst mich an meine Frau. Zumindest deine Augen", murmelte er und strich sich durch das kräftige und volle Haar, ehe er seinen Kopf nun doch zu Eve wendete. Kurz legte er seine kaputte, linke Hand auf Evelyns Arm.
"Du wärst für mich da? Ausgerechnet für mich...?", er wirkte aufrichtig verwirrt und schüttelte leicht den Kopf. "Wenn wirklich einmal alles gut ausgehen sollte... wenn Mordred tot ist und ich sollte leben... nein, du solltest diene zeit nicht mit mir verschwenden, Hübsche. Genieß' das Leben mit jemanden, der kein zynischer Mistkerl ist. Ich glaub' Malkus wär' da die bessere Wahl", er sah den Mann mit dem aschblonden Haar mit einem knappen Lächeln an und zwinkerte ihm zu, bevor Sal wieder ernst wurde.
"... bist du wirklich sicher, du willst mich für dein Unterfangen? Du vertraust mir?" Er schluckte erneut und bemerkte nicht, dass ihm die Asche der Zigarette auf die Hose fiel. Konnte sie ihm nach dem Vertrauensbruch denn noch vertrauen und dann ausgerechnet mit einem so wichtigen Auftrag? Denn wenn ja... dann war das ein wirklich starker Vertrauensbeweis, den Sal nicht erneut brechen wollte! Wenn er ihr Wort hätte, dann würde er tatsächlich alles tun, um seine Treue und Zusammenarbeit unter Beweis zu stellen. Sein Blick wurde fest, während er Eves Antwort erwartete. Noch immer ruhte seine Hand selten sanft auf ihren Arm. Es faszinierte ihn, wie sanft und einfühlsam die zuvor herrische Kriegerin nun war. In jedem noch so dicken Panzer ruhte eben oft doch ein weicher Kern und vielleicht traf das auch auf sie beide zu. Innerlich bereute auch Morgan nun seine vorherigen Worte und Reaktionen. Vielleicht hatten sie sich beide ein wenig in dem Anderen getäuscht...? Oder hatten sie in all dem Ärger nur vergessen, was sie in der ersten gemeinsamen Nacht schon voneinander kennengelernt hatten?
Indes war Malkus kurz weggegangen und Sal sah ihm hinterher. Er wirkte etwas blass. All das musste für den einfachen, aber herzensguten Kerl wohl viel sein. Am besten nahm er ihn sich anschließend mal zur Seite.