Wie das
Leben doch so spielte. Eine Laune; eine Situation konnte binnen
Millisekunden umschlagen. Und binnen Sekunden war es möglich zwei
völlig unschuldige Menschenleben auszulöschen.
Sal war hinter Eve stehen geblieben,
als sie aus dem Wasser stieg und ihre Waffe nahm. Der schwarzhaarige
Räuber gab ihr Deckung; blieb in Angriffsposition stehen, falls
jemand sie angreifen sollte. Doch das Dickicht gab zwei unbewaffnete,
simple Bürger frei. Auch Morgans geübte, eingefallene Augen
erkannten dies recht schnell. Der unschuldige Blick; keine
Kampfposition, keine Waffen. Keine Bedrohung, so viel stand fest.
Aber die beiden hatten Pferde dabei, die sie gut gebrauchen konnte.
Ein knappes, verschmitztes Lächeln huschte dem bleichen einsamen
Kojoten über das Gesicht. Die kamen ja wie gerufen.
Doch sein Lächeln schwand schnell.
Stattdessen beobachtete Sal mit kühler, unbewegter Miene, was als
nächstes geschah. Was Eve tat...
Sicher. Morgan war alles andere als ein
Moralapostel und er wagte es nicht, ausgerechnet er, ihr einen
Vorwurf zu machen. Genau genommen war es dem längst vereisten Räuber
und Mörder egal, was mit diesen unschuldigen Seelen geschah. Er ließ
die Wurfdolche entspannt zurück gleiten und schob die Hände in die
Manteltaschen. Kalt wie eine Bestie erlegte Eve ihre Beute. Kein
Zögern; keine Gnade. Typisch für einen Soldaten, der lernte, seine
Gefühle aus dem Kampf zu lassen. Nur war das kein Kampf. Es war ein
Gemetzel. Desinteressiert folgten Sals dunkle Augen im
Schlafzimmerblick dem Geschehen. Wie sie den Kopf abtrennte von dem
Typen. Und dann das Weib, das ihrem Schicksal nicht entkommen konnte.
Fernab konnte Morgan nicht sehen, was geschah. Doch das musste er
auch nicht, denn schon bevor Evelyn zurück kehrte mit ausdruckslosem
Blick wusste er, was geschah. Ihre Kleidung war mit Blut besudelt,
genauso wie das Pferd. Aber nicht mit dem eigenen.
Eve stemmte ihre Klingel in den Boden
und kam nah auf Sal zu, der immer noch in gelassener Haltung
schweigend dastand. Sie kam ihm nahe; sehr nahe. In Morgans Nase
stieg der beißende Blutgeruch, während sich sein Antlitz in ihren
ausdruckslosen Augen spiegelte. Ein ebenso ausdrucksloses Augenpaar
blickte zurück, als sie ihn fragte, ob er die Dinge so regelte. Sal
schwieg auf diese Frage hin. Es gab dazu nichts zu sagen. Morgan
handelte rational, aber eiskalt, richtig. Er tat egoistisch das, was
zum überleben nötig war. Ob er die beiden getötet hätte... das
war eine „wäre“-Frage, die es nicht brauchte. Vielleicht. Er
hätte sie sicher bestohlen und wenn sie Glück hatten und ihren
Räuber nicht ins Gesicht sahen; ihn erkannten, dann hätte er sie
beide am Leben gelassen und zurückgelassen. Vermutlich zumindest...
Statt ihr zu antworten, schnalzte der
distanzierte Brudermörder mit der Zunge. Es gab nun wichtigeres.
„Du hast Spuren hinterlassen, Eve. Das ist schlecht. Die Leichen
werden verfaulen und Verfolger können unsere Fährte leichter
aufnehmen. Wir haben keine Schaufel, um die beiden zu beseitigen. Das
war unüberlegt“, teilte er ihr überlegt mit. Sein Ton war
kühl. Kein Mitleid mit ihren Opfern; kein Interesse an Eves Tun,
außer, dass sie es nicht sauber tat.
Dennoch setzte sich der Bärtige nun in
Bewegung. In seiner Bewegung strich seine Schulter leicht jene von
Eve und er beugte sich, um die Augen des abgetrennten Kopfes zu
schließen. Danach verschwand Sal nicht lange im Dickicht. Als er die
Frau mit tränenden, aufgerissenen Augen fand, schloss er auch jene.
Er hätte gerne den Anstand gehabt, beide zu begraben, damit sie
zumindest im Tode vereint waren. Aber die Utensilien fehlten.
Stattdessen schleifte er die Frau hinter sich her wie ein Stück
Fleisch und warf sie zu dem toten Mann.
Malkus' Gedankengänge hatte Sal auf
keinen Fall geteilt. Menschen waren keine Engel oder Dämonen.
Menschen waren, im Kern, vor allem eines: wilde Tiere. Wilde Tiere,
die zu Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten tendierten, wenn man ihnen
dazu nur die Macht und Situation bot. Recht oder Unrecht war ihm
verdammt egal. Wer war schon wahrhaftig unschuldig? Menschen waren
aus der Sünde heraus geboren. Jeder musste sterben – mancher
früher, mancher später. Die beiden Turteltäubchen waren zur
falschen Zeit am falschen Ort gewesen, so einfach war das für
Morgan. Der rationale Mann machte sich über etwas ganz anderes
Gedanken. Er dachte über Evelyns Verhalten nach, das so gar nicht zu
ihr passte. Es störte ihn nicht; nur hatte sie bisher so große
heldenhafte Reden darüber geschwungen, die Schwachen beschützen zu
wollen, die Menschheit zu retten und deshalb waren die Schriftrollen
so wichtig und blah blah. Das hier passte nicht zusammen. Still hob
er seinen gefühlsleeren Blick an und betrachtete Eve aus der
Peripherie musternd. Sie war instabil, so einfach war das. Und
instabile Menschen waren unberechenbar und gefährlich für einen
selbst. Die Mission war Sal mehr oder weniger egal. Von ihm aus
konnte die Welt samt der Menschheit zur Hölle fahren. Aber verdammt,
nicht bevor er Mordred ermordete! Und nur deshalb, alleine dafür
musste er auf seine Kameraden bauen können! So musste Sal dem
gefühlsstarken Malkus im Stillen doch recht geben: es passte nicht
zu ihr. Eine so kaltschnäuzige Aktion gegenüber Unschuldigen passte
vielleicht zu Sal, aber nicht zur gerechten Kriegerin, auch wenn sie
eine Hündin des Kampfes war. Etwas musste diesen Instinkt in ihr
ausgelöst haben.
Vorsicht ist geboten. Falls sie
diesen Instinkt nicht kontrollieren kann, sind wir auch nicht
sicher. Aber das würde sich zeigen. Vielleicht fand Morgan noch
heraus, was Eve dazu brachte, gegen ihre Natur zu handeln. Für den
Moment war wichtig, davon gedankliche Notiz zu machen. Genauso
sinnierte Morgan über Malkus. Er war zu weich für diese Mission. Er
gehörte zu den anderen Menschen. Jene mit Moral und Anstand.
Vielleicht war er ein Herumtreiber und Frauenheld. Aber er hatte nie
eine Waffe gehalten und selbst wenn er lernte, jene in den Händen zu
halten, bedeutete das noch lange nichts. Deshalb hatte er vielleicht
dennoch nicht den Instinkt in sich wie Eve und er. Jenen, ohne
Rücksicht auf Verluste zu töten. Malkus war empathisch, das hatte
Sal in ihrer kurzen gemeinsamen zeit schnell beobachten können.
Sicher, das war keine Schwäche. Aber im Kampf war es ein Nachteil,
der einen den Hals kosten konnte.
Kurz legte Sal seine Hand auf Malkus'
Schulter, nachdem er Eve eine reinhaute und seinen Worten; seiner Wut
freien Lauf ließ. “Eve hat's für uns getan. Belass' es dabei,
Malkus. Wenn ihr jetzt streitet, bringt uns das nicht weiter“,
konkludierte er rational und blickte seinem Gefährten ernst ins
Gesicht. “... aber wenn du so etwas nicht erträgst... wenn du
das Töten ablehnst, dann solltest du vielleicht nach Hause gehen. Du
weißt, um was es hier geht. Ist noch nicht zu spät, den hals aus
der Schlinge zu zieh'n. Liegt an dir.“ Es war der einzig gut
gemeinte, aber vernünftige Rat den er ihn geben konnte.
Sal begann nun damit, die Leichen zu
fleddern. Eine unmoralische Tat, die Malkus vielleicht nicht weniger
schockierte. Aber viel toter konnte man nicht werden? Und die beiden
brauchten ihr Hab und Gut im Gegensatz zu ihnen drei nicht mehr. In
aller Ruhe und als wäre es das Normalste der Welt – was es für
Sal war – begann er damit, die Taschen des Mannes abzusuchen. Eine
Karte, Rubine... ja, das konnte man alles gut verwerten. In seiner
Hosentasche hatte der Mann eine Kartusche versteckt und als Sal jene
mit seinen Langfingern öffnete, blitzte ihm ein teurer,
wunderschöner Ring entgegen. So war das also...
Sal schluckte und wurde einen Moment
ganz bleich. Er schloss die kleine Kartusche mit den Ring und legte
sie zurück. Nein, das hier nahm er nicht mit. Der Ring sollte ein
Versprechen sein und jenes sollten sie in der Hölle einlösen
können. Der Ring hätte ihm wohl viel Geld eingebracht. Aber er
erinnerte ihn zu sehr an den Tag, an welchem er Alice einen Antrag
machte. Es gab auch für Sal Grenzen.
Auch die Frau suchte er ab. Ebenfalls
ein paar Rubine; gebackene Brotscheiben und trockener Speck. Guter
Proviant für sie alle. Nachdem er das junge tote Fräulein auch
ausnahm, legte er sie neben dem Liebhaber ab.
“Wollen wir aufbrechen? Wir haben
genug Zeit vergeudet“, schlug Morgan vor und ließ das Ganze
bereits völlig desinteressiert hinter sich.