• Arks Tagebuch Part 6


    Nachdem mir Ra den Tipp gegeben hatte, mich in den Nordwesten zu begeben, machte ich mich auf den langen Weg zum nördlichen Kontinent. Angeblich sollten die Seelen der Vögel hier irgendwo in einem Gebirge versiegelt sein.

    Anfangs versuchte ich noch, mitzuzählen, wie lange ich unterwegs war, aber als aus Tagen Wochen wurden, gab ich es auf.


    Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Melina und der Frage, wann bzw. ob ich sie jemals wiedersehen und sie dann überhaupt noch Augen für mich haben würde.

    Doch da mir diese Grübeleien nur Kummer und schlechte Laune bereiteten, bemühte ich mich, mich so gut wie möglich abzulenken und mich stattdessen auf die neu erblühte Natur um mich herum zu konzentrieren.


    Die Oberwelt war wirklich wunderschön!


    Im Süden wurde das Land von gewaltigen Wäldern beherrscht, die aus hohen Bäumen, Schlingpflanzen und bezaubernden Blumen in strahlenden, bunten Farben bestanden. Die Geräusche meiner Schritte wurden von dem belaubten Boden geschluckt, sodass es totenstill in diesen Dschungeln gewesen wäre, wäre ich nicht aus mir immer noch unerfindlichen Gründen dazu in der Lage gewesen, die Stimmen der Pflanzen zu hören.

    So war ich stets von ihrem leisen Gemurmel umgeben und musste hier und da sogar Fragen über meine Person beantworten.

    Doch die Pflanzen waren nicht nur neugierig, sondern auch hilfsbereit. Wenn ich z.B. an irgendeiner Stelle nicht weiterkam, weil mir Schlingpflanzen den Weg versperrten, reichte eine freundliche Bitte und der undurchdringliche Vorhang teilte sich vor mir.


    Nachdem ich den Dschungel hinter mir gelassen hatte, wandelte sich die Landschaft und wurde trockener und felsiger, bis die danach kommenden Berge wiederum bei Erreichen des nördlichen Kontinents durch weite Grasmeere abgelöst wurden.


    Ich folgte den Hinweisen der Pflanzen um mich herum, bis ich schließlich ein gewaltiges Gebirge fand, das von Dämonen bevölkert wurde.

    Bei diesem Anblick war ich mir sofort sicher, mein Ziel erreicht zu haben.


    Also kämpfte ich mich verbissen bis auf die Spitze des höchsten Berges, wo ich den Ursprung der hiesigen Dämonen vermutete.

    Unterwegs fand ich eine besondere Waffe, die derart scharf war, dass sie sogar manche Steine durchschneiden konnte, sowie die Greifenklaue - eine Art Kletteraxt -, die mir das Erklimmen der steilen Felswände erleichterte.


    Am Gipfel angelangt, traf ich auf die Infernalos: zwei riesige, vogelartige Dämonen, die zwar imposant aussahen, aber keine ernst zu nehmende Herausforderung darstellten.

    Mit nur wenigen, gezielten Hieben hatte ich die beiden Ungetüme erschlagen und die seltsame, aus der Erde kommende Stimme, die ich zuvor nach meinem Sieg über den Moloch gehört hatte, erklang erneut, um mir mitzuteilen, dass die Vögel in die Welt zurückgekehrt waren.


    Erfreut machte ich mich an den Abstieg und stellte unterwegs verblüfft fest, dass ich in dieser Welt offenbar nicht nur mit Pflanzen, sondern auch mit Tieren sprechen konnte.

    Durch die Vögel, die ich unterwegs traf, erfuhr ich von ihrem "Sanktum" genannten Königreich und ließ mir, neugierig geworden, von ihnen den Weg dorthin weisen.

    Kaum angekommen, erfuhr ich auch schon, dass die Vögel unglücklich waren, da sie den Wind vermissten. Um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, kletterte ich in das höchste Nest, wo ich auf Dumbar, den König der Vögel traf.


    Dumbar war eine wahrlich imposante Erscheinung!

    Obwohl ich kein kleiner Mann war, überragte Dumbar mich um etwas mehr als das Doppelte!


    Glücklicherweise war Dumbar sanftmütig wie riesig und er machte nicht einmal Anstalten, zu versuchen, mich zu fressen.

    Stattdessen bat er mich, mich von einem seiner Diener nach Orkania bringen zu lassen und für ihn in Erfahrung zu bringen, warum der Wind noch nicht zurückgekehrt war.

    Ohne Wind, so erklärte Dumbar mir, waren die Vögel nicht in der Lage dazu, die anderen Kontinente zu bereisen.


    Also ließ ich mich nach Orkania bringen, was sich als eine tiefe Höhle in einem angrenzenden Gebirge herausstellte. Dort sollte, in einem bodenlos wirkenden Loch, der Wind schlafen.


    Während ich am Rand des tiefschwarzen Abgrunds stand, fragte ich mich verzweifelt, wie man den Wind wohl weckte.

    Mich ziemlich lächerlich fühlend rief ich "AUFSTEHEN!" in die Dunkelheit, doch die einzige Reaktion darauf war ein leises Echo meiner von den Wänden zurückgeworfenen Stimme und Fluffys umso lauteres Lachen.


    Frustriert trat ich gegen einen Stein und kickte ihn in das Loch hinein. Sofort war ein leises Rauschen zu hören, das mich die Ohren spitzen ließ.

    War das der Wind?


    Meiner Intuition folgend warf ich sämtliche Steine, die ich finden konnte, in den Abgrund, bis die genervte Stimme des Windes ertönte: "Wer wagt es, meinen Schlaf zu stören?!"

    Schnell erklärte ich die Situation und der Wind erhob sich mit einem lauten Heulen aus seinem Loch, um fortan wieder über die Lande zu streifen und die Vögel über die Ozeane dieser Welt zu tragen.


    Nachdem ich Dumbar Bericht erstattet hatte, hörte ich von einem seiner Diener von Safarium, dem Königreich der Säugetiere.

    Das klang spannend!

    Also ließ ich mich von dem Vogel auf einen Kontinent am anderen Ende der Welt bringen, nur um dann festzustellen, dass Safarium wie ausgestorben war.


    So etwas hatte ich allerdings schon erwartet...

    Also machte ich mich auf den Weg in die Savanne, auf der Suche nach einer Möglichkeit, auch die Tiere in die Welt zurückzubringen.


    Unterwegs fand ich mehrere Regenaltäre, an denen ich betete, um etwas Regen und damit bessere Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere zu erbitten.

    In einem dieser Altäre traf ich schlussendlich auch auf Satadoros, eine Art dämonischer Sensenmann, der sich als etwas wehrhafter erwies als zuletzt die Infernalos.

    Dennoch hatte auch Satadoros mir nicht viel entgegenzusetzen und schon bald erklang wieder die sonderbare Stimme, um mich zu informieren, dass die Tiere auf die Oberwelt zurückgekehrt waren.


    Neugierig, ob ich auch mit Säugetieren sprechen konnte, begab ich mich zurück nach Safarium, wo ich nicht nur feststellte, dass dies der Fall war, sondern auch von Liam hörte.

    Liam war ein Löwenbaby und der Sohn von Leon, dem König der Tiere. Offenbar hatte sein Vater den kleinen Liam auf eine Prüfung in einer nahe gelegenen Schlucht geschickt, um zu testen, ob Liam würdig war, eines Tages die Thronfolge anzutreten.

    Doch Liams Mutter hatte gehört, dass Dämonen in ebendieser Schlucht gesichtet worden waren, und bekniete nun Leon, die Prüfung abzubrechen. Da dieser sich jedoch als zu stur erwies, bat sie mich darum, nach Liam zu suchen und aufzupassen, dass dem kleinen Löwenprinzen nichts passierte.


    Als ich in der Schlucht ankam, war Liam bereits in einen Kampf gegen zwei Vogeldämonen verstrickt. Ich eilte so schnell ich konnte zu seiner Rettung und erschlug die beiden Monster.

    Während der kurzen Auseinandersetzung hatte ich bereits mit dem Schlimmsten gerechnet, aber Liam war offenbar wehrhafter als seine Mutter glaubte und hatte nicht einen Kratzer.

    Nachdem wir uns einander vorgestellt hatten, machten Liam und ich uns auf den Weg durch die Schlucht.


    Irgendwie mochte ich den kleinen Löwen!

    Er war nicht nur zum Dahinschmelzen niedlich, sondern hatte zusätzlich mit seiner vergnügten, lebensfrohen Art etwas an sich, das mein Herz aufblühen ließ.


    Am Ende der Schlucht trafen wir auf Schlammhados, einen Schlammdämonen, der uns den Ausgang versperrte.

    Blöderweise war das Monster außerhalb meiner Reichweite, sodass ich es nicht einfach niederstrecken konnte.

    Doch Liam hatte eine gute Idee und suchte in der Umgebung nach Felsbrocken, die ich dem Dämonen dann mit voller Kraft an den Kopf warf, bis dieser schließlich aufgab.


    Oder sollte ich sagen: scheinbar aufgab?


    Als ich sein Friedensangebot annahm und an ihm vorbei gehen wollte, stieß Schlammhados mich plötzlich in den Abgrund neben sich.

    Ich fiel tief und schlug hart auf dem Boden auf, aber meine Sorge galt nicht den Blessuren, die ich mir dabei zugezogen hatte.

    Liam war nun ganz allein dort oben und Schlammhados schutzlos ausgeliefert!


    Während ich verzweifelt nach einem Weg zurück nach oben suchte, aber trotz der Greifenklaue immer wieder an den glatten Felswänden abrutschte, hörte ich die entsetzlichen Geräusche einer scheußlichen Auseinandersetzung und sah vor meinem geistigen Auge wie Schlammhados das Leben aus Liams zierlichem Körper quetschte.


    Und dann war plötzlich alles still...


    Mir traten Tränen in die Augen und ich kauerte mich auf dem Boden zusammen.


    Ich hatte versagt...


    Doch dann erklang plötzlich Liams besorgte Stimme neben mir: "Bist du verletzt, Großer?"

    Überrascht riss ich die Augen auf und entdeckte meinen kleinen, plüschigen Freund, der mich aufmerksam musterte. Sein sandsteinfarbenes Fell war schlammverkrustet und ihm fehlten ein paar Tasthaare an der Schnauze, aber ansonsten wirkte er gänzlich unversehrt.

    "Hast du ganz allein Schlammhados besiegt?!", fragte ich ungläubig und beobachtete, wie Liams Augen langsam aufleuchteten, als würde ihm seine eigene Leistung erst jetzt bewusst. "Ja, ich schätze, das habe ich", lachte er.


    Dann wurde Liams Aufmerksamkeit plötzlich von einem schimmernden Stein abgelenkt, der neben mir auf dem Boden lag. "Oh, sieh mal, der ist aber schön!"

    Ich betrachtete den milchigweißen Stein, der trotz des schummrigen Lichts hier unten sanft schimmerte, so als würde er von innen heraus beleuchtet. Ein Mondstein.

    Als mir eine Idee kam, holte ich schnell ein kurzes Lederband aus meiner Truhe hervor, fädelte den Stein darauf auf und band es Liam um den Hals. "Ein Andenken an mich und dein erstes, großes Abenteuer", erklärte ich und Liam strahlte. "Danke, Großer. Ich werde es in Ehren halten!"


    Danach kehrte Liam allein nach Safarium zurück, wo er die anderen Tiere über meine missliche Lage informierte. Kurz darauf tauchte der Vogel, der mich von Sanktum hierher geflogen hatte, auf und half mir aus der Schlucht heraus.

    Mir war es ein wenig peinlich, dass ich es nicht allein geschafft hatte, aus dem Loch zu klettern, aber niemand sonst schien mich deswegen für schwach oder unfähig zu halten.


    Obwohl Liam Schlammhados am Ende selbst besiegt und somit die Prüfung eigentlich ganz alleine bestanden hatte, dankte mir nicht nur seine Mutter, sondern auch sein Vater dafür, dass ich dem Prinzen durch die Schlucht geholfen hatte.

    Leon schenkte mir sogar eine Waffe, die mit einer seiner Klauen verstärkt war. Eine große Ehre!


    Zudem versprach Leon, dass er den Tieren befehlen würde, mir bei meinem Weg nach Osten behilflich zu sein.

    Denn dort, irgendwo in den eisbedeckten Bergen Eklamatas, sollten die Seelen der Menschheit versiegelt sein...





    Fortschritt:


    Lvl 15

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere

  • Arks Tagebuch Part 7


    Wie sich herausstellte, war es ein großes Glück, dass Leon die Tiere beauftragt hatte, mir zu helfen: nach einigen Wochen Reise gen Osten gelangte ich an einen reißenden Strom, den ich ohne tierische Unterstützung niemals hätte überqueren können!

    So erreichte ich jedoch ohne große Probleme das andere Ufer und fand mich recht bald darauf im Eklamata-Gebirge wieder.


    Der Schnee lag hier so hoch, dass ich nur langsam und mühselig voran kam, und in dem mir inzwischen gewachsenen Vollbart bildeten sich bei jedem Ausatmen weiß glitzernde Eiskristalle.


    Ich war bereits eine ganze Weile in dieser kräftezehrenden Einöde unterwegs, als ich an einer heißen Quelle vorbei kam. In ihr saß ein komisches Wesen, das aussah wie ein von Kopf bis Fuß behaarter Riese.

    "Ein Yeti", stellte Fluffy fest und fügte dann mit einem Blick auf das rot gefärbte Wasser der Quelle an: "Er scheint verletzt zu sein."


    Ich fragte mich gerade, ob von dem Yeti eine Gefahr für mich ausging, als dessen Blick auf mich fiel. Seine braunen Augen wirkten intelligent und waren voller Angst.

    Langsam und behutsam nahm ich die Hände hoch und sagte so beruhigend wie möglich: "Keine Sorge. Ich will dir nichts tun."

    Der Yeti musterte mich skeptisch. "Du Freund?"

    Ich nickte. "Ja, ich Freund."

    Als sich der Yeti daraufhin etwas entspannte, wagte ich mich vorsichtig näher an den Rand der Quelle. Von dem Wasser stieg eine angenehme Wärme auf und ich hielt meine steifgefrorenen Finger in den Dampf, während der Yeti mit rätselndem Gesichtsausdruck Fluffy beobachtete wie er zwischen den unablässig fallenden, dicken Schneeflocken umher schwirrte.


    Nach einer Weile des Schweigens fragte ich: "Du scheinst verletzt zu sein. Was ist passiert?"

    "Wolf", grunzte der Yeti, "aber Quelle hilft."

    "Das ist gut!" Ich lächelte den Yeti an, der wegen irgendetwas mit sich zu ringen schien.

    Dann platzte er zu meiner Überraschung mit einer Bitte heraus: "Quelle würde besser helfen mit Eisblumenblatt. Kann Freund mir Blatt holen?"

    "Natürlich!", versicherte ich. "Wo finde ich so eine Eisblume?"

    Der Yeti deutete auf den Eingang einer nahegelegenen Höhle und ich machte mich sogleich auf den Weg.


    Auf der anderen Seite der Gletscherhöhle fand ich nicht nur eine Eisblume, die mir bereitwillig ein paar Blätter abgab; auf dem Weg dorthin konnte ich auch eine neue Waffe entdecken.

    Der Flammenstab strahlte ein wenig Wärme ab und ihn in den Händen zu halten, war eine wahre Wohltat!


    Nur wenige Minuten später war ich zurück an der heißen Quelle und reichte dem Yeti die Eisblumenblätter, die dieser sogleich ins Wasser fallen ließ.

    Ich staunte nicht schlecht, als sich daraufhin die Wunden des Yetis in Sekundenschnelle zu verschließen schienen.

    Diese Eisblumenblätter waren ja wirklich ein Wundermittel!


    Mit einem breiten Grinsen stieg der Yeti aus der Quelle und lachte: "Du wahrer Freund! Du mir geholfen, jetzt ich dir helfen. Komm mit!"

    Er winkte mich hinter sich her und brachte mich an den Rand eines großen Sees. "Du wollen auf andere Seite?"

    Ich überlegte kurz und nickte dann. Auf dieser Seite des Ufers hatte ich alles abgesucht, ohne einen Hinweis darauf zu finden, wo die Seelen der Menschheit versiegelt sein sollten. Vielleicht hatte ich dort drüben mehr Glück.


    Kaum dass ich den Kopf bewegt hatte, schnappte der Yeti mich mit seinen riesigen Pranken und schleuderte mich über den See hinweg.

    Vor Schreck schreiend sauste ich durch die Luft und überschlug mich mehrfach, als ich auf der anderen Seite aufkam.

    Zum Glück federte der Schnee mich ab, sodass ich mich ohne größere Blessuren wieder aufrichten konnte, sobald ich zum Liegen gekommen war.

    Als ich einen Blick zurück warf, grinste mich der Yeti fröhlich an und winkte begeistert, so als wäre er wahnsinnig stolz auf sich. Ich hob eine Hand zum Abschied und stapfte dann durch den Schnee davon.


    Mein Weg führte mich einen großen Berg hinauf, bis ich plötzlich hinter mir ein merkwürdiges Donnern hörte.

    Irritiert wandte ich mich um und was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren: über mir war der Schnee ins Rutschen geraten und nun rollte eine weiße Wand auf mich zu wie eine wütende Brandung.

    Ich wirbelte herum und rannte, so schnell wie es meine bis zu den Knien versinkenden Beine hergaben, den Berg wieder hinab.


    Doch natürlich war ich zu langsam und die Lawine holte mich schon bald ein...

    Ich wurde wild hin und her geworfen und wusste kaum noch, wo in dieser weißen Masse oben und unten war.


    Und dann schlug ich mit dem Kopf auf einen vorstehenden Gesteinsbrocken und verlor das Bewusstsein.


    Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig war, aber als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden einer Felshöhle; Kleider und Haare waren noch immer voller Schnee.

    Meinen dröhnenden Schädel ignorierend, rappelte ich mich wieder auf und sah mich fragend um.

    Wie war ich hierher gekommen?


    "Ah, du bist wach!"

    Erschrocken wirbelte ich herum und blickte zum hinteren Ende der Höhle, woher die Stimme gekommen war. Dort stand ein Widder mit imposanten, gebogenen Hörnern und sah mich mit einem sanften Ausdruck in seinen schwarzbraunen Augen an.

    "Hast du mich gerettet?", fragte ich ihn und war nicht sonderlich überrascht, als der Widder antwortete: "Ich konnte dich aus der Lawine in die Höhle ziehen, aber dann hat der Schnee den Eingang verschüttet. Daher sitzen wir nun hier fest. Ich weiß nicht, ob du das eine Rettung nennen möchtest."


    "Nun, wenigstens bin ich noch am Leben." Ich lächelte den Widder an und er neigte den Kopf, als würde er nicken.

    Nach einer kurzen Stille sagte mein Gegenüber traurig: "Mein Gefährte hatte leider nicht so viel Glück."

    Erst jetzt fiel mir der zweite Widder auf, der in ein paar Metern Entfernung auf dem Boden lag. Sein Kopf war seltsam verdreht, ganz so als hätte er sich das Genick gebrochen.

    "Das tut mir leid", antwortete ich aufrichtig und tastete so unauffällig wie möglich meinen Körper ab.

    Als ich spürte, wie Fluffy sich unter meinem Hemd rührte, atmete ich erleichtert auf. Ich hatte die kleine Knutschkugel lieb gewonnen und hätte sie ernsthaft vermisst, wäre sie von der Lawine zerquetscht worden.


    Der Widder schien meine Beileidsbekundung kaum zu hören und stellte stattdessen fest: "Schon bald kommt die Nacht und damit die Kälte. Du wirst alleine nicht lange überleben, aber ich habe ein warmes Fell. Lass mich dich wärmen."

    Obwohl ich mich zu Beginn etwas merkwürdig dabei fühlte, nahm ich den Widder in die Arme und wickelte meinen Umhang um uns, um möglichst wenig Wärme entweichen zu lassen.

    Ich weiß nicht, ob es an der Entkräftung gelegen hat oder daran, dass sich das Bergschaf anfühlte wie ein großes Kuscheltier, aber ich schlief erstaunlich gut in dieser Nacht.


    Am nächsten Morgen wurde ich von einem lauten Klopfen geweckt.

    Der Widder hatte eine dünne Stelle in der Rückwand der Höhle entdeckt und hoffte, sie mit seinen Hörnern durchstoßen zu können und uns so einen Ausweg zu schaffen.

    Als er bemerkte, dass ich wach war, stellte er seine Arbeit jedoch kurzfristig ein, um mich aufzufordern, von seinem toten Gefährten zu essen.


    Ich starrte den Widder fassungslos an. "Aber er war dein Gefährte! Wie kannst du wollen, dass ich ihn verzehre?!"

    Der Widder machte ein gleichmütiges Gesicht. "Wieso nicht? Er ist tot und wird nie wieder zurückkommen. Er hat keinen Nutzen mehr für seinen Körper. Wieso also solltest du ihn nicht essen, um dich zu stärken?"

    Mein Magen stieß ein lautes Knurren aus, aber mir wurde trotzdem schlecht, sobald ich nur daran dachte, den toten Widder zu vertilgen.

    Mit dem Kopf schüttelnd erklärte ich: "Ich... ich kann nicht. Du warst emotional mit ihm verbunden und es würde sich einfach falsch anfühlen, ihn als Essen zu betrachten."

    Der Widder blickte mich mit einem enttäuscht wirkenden Ausdruck in den Augen an. "Verstehe. Das ist bedauerlich. Du musst bei Kräften bleiben - das ist in dieser Kälte besonders wichtig."


    Dann ließ er das Thema zu meiner Erleichterung fallen und wandte sich wieder der Wand zu, die nach wenigen harten Stößen tatsächlich nachgab.

    Doch das Jubeln blieb uns in den Hälsen stecken, als wir entdeckten, was hinter dem Spalt lag: zwar schien hier Tageslicht durch ein Loch in der Decke, doch erreichte man dieses nur, wenn man eine steile Eiswand hinauf kletterte.


    "Dort komme ich niemals hoch." Die Stimme des Widders war nur ein Flüstern.

    Ich wollte irgendetwas Tröstendes sagen, doch bevor mir die richtigen Worte eingefallen waren, wandte der Widder sich an mich: "Aber du kannst hier in die Freiheit klettern!"

    "Ich lasse dich hier nicht zurück", protestierte ich und wurde dafür von meinem vierbeinigen Freund mit einem vernichtenden Blick gestraft. "Sei nicht dumm. Klettere hier hoch. Ich werde einen anderen Weg aus der Höhle finden."


    Als ich mich noch immer nicht rührte, schubste mich der Widder grob in Richtung Wand. "Vertrau mir. Ich finde einen Weg!"

    "Ich könnte ein Seil oder eine Schlingpflanze oder so suchen und dich hoch ziehen", schlug ich vor, aber mein Gegenüber schüttelte den Kopf.

    "Du hast einen wichtigen Auftrag, oder nicht? Du hast keine Zeit zu verlieren." Mit einem Augenzwinkern fügte er an: "Außerdem bin ich längst nicht mehr hier, bis du zurück bist."


    Auf diese Weise stritten wir noch ein paar Minuten, bis ich mich schließlich geschlagen gab und mit einem flauen Gefühl im Magen aus der Höhle kletterte.

    Oben angekommen wandte ich mich mit tonloser Stimme an Fluffy: "Er wird es nicht schaffen, oder?"

    "Das kannst du nicht wissen", stellte mein Begleiter mit einem Schulterzucken fest. "Und nun komm, die Seelen der Menschen warten auf dich!"

    Ich warf einen letzten, trauernden Blick auf das Loch vor mir und nahm in Gedanken Abschied von dem Widder. Seine Hilfsbereitschaft und Herzenswärme würden für immer in mir weiterleben. Dann wandte ich mich, ein einsame Träne von meiner Wange wischend, um und machte mich wieder auf den Weg, um meine Mission zu erfüllen.


    Wie sich herausstellte, hatte die Lawine den See von zuvor verschüttet, wodurch ich zu einem weiteren, zuvor unerreichbaren Berg gelangte.

    Auf dessen Spitze traf ich den Morph-Dämon; ein Gestaltwandler und mein bislang härtester Gegner.


    Doch auch wenn der Morph-Dämon sich nach Kräften wehrte, konnte ich ihn schlussendlich niederringen.

    Wieder hörte ich die seltsame Stimme, die mich über die Rückkehr der Menschheit informierte und dann ich machte mich an den langen Abstieg.


    Am Fuß des Berges forderten jedoch Anstrengung, Kälte und Hunger ihren Tribut und ich brach erschöpft zusammen...





    Fortschritt:


    Lvl 17

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen

  • Arks Tagebuch Part 8


    Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem bequemen, warmen Bett und für einen Moment glaubte ich, dass die Erlebnisse der letzten Monate... nein, Jahre nur ein böser Traum gewesen waren.

    Doch dann wurde ich richtig wach und erkannte, dass ich mich nicht in meiner Stube in Krysta befand.

    Dieses karg eingerichtete Zimmer war mir gänzlich unbekannt.


    Mich aufsetzend sah ich mich neugierig um.

    In einem offenen Kamin knisterte ein Feuer, welches das Zimmer mit Wärme und einem orangeroten Licht erfüllte. Auf einem kleinen Kasten neben dem Bett stand ein einfaches Metalltablett mit einem blau bemalten Tonkrug und einem dazu passenden Becher, der mit einer weißen Flüssigkeit gefüllt war.

    Fluffy hockte auf dem Sims eines glaslosen Fensters, hinter dem ich ein dickes Schneetreiben erkennen konnte, und schien zu dösen.


    Ich wollte gerade aufstehen, um nach meinem Freund zu schauen, als die Zimmertür aufschwang und eine Frau mittleren Alters den Raum betrat.

    Bei meinem Anblick weiteten sich ihre Augen vor Überraschung und sie quiekte: "Du bist wach!"


    Sie machte ein paar schnelle Schritte auf mich zu und blieb dann, sich sichtlich unsicher fühlend, in der Zimmermitte stehen. "Wie fühlst du dich?" Ihre Stimme wirkte warmherzig und der zwischen Sorge und Freude schwankende Blick hatte etwas Mütterliches.

    "Ganz gut." Bei dem rauen Klang meiner eigenen Stimme zuckte ich innerlich zusammen und versuchte, mich zu räuspern, was sich in meinem Hals anfühlte, als wollte ich Glasscherben hochwürgen.

    Während ich rätselte, was mit mir passiert war, ließ Erleichterung das Gesicht der Fremden aufleuchten. "Ein Glück! Als ich dich im Eklamata-Gebirge fand, hattest du hohes Fieber..."


    Ich zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe.

    Fieber?

    Mir war nicht einmal aufgefallen, dass ich krank gewesen war...


    Sicher, ich war erschöpft gewesen, aber das hatte ich auf Hunger, Kälte und Überanstrengung geschoben.

    Ich musste besser auf mich aufpassen, wenn ich nachhause zurückkehren wollte!


    "Hast du mich gepflegt?", fragte ich mit einem dankbaren Lächeln auf den spröden Lippen.

    Die Frau nickte und erklärte: "Nachdem ich dich gefunden hatte, fühlte ich mich irgendwie für dich verantwortlich."

    "Danke. Ich stehe tief in deiner Schuld", stellte ich fest, aber mein Gegenüber winkte ab. "Dir nicht zu helfen, hätte schlechtes Karma bedeutet."

    Bevor ich nachfragen konnte, was Karma sein sollte, wirbelte die Frau herum und verkündete: "Du musst wieder zu Kräften kommen. Ich hole dir ein wenig Suppe. Trink in der Zwischenzeit etwas Yak-Milch. Sie wird dich stärken."


    Meine Retterin hatte kaum das Zimmer verlassen, als Fluffy auf mich zugeschossen kam. Auf seinem Kopf hatte sich eine Schneeschicht gebildet und ich fragte mich, ob er bei Eintreten der Frau nach draußen geflüchtet war, um nicht von einem Menschen gesehen zu werden.

    "Du bist wieder wach!", jubelte er, nur um mich im nächsten Atemzug zu tadeln: "Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!"

    "Tut mir leid", entschuldigte ich mich. "Wie lange war ich ohne Bewusstsein?"

    "Du hast fast drei Wochen im Fieberkoma gelegen!" In Fluffys Augen war noch immer ein Schatten der Sorge, die er offenbar während der letzten Tage ausgestanden hatte, zu sehen.


    Drei Wochen?!

    Ich war mir sicher, dass ich mich verhört haben musste, doch bevor ich nochmal nachfragen konnte, kam die Frau von zuvor zurück.


    Sie hatte sich einen orangefarbenen Stoff über die Schulter geworfen und trug eine große Schüssel mit würzig riechender Suppe in den Händen.

    Mein Magen rumpelte erfreut, während Fluffy sich flugs unter der Bettdecke versteckte.


    Ich nahm die dampfende Schüssel aus lasiertem Ton mit einem dankbaren Lächeln entgegen und setzte sie sogleich an die Lippen, um das Knurren in meinem Bauch zu besänftigen. Die aus verschiedenem Wurzelgemüse, Kräutern und kleinen Fleischbröckchen bestehende Suppe schmeckte herrlich und schien sogar ein wenig gegen meine Halsschmerzen zu helfen.


    "Danke dir... äh... Ich schulde dir so viel und weiß nicht mal, wie du heißt." Ich stellte die leer getrunkene Schüssel auf das Kästchen neben dem Bett und ließ mir von meiner Pflegerin den Becher Yak-Milch aufdrängen.

    "Mein Name ist Laki", antwortete sie, während sie mich mit einer Geste zum Trinken aufforderte.

    "Ich heiße Ark", stellte ich mich ebenfalls vor, bevor ich fragte: "Wo bin ich hier eigentlich?"

    "In Lhasa", erklärte Laki, auch wenn mir diese Antwort nicht wirklich half.


    Danach verfielen wir für eine Weile in Schweigen, bis Laki sagte: "Lord Kumari, unser Oberhaupt, möchte bei Gelegenheit mit dir sprechen. Aber lass dir ruhig Zeit, bis du vollends genesen bist. Wenn du bis dahin irgendetwas brauchst, zögere bitte nicht, danach zu fragen."


    Plötzlich schien ihr der Stoff auf ihrer Schulter wieder einzufallen: "Hier, das ist übrigens für dich." Als sie das Teil vor mir in die Luft hielt, erkannte ich es endlich als eine schwere Mönchskutte aus dickem Wollgarn.

    Erst jetzt fiel mir auf, dass meine alten Kleider nur noch Lumpen waren und in Fetzen an meinem Körper hingen.

    Offenbar hatte ich beim Kampf gegen den Morph-Dämon mehr abbekommen als ich gedacht hatte.

    Laki quittierte meine Dankesbekundung mit einem Lächeln, legte die Kutte aufs Fußende des Bettes und verließ das Zimmer.


    Unter ihrer Pflege verbrachte ich noch ein paar Tage im Bett, bis ich mich wieder gesund und kräftig genug fühlte, um aufzustehen.

    Bevor ich mich auf den Weg in Lord Kumaris Meditationskammer machte, ließ ich mir von Laki eine Schüssel Wasser und eine Rasierklinge bringen, um endlich den struppigen Vollbart aus meinem Gesicht zu entfernen.

    Als Laki meine nackten Wangen sah, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung, da sie mich offenbar für deutlich älter gehalten hatte als ich tatsächlich war.


    Dann machte ich mich auf den Weg zu Lord Kumari und nutzte diese Gelegenheit, um mir Lhasa ein bisschen genauer anzuschauen. Abgesehen von meiner Kammer und dem kleinen, durch mein Fenster sichtbaren Ausschnitt des häufig durch dunkle Schneewolken verhangenen Himmels hatte ich noch nichts von der Ortschaft gesehen.

    Ich war neugierig, wie die erste Menschensiedlung, die ich hier in der Oberwelt besuchen durfte, wohl aussehen mochte.


    Wie sich herausstellte, handelte es sich bei Lhasa jedoch um kein Dorf im klassischen Sinne, sondern viel mehr um eine Art Kloster oder Tempelsiedlung.

    Die verschiedenen Gebäude waren direkt in das Gestein eines großen Berges gehauen und mir buten Fahnen und Girlanden geschmückt worden wie bei einem Fest. Die verblichenen Farben und die ausgefransten Ränder der allgegenwärtigen Flatterbänder verrieten jedoch, dass es sich hierbei um einen dauerhaften Dekor handelte.

    Ich kam an einigen Kindern vorbei, die sich lachend gegenseitig mit Schneebällen bewarfen und grüßte eine Gruppe kahlrasierter Mönche, die in die gleichen orangeroten Roben gehüllt waren wie ich.


    Da Lhasa nicht groß war, hatte ich meinen Rundgang allerdings schnell beendet und so stand ich nur weninge Minuten nachdem ich meine Kammer verlassen hatte vor einem erstaunlich jung wirkenden, im Lotussitz hockenden Mann, der das spirituelle Oberhaupt Lhasas sein sollte.

    "Es tut gut zu sehen, dass du wieder vollständig genesen bist." Lord Kumari hatte eine ruhige, leise Stimme und auf sein Gesicht wirkte freundlich und entspannt. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber irgendetwas an diesem Mann gab mir das Gefühl, dass er über mir und allem Weltlichem stand.

    Er wirkte erhaben, ohne dabei arrogant zu erscheinen.


    "Das verdanke ich nur Laki", strich ich heraus und Lord Kumari nickte wissend. "Sie hat sich wirklich rührend um dich gekümmert, aber deine Gesundung ist nicht allein ihr Verdienst. Dein Körper ist stark, ebenso wie dein Geist."

    Ich blinzelte mein Gegenüber etwas irritiert an. Woher wollte er das wissen? Wir kannten uns doch überhaupt nicht!

    Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass Lord Kumari diese Worte einfach nur so dahin gesagt hatte. Er schien sie vollkommen ernst zu meinen.


    Mich deswegen ein wenig unwohl fühlend fragte ich: "Äh... ja, kann sein. Aber verratet mir doch lieber, weswegen Ihr mich sprechen wolltet."

    Für den Bruchteil einer Sekunde schien Amüsement über Kumaris Gesicht zu flackern, aber seine Miene kehrte so schnell zu dem sanften Lächeln von zuvor zurück, dass ich mir nicht sicher war, ob ich mir dies womöglich doch nur eingebildet hatte.


    "Ich gebe zu, dass ich dich einfach nur kennenlernen wollte", gestand mein Gesprächspartner. "Als Laki dich hierher brachte, habe ich sofort gespürt, dass du etwas Besonderes bist, Ark." Ich war nicht verwundert, dass Lord Kumari meinen Namen kannte, obwohl ich mich nicht vorgestellt hatte. Laki musste ihn ihm verraten haben.

    Wobei es mich auch nicht überrascht hätte, wenn dieser sonderbare Mann, der mir gegenüber auf einem kleinen Podest saß, einfach gespürt hätte wie ich hieß...


    Doch bevor Lord Kumari ins Detail gehen konnte, warum er mich für interessant oder außergewöhnlich hielt, betrat ein Mönch die Stube. Er verneigte sich vor Kumari und mir und sagte: "Ma-Jo ist eingetroffen und möchte mit Euch sprechen, Meister. Soll ich ihn bitten, zu warten?"

    Kumari warf mir einen nachdenklich wirkenden Blick zu und antwortete dann: "Nein. Sag ihm, ich werde ihn jetzt empfangen."


    Der Mönch verbeugte sich erneut und huschte wieder aus dem Raum. Da ich davon ausging, dass unser Gespräch nun zugunsten eines wichtigeren Anliegens beendet war, neigte ich ebenfalls den Kopf vor dem Anführer Lhasas und schickte mich an zu gehen, doch Lord Kumari hielt mich zurück: "Warte, Ark. Lass uns gemeinsam hören, was Ma-Jo auf dem Herzen hat."


    Kurz darauf trat ein alter Mann mit schütterem, weißem Haar und ebenso farblosem Bart ein. Er erzählte von seiner Enkelin Mei-Lin, die bis vor kurzem mit ihren Eltern im entfernten Luran gelebt hatte. Doch dann war ein Krieg über die Wüstenstadt herein gebrochen und hatte die meisten Bewohner ausgelöscht.

    Nun war Mei-Lin, die den Tod ihrer Eltern nicht verwinden konnte, fortgelaufen und Ma-Jo glaubte, sie sei in die Ruinen von Luran zurückgekehrt.


    Lord Kumari warf mir einen Blick zu, sobald Ma-Jo seine Schilderungen beendet hatte, und verkündete, es sei Schicksal, dass der alte Mann ausgerechnet an dem Tag hier auftauchte, an dem ich endlich genesen war.

    Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, stimmte ich zu und machte mich auf den Weg nach Luran, das im Nordosten in der Wüste Gobi liegen sollte.


    Doch als ich die Stadt schließlich fand, staunte ich nicht schlecht!

    Luran sah ganz und gar nicht aus wie eine vom Krieg gebeutelte Stadt!

    Gebäude und Straßen waren in tadellosem Zustand und die Menschen waren unbekümmert, aufgeschlossen und freundlich.


    Hatte Ma-Jo etwas falsch verstanden?


    Ich fragte mich zu Mei-Lins Haus durch, wobei ich auf einen alten Herren namens Tem-Jin traf, der mich fragte, was er nach seinem Tod mit seinem Reichtum machen solle.

    Irritiert darüber, dass er mir - einem Wildfremden - eine solche Frage stellte, scherzte ich, er solle das Geld doch einfach mit ins Grab nehmen, was Tem-Jin für eine fabelhafte Idee hielt.

    Seltsamer Kauz...


    Ich fand Mei-Lin schließlich in ihrem Zimmer, wurde aber recht unterkühlt empfangen. Aus irgendeinem Grund schien das Mädchen etwas gegen meine Anwesenheit zu haben...

    Doch immerhin schien es der Kleinen gut zu gehen, daher beschloss ich, im Gasthaus zu übernachten, bevor ich nach Lhasa zurückkehren und Ma-Jo die Situation erklären wollte.


    Aber dann kam alles ganz anders...


    "Ark! Wach auf, Ark!"

    Fluffys Stimme riss mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf und sofort stieg mir der Gestank von vergammeltem Fleisch in die Nase.

    Das Hotelzimmer, das zuvor in bestem Zustand gewesen war, wirkte plötzlich heruntergekommen und kaputt.

    Was war hier bloß los?!


    Ich folgte Fluffy ins Foyer und stieß einen kleinen Schrei aus, als ich die Wirtin erblickte: Was zuvor eine junge, hübsche Frau gewesen war, war nun eine halb verfaulte Leiche!


    Und dasselbe galt auch für die anderen Bewohner Lurans...


    Von Sorge getrieben kämpfte ich mich zu Mei-Lins Zimmer zurück, doch alles, was ich dort fand, war das Halstuch des Mädchens.

    "Hatte Mei-Lin nicht einen Hund? Vielleicht kann er sein Frauchen finden, wenn du ihn an dem Tuch schnüffeln lässt", schlug Fluffy vor.


    Also durchkämmte ich die Ruinen Lurans auf der Suche nach Mei-Lin oder ihrem Hund Deppi.

    Letzteren fand ich schließlich auf einem Friedhof im Osten der Stadt - genauso wie Tem-Jins Grab, aus dem tatsächlich ein Sack voll Gold hervorlugte.

    "Das ist nur ein gruseliger Zufall, nicht wahr?!" Ich warf Fluffy einen verunsicherten Seitenblick zu, den dieser mit einem Achselzucken beantwortete. "Zufall oder nicht, ich würde das Geld mitnehmen."

    Nervös blickte ich mich um, ob untote Zeugen in der Nähe waren, dann schnappte ich mir schnell den Geldbeutel und verstaute ihn in meiner Truhe.


    Danach ließ ich Deppi an Mei-Lins Halstuch schnüffeln.

    Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass dies funktionieren würde, aber Deppi brachte mich tatsächlich zu Mei-Lin, die sich in einem verfallenen Lagerhaus versteckt hatte.


    Bei meinem Anblick wurde sie sehr wütend und beschimpfte mich, ich sei der Grund, warum sie nun nicht mehr mit ihren Eltern zusammen sein könne.

    Ganz schlau wurde ich aus diesem Gezeter nicht, aber ich konnte mir zusammenreimen, dass das Mädchen in der Lage dazu war, Illusionen zu erschaffen.

    Auf diese Weise hatte es das Vorkriegs-Luran am Leben erhalten, doch mein Auftauchen hatte irgendwie dazu geführt, dass die Illusion in sich zusammengefallen war.


    Vermutlich wäre das Gekeife noch eine ganze Weile so weitergegangen, wäre nicht plötzlich die Stimme von Mei-Lins Mutter erklungen.

    Diese erklärte ihrer Tochter, dass sie und ihr Mann kurz davor standen, wiedergeboren zu werden, und versprach, dass sie alle sich wiedersehen würden.


    Dies beschwichtigte Mei-Lin und sie ließ sich von mir zurück zu ihrem Großvater bringen.

    Zum Dank riet dieser mir, durch die Wüste Taklama nach Westen zu reisen.

    Den Weg durch die todbringende Wüste würden mir die an ihrem Rand lebenden Nomaden verraten, versprach Ma-Jo.





    Fortschritt:


    Lvl 21*

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen


    *Luran ist einer meiner Lieblingsplätze, um zu grinden!

  • Arks Tagebuch Part 9


    "Westlich bis zu den drei großen Steinen, dann südlich, bis ich wieder Felsen erreiche. Danach nordwestlich bis zu den zwei Schädeln und zum Schluss nach Norden, bis ich den Riesenschädel am Rand der Wüste sehen kann." Ich murmelte die Wegbeschreibung, die mir die Nomaden gegeben hatten, unablässig vor mich hin, damit ich kein wichtiges Detail vergaß.

    Die Taklama-Wüste war der reinste Brutofen und ich verstand sehr schnell, warum er bei den Nomaden noch einen anderen Namen hatte: die Todeswüste!

    Wer sich in diesem endlos wirkenden Sandmeer verirrte, war zweifelsfrei verloren!


    Da die sengende Hitze bei Tage nicht auszuhalten war, reiste ich während der Wüstendurchquerung ausschließlich bei Nacht, was neben den kühleren Temperaturen den Vorteil hatte, dass ich mich an den Gestirnen orientieren konnte und so nicht Gefahr lief, endlos im Kreis zu wandern.

    Bei Anbruch der Dämmerung suchte ich mir Schutz im Schatten eines Felsens oder im Inneren eines verlassenen Tierbaus.

    Leider konnte oder vielmehr wollte ich den hier lebenden Wesen keine Gesellschaft leisten. Während meines kurzen Aufenthalts im Nomandenlager hatte ich leider feststellen müssen, dass meine Fähigkeit, mit Fauna und Flora sprechen zu können, genauso plötzlich wieder verschwunden war, wie sie gekommen war.

    Daher hielt ich mich nun von Wildtieren lieber fern hielt, aus Angst, ihnen nicht begreiflich machen zu können, dass ich ihnen nichts Böses wollte.

    Ich fragte mich, ob der Verlust dieser Fertigkeit etwas mit der Rückkehr der Menschheit oder mit meiner zurückliegenden Erkrankung zu tun hatte...


    Nach einigen Tagen des unablässigen Wanderns wurden Vegetation und Klima zum Glück wieder freundlicher und ich konnte die Wüste hinter mir lassen. Dennoch war es noch immer ein langer Weg bis zur nächsten Siedlung, die ich nach wochenlanger Reise endlich in einem Land namens Frankreich fand.

    Loire war ein kleines, verträumtes Satellitdorf, das in der Nähe eines prächtigen, auf einer Flussinsel errichteten Schlosses entstanden war. Die Menschen, die ich auf den ungepflasterten Wegen traf, waren freundlich und begegneten mir aufgeschlossen, obwohl ich ein Fremder für sie war.


    Ich streifte für eine Weile ziellos im Dorf umher, wobei ich Marcel, den Maler, traf, der mich mit seinen Gemälden schwer beeindruckte. Ich selbst bekam kaum einen geraden Strich aufs Papier!

    Zudem lernte ich auch noch Luis, den Trunkenbold Loires kennen, der mir vom Wein beseelt sein Herz ausschüttete.

    Leider konnte ich seiner Geschichte nur schwer folgen, was nicht nur an der lallenden Vortragsweise lag... Alles, was ich der verworrenen Erzählung entnehmen konnte, war, dass Luis früher einmal Soldat im Dienste des Königs und im Besitz eines einzigartigen Gegenstands gewesen war. Diesen hatte dann aber eines Tages der König für sich beansprucht und dadurch war es irgendwie zu einem nicht näher definierten Unglück gekommen, für das Luis sich noch immer die Schuld gab - was der Grund für seinen übermäßigen Alkoholkonsum war.

    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, doch glücklicherweise legte Luis, kaum dass er geendet hatte, seinen Kopf auf den Tisch vor sich und schlief laut schnarchend ein.


    Des Weiteren hörte ich während meines Dorfrundgangs einige Gruselgeschichten über den Norfesta-Wald im nördlich gelegenen Skandia. Angeblich war dieser Wald verflucht und von Geistern bewohnt und wer sich einmal zwischen die dunklen Baumreihen wagte, verlief sich augenblicklich und kam niemals mehr zurück...

    Zum Abschluss meiner Besichtigungstour kaufte ich mir beim örtlichen Händler eine neue Waffe, eine wunderschöne Lanze mit einer versilberten Spitze, bevor ich das Gasthaus aufsuchte.

    Ich war müde und hungrig und freute mich darauf, Tem-Jins Erspartes für ein heißes Bad und ein bequemes Bett auszugeben!


    Sobald ich über die Schwelle der Gaststätte getreten war, packte mich der Wirt auf der Hand, schleifte mich zu einem Tisch und rief nach seiner exotisch aussehenden Angestellten, die mir Wein brachte und mit einem wild umher wirbelnden Tanz für Unterhaltung sorgen sollte.

    Ich staunte nicht schlecht über diesen Service, bis der Wirt mir offenbarte, was er für dieses Angebot haben wollte: 1.000.000 Goldstücke!

    Und der Verrückte war auch noch der Meinung, ich wäre dazu verpflichtet, diesen Preis zu entrichten, da ich einen Teil der Leistung bereits erhalten hatte.

    "Du hast jawohl nicht mehr alle Latten am Zaun, Kollege", stellte ich fest. "Einem verschlagenen Halunken wie dir zahle ich überhaupt nichts - da schlafe ich lieber in der Gosse!"

    Ich wollte die Stube verlassen, aber der Wirt stellte sich mir in den Weg und rief: "Los! Zahle!"


    Gerade als ich überlegte, wie ich aus der Situation wieder herauskommen sollte, ohne Gewalt anzuwenden, schwang die Eingangstür mit einem lauten Krachen auf und eine Person mit langem, feuerrotem Haar betrat den Raum. Der Neuankömmling trug einen blank polierten Brustharnisch und ein Kurzschwert, das bei jeder Bewegung leise klapperte, wenn sein Heft gegen den metallbeschlagenen Rand der Schutzscheide schlug.

    "Ein Soldat", schoss es mir im ersten Moment durch den Kopf, doch dann sah ich genauer hin und staunte nicht schlecht: bei der Person handelte es sich nicht um einen Mann, sondern eine Frau!


    Die Kriegerin durchbohrte den Wirt, der vor meinen Augen in sich zusammen zu schrumpfen schien, mit einem eiskalten Blick und fragte in herrischem Ton: "Ich habe einen Streit gehört. Was ist hier los?"

    Es war unzweifelhaft klar, dass diese Frau es gewohnt war, andere herum zu kommandieren. Ich fragte mich, ob sie eine Befehlshaberin in der Armee des Königs war.

    Der Wirt beeilte sich zu antworten, wobei er sich gleich mehrfach verhaspelte: "Lady Fyda, welch eine Ehre, Euch in meinem Etablissement begrüßen zu dürfen! H-Hier ist gar nichts los, wirklich! Ihr müsst Euch verhört haben, meine Teure!"

    "Pfft!" Ich rollte genervt und ungläubig mit den Augen. War dieser Typ zu fassen?!


    Lady Fydas stechendblauer Blick wanderte zu mir herüber. "Bist du da anderer Meinung, Fremder?"

    "Allerdings!" Ich berichtete von dem Versuch des Wirtes, mich über den Tisch zu ziehen, was die Rothaarige resigniert den Kopf schütteln ließ.

    Dann wandte sie sich wieder dem Wirt zu. "Du lernst es einfach nicht, oder? Zur Strafe wirst du..." Ihre Augen huschten fragend zu mir zurück und ich nannte ihr meinen Namen. "Zur Strafe wirst du Ark kostenfrei hier wohnen lassen, solange er möchte. Wenn nicht, werde ich ein Wort mit dem König über dich sprechen. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

    Der Wirt ließ den Kopf hängen und stieß ein kleinlautes "Ja..." aus.


    Zufrieden mit sich selbst schickte Fyda sich an, das Wirtshaus wieder zu verlassen, doch anstatt ins Freie zu treten, blieb sie im Türrahmen stehen und sah erneut zu mir herüber. "Irgendwie kommst du mir bekannt vor. Haben wir uns schon einmal getroffen?"

    "Nein, niemals", versicherte ich, was die Grübelfalte zwischen Fydas zusammengezogenen Augenbrauen noch vertiefte.

    Sie schien einen Moment abzuwägen, ob sie mir glauben konnte, und wechselte zu meiner großen Überraschung dann das Thema: "Wie auch immer. Der König sucht einen Gemahl für die Prinzessin. Du scheinst im richtigen Alter zu sein. Werde morgen im Palast vorstellig!"

    Bevor ich einwenden konnte, dass ich nicht daran interessiert war, irgendeine Königstochter zu ehelichen, hatte Fyda den Raum bereits verlassen und die Tür ebenso krachend ins Schloss geworfen wie sie sie zuvor aufgestoßen hatte.


    Als ich kurz darauf frisch gebadet und rasiert in einem der weichen, mit Daunen gefütterten Gastbetten lag, fragte Fluffy, der es sich in meiner auf einem Schemel zusammengefalteten Kleidung gemütlich gemacht hatte: "Du bewirbst dich doch morgen nicht wirklich als Hochzeitskandidat, oder?"

    "Das fiele mir im Traum nicht ein", bestätigte ich, räumte dann aber ein: "Allerdings habe ich den Eindruck, dass es keine gute Idee wäre, diese Lady Fyda gegen mich aufzubringen. Deswegen werde ich morgen trotzdem zum Palast gehen."

    Fluffy machte ein unglückliches Gesicht, versuchte aber nicht, mich umzustimmen.


    Und so fand ich mich am darauffolgenden Tag im zweiten Stock des Loire-Schlosses wieder, wo mich eine gelangweilt wirkende Palastwache anblaffte: "Bist du hier, um dich als Hochzeitskandidat für die Prinzessin zu bewerben?"

    Als ich erklären wollte, dass ich eigentlich gekommen war, um mit Lady Fyda zu sprechen, schnitt mir der Soldat grob das Wort ab: "Nimm im Raum rechts Platz. Du wirst dann aufgerufen."


    Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend tat ich wie mir geheißen und wäre am liebsten sofort rückwärts wieder aus dem Zimmer gegangen.

    Um einen langen Tisch herum standen diverse Männer, die sich lautstark über die Prinzessin unterhielten als wäre sie eine Stute auf dem Pferdemarkt...

    Angewidert verzog ich mich in eine ruhige Ecke, wo ich dem Blick eines anderen Mannes begegnete, der sich ebenfalls von der sabbernden Meute abgesetzt hatte. Er war hochgewachsen, hatte schulterlanges, wallendes, blondes Haar und trug eine reich verzierte Paraderüstung.

    Kurz: er sah aus wie ein eitler Pfau!


    Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er zu mir herüberkam, sich als Roy vorstellte und dann einen abschätzenden Blick über meine abgewetzte, von meiner langen Wanderung gezeichnete Mönchskutte wandern ließ. "Na, du hast dich aber wirklich herausgeputzt, um die Prinzessin zu beeindrucken... Gut, dass du sowieso nie eine Chance gegen mich gehabt hättest!"

    "Ach ja?" Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und sah Roy gleichmütig an. Was so ein daher gelaufener Schnösel von mir dachte, konnte mir gar nicht egaler sein!

    "Natürlich! Die Prinzessin ist die Erbin dieses Reiches. Sie braucht einen Gemahl, der intelligent, eloquent sowie stark ist und repräsentabel aussieht. Mit anderen Worten: mich!" Roy grinste breit und entblößte dabei makellos weiße Zähne.

    "Sich auf zehn verschiedene Weisen selbst beweihräuchern zu können, bedeutet nicht, dass man eloquent ist", wandte ich gelangweilt ein, was mein Gegenüber in schallendes Gelächter ausbrechen ließ. "Eines muss man dir lassen, Kleiner: Humor hast du! Aber der wird dir auch nichts bringen."


    Ich öffnete gerade den Mund, um Roy zu sagen, dass er die Klappe halten und mich in Ruhe lassen sollte, als die Palastwache von zuvor im Türrahmen auftauchte und den Blick über die verschiedenen Gesichter wandern ließ, bis er an mir hängen blieb: "He, du da, Rotschopf! Du hast offenbar gute Chancen - du darfst dich der Prinzessin zuerst vorstellen!"

    Die Überraschung stand Roy ins Gesicht geschrieben, aber er wünschte mir dennoch Glück, wobei er es sogar halbwegs bewerkstelligte, aufrichtig zu klingen. Ich nickte ihm knapp zu und folgte dem Soldaten dann in den Thronsaal...


    ... wo ich den Schock meines Lebens bekam!


    Am Kopfende des langgezogenen Raumes befand sich ein niedriges, durch wenige Stufen erreichbares Podest, auf dem zwei wuchtige Thronsessel standen. Rechts hatte der König, ein allmählich ergrauender Mann mit einem beeindruckenden Wohlstandsbauch, Platz genommen und links saß... Melina!

    Ich kniff mir unauffällig in den Oberschenkel, um sicherzugehen, dass ich nicht träumte. Sie sah genauso aus wie ich sie in Erinnerung hatte und mein Herz schlug mir vor Freude bis zum Hals!


    Aber was machte sie hier?

    Und wieso spielte sie Prinzessin?


    Ohne über Etikette oder darüber, wie mein Benehmen nach außen aussehen musste, nachzudenken, stürzte ich zu meiner Freundin herüber, ging vor ihr auf die Knie und nahm ihre Hände in meine. Das kollektive Nachluftschnappen, das daraufhin durch den Raum ging, ignorierte ich geflissentlich.

    "Melina! Ich bin so froh, dich wiederzusehen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermisst habe!"

    Ich wollte sie auf den Handrücken küssen, aber Melina entriss mir ihre Hände und sah mich mit einem seltsamen zwischen Ärger, Irritation und Furcht schwankenden Blick an.


    Es war, als kannte sie mich überhaupt nicht...

    Was war hier nur los?


    Das Klirren von Metall auf Metall verriet, dass einige Soldaten im Anmarsch waren, um mich notfalls mit Gewalt von ihrer Prinzessin weg zu reißen, aber Fyda hob eine Hand und es wurde wieder still im Saal. Dann wandte die Rothaarige sich an mich: "Du solltest zuerst dem König deine Aufwartung machen!"

    Ich nickte wie in Trance und hievte mich wieder auf die Füße, während mein Geist verzweifelt versuchte, die Situation zu begreifen.


    Der König maß mich mit einem missbilligenden Blick, schien aber überraschenderweise noch immer bereit zu sein, mich als Hochzeitskandidaten in Betracht zu ziehen.

    Auf seine Aufforderung hin erklärte mir ein Diener das Auswahlverfahren: Prinzessin Melina hatte nach einem traumatischen Erlebnis in ihrer Kindheit ihre Stimme verloren und wer sie wieder zum Sprechen bringen konnte, würde als Preis ihre Hand in der Ehe erhalten.


    Meine Augen wanderten zurück zu der Königstochter.

    Sie sah aus wie eine Kopie meiner Freundin und sogar ihr Name war gleich, aber in ihrem Gesicht war keine Spur des Wiedererkennens. Für diese Frau war ich ein vollkommen Fremder...


    Dennoch beschloss ich in diesem Moment, nach einem Heilmittel für die Stummheit der Prinzessin zu suchen.

    Sie mochte zwar nicht meine Melina sein, aber dennoch fühlte ich mich durch ihre Ähnlichkeit zu meiner Freundin irgendwie mit ihr verbunden. Es war ein bisschen so, als wäre sie die kleine Schwester meiner Geliebten; ich fühlte mich für sie verantwortlich und wollte sie beschützen.


    Also hörte ich mich unter den Schlossbewohnern und den Bürgern Loires um, ob irgendjemand mehr über das Trauma der Prinzessin wusste. Ich dachte, wenn ich die Ursache des Stimmverlusts herausfinden könnte, dann fiele mir auch eine Therapiemöglichkeit ein.

    Wie sich dabei herausstellte, war Melina nicht die leibliche Tochter des Königs, sondern die einzige Überlebende des sogenannten Storkholm-Massakers - eben jenes Unglücks, für das Luis der Trinker sich verantwortlich fühlte.


    Nach und nach setzte ich mir zusammen, dass Storkholm, der Geburtsort der Prinzessin, im angeblich verfluchten Norfesta-Wald lag und man ein besonderes Artefakt, die Hermesglocke, brauchte, um den Weg dorthin zu finden.

    Dieser Gegenstand sollte sich im Besitz des Königs befinden, doch als ich diesen danach fragte, stritt er alles ab. Es war jedoch offensichtlich, dass er log.


    Ich brauchte also eine Möglichkeit, das Schloss nach der Hermesglocke zu durchsuchen, ohne Gefahr zu laufen, geschnappt zu werden...


    Während ich noch grübelte, wie ich dies anstellen sollte, spielte mir das Glück in die Hände: bei meiner Rückkehr in die Herberge, traf ich auf einen Apotheker, der versprach, mir einen potenten Schlaftrunk zu brauen, wenn ich ihm einen Steinpilz brachte. Diese seltenen Pilze sollten im Mooswald nordöstlich von Loire wachsen.


    Es dauerte eine Weile, bis ich fündig wurde, aber der Apotheker wartete freundlicherweise auf meine Rückkehr und hielt Wort.


    Mit dem Schlaftrunk in der Tasche schlich ich mich anschließend in die Schlossküche und kippte das Mittel in den großen Topf, in dem eine herrlich duftende, für alle Bewohner des Schlosses bestimmte Suppe vor sich hin blubberte.

    Dann versteckte ich mich im Keller, bis die Küchenmägde das Geschirr vom Mittagsmahl wieder in die Küche räumten. Als ich vorsichtig in den Raum lugte, waren Köchin und Hilfskräfte bereits in einen tiefen Schlaf gefallen, genauso wie sämtliche Soldaten.


    Bei meiner Suche nach der Hermesglocke traf ich im Kellerverließ auf einen Dieb namens Rob Wood. Dieser war in den Kerker geworfen worden, weil er dem König Geld gestohlen und dieses unter den armen Leuten Loires verteilt hatte.

    Da ich diese Tat eher nobel als verwerflich fand, half ich ihm bei seiner Flucht.

    Zum Dank verriet mir der edle Dieb mir, dass der König einen besonderen Schatz in einem der Schlosstürme aufbewahren sollte. Diesen konnte man angeblich nur durch eine geheime Tür betreten, die sich im Schlafgemach des Königs befand und von einer goldenen Statue verborgen wurde.


    Also machte ich mich auf den Weg in die Privatgemächer des Königs.


    Unterwegs traf ich jedoch auf die Prinzessin, die beim Mittagsmahl offenbar keinen großen Hunger gehabt hatte. Ich fragte mich, ob sie prinzipiell eine schlechte Esserin oder krank war oder ob ich ihr mit meinem sonderbaren Verhalten von zuvor den Appetit verdorben hatte.

    Als unsere Blicke sich trafen, blieb ich wie angewurzelt stehen und suchte stammelnd nach einer Begründung, warum ich im Schloss umher stromerte, während alle Bewohner schliefen. Zu meiner Überraschung schien dies die Prinzessin jedoch nicht zu interessieren.

    Sie maß mich lediglich mit einem kalten Blick und ließ mich dann, noch immer unzusammenhängendes Zeug brabbelnd, stehen.

    Sie schlug allerdings auch nicht Alarm oder machte die geringsten Anstalten, mich von irgendetwas abzuhalten.


    Irritiert machte ich mich wieder auf die Suche nach der Hermesglocke, die ich kurz darauf tatsächlich an der von Rob Wood beschriebenen Stelle fand.


    Die Glocke im Gepäck machte ich mich auf den Weg in den Norfesta-Wald, wo ich am Wegesrand die Leiche eines Soldaten entdeckte, der mit einem Kettenhemd bekleidet gewesen war, das noch immer gut in Schuss war. Es mochte vielleicht etwas pietätslos sein, aber da ich das Hemd deutlich besser gebrauchen konnte als der Tote, nahm ich es ihm ab und streifte es mir sogleich über den Kopf.

    Dann ließ ich mich von dem leisen Läuten der Hermesglocke immer tiefer in den Wald führen.


    Mit Schrecken musste ich jedoch feststellen, dass die Brücke, die ans andere Ufer des den Wald durchquerenden Flusses führen sollte, völlig zerstört war.

    Nun musste ich einen Weg außen herum finden, ohne mich auf die Glocke verlassen zu können...


    Zu allem Überfluss hatte ich auch noch das Gefühl, verfolgt zu werden, aber das schob ich darauf, dass mir meine Phantasie wegen der Gruselgeschichten, die ich in Loire gehört hatte, einen Streich spielte.

    Zumindest tat ich das, bis hinter mir plötzlich ein spitzer Schrei erklang.


    Ich wirbelte sofort herum und entdeckte einige Fledermausmonster, die eine kleine Person attackierten. Ich beeilte mich, die Ungeheuer zu vertreiben und staunte nicht schlecht, als ich erkannte, wer mir in den Wald gefolgt war.

    "Mei-Lin?! Was machst du denn hier?!" Ich starrte das Mädchen vor mir fassungslos an.

    "Ich wollte bei dir sein." Mei-Lin lächelte zu mir herauf und mir wurde schlagartig übel. Sie war mir den ganzen weiten Weg von Tibet bis nach Skandia gefolgt, weil sie bei mir sein wollte?!

    Das konnte nichts Gutes bedeuten...


    "Weiß Ma-Jo, dass du hier bist?", fragte ich streng.

    "Natürlich!" Mei-Lins Lächeln wurde noch eine Spur breiter. "Großvater hat kein Problem damit."

    Ich glaubte ihr kein Wort, aber ich hatte auch keine Lust, jetzt und hier mit einer Jugendlichen zu diskutieren. Also beschloss ich, Ma-Jo einen Brief zu schreiben, sobald ich wieder in Loire war, und sagte zu seiner Enkelin lediglich: "In Ordnung. Dann komm mit."

    "Juhu! Ich werde dir nicht im Weg sein, versprochen!"


    Tatsächlich war Mei-Lin überraschend gut darin, sich während Kämpfen aus jeder Gefahr herauszuhalten, sodass wir Storkholm ohne größere Probleme erreichten.

    Dort angekommen erlitt mein armes, gebeuteltes Herz jedoch den nächsten Schock: Storkholm sah aus wie eine Kopie Krystas!


    Von diesem Anblick überwältigt, rannte ich auf das erste Haus, das in Krysta das Heim des Dorfältesten gewesen war, zu und rief: "Das gibt's doch nicht!"

    "Was denn?", fragte Mei-Lin neugierig. "Hier sieht's aus wie in meinem Heimatdorf", erklärte ich, aber meine Begleiterin winkte unbeeindruckt ab. "Ach, diese Dörfer sehen doch alle gleich aus."

    "Du verstehst nicht!", herrschte ich sie an. "Diese beiden Dörfer sehen sich nicht nur ähnlich. Sie sind absolut identisch!"


    Mei-Lin öffnete den Mund, um zu antworten, verstummte dann aber, als vom Dorfzentrum aus ein Rudel Wölfe auf uns zu rannte. Zähne fletschend und leise knurrend kreisten die Graupelze uns ein und schienen auf eine falsche Bewegung unsererseits zu lauern.

    Ich wollte wirklich nur ungern Tiere verletzen, die nichts anderes taten als ihr Revier zu verteidigen, daher überlegte ich fieberhaft, wie ich die Wölfe vertreiben konnte, ohne Gewalt anzuwenden. Dann fiel mir zum Glück die Hundepfeife ein, die ich im Wald gefunden hatte.

    Einer Intuition folgend blies ich hinein und zu meiner großen Erleichterung vertrieb das hohe Fiepen die Wölfe tatsächlich.


    Kaum dass die Graupelze sich wieder zurückgezogen hatten, preschte ich los und rannte zu dem Haus, das in Krysta die Weberei war. Ich achtete nicht darauf, ob Mei-Lin Schritt halten konnte oder mir überhaupt folgte.

    Mein Herz schmerzte vor Sehnsucht nach meiner Freundin, während ich vor dem Gebäude stand, das so aussah wie jenes, mit dem ich so viele Erinnerungen verband.

    Für einen Moment war ich versucht, hinein zu gehen und nachzusehen, ob auch das Innere identisch war.

    Vielleicht fand ich dort drinnen ja so etwas wie ein indirektes Andenken an Melina?


    Doch dann schloss Mei-Lin zu mir auf und der Impuls ebbte wieder ab. "Du verhältst dich echt merkwürdig, Ark!", stellte Mei-Lin vorwurfsvoll fest.

    Ich nuschelte ein halbherziges "Tut mir leid", bevor ich meiner Begleiterin erklärte, warum wir überhaupt in Storkholm waren.

    Dass ich der Prinzessin helfen wollte, weil sie meiner Freundin wie aus dem Gesicht geschnitten war, verschwieg ich jedoch. Irgendetwas sagte mir, dass Mei-Lin mich bei diesem Unterfangen lieber sabotiert als unterstützt hätte, hätte sie dies gewusst.

    So half sie mir jedoch dabei, das Dorf nach etwas abzusuchen, das mir dabei helfen könnte, der Prinzessin ihre Stimme zurückzugeben.


    Im Haus des Dorfältesten wurden wir schließlich fündig: ein Familienportrait von Melina und ihren Eltern.

    Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ich sah, dass auch Vater und Mutter der Prinzessin den Eltern meiner Freundin zum Verwechseln ähnlich sahen.

    Das konnte doch kein Zufall mehr sein!?


    Mei-Lin nahm das Gemälde an sich und sagte: "Ich habe eine Idee: Ich werde meine Fähigkeit, Illusionen zu erschaffen, nutzen, um die Eltern der Prinzessin vor ihr erscheinen zu lassen. Vielleicht hilft ihr das, ihr Trauma zu überstehen."

    "Oder es macht alles nur noch schlimmer", wandte ich ein. Irgendwie hatte ich bei diesem Plan ein ungutes Gefühl...

    "Fällt dir etwas Besseres ein?", fragte Mei-Lin herausfordernd, woraufhin ich einräumen musste, dass dies nicht der Fall war.

    "Na also", sagte meine Begleiterin in selbstgefälligem Ton und stellte anschließend klar: "Ich tue das für dich! Aber nur, wenn du schwörst, die Prinzessin anschließend für immer zu vergessen!"


    Ich hatte also recht gehabt...


    Anstatt irgendetwas zu versprechen, antwortete ich: "So funktionieren Gefühle nicht. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen und das war's dann."

    Mei-Lin zog ein trotziges Gesicht. "Also willst du die Prinzessin heiraten, auch wenn ich dir helfe?"

    "Nein. Ich will sie überhaupt nicht heiraten - völlig egal, ob du mir hilfst oder nicht", stellte ich klar. "Trotzdem ist es bescheuert, von einem anderen Menschen zu fordern, eine bestimmte Person zu vergessen."

    Als hätte sie meinen letzten Satz überhaupt nicht gehört, strahlte Mei-Lin mich plötzlich mit einem breiten Lächeln an. "In Ordnung. Ich helfe dir! Aber ich brauche etwas Vorbereitungszeit. Wir treffen uns morgen im Schloss!"


    Der König wirkte hoch erfreut, als ich am nächsten Abend wieder bei ihm vorstellig wurde - allerdings nur so lange, bis Mei-Lin, die sich im Vorraum zum Thronsaal versteckt hielt, ihre Illusion erschuf. Beim Anblick von Melinas Eltern wurde nicht nur die Prinzessin leichenblass.

    Mit weit aufgerissenen Augen starrte der König die beiden plötzlich aufgetauchten Personen an und stammelte: "Das... das kann nicht real sein! Ihr seid tot! Ich weiß es! Ich ließ euch hinrichten!"


    Bei diesem Geständnis wirbelte Melina mit einem mörderischen Ausdruck in den Augen zu ihm herum, doch die Illusionen ihrer Eltern lenkten sie wieder ab.

    Zum Glück ging Mei-Lin sensibler vor als ich befürchtet hatte und versuchte gar nicht erst, den Anschein zu erwecken, diese Erscheinung sei real. Sie ließ Melinas Mutter erklären, sie seien ein Traum, während der Vater seine Tochter bat, ihn noch einmal ihre Stimme hören zu lassen.


    Und tatsächlich!


    Melina öffnete den Mund und flüsterte: "Vater... Mutter...", bevor sie einen erstickten Schrei ausstieß und weinend zusammenbrach.


    Bei diesem Anblick bereute ich es sogleich, mich auf Mei-Lins Plan eingelassen zu haben... Ich hatte doch gleich gewusst, dass es Melinas Trauma schlimmer machen konnte.

    Warum nur hatte ich mich überreden lassen?!


    Fyda war sofort an Melinas Seite und versuchte, die aufgelöste Prinzessin zu beruhigen.

    Davon bekam ich jedoch nur sehr wenig mit, weil der König, der seinen Schock inzwischen ein wenig überwunden hatte, mich im hohen Bogen aus dem Schloss werfen ließ.


    Mei-Lin, die ich im Gasthaus wiedersah, wirkte außerordentlich zufrieden mit sich und forderte, dass wir unseren Erfolg mit einem Festmahl feiern sollten. Sie hatte bereits die halbe Karte bestellt, da sie spitz bekommen hatte, dass der Wirt mir aus Angst vor Fyda nichts berechnete.

    Ich war jedoch dermaßen frustriert, dass ich schnurstracks ins Bett ging, wo ich in einen unruhigen Schlaf fiel.


    Ich träumte von meinem Ziehvater, der mich aufforderte, nach Süden weiterzuziehen, da dort jemand auf mich warten sollte, der meine Hilfe brauchte...





    Fortschritt:


    Lvl 22

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (1/3)

  • Arks Tagebuch Part 10


    Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zimmer kam, traf ich im Flur auf die Wirtin, die gedankenverloren wirkend aus dem Fenster starrte. Bei dem Geräusch meiner ins Schloss fallenden Zimmertür zuckte sie heftig zusammen, obwohl ich darauf geachtet hatte, sie leise zu schließen.

    "Pass auf, wenn du nach draußen gehst." Die Wirtin wandte sich zu mir um und sah mich eindringlich an. Sie war blass wie eine Leiche und hatte offensichtlich vor irgendetwas Angst. Mir stellten sich bei diesem Anblick die Nackenhaare auf und ich spürte, wie sich mein Körper unwillkürlich anspannte und in Kampfbereitschaft versetzte.


    "Was ist passiert?" Ich trat neben sie ans Fenster und versuchte, die Gefahr auszumachen, aber für mich sah alles normal und friedlich aus. Möglicherweise waren mehr Menschen als sonst auf den Straßen, aber abgesehen davon konnte ich keinen Unterschied zu den zurückliegenden Tagen entdecken.

    "Der König wurde heute Nacht ermordet", erklärte die Wirtin und nestelte nervös am Saum ihrer Schürze, während ich daran denken musste, wie Prinzessin Melina ihren Adoptivvater angesehen hatte, als dieser während Mei-Lins Illusion offenbart hatte, dass er für die Hinrichtung ihrer leiblichen Eltern verantwortlich war.

    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügte die Wirtin an: "Es heißt, die Prinzessin habe es getan. Jedenfalls ist sie seit dem Mord spurlos verschwunden, genauso wie ihre Leibwächterin Lady Fyda,"


    Ich bemühte mich, ein überraschtes Gesicht zu machen, obwohl ich mich nicht so fühlte und fragte: "Was wird nun aus Loire werden?"

    "Ich weiß nicht", flüsterte die Wirtin und holte anschließend tief Luft. In Gedanken das Wenige, das ich über die königliche Familie wusste, im Kopf durchgehend fragte ich: "Wer wird den Thron erben? Melina war König Olafs einziges Kind, oder?"

    Die ältliche Frau neben mir nickte und ich erkannte endlich, warum sie derart besorgt war. Die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen versicherte ich ihr: "Die Bürger von Loire sind gute Menschen. Sie werden sich nicht plötzlich in einen Haufen unzivilisierter Wilder verwandeln und marodierend durch die Straßen ziehen, bloß weil sie keinen König mehr haben."

    Die Wirtin wirkte nicht überzeugt, schenkte mir aber trotzdem ein schwaches Lächeln und ich bildete mir ein, dass sie ein kleines bisschen weniger besorgt wirkte als zuvor.


    "Schläft Mei-Lin noch?", wechselte ich das Thema und nickte mit dem Kinn in Richtung des zweiten Gästezimmers. Die Wirtin stieß gut hörbar Luft aus der Nase aus. "Ich hab sie heute Morgen jedenfalls noch nicht gesehen. Vermutlich liegt sie noch immer im Fresskoma."

    Ich konnte nicht den Finger darauf legen, warum ich mich für Mei-Lins Verhalten verantwortlich fühlte, dennoch bot ich an: "Ich werde für das Essen sowie unsere Zimmer bezahlen - solange dein Mann nicht wieder eine derartig utopische Summe verlangt!"

    Zu meiner Überraschung winkte meine Gesprächspartnerin jedoch ab. "Ist schon in Ordnung. Das wird den Alten vielleicht endlich davon überzeugen, es nicht mehr mit krummen Nummern zu versuchen!"


    Nachdem ich noch ein wenig mit der Wirtin geplaudert hatte, bat ich sie um Tinte und Papier und schrieb einen Brief an Ma-Jo, damit er wusste, wo sich seine Enkelin aufhielt. Ich wusste nur nicht, was ich danach mit Mei-Lin machen sollte...

    Ich hatte ganz sicher keine Lust, mich auf eine monatelange Reise zu begeben, um sie zurück nach Tibet zu bringen. Zudem ging mir mein Traum von letzter Nacht nicht aus dem Kopf. Was, wenn er prophetisch gewesen war und ich tatsächlich im Süden gebraucht wurde?

    Aber der Gedanke, Mei-Lin einfach hier in Loire zurückzulassen, drehte mir ebenso den Magen um. Sie war doch noch ein Kind!

    Andererseits hatte sie sich auch ganz alleine bis hierher durchgeschlagen. Offensichtlich konnte sie gut auf sich selbst aufpassen...


    Ich beschloss, einen Spaziergang durch Loire zu machen, um mich von meinem Dilemma abzulenken und den Brief an Ma-Jo abzuschicken.

    Dabei kam ich natürlich auch am Dorfplatz vorbei, wo sich eine Menschentraube gebildet hatte. Es sah aus, als würde ein Bürger eine Art Ansprache für die anderen halten.

    Neugierig, was es damit auf sich hatte, stellte ich mich dazu und hörte zu.


    Der Redner stellte sich als Jean vor und hatte offenbar nur auf eine Gelegenheit gewartet, die Monarchie in Frankreich durch eine andere Staatsform zu ersetzen.

    Mit klug gewählten Worten malte er ein inspirierendes Bild von einem Land, in dem das Volk die Zügel in der Hand hielt, und rief die Bürger dazu auf, ihr neues Staatsoberhaupt in einer offenen Wahl selbst zu bestimmen. Wenig überraschend schlug er sich selbst als Kandidaten vor.


    Ich hatte jedoch im Traum nicht damit gerechnet, dass sich ausgerechnet der Trunkenbold Luis als Gegenkandidat aufstellen ließ!

    Er wollte dafür eintreten, dass die Bürger sämtliche Güter und allen Reichtum brüderlich untereinander teilen sollten, während es Jeans Vision war, die Stärken der einzelnen Bürger zu fördern; in der Hoffnung, dass persönlicher Fortschritt einzelner Individuen auf lange Sicht der ganzen Gemeinde zugute kommen würde.


    In der Theorie gefiel mir Luis' Ansatz deutlich besser, aber ich glaubte nicht daran, dass er in der Praxis funktionieren würde.

    Wie die Stimmenauszählung zeigte, war ich mit dieser Ansicht nicht allein: mit knappem Vorsprung konnte Jean die Wahl für sich entscheiden und wurde der erste demokratisch gewählte Bürgermeister von Loire.

    Zur großen Freude der Bürger, die für Luis gestimmt hatten, bot Jean seinem Kontrahenten an, seine rechte Hand zu werden, was ich für eine tolle Idee hielt. Hoffentlich konnten die beiden ihre gegensätzlichen Philosophien gegeneinander ausbalancieren und so einen Kompromiss finden, der möglichst viele Menschen glücklich machen würde.


    Ich blieb jedoch nicht lange genug in Frankreich, um herauszufinden, wie sich Loire unter der Anleitung dieses Duos entwickelte.

    Stattdessen rang ich mich dazu durch, Mei-Lin zurückzulassen, und machte mich auf den Weg nach Süden, ohne mich von meiner kleinen Verfolgerin zu verabschieden oder ihr zu sagen, wohin ich wollte. Ich hoffte, wenn sie keine Ahnung hatte, wo sie mich suchen sollte, würde sie aufgeben und nachhause zurückkehren.


    In einem kleinen, portugiesischen Küstendorf namens Ahola traf ich erneut auf Roy. Ein Wiedersehen, auf das ich gut hätte verzichten können...

    Erfreulicherweise schien er jedoch dieses Mal nicht in der Laune dazu zu sein, mir unter die Nase zu reiben, dass er sich selbst für so viel besser hielt als mich. Stattdessen fragte er mich lediglich, ob ich etwas über den Verbleib der Prinzessin wusste.

    Da dies nicht der Fall war, verlor Roy schnell jegliches Interesse an mir und ließ mich meiner Wege ziehen.


    Deutlich spannender als die kurze Wiedervereinigung mit Roy waren die Geschichten, die mir die Einheimischen erzählten: Angeblich gingen in dem spanischen Schloss von Torronia, das im Nordosten von Ahola lag, merkwürdige Dinge vor, seit die Königin nach dem Tod ihrer Söhne den Verstand verloren hatte.

    Es hieß, dass die jungen Männer bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen waren und ihre vor Kummer verrückt gewordene Mutter seitdem den Kapitän des Unfallschiffes im Kerker des Schlosses gefangen hielt.

    Ob dies die Person war, die meine Hilfe brauchte?


    Um dies herauszufinden, machte ich mich auf den Weg zu besagtem Schloss, das einen schrecklich heruntergekommenen Eindruck machte. Ich hatte kaum einen Fuß auf das Gelände gesetzt, als mir auch schon der Hauch des Todes entgegenschlug und ich mir sicher war, dass ich hier vollkommen richtig war.

    Aus den Brunnen sprudelte hochprozentige Säure, die den einstmals prunkvollen Marmor zerfraß, und in den Gängen patrouillierten untote Soldaten.


    Das Gruseligste waren jedoch die vier Gemälde, die in der Haupthalle hingen und verschiedene Männer zeigten. Das für sich genommen war noch nicht angsteinflößend, aber irgendjemand hatte bei allen Bildern jeweils ein Auge herausgeschnitten.

    Ich erinnerte mich bei diesem Anblick daran, dass ich bereits in Ahola von den Malereien gehört hatte. Die fehlenden Augen waren nicht aufgemalt, sondern verschiedene Edelsteine gewesen, was seit jeher Diebe und Halunken angezogen hatte.

    Es sah ganz danach aus, dass es schlussendlich doch noch einem von ihnen gelungen war, die Steine zu erbeuten.


    Doch irgendetwas sagte mir, dass mehr dahinter steckte...


    Dieser Intuition folgend durchsuchte ich jeden Winkel des Schlosses und fand neben einer Plattenrüstung und einer Waffe, die ich jedoch nicht benutzte, auch die vier Edelsteine.

    Als ich diese in ihre jeweiligen Gemälde einsetzte, ertönte hinter mir ein leises Klicken, gefolgt von einem schleifenden Geräusch. Irritiert drehte ich mich um und entdeckte eine Luke, die sich wie von Geisterhand geöffnet hatte.


    Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stieg ich in den darunter liegenden Kerker hinab, wo ich zunächst von vier kleinen Hexen in Empfang genommen wurde. Eine Art gruseligen Kinderreim aufsagend tanzten sie um mich herum, machten jedoch keine Anstalten, mich zu attackieren.

    Also verscheuchte ich sie schnell und sah mich dann in dem dunklen Verließ um.


    In der hintersten Ecke entdeckte ich eine in sich zusammen gesunkene Gestalt, die menschlich zu sein schien.

    Doch bevor ich sie erreichte, wurde ich von der ehemaligen Königin Torronias in einen Kampf verwickelt.


    Und was für ein Kampf es war!


    Die Hadeshexe zeigte kaum Anzeichen von Schmerzen, wenn ich ihr meine Silberlanze in den Leib rammte, ganz so als wäre ihr Verstand derart entrückt und von ihrem Körper getrennt, dass sie meine Stiche überhaupt nicht fühlte.

    Gleichzeitig teilte sie mit einer gewaltigen Axt, auf magische Weise herum wirbelnden, messerscharfen Edelsteinen und sogar ihrem eigenen Schädel erschreckend heftig aus.


    Ich blutete aus zahlreichen Wunden und konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, bis es mir endlich gelang, die Hadeshexe niederzustrecken.


    Am liebsten hätte ich mich vor lauter Erschöpfung auf dem Boden zusammengerollt und geschlafen, aber mir war zweifelsfrei bewusst, dass dies meinen Tod bedeutet hätte.

    Also schleppte ich mich zu der zuvor entdeckten Gestalt herüber, die sich bei genauerer Betrachtung als der Seefahrer Kolumbo herausstellte.


    Auf dem Weg zurück nach Ahola stützen wir uns gegenseitig und ich hatte es wohl nur Kolumbo zu verdanken, dass ich unterwegs nicht verblutete. Zudem erzählte er, dass er auf seiner letzten Reise einen neuen Kontinent entdeckt hatte und dass der wahre Grund für seine Gefangennahme nicht der Tod der torronischen Prinzen gewesen war.

    Leider hüllte er sich in undurchdringliches Schweigen, als ich nachhakte, was in Wirklichkeit zu seiner Inhaftierung geführt hatte. Nach einem langen Moment antwortete er lediglich: "Dieses Geheimnis werde ich erst dann lüften, wenn der wahre Held erschienen ist."


    Äh... o-kay?

    Ich hatte absolut keine Ahnung, was er damit sagen wollte, aber ich war zu entkräftet, um mich deswegen zu ärgern oder auch nur zu wundern. Also akzeptierte ich dieses kryptische Gebrabbel einfach und schleppte mich weiter in Richtung Ahola.


    Dort angekommen, wandten wir uns sogleich an den Arzt des Dorfes, der meine Wunden professionell versorgte und Kolumbo untersuche. Physisch fehlte dem Seefahrer nichts, aber die Schrecken seiner Gefangenschaft hatten seiner Psyche so sehr zugesetzt, dass es unklar war, ob er sich je vollständig davon erholen würde.

    Daher gab er sein Wissen über den neuen Kontinent an die anderen Kapitäne und Navigatoren weiter, damit diese das fremde Land bereisen konnten.

    Ich selbst quartierte mich in der Herberge des Dorfes ein und hoffte auf eine anständige Mütze Schlaf.


    Entsprechend war ich ganz und gar nicht erfreut, als mich mitten in der Nacht jemand an der Schulter schüttelte und aufweckte.

    Mir schossen eine ganze Reihe rüder Beleidigungen für den Störenfried durch den Kopf, doch als ich erkannte, wer sich in mein Zimmer geschlichen hatte, blieben mir die Worte im Hals stecken: das flammende Haar zu einem Zopf geflochten und die Rüstung unter einer weiten, abgetragenen Kutte versteckt stand Fyda neben meinem Bett und sah mich eindringlich an.


    Als ich mich aufsetzte, rutschte die Decke herunter und fiel mir auf den Schoß. Fydas Blick schweifte mit einem Anflug von Besorgnis über die vielen Verbände, die sich um meine Arme und den nackten Oberkörper wanden. "Du siehst schrecklich aus", stellte sie trocken fest.

    Ich zuckte mit den Schultern. "Das passiert, wenn man sich mit fiesen Monstern anlegt." Fydas Mundwinkel zuckten kurz nach oben. "Ich hoffe, du hast sie ordentlich aufgemischt."

    "Davon kannst du ausgehen!" Obwohl ich müde war und es hasste, mitten in der Nacht geweckt zu werden, grinste ich Fyda breit an. Auch wenn ich sie nicht besonders gut kannte, hatte die Ritterin irgendetwas an sich, das in mir das Gefühl weckte, mit einer alten Freundin zu sprechen.


    Fyda schien auf irgendwelche Geräusche zu lauschen und sagte dann, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass der Rest des Gasthofs in friedlichem Schlaf lag: "Ich möchte dich um einen Gefallen bitten."

    "Was kann ich tun?", hakte ich nach und fragte mich, ob es etwas mit Melina und dem Tod des französischen Königs zu tun hatte. Immerhin hieß es, Fyda sei seitdem mit der ehemaligen Thronerbin auf der Flucht.

    Und tatsächlich: "Es geht um die Prinzessin. Sie wird von bösen Männern verfolgt, die ihr nach dem Leben trachten. Bitte bring Melina außer Landes, während ich versuche, die Mörder aufzuhalten!"


    "Wieso ich?" Ich wusste nicht, warum ich diese Frage stellte, obwohl ich gar keine Einwände gegen Fydas Bitte hatte.

    Die Kriegerin zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne und dachte einen Moment lang nach, bevor sie antwortete: "Ich habe einfach das Gefühl, dass ich dir vertrauen kann." Dann fügte sie mit einem kleinen Grinsen an: "Außerdem scheint Melina dir ebenso am Herzen zu liegen wie mir."

    Bei diesen Worten musste ich spontan an meinen peinlichen Auftritt, als ich die Prinzessin zum ersten Mal gesehen und für meine Melina gehalten hatte, denken und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Das amüsierte Funkeln in Fydas Augen sagte mir, dass sie sich an dieselbe Szene erinnerte.

    "Äh... ja...", stammelte ich verlegen. "Ich schätze, das ist nicht völlig falsch."


    Ein plötzliches Knacken ließ uns beide alarmiert aufhorchen und angespannt den Atem anhalten. Als keine weiteren Geräusche folgten, schlich Fyda auf leisen Sohlen zur Tür und spähte in den Flur hinaus. "Es scheint nur das arbeitende Holz der Fußbodendielen gewesen sein", beschied sie nach einem Moment.

    Trotzdem hatte sie es plötzlich sehr eilig. "Bei Sonnenaufgang läuft ein Schiff in Richtung des neuen Kontinents aus dem Hafen aus. Melina und ich werden dich am Dock erwarten. Sei nicht zu spät." Ohne auf eine Antwort zu warten, schlüpfte sie auf den dunklen Korridor hinaus und verschwand.


    Ich ließ mich wieder in die Kissen fallen und versuchte, noch ein wenig Schlaf zu finden, was mir jedoch nicht gelang.

    Wie würde es sein, die Prinzessin wiederzusehen?

    Was dachte sie über mich, nachdem Mei-Lin und ich ihr mit der Illusion ihrer Eltern offensichtlich weh getan hatten?

    Hasste sie den Gedanken, die nächsten Monate mit mir auf einem Schiff festzustecken oder war es ihr egal?

    Erinnerte sie sich überhaupt an mich als Person?


    Und warum war mir dies nicht egal?


    Wie versprochen warteten Fyda und Melina am Hafen auf mich. Mein Herz machte einen Satz und ich spürte, wie sich beim Anblick der ehemaligen Prinzessin Nervosität in mir breit machte.

    Fyda begrüßte mich mit einem dankbaren Blick und einem festen Händedruck, aber für Melina schien ich lediglich Luft zu sein. Sie ignorierte meinen Gruß vollkommen, starrte durch mich hindurch in die Ferne und ging nach einer emotionalen Verabschiedung von Fyda an Bord, ohne auch nur ein Wort an mich gerichtet zu haben.


    Na, das konnten ja lustige Monate auf See werden...


    Fyda musterte mich von der Seite, während ich Melina hinterher blickte, und sagte: "Nimm es ihr nicht übel, wenn sie dir die kalte Schulter zeigt. Sie musste in ihrem jungen Leben bereits eine Menge durchmachen und es fällt ihr schwer, sich neuen Menschen zu öffnen. Gib ihr Zeit."

    Ich nickte. "Etwas anderes wird mir sowieso nicht übrig bleiben. Es fühlt sich nur so merkwürdig an, weil..." "Ja?" Fyda sah mich neugierig an, aber ich blockte ab. "Ach, nicht so wichtig."

    Es stand Fyda ins Gesicht geschrieben, dass sie am liebsten nachgebohrt hätte, doch glücklicherweise wurde ich vom Kapitän gerettet, der alle Passagiere aufforderte, sich an Bord zu begeben, damit das Schiff ablegen konnte.

    Ich verabschiedete mich von Fyda und stellte mich dann neben Melina an die Reling auf der gegenüberliegenden Seite des Decks, um von dort aus die geschäftigen Matrosen zu beobachten, die alles fürs Auslaufen bereit machten.


    In den nächsten Monaten freundete ich mich mit den Seeleuten an und lernte eine Menge über Nautik. Ich konnte nicht unbedingt sagen, dass ich mich übermäßig dafür interessierte, wie man auf See navigierte oder ein Schiff steuerte, aber da Melina sich noch immer in eisernes Schweigen hüllte und so tat, als würde sie meine Anwesenheit nicht einmal bemerken, musste ich mich mit irgendetwas beschäftigen, um nicht den Verstand zu verlieren.

    In Melinas Nähe zu sein, weckte Emotionen, die ich krampfhaft zu unterdrücken versuchte. Ich hatte furchtbares Heimweh und vermisste die unbeschwerten Zeiten mit meiner Freundin.

    Jemanden vor der Nase zu haben, der ihr so verdammt ähnlich sah, mich aber wie Luft behandelte, ließ mich eine erdrückende Einsamkeit fühlen.


    Doch dann kam jene schicksalhafte Nacht, die alles veränderte...


    Ich lag bereits in meiner Koje, starrte an die Decke und versuchte, nicht an Zuhause zu denken, als plötzlich ein markerschütternder Schrei aus Richtung Deck an meine Ohren drang. Ich erkannte die Stimme sofort und rannte mit meiner Lanze in den Händen aus der Stube, noch bevor ich den bewussten Entschluss dazu gefasst hatte.

    Melina lag in sich zusammengesunken auf dem Boden und schien ohnmächtig zu sein. Zunächst konnte ich mir darauf keinen Reim machen, doch dann entdeckte ich den über ihr in der Luft schwebenden Geist.

    Ich erinnerte mich daran, dass einer der Matrosen etwas von wandernden Seelen erzählt hatte, die davon angezogen wurden, wenn Menschen zu lange aufs Meer hinaus starrten, und sich von deren Lebenskraft ernährten.


    So schnell ich konnte, vertrieb ich das Gespenst und kniete mich dann neben Melina, um sie sanft aufzuwecken. Im ersten Moment zeigte sie mir wie zuvor die kalte Schulter, aber dann fixierten sich ihre Augen auf einmal auf meine und ich fühlte mich beinahe wie hypnotisiert von diesem Blick.

    "Danke", ihre Stimme war vom langen Nichtgebrauch ein wenig rau. Mein Herz machte aus Freude darüber, nicht länger ignoriert zu werden, einen kleinen Hüpfer und ich reichte Melina eine Hand, um ihr aufzuhelfen. "Gern geschehen."

    Ihre braunen Augen wanderten fragend über mein Gesicht, als suchte sie darin irgendeine Information. "Du bist ein seltsamer Mann", verkündete sie dann. "Wieso nimmst du so viel auf dich, um mich zu schützen? Du kennst mich nicht und ich bin nicht einmal nett zu dir!"


    Wenigstens sah sie es selbst...


    "Ach, der Geist war eher ein Ärgernis als eine wirkliche Herausforderung", lenkte ich ab, aber Melina ließ nicht locker: "Das war nicht, was ich meinte."

    Ich stieß einen langgezogenen Seufzer aus und hob meine neben Melina auf dem Boden liegende Lanze auf, bevor ich antwortete: "Du erinnerst mich an jemanden, der mir sehr wichtig ist."

    Das schien Melina zu amüsieren. "Tatsächlich? An wen?"

    Für einen Moment überlegte ich, sie zu belügen, aber dann antwortete ich doch wahrheitsgemäß: "An meine Freundin. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit ich mein Heimatdorf verlassen habe, aber ich denke noch immer oft an sie."


    "Sehe ich ihr tatsächlich so ähnlich?" Melinas Neugierde überraschte mich, doch da es sich irgendwie gut anfühlte, mit ihr zu reden, bestätigte ich: "Ähnlich ist gar kein Ausdruck! Ich bin mir ehrlich nicht sicher, ob ich euch auseinander halten könnte, wenn ihr neben einander stehen würdet! Deshalb habe ich mich bei unserem ersten Treffen auch so seltsam benommen: Ich habe dich mit meiner Freundin verwechselt. Kannst du dir meine Verwirrung vorstellen?"

    Ich stieß bei der Erinnerung daran ein kleines, verlegenes Lachen aus und Melinas Gesicht wurde von Erkenntnis erhellt. "Oh! Ja... Das war tatsächlich eine... ungewöhnliche Art, sich bekannt zu machen."


    "Du hast es selbst gesagt: Ich bin ein seltsamer Mann", stellte ich mit brennenden Wangen fest und wir verfielen für eine Weile in Schweigen, bis Melina plötzlich fragte: "Und unsere Persönlichkeiten?" In ihren Augen lag nun etwas Herausforderndes und um ihre Mundwinkel spielte ein beinah kokett wirkendes Lächeln.

    Ich fragte mich, wie ich diesen Ausdruck zu deuten hatte, während ich meine Worte sorgsam wählte: "Die scheinen sehr unterschiedlich zu sein. Meine Freundin ist sanftmütig und ruhig, wie warmes Licht. Dich kenne ich noch nicht sehr gut, aber du scheinst temperamentvoller und energischer zu sein. Du erinnerst mich eher an ein loderndes Feuer."

    Ich wusste nicht, wie Melina darauf reagieren würde und war sehr erleichtert, als sie leise kicherte und sich für das Kompliment bedankte.

    Anschließend verabschiedete sie sich ins Bett und auch ich begab mich zurück in meine Koje.


    Nach dieser Nacht war Melina wie ausgewechselt.

    Anstatt mich zu ignorieren, suchte sie aktiv meine Nähe und wir verbrachten unsere Tage mit Kartenspielen, Geschichten aus unserer Kindheit und vor allem mit Lachen. So kalt und unnahbar sie zuvor gewirkt hatte, so humorvoll und warmherzig zeigte sie sich nun.


    Doch auch wenn die Zeit dadurch nur so dahin flog, brachte diese Wandlung auch Negatives mit sich: noch nie in meinem Leben war ich emotional derart verwirrt gewesen!

    Je besser ich diese Melina kennenlernte, desto stärker fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Sie war zwar nicht meine Melina, aber sie war intelligent, witzig, aufregend und wunderschön...

    Immer häufiger wanderten meine Gedanken, wenn ich nachts allein in meiner Koje lag, zu ihr statt zu dem Mädchen, das ich in Krysta zurückgelassen hatte, was wiederum natürlich dazu führte, dass mich ein schlechtes Gewissen plagte.


    Wie konnte ich an eine andere Frau denken, während meine Melina treu auf meine Rückkehr wartete?!

    Aber... tat sie dies überhaupt?

    Es waren inzwischen Jahre vergangen, seit ich die Unterwelt verlassen hatte. Ich hatte überhaupt gar keine Ahnung mehr, wie Melinas Leben nun aussah. Womöglich hatte sie mich lange durch einen anderen Mann ersetzt.

    Und was war, wenn ich niemals in die Unterwelt zurückkehren konnte?

    War ich wirklich dazu verpflichtet, mein Leben lang allein zu bleiben, weil Melina vielleicht auf eine Rückkehr wartete, die womöglich niemals stattfinden würde?

    Aber was, wenn sie es tatsächlich tat und ich ihre Treue verriet?


    Meine Gedanken drehten sich unablässig im Kreis und verknoteten sich zu einem unentwirrbaren Knäul, bis ich das Gefühl hatte, mir würde der Kopf platzen. Am liebsten hätte ich laut geschrien!


    So gingen etliche Wochen ins Land.


    Eines Abends saßen die ehemalige Prinzessin und ich nach dem Abendessen zusammen und hörten den Matrosen zu, die Musik machten und sangen. Den Berechnungen zufolge mussten wir bald den neuen Kontinent erreichen, was unter den Seeleuten ein Stimmungshoch ausgelöst hatte.

    Nach einer Weile fragte Melina in unser Schweigen hinein: "Was hast du vor, wenn wir Land erreichen?"

    Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Soweit habe ich nicht geplant. Ich schätze, ich werde mich einfach treiben lassen und darauf warten, dass sich ein klarer Pfad ergibt. Du wirst vermutlich auf Fyda warten, nicht wahr?"

    Statt zu antworten, musterte Melina mich mit einem seltsamen Ausdruck von der Seite und überraschte mich mit einem Geständnis: "Ich mag deine Lachfalten."

    "Was?" Verblüfft wandte ich ihr mein Gesicht zu.

    Melinas Wangen waren gerötet und sie schien schneller als normal zu atmen.

    Und dann lehnte sie sich auf einmal vor, um mich zu küssen!


    Augenblicklich wirbelten unzählige Gedanken durch meinen Geist, die sich alle zu einer einzigen Frage zusammenfassen ließen: Wollte ich diesen Kuss?


    Melina bemerkte meine plötzliche Erstarrung und drehte den Kopf, bevor unsere Lippen aufeinander getroffen waren. Ihr Gesicht war nun so rot, dass ich das Gefühl hatte, die Hitze selbst zu spüren, und sie stammelte: "Äh... ja... ja, genau. Ich... äh... werde auf Fyda warten."

    Ich wollte etwas sagen, aber sie sprang so schnell auf die Füße, dass ich keine Chance dazu bekam: "Oh, ist es wirklich schon so spät? Ich bin wirklich müde und werde zu Bett gehen. Gute Nacht."

    "Melina! Warte! Lass es mich wenigstens erklären!", rief ich ihr hinterher, aber sie tat, als würde sie mich nicht hören.


    "Verdammt!" Von mir selbst genervt, trat ich gegen die Reling, wodurch ich nicht nur Liebeskummer, sondern auch noch einen schmerzenden Zeh hatte.

    Ein Matrose, der die Szene beobachtet hatte, kam zu mir herüber und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Frauen, eh?"

    Als ich ein zustimmendes Geräusch von mir gab, nickte er mit dem Kopf in Richtung einiger seiner Kollegen, die zusammensaßen und lachten. "Komm, gesell dich zu uns. Wir bringen dich schon auf andere Gedanken."


    Die Seeleute empfingen mich mit offenen Armen in ihrer Runde und hörten geduldig zu, als ich ihnen mein Herz ausschüttete. Die meisten konnten mein emotionales Dilemma nachfühlen, hatten sie doch selbst Frauen und teilweise sogar Kinder, die sie nur während ihrer kurzen Heimaturlaube sahen.

    Nur ein junger Mann schüttelte glucksend den Kopf und verkündete: "Ihr seht das alles viel zu eng. Auf mich wartet in jedem Hafen eine andere - das ist doch das Tolle am Matrosendasein!"

    Der Rest von uns sah ihn angewidert an, dann erhob einer der Ranghöheren eine Flasche Rum und rief: "Lasst uns trinken! Auf die Frauen, diesen lieblichen Quell der Freude und des Kummers!" Ein lautes "AYE!" ging durch die Runde und wir verbrachten den Rest der Nacht mit Würfelspielen und Alkohol.


    Als ich am nächsten Tag aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel und ich hatte einen schrecklichen Kater, weshalb ich nur mit Verzögerung registrierte, was ich bei Verlassen meiner Kabine sah: Offenbar hatten wir irgendwann in den Morgenstunden Land erreicht und lagen nun in einem fremden Hafen.

    Während ich mich noch verwirrt umsah, kam einer der Matrosen auf mich zu: "Sieh an, unser Langschläfer ist auch endlich wach. Alle anderen Passagiere sind bereits von Bord gegangen!"

    "Alle?", hakte ich überrascht nach und auf dem Gesicht des Seemanns machte sich ein mitfühlender Ausdruck breit. "Ja, alle. Aber die hübsche Maus, mit der du gereist bist, hat das hier für dich hier gelassen." Er reichte mir einen Brief und klopfte mir als Zeichen der Anteilnahme auf die Schulter, bevor er mich stehen ließ, um wieder an die Arbeit zu gehen.


    Ich riss den Brief auf und überflog die wenigen Zeilen, bevor ich das Papier anschließend frustriert in meine Truhe stopfte.

    "Was steht drin?", wollte Fluffy wissen. "Nichts von Bedeutung. Nur, dass sie tatsächlich die Mörderin von König Olaf ist und mich zurücklässt, weil sie mich nicht weiter in ihre eigenen Probleme hineinziehen will."

    Über unseren Beinahkuss, ihre Gefühle oder eine Möglichkeit, sie wiederzusehen, hatte sie jedoch keine einzige Silbe verloren...


    Mich leer fühlend ging ich auch endlich von Bord und steuerte auf die mir unbekannte Hafenstadt zu.





    Fortschritt:


    Lvl 23

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (1/3)

  • Arks Tagebuch Part 11


    Als ich das kleine, zum Hafen gehörende Städtchen erreichte, schien es als hätten sämtliche Bewohner ihre Häuser verlassen, um die von einem hier fremden Kontinent kommenden Schiffsreisenden zu begrüßen. Das allgegenwärtige, aufgeregte Geschnattere, das aus allen Ecken und Gassen drang, erinnerte mich an das Summen eines Bienenstocks und ich spürte deutlich, wie mir neugierige Blicke folgten, wohin auch immer ich ging.

    Ich schätzte, wir Neuankömmlinge wirkten auf die Einheimischen genauso exotisch wie andersherum.


    Leider erschwerten mir die vielen Menschen auf den Straßen die Suche nach Melina und mit jeder weiteren Stunde, die verging, sank meine Hoffnung immer mehr. Und meine Laune ebenso...

    Ich wollte unbedingt mit ihr reden und ihr mein Verhalten vom Vorabend erklären, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt.

    Das war doch zum Haareraufen!

    Wo, wenn nicht hier, sollte sie auf Fyda warten?

    Oder hatte sie mich deswegen belogen?


    Ich war so tief in meine düsteren Gedanken vertieft, dass ich nicht darauf achtete, wohin ich ging, und mit einem hochgewachsenen Jungen zusammenstieß.

    "Oh, entschuldige! Hab ich dir weh getan?" Besorgt musterte ich das längliche Gesicht des anderen und staunte innerlich über dessen Schwärze. Ich hatte noch nie einen Menschen mit derart dunkler Haut gesehen!

    "Nein, nein. Alles gut!" In den haselnussfarbenen Augen des Jungen lag ein sanfter Ausdruck und er lächelte mich beruhigend an. Der schüttere, flaumige Schnauzer unter seiner Nase verriet, dass er vermutlich jünger war als sein hoher Wuchs vermuten ließ.

    Ich schätzte, dass er in etwa so alt sein musste wie ich damals, als ich Krysta verlassen hatte, und spürte plötzlich einen Stich im Herzen.

    Wie hatte der Dorfälteste so grausam sein können, einen an der Schwelle zum Erwachsenenalter stehenden Knaben mutterseelenallein in eine fremde Welt zu schicken?!

    Noch dazu, ohne ihm zu sagen wie und wann er nachhause zurückkehren können würde...


    "Ein Glück!" Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab und versicherte dann nochmal: "Tut mir trotzdem echt leid."

    "Kein Problem, Mann!" Der Junge trat auf das hintere Ende des komischen, auf kleinen Rollen befestigten Brettes, das zu seinen Füßen stand, und fing es mit einer lässigen Handbewegung auf. Dann platzte er auf einmal heraus: "Stress mit der Freundin?"

    Ich sah ihn irritiert an. "Wie kommst du denn auf die Idee?"

    Mein Gegenüber grinste und zeigte dabei lange, gerade Zähne, deren Weiß in hartem Kontrast zu seiner dunklen Haut stand. "Ich seh' anderen Menschen ihren Liebeskummer immer an. Ist ein Talent von mir."

    "Huh. Beeindruckend", antwortete ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst dazu sagen sollte. Der Junge zog die Mundwinkel noch ein wenig höher und versprach: "Warte, bis du von meiner anderen Gabe gehört hast. Die haut dich wirklich um!"

    Ich zog die Augenbrauen in die Höhe und fragte in einem ungläubiger als beabsichtigt klingenden Ton: "Ach ja?" "Hm-mh." Der andere nickte. "Ich kann nämlich dafür sorgen, dass es dir ganz schnell wieder besser geht!"


    Mit diesen Worten sprang der Junge auf sein komisches Brett und schoss in beeindruckender Geschwindigkeit den Platz auf und ab.

    Dabei vollführte er halsbrecherisch aussehende Kunststücke wie enge Kurven, Sprünge und das Fahren auf nur den Hinterrädern. Als er bei einem Sprung das Brett mit anhob und unter sich um die eigene Achse rotieren ließ, nur um dann wieder perfekt zu landen und weiter zu düsen, konnte ich nicht anders als zu applaudieren.


    Der Junge hielt mit einem breiten Grinsen im Gesicht direkt vor mir an und fragte lachend: "Na? Hab ich zuviel versprochen?"

    Ich horchte in mich hinein.

    Der Frust über Melinas Verschwinden und den zurückliegenden Abend nagten noch immer an meiner Laune, aber ich musste meinem neuen Bekannten zugestehen, dass er mich zumindest für ein paar Minuten davon abgelenkt hatte.


    Mit einem schiefen Lächeln antwortete ich: "Keineswegs. Ich fühle mich tatsächlich ein wenig besser. Danke dir!"

    "Gern geschehen! Mein Name ist übrigens Perry." Der Junge hielt mir eine Hand hin, in die ich nur zu gern einschlug. "Freut mich, Perry. Ich bin Ark."

    "Cooler Name!" Perrys Augen funkelten aufgeregt, als er vorschlug: "Du kommst aus dem Land jenseits des Ozeans, oder? Was hältst du davon, mich nach Moronia zu begleiten? Ich bin mir sicher, die Kinder würden gerne hören, wie es auf dem anderen Kontinent so ist!"

    "Moronia? Ist das ein Dorf hier in der Nähe?", hakte ich nach, was zu meiner Überraschung einen Schatten über Perrys Gesicht huschen ließ. "Nein, so heißt das Waisenhaus hier in Liberita. Ich wohne dort seit... ach, so lange ich denken kann. Ich kann mich an meine Eltern überhaupt nicht mehr erinnern."

    Bei diesem Geständnis schwappte eine Welle des Mitgefühls über mich hinweg und ich fühlte mich meinem neuen Freund plötzlich sehr verbunden.

    "Ich auch nicht", eröffnete ich Perry und wir wechselten einen Blick gegenseitigen Verständnisses, den nur begreifen konnte, wer ohne Eltern aufgewachsen war. Dann fügte ich mit einem Lächeln an: "Ich begleite dich sehr gerne, wenn es den anderen Waisen eine Freude macht."


    "Super!" Perry reckte mir einen erhobenen Daumen entgegen und machte dann auf dem Absatz kehrt, um vorauszugehen.

    Eine Weile gingen wir schweigend neben einander her, dann warf Perry mir einen forschenden Seitenblick zu, so als wäre er sich nicht sicher, ob er mir die Frage, die ihm unter den Nägeln brannte, stellen durfte. Doch schlussendlich siegte die Neugierde: "Bist du ebenfalls in einem Waisenhaus groß geworden?"

    "Nein, so etwas gab es bei mir zuhause überhaupt nicht." Ich schmeckte meine eigene Verbitterung auf der Zunge, als ich anfügte: "Das hätte sich nicht gelohnt."

    Perry sah mich überrascht an. "Wieso das nicht?" "Weil ich das einzige Waisenkind weit und breit war." Bei meiner Erklärung wurde Perrys Gesicht erstaunlich ernst und er sagte nach einer Weile in nachdenklichem Ton: "Das muss hart gewesen sein."


    Ich zuckte mit den Schultern und bemühte mich, die unliebsamen Erinnerungen abzuschütteln. Doch wie so oft, wenn man sich bemühte, an etwas nicht zu denken, standen mir die Bilder meiner Kindheit überdeutlich vor Augen.

    Wie oft hatte ich nachts wach gelegen und mich mit der Frage gequält, was mit mir nicht stimmte, dass ich als einziges Kind im Dorf keine Eltern hatte und stattdessen beim Dorfältesten aufwachsen musste, wo ich eher geduldet als gewollt war?


    "Dafür war ich schon immer hübscher und cleverer als die anderen", scherzte ich, um die niedergeschlagene Stimmung zu vertreiben, und atmete innerlich auf, als ich Perrys Mundwinkel in die Höhe zucken sah.

    Damit wir nicht Gefahr liefen, wieder in trübsinnige Gedanken abzudriften, deutete ich schnell auf das Brett unter dem Arm meines neuen Freundes und fragte: "Was ist das eigentlich für ein komisches Ding?"

    "Das?" Perry hielt den angesprochenen Gegenstand hoch und lachte. "Sag mir nicht, du hast noch nie ein Skateboard gesehen!"

    "Ist aber so." Eigentlich hätte ich mich bei Perrys Worten ein wenig gekränkt fühlen müssen, aber auch wenn sie klangen, als würde er mich für einen rückständigen Hinterwäldler halten, konnte ich ihm dies nicht übel nehmen. Obwohl er einige Jahre jünger war als ich, hatte Perry etwas an sich, das mir das Gefühl gab, bei ihm sicher zu sein; dass ich ich selbst sein konnte, ohne dafür verurteilt zu werden.


    Den Rest des Weges erklärte mir mein neuer Freund alles, was es übers Skaten zu wissen gab. Das begeisterte Funkeln, das in seine Augen trat, während er über sein Hobby sprach, erfüllte mein Herz mit Wärme.

    Ich freute mich, dass er etwas in seinem Leben hatte, für das er derart leidenschaftlich brennen konnte.


    Als wir das Waisenhaus betraten, wurde Perry sogleich von drei jüngeren Kindern bedrängt, die offensichtlich zu ihm aufblickten. "Perry! Du bist wieder da! Hast du uns etwas mitgebracht?"

    Während Perry lächelnd ihre Köpfe streichelte und sich bemühte, sie zum Schweigen zu bringen, musste ich ein wenig schmunzeln. Die Kleinen schienen in Perry eine Art großen Bruder zu sehen, was dieser unübersehbar sehr genoss.

    Bei diesem Anblick fragte ich mich, wer hier wen mehr brauchte: Die Kinder Perry, damit er auf sie aufpasste, oder Perry die Kleinen, damit sie seinem Leben einen Sinn und eine Richtung gaben?


    Doch plötzlich kippte die Stimmung und Perry blickte sich beinah panisch um. "Wo ist Anita?", fragte er mit gut hörbarer Anspannung in der Stimme.

    Einer der zwei Jungs antwortete: "Sie will Will besuchen." "Sie hat gesagt, sie wolle sein Flugdingens sehen", fügte das neben ihm stehende Mädchen an und Perry wurde leichenblass. "Verdammt!"

    Dann wirbelte er zu mir herum. "Tut mir leid Ark, aber wir müssen unser Vorhaben verschieben. Ich muss Anita suchen!"

    "Kann ich helfen?", erkundigte ich mich mit kraus gelegter Stirn. Zu meiner Überraschung winkte Perry jedoch ab. "Du hast sicherlich Besseres zu tun."

    Ich packte Perry an der Schulter und sah ihm eindringlich in die Augen. "Du hast mir geholfen, jetzt möchte ich dir helfen! Außerdem müssen wir Waisen zusammenhalten, oder nicht?" Bei dem letzten Satz verzog ich die Lippen zu einem schiefen Lächeln und ich sah wie Perrys innere Mauer in sich zusammenfiel.


    "In Ordnung", stimmte er schließlich zu und erklärte dann: "Will hat früher auch hier in Moronia gelebt, aber er ist inzwischen erwachsen und vor einem halben Jahr nach Seeheim gezogen. Das ist ein kleines Dorf im Norden, südlich der Great Lakes. Die Reise von hier nach dort dauert mehrere Wochen! Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn Anita sich unterwegs verläuft..."

    Ich konnte seine Sorge nur zu gut verstehen, daher gab ich mir Mühe, möglichst optimistisch zu klingen, als ich sagte: "Dann sollten wir uns am besten trennen und verschiedene Routen nach Seeheim nehmen."

    "Gute Idee", stimmte Perry zu, aber er wirkte so so kummervoll, dass ich ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter klopfte und versprach: "Wir werden sie finden!"

    Perry nickte schwach und holte dann aus einem in der Nähe stehenden Schrank eine Karte der Region, um mit mir unsere verschiedenen Reisewege zu besprechen.

    Anschließend machten wir uns getrennt von einander auf den Weg nach Seeheim.


    Während ich durch die von Gräsermeeren bestimmte Landschaft gen Norden zog, betete ich stumm zu einer mir unbekannten Kraft, dass wir Anita schnell finden würden - nicht nur um ihretwegen, sondern vor allem auch für Perry.

    Auch wenn offensichtlich war, dass er die jüngeren Kinder wie Geschwister liebte, war genauso unübersehbar, dass er schwer an der Verantwortung für sie trug.

    Dabei war er selbst noch so jung... Ich wollte nicht, dass er sich zusätzlich auch noch Vorwürfe machen würde, weil der kleinen Anita etwas zugestoßen war.


    Doch leider hatte ich auch dann noch keine Spur von dem Mädchen entdeckt, als ich Seeheim erreichte.

    Dieses stellte sich als kleines, verträumtes Dorf heraus, in dem hauptsächlich Bauern lebten und zwischen den weit auseinander stehenden Häusern der Feldarbeit nachgingen. Hohe Maispflanzen und goldene Weizenhalme wogten sich sacht im Wind wie Tänzerinnen, die auf ihren großen Einsatz warteten.


    Ich fragte unter den Bewohnern herum, ob irgendjemand Perry oder Anita gesehen hatte, doch niemand konnte sich an einen der beiden erinnern, bis ich auf einen alten, weißhaarigen Mann traf, der auf der Veranda vor seinem Haus in einem hölzernen Sessel saß und Pfeife rauchte.

    "Ein kleines, blondes Mädchen, sagst du?", hakte er nach, während ich mich bemühte, nicht zu euphorisch zu werden, nur weil meine Frage nicht sofort verneint worden war.

    "Ja, genau! Sie müsste etwa so", ich hielt mir die Hand seitlich unter das Brustbein, "groß sein und dunkelblaue Augen haben. Ihr Name ist Anita."

    Der Alte zog leise schmatzend an seiner Pfeife und schien nachzudenken. Dann antwortete er endlich: "Keine Ahnung, wie die Kleine hieß, die ich gesehen habe, aber die Beschreibung passt. Sie kam vor ein paar Stunden hier vorbei und sah ziemlich verwirrt aus. Als ich sie angesprochen habe, ob sie Hilfe braucht, ist sie davon gelaufen."


    Mein gesamter Körper kribbelte vor Anspannung, als ich fragte: "In welche Richtung?" Der Greis deutete wortlos mit einem Kopfnicken nach Osten und ich jubelte innerlich.

    "Danke!" Am liebsten hätte ich den alten Mann geküsst, so sehr freute ich mich darüber, endlich einen, wenn auch nur vagen, Hinweis zu Anitas Verbleib bekommen zu haben.

    Ich wollte bereits gehen, als mir noch etwas einfiel und ich mich noch einmal umwandte: "Kurze Frage noch: Hier im Dorf soll ein junger Mann namens Will leben. Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finde?"

    Der Alte stieß einen grunzenden Laut aus und fragte: "Was willst du denn von dem Verrückten?"


    Will war verrückt?

    Davon hatte Perry überhaupt nichts erwähnt...


    "Nichts Bestimmtes", antwortete ich. "Er ist der Freund eines Freundes und ich dachte, wenn ich schon mal hier bin, richte ich ihm Grüße aus."

    Warum ich dem Alten nicht einfach die Wahrheit sagte, dass Anita Will besuchen wollte, wusste ich selbst nicht so genau. Irgendetwas sagte mir, dass es besser war, wenn der Greis nicht wusste, dass Will und Anita sich kannten.

    Mein Gesprächspartner maß mich mit einem langen, nachdenklichen Blick, bevor er endlich entgegnete: "Wohnt ebenfalls dahinten."

    "Super! Nochmals vielen Dank!" Ich verabschiedete mich mit einer angedeuteten Verbeugung und eilte dann an den östlichen Rand des Dorfes.


    Hier stand, deutlich abseits von den anderen Gebäuden, ein einsames Haus, in dessen Garten alle möglichen Gerätschaften und Schrottreste lagerten. Ich betrachtete die komischen Gebilde, konnte mir aber nicht einmal bei der Hälfte auch nur vorstellen, für was sie gut sein sollten.

    War Will so eine Art Erfinder?

    Hielt der Alte ihn deswegen für verrückt?


    Mich selbst ermahnend, dass ich mich darauf konzentrieren sollte, Anita zu finden, klopfte ich an die Tür und wartete, aber es kam keine Antwort. "Vielleicht hat er das Klopfen einfach nicht gehört", überlegte ich und schlug ein wenig fester gegen das Türblatt.

    Noch immer kam keine Antwort, aber ich konnte ein merkwürdiges Schleifen von drinnen hören.

    Was ging hier vor?


    Meinem Instinkt folgend öffnete ich die Tür und trat ein, auch wenn ich keine Erlaubnis dazu erhalten hatte.

    Das Innere des kleinen Hauses sah ähnlich aus wie der Garten: überall lagen seltsam aussehende Metallteile, Bücher und Papierfetzen voller kryptischer Skizzen!

    Von Will oder Anita fehlte jedoch jede Spur...


    Ich wollte gerade wieder gehen, als ein leises Niesen mich wieder herumwirbeln ließ.

    Es war also doch jemand anwesend!


    "Anita? Bist du hier?", rief ich in den Raum hinein und suchte fieberhaft jeden Winkel mit den Augen ab. "Mein Name ist Ark. Perry schickt mich. Er macht sich Sorgen um dich!"

    "P-Perry? Ist er hier?" Die Stimme schien aus einem Bücherregal am hinteren Ende des Zimmer zu kommen.

    Ich näherte mich ihm langsam und antwortete in sanftem Tonfall: "Nein, aber er ist auf dem Weg hierher. Wir haben uns in Liberita kennen gelernt und als er bemerkt hat, dass du nicht mehr in Moronia bist, haben wir uns getrennt auf die Suche nach dir gemacht."

    "Perry sagt, ich darf nicht mit Fremden sprechen!" Ich stand nun direkt vor dem Bücherregal und konnte durch eine Lücke zwischen zwei Büchern hindurch einen Büschel blonder Haare entdecken.


    Das Regal vorsichtig zur Seite rückend neckte ich: "Dafür ist es jetzt ein bisschen zu spät, oder?"

    Ich hatte gehofft, der kleine Scherz würde Anita zum Lachen bringen, doch stattdessen drückte sie sich mit einem kleinen Schrei noch tiefer in die Nische hinter sich und sah mich aus angstvoll geweiteten Augen an wie ein aufgeschrecktes Tier.

    Um ihr zu zeigen, dass ich keine Gefahr war, machte ich ein paar Schritte zurück und ging anschließend in die Knie, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein.

    "Perry wird bald hier sein, versprochen", versuchte ich, sie zu beruhigen, aber ihr viel zu schneller Puls pochte noch immer gut sichtbar in ihrer Kehle, wie die Flügelschläge eines kleinen Vogels.


    "Wo ist eigentlich Will?" Ich hoffte, dass er bald nachhause kommen und mir helfen könnte, Anita die Angst vor mir zu nehmen. Aber die Kleine schüttelte nur den Kopf und knetete nervös den Saum ihres Kleides.

    Ein Seufzen unterdrückend wagte ich einen weiteren Anlauf, sie zum Sprechen zu bewegen: "Wieso hast du dich eigentlich ganz alleine auf den weiten Weg gemacht, um Will zu besuchen?"

    Anita schwieg so lange, dass ich schon geglaubt hatte, wieder keine Antwort zu erhalten. Doch dann sagte sie: "Ich wollte seine Flugmaschine sehen." Ihre Stimme war ein leises Flüstern, als hoffte sie, dass ich sie nicht hörte.

    "Will hat eine Flugmaschine?", hakte ich verblüfft nach. Ich hatte noch nie von etwas derartigem gehört!


    Anita nickte. "Es ist seine Erfindung!" Auch wenn sie noch immer sehr leise sprach, konnte man trotzdem hören wie stolz sie auf ihren Freund war. "Er hat uns vor zwei Monaten geschrieben, dass er sie fast vollendet hat und bald zu ihrem Jungfernflug aufbrechen will. Ich wollte dabei sein! Aber..."

    Plötzlich brach sie in Schluchzen aus. "Aber als ich hier ankam, war Will nicht hier. Ich hab bestimmt alles verpasst und bekomme jetzt ganz umsonst Ärger!"


    Bei diesen Worten verstand ich endlich, dass sie keine Angst hatte, dass ich ihr etwas Schlimmes antun könnte. Sie befürchtete, von mir oder Perry ausgeschimpft zu werden!

    Mit einem Lächeln versprach ich: "Perry wird einfach nur froh sein, dass dir nichts passiert ist!"

    "Wirklich?" Hoffnung hellte Anitas Gesicht auf und die Tränen versiegten. "Ganz sicher!", bekräftigte ich und fügte dann an: "Meinst du, Will hat etwas dagegen, wenn ich hier bleibe, um dir Gesellschaft zu leisten, bis er wieder zurück oder Perry hier angekommen ist?"

    Kopfschüttelnd wagte Anita sich endlich aus ihrem Versteck. "Glaub nicht."

    Sie wischte sich mit der Handfläche über die nassen Wangen und sah mich dann plötzlich aus glitzernden Augen an: "Hey, spielst du mit mir 'Himmel und Hölle'?"


    Und so verbrachte ich die nächsten anderthalb Tage damit, einen Ersatzelternteil für Anita zu mimen.

    Ich bekochte und bespaßte sie und ließ sie nachts mit Fluffy kuscheln, den sie für ein hässliches, aber gleichzeitig irgendwie niedliches Plüschtier hielt. Doch als ich am zweiten Abend nach einem Buch suchte, aus dem ich der Kleinen vorlesen konnte, stieß ich auf Aufzeichnungen von Will, die meine Alarmglocken läuten ließen.

    Sofort ließ ich mir von Anita bestätigen, ob ich für den heutigen Tag das korrekte Datum im Kopf hatte. Sie nickte und wollte wissen, warum ich dies fragte.

    Ich zeigte ihr Wills Tagebuch und erklärte: "Er ist tatsächlich vorgestern aufgebrochen, um einen Testflug mit seiner Flugmaschine zu machen. Aber er hätte lange zurück sein müssen..."


    Anita sah mich aus großen Augen flehend an: "Du musst ihn suchen, Ark! Bitte!"

    "Aber ich kann dich doch nicht einfach alleine lassen..." Ich fühlte mich hin und her gerissen. "Ich verspreche, dass ich hier im Haus bleiben werde! Außerdem kommt Perry bestimmt bald an", wandte Anita ein und bettelte weiter: "Bitte, Ark! Will ist doch sowas wie mein großer Bruder!"

    Ich seufzte und gab mich geschlagen: "In Ordnung. Aber ich mache mich erst morgen früh auf den Weg. Im Dunkeln seh ich sowieso nichts und nachts ist es für dich alleine viel zu gefährlich."


    Zum Glück erreichte Perry in den frühen Morgenstunden endlich Seeheim, sodass ich Anita in seiner Obhut lassen konnte.

    Wie ich prophezeit hatte, überwog seine Freude darüber, dass Anita unversehrt war, seinen Ärger über ihr unvernünftiges Verhalten und die kleine Standpauke, die er ihr hielt, ging in den vielen Umarmungen, die er ihr gab, beinah vollständig unter.


    Erleichtert darüber, dass ich Anita nicht allein zurücklassen musste, machte ich mich auf den Weg, Will zu suchen.

    In seinem Tagebuch hatte er geschrieben, der Testflug sollte an den Great Lakes stattfinden, daher war die Seengruppe im Norden mein erster Anlaufpunkt.


    Mein Herz sank mir jedoch in die Hose, als ich in der Mitte des größten Sees eine kleine Insel mit einer Höhle darauf entdeckte.

    Aus der Entfernung war es schwer zu erkennen, aber vor dem Höhleneingang schien das Wrack einer Propeller betriebenen Apparatur zu liegen, die mich vage an eine der Skizzen erinnerte, die ich in Wills Haus gesehen hatte.


    Sofort steuerte ich auf die nur über eine Brücke zu erreichende Höhle zu und stieß dabei auf einen jungen Mann, der mir den Weg versperrte.

    "Bist du Will?", erkundigte ich mich. "Ich heiße Servas", antwortete der Fremde. "Ich warte hier auf meine Verlobte Nana. Sie kommt mit dem Schiff aus Liotto."

    "Aha, das ist ja schön für euch beide." Ich rang mir ein knappes Lächeln ab und deutete auf das Ufer am anderen Ende der Brücke. "Aber könntest du vielleicht trotzdem aus dem Weg gehen? Ich suche einen womöglich verletzten Freund, der vermutlich in der Höhle dahinten ist."

    "Ich heiße Servas", begann der Fremde seinen Spruch erneut aufzusagen, was mich irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ. Erst jetzt bemerkte ich den transparenten Schimmer seiner Haut und seinen entrückt wirkenden Blick.


    Ein Geist?!


    Ich versuchte noch einmal, Servas mein Anliegen zu erklären, bekam aber wieder nur dieselben drei Sätze zur Antwort.

    "Dann eben auf die harte Tour", murmelte ich in mich hinein und versuchte, mich an Servas vorbei oder notfalls sogar durch ihn hindurch zu quetschen.

    Wenn wirklich ein Geist war, hatte er schließlich keine physische Form, nahm ich an.


    Doch nach nur wenigen Schritten wurde ich von einer mächtigen Druckwelle erfasst und zurückgeschleudert.

    Ich landete hart auf dem Rücken, überschlug mich und rollte einige Meter über den feuchten Ufersand, bevor ich zum Liegen kam.

    "Spinnst du?", keifte ich Servas an, während ich mich wieder auf die Füße hievte. Doch beim erneuten Anblick des Geists verflog meine Konfrontationslust schnell wieder.

    Servas' Augen leuchteten nun in einem dämonischen Rot und er war plötzlich von einer wabernden Aura umgeben. "ICH WARTE HIER AUF MEINE VERLOBTE NANA!", brüllte er mir entgegen und mir wurde klar, dass ich diese Brücke wohl nie würde überqueren können, solange ich diese Nana nicht fand.


    Also musste ich mich wohl auf den Weg nach Liotto machen...





    Fortschritt:


    Lvl 23

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (2/3), Seeheim (1/3)

  • Arks Tagebuch Part 12


    Von Perry erfuhr ich, dass sich Liotto auf dem südlich gelegenen Kontinent befand, doch zu meiner großen Frustration war die mich dorthin führende Brücke bei einem Unwetter zerstört worden.


    Ich fluchte in mich hinein.

    Wenn Will tatsächlich verletzt war, hatte er für derartige Verzögerungen vermutlich keine Zeit!

    Doch leider war das Ufer der Seeinsel zu steil, um es vom Wasser aus zu erreichen, weswegen schwimmen keine Option war.

    Ich musste über die von Servas bewachte Brücke...


    Daher verbrachte ich die nächsten Wochen als Holzfäller und half beim Wiederaufbau der Brücke, die mich nach Liotto führen würde.

    Auch wenn die Schufterei verdammt anstrengend war, war mir dies tausend Mal lieber als Däumchen drehend auf der faulen Haut zu liegen. Außerdem spülte der Lohn, den ich dafür bekam, etwas Geld in meine nicht allzu üppig gefüllte Reisekasse.


    Als ich nach getaner Arbeit durch die nun erreichbaren Lande zog, fiel mir zum ersten Mal auf, dass der "neue Kontinent" für mich gar nicht so neu war.

    Jahre zuvor hatte ich hier die Vögel und Pflanzen aus ihrer Versiegelung befreit und den Wind erweckt!


    Liotto selbst lag östlich von Lumina, der blühenden Oase, in deren Mitte der Sonnenbaum Ra wuchs.

    Ich spielte kurz mit dem Gedanken, einen Abstecher dorthin zu machen, aber dies hätte einen langen Umweg bedeutet und da ich eh nicht mehr mit Pflanzen sprechen konnte, wäre es vermutlich sowieso nur ein deprimierender Besuch geworden...


    Dafür herrschte in Liotto umso bessere Laune!

    Als ich endlich in dem kleinen Städtchen ankam, feierten dessen Bewohner gerade ein Straßenfest und wohin ich auch blickte, sah ich bunte Buden, an denen Spiele oder lokale Spezialitäten angeboten wurden.

    Hoffentlich konnte ich in diesem Durcheinander Servas' Verlobte finden!


    Ich schlängelte mich durch die feiernden Menschen und fragte jeden, der mir zuhören wollte, ob er eine Frau namens Nana kannte.

    Leider schien dies bei niemandem der Fall zu sein...


    Nur eine Frau legte bei meiner Nachfrage den Kopf schief und überlegte laut: "Die Schwester meiner Großmutter hieß Nana, soweit ich weiß." Dann fügte sie lachend an: "Aber die wirst du wohl kaum meinen!"

    Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als mir ein Gedanke kam: Was, wenn dies doch genau die Nana war, die ich suchte?

    Servas war ein Geist. Wer weiß, wie lange er schon in den Great Lakes sein Unwesen trieb und auf seine Verlobte wartete...


    Trotz der sommerlichen Hitze leicht fröstelnd erkundigte ich mich: "Lebt deine Großtante denn noch?"

    Die Frau schüttelte den Kopf, wobei ihr honigfarbenes Haar sanfte Wellen in der Luft schlug. "Nein, schon lange nicht mehr. Sie ist bereits als junge Frau bei einem Schiffsunglück gestorben."


    Eisige Kälte kroch mir das Rückgrat hinauf, während ich mich gegen die sich in mir formende Gewissheit sträubte, dass wir hier tatsächlich über die von mir gesuchte Frau sprachen.

    Wie sollte ich Servas jemals davon überzeugen können, mich in die Höhle zu lassen, wenn seine Nana ebenfalls schon lange tot war?!


    Um nicht unhöflich zu wirken, presste ich ein "Oh, das tut mir leid" zwischen den Zähnen hindurch, was die Frau zum Anlass nahm, weiterzuerzählen: "Ja, es ist wirklich eine traurige Geschichte. Das besonders Tragische daran ist, dass sie auf dem Weg zu ihrem Verlobten in Seeheim war. Die beiden wollten nach ihrer Ankunft heiraten. Ich habe gehört, dass er sich, als sie nicht wie vereinbart eingetroffen ist, in den Great Lakes ertränkt haben soll, weil er glaubte, sie habe ihn verlassen!"

    Die Frau sah mich nach Aufmerksamkeit heischend an, während ich mich am liebsten übergeben hätte.


    In dem Moment klinkte sich ein Matrose, der neben uns an einem Stand mit frischem Obst gestanden hatte, in unser Gespräch ein: "Unter uns Seeleuten heißt es, Frauen, die auf See sterben, werden zu Nixen."

    "Tatsächlich?" Meine Gesprächspartnerin drehte sich neugierig zu ihm um. Sich sichtlich über das Interesse der hübschen Frau freuend fuhr der Seemann fort: "Oh ja! Diese Meerjungfrauen sind die guten Geister der Ozeane und retten immer wieder Schiffsbrüchigen das Leben!"

    Ich rollte genervt mit den Augen, verabschiedete mich knapp und wandte mich zum Gehen.


    Auf Seemannsgarn hatte ich derzeit nun wirklich keine Lust. Was ich brauchte, war eine Lösung für mein Problem - keine Märchen!


    Zudem meldete sich in diesem Moment mein Magen mit einem lautstarken Knurren zu Wort und erinnerte mich daran, dass meine letzte richtige Mahlzeit bereits Tage zurücklag. Also schob ich die Suche nach Nana auf, um mir etwas Essbares zu besorgen.

    Ich steckte ja so oder so in einer Sackgasse und musste mir einen neuen Plan überlegen, sollte Servas' Verlobte wirklich tot sein.


    Ich stellte mich also in die Schlange vor einem verschiedene Eintöpfe anbietenden Stand und ging im Kopf die mir verbliebenen Möglichkeiten durch, als ein Mädchen neben mir plötzlich ein lautes Quieken ausstieß: "Ark! Du bist es tatsächlich!"

    Überrascht wandte ich den Kopf und sah einen weißblaubraunen Blitz auf mich zuschießen, der kurz darauf gegen meine Brust prallte und mir die Arme um die Hüfte schlang. "Endlich hab ich dich wieder!"


    "Mei-Lin! Was machst du denn hier?!" Ich fühlte mich, als hätte mir jemand den Teppich unter den Füßen weg gezogen und starrte ungläubig auf das meinen Oberkörper umklammernde Mädchen.

    "Ich habe dich gesucht", erklärte Mei-Lin in einem Tonfall, als wäre es das Normalste der Welt, deswegen von einem Kontinent zum anderen zu reisen.

    Dann legte sie ihren Kopf in den Nacken, um mir ins Gesicht blicken zu können, ohne mich loslassen zu müssen: "Als ich in Loire aufgewacht bin und du weg warst, habe ich schon befürchtet, ich würde dich niemals wiederfinden... Versprich mir, dass du mich nie wieder verlässt!"


    Ich versuchte, mich aus ihrer Umarmung zu lösen, ohne allzu grob zu sein. "Wieso bist du nicht wieder nachhause zurückgekehrt?"

    Mei-Lin sah mich verletzt an. "Das sagte ich doch bereits: Weil ich bei dir sein will."

    Einen tiefen Seufzer ausstoßend erklärte ich: "Das geht nicht, Mei-Lin. Ich lebe das Leben eines Abenteurers. Ich kämpfe gegen Monster und wandere teilweise wochenlang durch die Wildnis, ohne zu wissen, ob ich je wieder so etwas wie Zivilisation zu Gesicht bekomme. Das ist nichts für ein Mädchen wie dich!"

    "Und trotzdem habe ich mich ganz alleine bis hierher durchgeschlagen!", hielt sie trotzig dagegen und versuchte, meine Hand zu greifen.

    Als Reaktion darauf verschränkte ich die Arme vor der Brust und tadelte: "Das war mehr Glück als Verstand!"


    Zu meiner Überraschung lächelte Mei-Lin mich daraufhin mit strahlenden Augen an und verkündete: "Dass du dir solche Sorgen um mich machst, ist wirklich süß!"

    Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber Mei-Lin schnitt mir mit herausforderndem Blick das Wort ab: "Ich werde nicht zurück nach Hause gehen - egal, was du sagst. Wenn du nicht willst, dass mir etwas passiert, wirst also du wohl oder übel bei mir bleiben müssen!"


    "Das ist emotionale Erpressung!" Ich starrte das Mädchen vor mir fassungslos an, erntete dafür aber nur ein unbeeindrucktes Schulterzucken. "Nenn' es wie du willst. Hauptsache, ich verliere dich nicht wieder."

    Dann packte Mei-Lin mich am Ellbogen und forderte: "Und jetzt komm! Ich will mir das Fest ansehen!"


    Resigniert ließ ich mich von ihr durch die Straßen und von Stand zu Stand ziehen.

    An einer Bude mit Süßigkeiten forderte sie: "Kauf mir was!"

    "Kauf dir doch selbst was", brummte ich zurück, beleidigt darüber wie ein Diener behandelt zu werden.

    Mei-Lin grinste mich daraufhin verschlagen an. "Würde ich ja tun, aber ich fürchte, du magst meine Art zu bezahlen nicht."


    Als ich fragend die Stirn in Falten legte, erklärte sie: "Ich nutze meine Illusionsgabe, um die Verkäufer glauben zu lassen, ich hätte ihnen Geld gegeben."

    "Das ist Betrug", stellte ich fest, aber Mei-Lin machte eine wegwerfende Handbewegung und verkündete: "Eine Frau tut, was sie muss, um zu überleben."

    Meinen Geldbeutel hervor kramend knurrte ich: "Weißt du, wo du sicher und frei von Geldsorgen wärst? Zuhause!"

    Mei-Lin streckte mir die Zunge heraus, kaufte sich von meinem Geld eine kleine Zuckerbombe und schleppte mich dann weiter durch Liotto.


    In der Nähe des Dorfausgangs blieb sie plötzlich stehen und deutete auf den örtlichen Gasthof.

    "Es wird bald Abend. Hast du dir schon ein Zimmer hier im Gasthaus genommen? Ich hab gehört, sie haben auch Räume mit Doppelbetten..."

    "Das freut mich für Paare, die gemeinsam reisen." Ich weigerte mich, die Implikation in Mei-Lins Worten zu verstehen, aber sie ließ nicht locker: "lch habe mir immer einen starken Mann in meinem Leben gewünscht..." Sie ließ ihre Hand von meinem Unterarm zu meinem Bizeps hochwandern, während sie unter ihren Wimpern hinweg kokett lächelnd zu mir aufsah.

    Mir drehte sich bei diesem Anblick der Magen um und ich entriss ihr grob meinen Arm. "Hör zu, Mei-Lin, ich weiß nicht, wie du dir das hier vorgestellt hast, aber wir werden nie mehr als Freunde sein. Ich bin viel zu alt für dich!"


    Für einen Moment flackerten Schmerz und Wut in Mei-Lins Augen auf, aber dann wischte sie meinen Einwand mit einem "Ach, die paar Jahre" einfach beiseite und rannte in Richtung Norden davon.

    Nach ein paar Metern drehte sie sich wieder zu mir um und rief: "Komm schon! Ich will dir etwas zeigen!"

    Am liebsten hätte ich sie einfach laufen lassen, aber ich machte mir Sorgen, was sie ausfressen könnte, wenn ich sie nicht begleitete. Daher stieß ich genervt Luft aus der Nase aus und trottete ihr dann hinterher.


    Auf einem hohen Hügel am Nordrand des Dorfes stand eine große, einen Mann mit ausgebreiteten Armen darstellende Statue.

    Persönlich fand ich das Ding schreiend hässlich, aber Mei-Lin betrachtete die Skulptur mit einem verträumten Ausdruck in den Augen. Dies hatte jedoch, wie sich herausstellte, nichts mit künstlerischen Aspekten zu tun...


    "Es heißt, Paare, die sich unter dieser Statue verlieben, werden für immer glücklich sein. Ist das nicht romantisch?"

    "Abergläubischer Blödsinn, wenn du mich fragst." Ich hatte sowas von keine Lust, mit Mei-Lin über Romantik zu sprechen!

    Wie nur sollte ich ihr begreiflich machen, dass ihre offensichtliche Schwärmerei für mich unangebracht und fruchtlos war?!


    Doch dann trat plötzlich eine mir sehr vertraute Frau hinter der Statue hervor und mein Herz blieb augenblicklich stehen.


    Melina!


    Im ersten Moment war ich mir nicht sicher, um welche der beiden Melinas es sich handelte, aber bei dem sanften Lächeln und der Liebe, die aus ihrem Blick sprach, nahm ich an, dass ich tatsächlich meine Freundin vor mir hatte.


    Ich starrte sie mit offen stehendem Mund an, unfähig zu glauben, was ich sah. "Was machst du denn hier?!"

    Ihre Augen funkelten verspielt und sie legte mir einen Finger auf die Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. "Ist das wichtig?"

    "Nein", gab ich zu und schloss sie in die Arme.

    Dass Mei-Lin noch immer irgendwo neben mir stehen musste, hatte ich in diesem Moment vollkommen vergessen, genauso wie die restliche Welt um mich herum.


    Für mich existierten nur noch Melina und ich.


    Sie lehnte sich gegen mich und verschränkte ihre Arme in meinem Nacken, bevor sie mein Gesicht zu ihrem herunter zog und mich küsste. Ich drückte sie noch fester an mich und wünschte mir nichts sehnlicher als dass dieser Moment für immer andauern würde.


    Doch bekanntlich ist nichts für die Ewigkeit und so löste sich Melina viel zu früh wieder von mir.


    Mir blieb daher nichts anderes als ihr wunderschönes Gesicht mit den Augen abzutasten und darüber zu staunen, dass die Jahre, die ins Land gegangen waren, seit ich sie verlassen hatte, offenbar spurlos an ihr vorbei gegangen waren.

    Sie sah noch immer ganz genauso aus wie damals!


    Ganz genauso wie damals...


    Bei diesem Gedanken überkam mich ein schreckliches Gefühl und wie aufs Stichwort löste sich die Melina in meinen Armen plötzlich in Luft auf...


    Verletzt und verwirrt sah ich mich um, bis mein Blick an Mei-Lin hängen blieb, die vor Wut zu kochen schien. "Na, ist es dir endlich gelungen, meine Illusion zu durchschauen?", keifte sie mich an.

    "Was? Ich... Ich verstehe nicht...", stammelte ich, obwohl mir eigentlich sehr klar war, was passiert war. Mein Verstand weigerte sich lediglich, dies zu akzeptieren.


    "Ich liebe dich, Ark!", erklärte Mei-Lin mit Tränen in den Augen. "Daher wollte ich wissen, wie es um deine wahren Gefühle steht und habe meine Gabe genutzt, um deinen größten Herzenswunsch wahr werden zu lassen. Nie hätte ich gedacht..." Sie wurde von einem Schluchzen unterbrochen und fuhr dann fort: "Diese Frau... Sie ist deine große Liebe. Ich hatte nie auch nur eine Chance. Ich bin so dumm!"


    Ich machte einen Schritt auf sie zu und streckte meine Arme nach ihr aus, um sie zu trösten, aber Mei-Lin schlug meine Hände weg und brüllte: "ICH HASSE DICH!"

    Dann wirbelte sie herum und rannte in Richtung Stadt davon.


    Obwohl ich ihr sofort folgte, konnte ich sie nirgends mehr entdecken und mir war schnell klar, dass sie sich in einer Illusion verbarg und ich sie niemals finden würde, so lange sie dies nicht wollte.

    Also schrieb ich Ma-Jo erneut einen Brief, um ihn auf dem Laufenden zu halten, und nahm mir dann in der Herberge ein Zimmer, um ins Bett gehen und diesen schrecklichen Tag endlich hinter mir lassen zu können.


    Als ich am nächsten Tag das Gasthaus wieder verließ, traf ich auf den Kapitän eines Schiffes, der neue Mitglieder für die Mannschaft seines Schiffes zu suchen schien.

    Er erklärte mir, dass die Fischer der Region derzeit große Probleme hatten, weil sie kaum noch etwas fingen. Angeblich sollten dafür Dämonen verantwortlich sein, die sich im Nixenturm eingenistet hatten.


    Bei der Erwähnung des Nixenturms wurde ich hellhörig.


    Ob es doch so etwas wie Meerjungfrauen gab?


    Neugierig geworden, ließ ich mich von dem Kapitän anheuern und fand mich wenige Tage später an der Spitze des größtenteils unter Wasser gelegenen Turms wieder.

    Zum Glück konnte ich sehr lange die Luft anhalten und so gelang es mir, die Fischdämonen im Turminneren zu erschlagen, bevor ich ertrank.


    Zu meiner großen Überraschung tauchten daraufhin tatsächlich einige Nixen im Turm auf, die mir aus Dank für ihre Rettung eine mächtige Waffe schenkten, bevor sie mir zurück an die Oberfläche halfen.

    Dort angekommen fragte ich: "Heißt eine von euch zufällig Nana und war in ihrem früheren Leben mit einem gewissen Servas verlobt?"


    Ich hatte keine großen Hoffnungen auf eine positive Antwort und war entsprechend ziemlich verblüfft, als eine der Nixen nickte und mir einen zarten Silberring mit einem wunderschönen Aquamarin in die Hand drückte. "Bitte bring Servas diesen Ring und sag ihm, dass ich ihn noch immer liebe."


    "Das werde ich", versprach ich und fragte mich gleichzeitig, ob meine Melina genauso treu auf mich wartete wie Servas auf seine Nana.

    Und ob wir zu einem ähnlichen Ende verdammt waren wie die beiden...


    Vielleicht wäre wenigstens Servas glücklich geworden, wenn er Nana irgendwann aufgegeben und ein neues Leben angefangen hätte?

    Ob Nana ihm dies übel genommen hätte?


    Die Begegnung mit Mei-Lins Illusion hatte alte Wunden wieder aufgerissen und ich sehnte mich mehr denn je danach, in die Arme meiner Freundin zurückkehren zu können.


    Sie hatte mir aber auch vor Augen geführt, dass ich emotional in der Vergangenheit lebte.

    Ich wusste ja nicht einmal, wie Melina inzwischen aussah, geschweige denn wie sie heute dachte oder fühlte.

    Zu diesem Zeitpunkt liebte ich keine real existierende Frau mehr, sondern nur noch eine Erinnerung...


    Mein Kopf war noch immer voll derartiger Gedanken, als ich nach Monaten endlich wieder an den Great Lakes ankam.

    Inzwischen hatte ich keine Hoffnung mehr, Will noch lebend zu finden, aber ich wollte wenigstens seinen Leichnam mit eigenen Augen sehen, um Perry und Anita Gewissheit verschaffen zu können.


    Als Servas Nanas Ring erblickte, sah er mich aus großen, verletzlich wirkenden Augen an. "Du hast mit ihr gesprochen?"

    "Ja", bestätigte ich. "Sie hat dich nie verlassen, aber ihr Schiff ist gekentert und sie hat das Unglück leider nicht überlebt."

    "Dann ist sie nun eine Nixe?", wollte Servas wissen.

    Ich nickte. "Genau. Und sie möchte, dass du weißt, dass sie nie aufgehört hat, dich zu lieben."

    "Ich danke dir, Fremder!" Auf dem Gesicht des Geistes machte sich ein friedlicher Ausdruck breit, bevor er verkündete: "Ich werde zu ihr gehen."


    Dann löste er sich mit einem Flackern in Luft auf und gab endlich die Brücke zu der Seeinsel frei!





    Fortschritt:


    Lvl 24

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (2/3), Seeheim (1/3)

    Verkehrsmittel: Schiff

  • Arks Tagebuch Part 13


    Nach all der Mühe, die ich auf mich genommen hatte, um die Höhle betreten zu können, war die Ernüchterung groß, als sie sich als vollkommen leer entpuppte.

    Flechten und Moos überwucherten die vor Nässe glänzenden Wände und ein paar fette Kröten hüpften zwischen beeindruckend großen Stalagmiten in Richtung eines winzigen Sees am Fuß eines schmalen Wasserfalls, aber von Will oder seinen Überresten konnte ich keine Spur entdecken.


    "Vielleicht war das komische Wrack vor dem Eingang doch nicht Wills Flugmaschine... Oder er ist nach dem Absturz in den See gefallen und ertrunken", überlegte ich laut, während ich versuchte, meine Enttäuschung im Zaum zu halten.

    Ich hatte mehr als ein Jahr meines Lebens dafür geopfert, um den Weg in diese Höhle zu öffnen und nun sollte dies tatsächlich völlig umsonst gewesen sein?!


    Das war einfach nicht fair...


    Genervt trat ich gegen einen neben mir liegenden Stein, der mit einem lauten Platschen in der Gumpe am hinteren Ende der Höhle landete, und wollte mich bereits zum Gehen wenden, als plötzlich ein Geräusch an meine Ohren drang.

    Ich konnte keine Worte ausmachen, aber es klang eindeutig nach einer menschlichen Stimme!


    Überrascht warf ich Fluffy einen fragenden Blick zu, der mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass er es ebenfalls gehört hatte.

    "Woher...?", setzte ich an und suchte mit zunehmender Verwirrung die Wände nach zuvor übersehenen Öffnungen ab, jedoch ohne Erfolg.

    Fluffy hingegen flatterte über dem kleinen Teich in der Luft und zog ein grübelndes Gesicht. Nach einer Weile sagte er: "Sieht aus, als käme hier Luft rein..."

    "Huh?" Irritiert folgte ich Fluffys Blick mit den Augen und bemerkte nun auch endlich, was mein Begleiter entdeckt hatte: in einer Ecke des Wasserlochs perlten einige Luftblasen an die Oberfläche.

    Während ich mich noch fragte, was dies zu bedeuten hatte, war Fluffy mir schon einen Schritt voraus: "Ich vermute, du kannst hier in einen anderen Teil der Höhle hinüber tauchen."


    Bei diesem Gedanken zog sich alles in mir zusammen.

    Ich war nie ein besonders guter Schwimmer gewesen und allein die Vorstellung, mich im Dunkeln durch überflutete, enge Tunnel quetschen zu müssen, ließ Panik in mir hochsteigen.

    Doch ich hatte wohl keine andere Wahl... Wenn Will nach all der Zeit wirklich noch am Leben sein sollte, dann musste ich alles daran setzen, ihn zu finden.

    Also schluckte ich meine Angst so gut es ging herunter, ließ Fluffy in seiner Truhe Schutz suchen und stieg ins Wasser. Dann holte ich tief Luft und tauchte hinab, um den Ursprung der Luftblasen zu finden.


    Wie Fluffy vermutet hatte, fand ich in ein paar Metern Tiefe tatsächlich einen Spalt in der Höhlenwand, der groß genug war, dass ich mich hindurch zwängen konnte.

    Mit rasendem Herzen und mich an dem rauen Fels entlang tastend arbeitete ich mich so schnell wie möglich vorwärts. In dem engen Tunnel herrschte vollkommene Finsternis und ich war mir sicher, ich würde ertrinken, sollte ich auch nur kurz die Orientierung verlieren.

    Entsprechend erleichtert war ich, als ich auf der anderen Seite endlich wieder auftauchen konnte!


    Hier öffnete sich die Höhle zu einem großen, mit Stalaktiten bewachsenen Gewölbe, dessen Decke breite Risse aufwies. Das dadurch einfallende Sonnenlicht ließ die von Mineralien durchzogenen Wände mystisch funkeln.

    Doch so schön dieser Anblick auch war, ich hatte dafür keine Augen. Stattdessen wurde mein Blick wie magisch von einem Schemen angezogen, der am anderen Ende der Höhle in den Schatten verschwand.


    War das ein Drache gewesen?!


    Während ich noch der riesigen Silhouette hinterher starrte, erklang aus derselben Richtung die Stimme von zuvor und dieses Mal konnte ich ihre Worte verstehen: "Hilfe! Gossi, hilf mir bitte!"

    Ich wusste nicht, wer oder was Gossi sein sollte, aber ich hatte keinen Zweifel daran, dass der Hilfesuchende ein Mensch war.

    Also beeilte ich mich, diesen trotz meiner Schwimmschwäche so schnell wie möglich zu erreichen und kraulte dem zuvor gesehenen Schemen hinterher.


    Meine Verfolgungsjagd führte mich aus dem Gewölbe heraus und in ein komplexes System langgezogener Tunnel hinein. Sehr zu meinem Leidwesen erwarteten mich auch noch mehrere Tauchpassagen, aber glücklicherweise musste ich mich zumindest nicht noch einmal durch einen engen Spalt zwängen.

    Stattdessen hielt die Höhle jedoch eine andere, unangenehme Überraschung für mich bereit: am Ende des letzten Tunnels stürzte sich das Wasser von ohrenbetäubend lautem Tosen begleitet etliche Meter in die Tiefe!


    Obwohl ich mit aller Kraft gegen die Strömung arbeitete, war es zu spät und ich wurde von den Wassermassen in den Abgrund gerissen.

    Unten angekommen, knallte ich hart auf der Oberfläche auf und wurde sofort unter Wasser gedrückt, wo es mich wild umher wirbelte. Ich kämpfte verzweifelt darum, wieder aufzutauchen, doch die schnellen Richtungswechsel der an mir zerrenden Kräfte machten dies fast unmöglich.

    Mir brannten bereits die Lungen, als sich plötzlich etwas Hartes unter meinen Körper schob und mich anhob, bis ich die Wasseroberfläche durchbrach, prustend nach Luft schnappte und mich dankbar an den vor mir treibenden Stamm eines abgebrochenen Baumes klammerte.


    Entkräftet und mit wild schlagendem Herzen zog ich mich auf das Treibgut und blickte mich fragend um. Wer oder was hatte mir geholfen?


    Als mein Blick auf meinen Retter fiel, stockte mir der Atem: nur wenige Meter von mir entfernt stand ein riesiger, zweiköpfiger Drache im Wasser und beobachtete mich aufmerksam.

    Im ersten Moment erfüllte mich dies mit Angst, doch als ich den sanften Ausdruck in den Augen des Wesens bemerkte, entspannte ich mich wieder ein wenig.


    Ich wollte mich gerade für meine Rettung bedanken, als plötzlich einige sternförmige Dämonen aus dem Wasser sprangen und den Drachen attackierten. Sein Schmerzensschrei hallte laut von den hohen Wänden der Höhle wider und schnürte mir die Kehle zu.

    Ohne zu zögern sprang ich zurück ins Wasser und schwamm zu dem Drachen herüber, um mich für seine Hilfe von zuvor zu revanchieren.


    Als sie die scharfe Spitze meines Speeres bemerkten, stießen die Sterndämonen fauchende Laute aus und versuchten, sich auf mich zu stürzen. Es gelang mir jedoch, mich mit einer Rolle aus der Gefahrenzone zu bringen und eines der Monster aufzuspießen.

    Dies schien seine Artgenossen noch zusätzlich anzustacheln, aber auch sie fanden ein schnelles Ende.


    Kaum dass ich den letzten Dämon erschlagen hatte, setzte sich der Drache plötzlich in Bewegung, sodass ich mich an seiner Finne festhalten musste, um nicht herunterzufallen.

    "Wo bringst du mich hin?", wollte ich wissen, aber natürlich bekam ich darauf keine Antwort. Ich fragte mich, ob ich früher, als ich noch mit Tieren sprechen konnte, auch mit diesem Drachen hätte kommunizieren können.


    Nach wenigen Minuten erreichten wir endlich das Ufer des riesigen Sees und ich staunte nicht schlecht, als ich dort einen anderen Mann entdeckte.

    Seine Kleidung hing in Fetzen an seinem dürren Körper und seine Haaren sowie sein langer Bart wirkten ungepflegt und verfilzt, aber er schien gesund und unverletzt zu sein.


    "Bist du Will?", platzte ich ohne nachzudenken heraus, was einen verblüfften Ausdruck auf das Gesicht des Fremden zauberte. "Der bin ich! Und du bist?"

    "Mein Name ist Ark", erklärte ich, "ich bin ein Freund von Perry und auf der Suche nach dir." Nach einer kurzen Pause fügte ich an: "Ich hatte nach all der Zeit nicht mehr damit gerechnet, dich lebend zu finden."

    Will grinste und zeigte dabei eine Reihe gerader, aber gelblicher Zähne. "Das habe ich nur Gossi hier zu verdanken!" Er warf dem Drachen einen liebevollen Blick zu. "Nach meinem Absturz wäre ich beinahe ertrunken, aber Gossi hat mich gerettet und sogar Nahrung für mich beschafft."


    "Hast du nie versucht, nachhause zurückzukehren?", wollte ich wissen.

    "Doch, natürlich!" Will stieß schnaubend Luft aus der Nase aus. "Aber jedes Mal, wenn ich mich ins Wasser gewagt habe, haben mich diese Sternmonster angegriffen und Gossi musste mich wieder retten..."

    "Nun, dieses Problem sollte ich gelöst haben." Ich grinste Will breit an, dessen Gesichtsausdruck ein Kaleidoskop der Emotionen war: Freude, Erleichterung, Unglauben, Dankbarkeit, Wehmut.


    Als hätte er uns verstanden, senkte Gossi einen seiner massiven Köpfe zu uns herunter und Will umarmte sogleich seinen Hals. "Ich werde dich vermissen, Kumpel, aber ich muss nachhause!"

    Der Drache rieb seine Stirn an Wills Oberkörper und schien sich seinerseits verabschieden zu wollen. "Ich werde dich ab und zu besuchen", versprach Will und Gossi stieß einen leisen Laut der Freude aus.

    Dann machten wir uns auf den anstrengenden Weg zurück nach Seeheim.


    Perry war inzwischen lange nach Liberita zurückgekehrt, doch zu meiner großen Überraschung trafen wir in Wills Haus trotzdem auf Anita, welche die ganze Zeit über dort gelebt zu haben schien. Bei Wills Anblick stieß sie ein lautes Kreischen aus und warf sich dann weinend in seine Arme. Genau wie ich hatte sie nicht mehr damit gerechnet, ihren Freund lebend wiederzusehen.


    Nach der emotionalen Wiedervereinigung fragte Anita: "Funktioniert deine Flugmaschine?"

    Bei dem Gedanken an seine Erfindung leuchteten Wills Augen aus, als hätte jemand Lichter dahinter entzündet. "Oh ja! Dieses Gefühl, gemeinsam mit den Vögeln die Lüfte zu bereisen, ist unbeschreiblich!"

    Dann verdüsterte sich seine Miene jedoch wieder: "Leider haben mich diese verfluchten Monster attackiert, als ich über die Great Lakes geflogen bin. Deswegen bin ich abgestürzt und der Prototyp ist ruiniert!"


    "Dann bau doch einfach einen neuen", schlug Anita unbedarft vor. Will nickte. "Ich nehme jetzt erstmal ein Bad, aber danach mache ich mich gleich an die Arbeit. Möchtet ihr beide mir dabei helfen?"

    Anita und ich stimmten freudig zu, aber wie sich herausstellte, fehlten Will einige Teile, um seinen zweiten Flugzeugprototypen zu bauen. Vor allem das Metall für die Außenverkleidung war mehr als knapp.

    Dies wäre an sich kein allzu großes Problem gewesen, wenn nicht ein chinesischer Händler derzeit Unmengen an Metall aufgekauft und so den Preis in schwindelerregende Höhen getrieben hätte.


    "Ich wünschte, ich könnte nach Yamei reisen und mit mal ein ernstes Wort mit diesem Otaku wechseln!", wetterte Will beim Mittagessen, nachdem er mit leeren Händen von dem Treffen mit einem Metallhändler zurückgekehrt war.

    "Meinst du, das würde irgendetwas bringen?", hakte ich nach, woraufhin Will mit den Schultern zuckte. "Keine Ahnung. Aber ich würde mich zumindest besser fühlen!"

    "Wenn du möchtest, kann ich für dich nach Yamei fahren", schlug ich vor. Nachdem ich den Nixenturm von Dämonen befreit und damit Liottos Fischer vor dem Ruin bewahrt hatte, hatte mir der Kapitän, der mich damals um Hilfe gebeten hatte, versprochen, dass er mich jederzeit überallhin fahren würde.

    "Das würdest du für mich tun?" Überraschung und Unglauben standen Will überdeutlich ins Gesicht geschrieben.

    Ich zuckte mit den Schultern. "Ich hatte sowieso vor, die Welt zu bereisen."


    Als wäre diese Reise Schicksal, lag das Schiff des Kapitäns aus Liotto gerade im Hafen von Liberita, wodurch mir die lange Reise nach Südamerika erspart blieb.

    Und so kam es, dass ich mich nur wenige Wochen später bereits auf dem Weg nach China befand.





    Fortschritt:


    Lvl 25

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (2/3), Seeheim (1/3)

    Verkehrsmittel: Schiff

  • Arks Tagebuch Part 14


    Als ich Monate später im Hafen von Yamei wieder von Bord ging, staunte ich nicht schlecht. Während Europa und Amerika ein ähnliches technologisches Niveau hatten, war China ihnen weit voraus.

    Die Häuser hier in Yamei waren schwindelerregend hoch und obwohl bereits die Nacht hereingebrochen war, waren diverse Fenster noch immer hell erleuchtet. Die gesamte Stadt funkelte und glitzerte vor lauter Lichtern so sehr, dass sie die Sterne am Firmament überstrahlte und verblassen ließ.

    Ich wandelte staunend durch die schmalen, von exotischen Gerüchen durchwehten Gassen und fragte mich, ob es in den Städten der anderen Länder auch irgendwann so aussehen würde. So beeindruckend Yamei auch sein mochte, wusste ich nicht, ob ich eine derartige Entwicklung begrüßenswert gefunden hätte.

    Waren Fortschritt und Luxus es tatsächlich wert, dass man die Sterne nicht mehr sehen konnte?


    Während ich auf der Suche nach der nächstbesten Herberge war, ging ich an einigen Einheimischen vorbei, die offenbar gerade aus einem Restaurant gekommen waren und nun das Essen dort in den höchsten Tönen lobten. Vielleicht hätte ich mich schon früher darüber wundern sollen, doch in diesem Moment fiel mir zum ersten Mal bewusst auf, dass ich offenbar alle Sprachen dieser Welt beherrschte.


    Ich wusste nicht, woher ich diese Gabe hatte, nahm aber an, dass sie denselben Ursprung hatte wie meine inzwischen verloren gegangene Fertigkeit, mit Pflanzen und Tieren zu sprechen.

    Vielleicht hatte die Macht, die mir damals die Kommunikation mit Fauna und Flora ermöglicht hatte, diese Fähigkeit nach dem Erwachen der Menschheit zu einem universellen Sprachverständnis umgemodelt, da es Teil meiner Bestimmung und Aufgabe war, die Welt zu bereisen und mit unterschiedlichen Personen aus den verschiedensten Kulturkreisen zu sprechen.

    Das war zugegebenermaßen praktisch, aber ich wünschte trotzdem, ich könnte noch immer auch mit den anderen Bewohnern dieser Welt sprechen...

    Vor allem die Gespräche mit Tieren fehlten mir sehr.


    Nach kurzer Suche fand ich ein Hotel nahe des Stadtrands. Es wirkte heruntergekommen und nicht unbedingt sehr sauber, aber das war mir gleich. Ich hatte eh nicht vor, viel Zeit hier zu verbringen.

    Gerade als ich an der Rezeption mein Bett für die Nacht bezahlte, drang ein herzzerreißendes Wehklagen an mein Ohr und ich drehte mich besorgt zu der Zimmertür, hinter der die Quelle dieses Lauts liegen musste.

    Die Rezeptionistin, die meinen fragenden Blick bemerkte, erklärte: "Das Zimmer gehört einer anderen Reisenden. Sie ist leider kurz nach ihrer Ankunft hier schwer erkrankt und quält sich nun im Fieberwahn. Wir haben bereits den besten Arzt der Stadt konsultiert, aber selbst er konnte ihr nicht helfen."

    "Die Arme. Ich hoffe, es geht ihr bald wieder besser." Ich zog ein mitleidiges Gesicht, nahm meinen Zimmerschlüssel entgegen und wollte mich gerade zur Ruhe begeben, als das Gewimmere erneut erklang - und dieses Mal konnte ich aus dem gequälten Stöhnen ganz klar einen Namen heraushören: Melina!


    Sofort wirbelte ich herum wie eine Theaterpuppe, an deren Fäden gerissen worden war, und schritt schnurstracks auf das Zimmer der Kranken zu. Die Rezeptionistin schnappte in meinem Rücken empört nach Luft und rief: "Stopp! Sie dürfen da nicht rein!"

    Ich ignorierte sie jedoch geflissentlich, stieß die Tür auf und trat in den stickigen, dunklen Raum dahinter, bevor die aufgesprungene Hotelangestellte auch nur um ihren Tresen hatte herumlaufen können.

    Wegen des schummrigen Lichtes konnte ich zunächst nichts erkennen, aber dann bemerkte ich die auf dem Kissen ausgebreitete, feuerrote Mähne der Kranken und bestätigte meinen Verdacht: im Bett vor mir lag Fyda und warf sich, heftig schwitzend, in unruhigem Schlaf hin und her.


    "Ich habe gesagt, Sie dürfen hier nicht rein!" Die Rezeptionistin packte mich am Arm und versuchte, mich aus dem Zimmer zu zerren, aber ich war viel zu schwer und kräftig für die kleine, zierliche Frau. Ohne mich auch nur einen Millimeter von der Stelle zu bewegen sagte ich: "Ich kenne diese Reisende. Ihr Name ist Fyda. Sie ist die Leibwächterin einer guten Freundin von mir."

    Es fühlte sich seltsam an, Prinzessin Melina als "gute Freundin" zu bezeichnen, aber der Hotelangestellten zu erklären, wieso ich ein persönliches Interesse an Fydas Gesundheitszustand hatte, wäre zu kompliziert gewesen.


    Wenn Fyda hier war, war dann auch Melina in der Nähe?

    Wo hatte sie die letzten Jahre gesteckt?

    Wie war es ihr ergangen?

    Und dachte sie, genau wie ich, noch immer an die Zeit, die wir gemeinsam auf dem Schiff nach Amerika verbracht hatten?

    An unseren Beinahkuss?


    Die Rezeptionistin ließ meinen Arm los und sah mit zweifelndem Gesichtsausdruck zu mir hoch. "Dann wissen Sie, an welcher Krankheit sie leiden könnte?"

    Ich schüttelte den Kopf. "Leider nicht. Ich habe Fyda schon seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen."

    "Muss... sie... beschützen... Melina..." Fyda warf sich stöhnend auf die andere Seite und mir schnürte eine böse Ahnung die Kehle zu.


    War Melina womöglich nicht hier, weil ihr etwas zugestoßen war?


    Ich musste dringend mit Fyda sprechen, aber in ihrem jetzigen Zustand war daran nicht einmal zu denken. Daher wandte ich mich zu der Frau neben mir und fragte: "Was hat der Arzt denn gesagt, als er sie untersucht hat?"

    Die Hotelangestellte zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht genau. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht hier. Ich weiß nur, dass er ihr nicht helfen konnte."

    "Wo finde ich seine Praxis?", erkundigte ich mich. "Ich würde ihn gern nach Details fragen."


    Die Rezeptionistin beschrieb mir den Weg und ich staunte nicht schlecht, als mich der Arzt trotz der späten Stunde selbst empfing und hinein bat. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, vor verschlossenen Türen zu stehen und war nur deswegen hierher gelaufen, um mir die Route einzuprägen, damit ich sie am nächsten Morgen ohne Probleme finden würde.

    Stattdessen nahm ich wenige Minuten später im Untersuchungszimmer Platz und blickte mich verstohlen um. Die Wand rechts von mir war komplett mit kleinen Schubladen bedeckt, von denen ein undefinierbarer, intensiver Geruch ausging. Es roch ein wenig wie in einer Küche, aber mit dem Duft nach Wald und Erde vermischt.


    Der Arzt ließ sich mir gegenüber auf einem Stuhl nieder und fragte: "Du bist also ein Freund der kranken Reisenden?"

    "Ja, genau", bestätigte ich. "Ich mache mir Sorgen um sie."

    Eine leise Stimme in meinem Inneren schimpfte mich einen Heuchler, weil sich meine Gedanken in erster Linie um Melinas Schicksal drehten, aber ich schob sie bestimmt zur Seite.

    Ich mochte Fyda und wollte auch um ihretwillen, dass ihr geholfen wurde!


    Mit einem Seufzer strich sich der Arzt über seinen seidenen Mantel und glättete eine imaginäre Falte, bevor er erklärte: "Die Krankheit deiner Freundin scheint keine physische Ursache zu haben. Deswegen kann ich ihr leider auch nicht helfen."

    Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Was soll das heißen?"

    "Fyda muss vor kurzem etwas erlebt haben, das ein psychisches Trauma ausgelöst oder unverarbeitete Schrecken aus der Vergangenheit wieder hervorgeholt hat. Ihre Krankheit ist lediglich die Reaktion ihres Körpers auf ihr seelisches Leiden", erläuterte der Arzt mit mitfühlender, aber gleichzeitig resignierter Miene. "So lange ihr Geist keine Ruhe findet, so lange werden auch ihre körperlichen Beschwerden bestehen bleiben."


    "Aber wir werden doch irgendetwas tun können!", rief ich, unfähig zu akzeptieren, dass ich einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten sollte.

    Mein Gegenüber schwieg für einen langen Moment und sagte dann, mehr zu sich selbst als zu mir: "Wenn ich etwas Ginseng hätte, könnten wir zumindest ihr Fieber senken..."

    Wie elektrisiert rutschte ich an die vordere Kante meines Stuhls und fragte: "Wo finde ich dieses Ginseng? Egal, wie schwierig es sein mag, ich werde etwas davon besorgen!"

    Der Arzt sah mich mit einem Ausdruck der Verblüffung an. "Fyda muss dir ja wirklich sehr am Herzen liegen!" Als ich nicht antwortete, fuhr er fort: "Eigentlich ist es kein Problem, Ginseng zu beschaffen, aber Otakus Laden hat sämtliche Vorräte der Gegend aufgekauft, ich weiß nicht, warum. Seitdem ist er nirgends mehr zu erstehen."


    Bei der Erwähnung von Otaku zuckte ich innerlich zusammen.

    Fydas Anblick und der Gedanke, dass Melina womöglich in Gefahr sein könnte, hatte mich gänzlich vergessen lassen, dass ich eigentlich hier in Yamei war, um mit ihm in Wills Namen über den Metallmarkt zu sprechen...

    "Offenbar hortet dieser Otaku gerne Dinge", murmelte ich, was mir einen verwirrten Blick meines Gegenübers einbrachte. Ich bedeutete ihm mit einer wegwerfenden Handbewegung, dass meine Bemerkung irrelevant gewesen war und fragte dann: "Wo finde ich Otakus Laden?"

    "Gleich nebenan", antwortete der Arzt. "Wenn du Glück hast, triffst du Otaku sogar noch dort an. Er arbeitet häufiger bis spät in die Nacht hinein."

    "Danke für den Tipp!" Ich verabschiedete mich mit einer angedeuteten Verbeugung und eilte dann auf die Straße zurück.


    Die Ladenfront nebenan lag still und dunkel vor mir, aber ein Fenster im ersten Stock war hell erleuchtet. Daher hämmerte ich fest gegen die Tür und rief laut genug nach Otaku, dass sich ein paar Nachbarn über den Lärm beschwerten.

    Wenig überraschend hatte der Ladenbesitzer eine ziemliche Stinklaune, als er mir schließlich öffnete.


    "Wir haben geschlossen!", blaffte er mich an, wobei sein langer, vor der Brust spitz zulaufender Schnauzbart lustig in der Luft hüpfte.

    "Es handelt sich um einen Notfall", hielt ich dagegen und bemühte mich, Otaku durch meine Körpersprache verstehen zu geben, dass ich mich nicht fortjagen lassen würde.

    Er musterte mich aus ärgerlich zusammengekniffenen, schwarzen Augen und schien abzuwägen, was ihm mehr Ärger machen würde: mich herein zu lassen oder mir die Tür vor der Nase zuzuknallen?


    Nach einem langen Moment trat er schließlich in den Verkaufsraum hinter sich zurück und bedeutete mir, ihm zu folgen. Dann fragte er: "Was willst du?"

    Ich erzählte ihm von Fyda und Otaku verfiel abermals in ein ausgedehntes Grübeln, bevor er zögerlich antwortete: "Möglicherweise habe ich tatsächlich ein wenig Ginseng übrig, das ich dir überlassen könnte. Allerdings habe ich im Gegenzug eine Bitte an dich. Ich beauftrage nur ungern einen Fremden damit, aber ich kenne niemanden, dem ich diesen Auftrag zutrauen würde. Du jedoch scheinst mir abgebrüht genug zu sein."

    "Was soll ich für dich tun?", erkundigte ich mich, während ich in Otakus Gesicht nach Anzeichen für unlautere Absichten suchte. Die Miene meines Gegenübers war jedoch eine undurchdringliche Maske.


    "Früher war das Verhältnis zwischen meinem Bruder und mir sehr eng", erklärte Otaku, "aber seit ungefähr einem Jahr ist Wong wie ausgewechselt. Er hat von einem Tag auf den nächsten die gemeinsame Leitung dieses Geschäfts aufgegeben und ist spurlos verschwunden. Ich mache mir große Sorgen um ihn."

    Verwirrt legte ich die Stirn in Falten und entgegnete: "Das tut mir sehr leid für dich, aber was kann ich da tun?"

    "Vor etwa einer Woche wurde die alte Burg Drachenfels im Westen der Stadt an einen neuen Besitzer verkauft. Seitdem sollen dort seltsame Dinge vorgehen und ich habe die Befürchtung, dass Wong darin verwickelt sein könnte."

    Otaku presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. "Ich möchte, dass du dich in die Burg schleichst und für mich herausfindest, was an diesen Gerüchten dran ist und..."


    Er stoppte und schluckte hart, während ich mutmaßte: "Ich soll versuchen, Wong zurück nachhause zu bringen?"

    Zu meiner Überraschung schüttelte mein Gegenüber den Kopf. "Nein. Wenn Wong tatsächlich in illegale Geschäfte verwickelt ist, dann muss er dafür bestraft werden. Ich möchte, dass du ihn, wenn nötig, aufhältst - mit allen Mitteln, die dazu nötig sein mögen!"


    Ich riss überrascht die Augen auf und starrte Otaku fassungslos an. "Soll das heißen, dass du von mir erwartest, deinen Bruder notfalls zu töten?!"

    Otaku atmete tief durch und sah mir dann fest in die Augen. "Ganz genau."

    Ich fühlte mich, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen. "Da verlangst du eine erstaunliche Menge für ein wenig Ginseng..."

    Mit einem listigen Lächeln stellte Otaku fest: "Du musst dich ja nicht auf den Handel einlassen. Es liegt ganz bei dir."


    Am liebsten hätte ich den Laden auf der Stelle verlassen. Zwar hatte ich inzwischen unzählige Monster erschlagen und in meiner Jugend hatte ich meinen Mitmenschen sicherlich viel Kummer bereitet, aber ich war kein Mörder und hatte auch nicht vor, zu einem zu werden!

    Doch mir schoben sich ungefragt Bilder der leidenden Fyda vor Augen und wieder musste ich mich fragen, warum Melina nicht an ihrem Bett saß und sie pflegte.

    Ich musste mit Fyda sprechen und herausfinden, ob es der ehemaligen Prinzessin gut ging...


    Also wandte ich mich mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge wieder an Otaku und sagte: "In Ordnung. Ich werde tun, was du verlangst. Aber im Gegenzug bekomme ich mehr von dir als nur ein wenig Ginseng!"

    Nun war es an meinem Gegenüber ein überraschtes Gesicht zu ziehen. "Was willst du noch von mir?"

    "Metall", erklärte ich und erzählte ihm alles über Will und seine Flugmaschinenerfindung.

    Als ich geendet hatte, nickte Otaku. "Einverstanden. Du bekommst das Ginseng jetzt als Anzahlung und so viel Metall wie du willst, wenn du den Auftrag ausgeführt hast."

    "Das klingt fair", stimmte ich zu und wartete geduldig, dass Otaku das Ginseng aus seinem Lager holte. Dann verließ ich das Geschäft, ohne mich zu verabschieden, und lief zurück in die Praxis, wo mir der Arzt erklärte, wie ich aus der Rinde der Heilwurzel einen Tee für Fyda kochen konnte, der ihr Fieber senken sollte.


    Wenig später saß ich auf einem niedrigen Schemel neben Fydas Bett und flößte ihr mit Hilfe eines flachen Löffels, den mir die Rezeptionistin aus der Hotelküche gebracht hatte, den Ginsengsud ein. Da Fyda noch immer ohne Bewusstsein war und dementsprechend nicht mitarbeitete, rann der Großteil der Flüssigkeit wieder aus ihrem Mundwinkel heraus und an ihrer Wange entlang auf das Kissen, aber ein wenig Tee fand glücklicherweise doch den Weg in ihren Magen.

    Ich hatte der Kranken ungefähr zwei Drittel des Aufgusses verabreicht, als mich die Müdigkeit übermannte. Draußen dämmerte es bereits und ich hatte einen langen, anstrengenden Tag hinter mir, da ich der Schiffscrew auf dem Weg nach Yamei zur Hand gegangen war.

    Daher legte ich meinen Kopf auf meine vor mir auf der Bettkante gefalteten Arme und schlief fast augenblicklich ein.


    Durch das Zimmerfenster fielen lange Strahlen der Mittagssonne, als mich eine rau klingende Stimme wieder weckte: "Ark?! Bist du es wirklich?"

    Mir gähnend übers Gesicht reibend richtete ich mich auf, wobei mein von der unbequemen Schlafhaltung steifer Rücken schmerzhaft protestierte. Fydas Wangen waren noch immer vom Fieber gerötet, aber ihre Augen waren zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Yamei geöffnet und sahen mich mit klarem Blick an.


    Ich schenkte ihr ein warmes Lächeln und antworte: "Hallo Fyda. Ja, ich bin's."

    "Was machst du hier?" Das Sprechen fiel Fyda hörbar schwer und auf ihrer Stirn bildeten sich neue Schweißperlen, die ich mit einem auf dem Nachttisch liegenden Tuch sanft abtupfte, während ich entgegnete: "Mich um dich kümmern. Du bist ziemlich krank."

    Fyda stieß genervt Luft aus der Nase aus. "Das ist nicht, was ich meinte - und das weißt du auch!"


    Ich legte das Tuch zurück auf den Beistelltisch und erklärte: "Ich bin im Auftrag eines Freundes in der Stadt. Ich soll für ihn ein Geschäft mit einem hier ansässigen Händler abschließen."

    Die langweiligen Details ersparte ich Fyda und wandte mich stattdessen lieber dem Thema zu, das mir unter den Nägeln brannte: "Weshalb bist du in Yamei? Und wo ist Melina?"


    Obwohl ich nicht geglaubt hatte, dass dies möglich war, wurde Fyda bei diesen Worten noch blasser und fasste plötzlich mit erstaunlich viel Kraft meinen Unterarm. "Die Prinzessin!", keuchte sie. "Sie wurde entführt und nach Burg Drachenfels verschleppt! Ich muss sie retten!"

    Fyda versuchte, sich aufzusetzen, aber ich drückte sie mit sanfter Gewalt zurück in die Kissen. "Du hast hohes Fieber und musst dich ausruhen. Ich werde Melina für dich befreien - ich habe sowieso etwas in der Burg zu erledigen."


    Auf einmal erschien mir der Ausflug nach Burg Drachenfels deutlich erstrebenswerter als noch am Vorabend und ich konnte kaum abwarten, Antworten auf die sich mir aufdrängenden Fragen zu finden.

    Wenn tatsächlich Otakus Bruder Wong der neue Burgherr war, wieso hatte er Melina gefangen genommen?

    Welchen Nutzen hatte die ehemalige Prinzessin für einen chinesischen Händler?

    Und was waren das für seltsame Dinge, die angeblich seit kurzem in der Burg vor sich gingen?

    Ob Wong in illegalen Menschenhandel verwickelt war und Melina an irgendeinen reichen Schnösel verkaufen wollte?!


    Im ersten Moment sah Fyda aus, als wollte sie widersprechen, aber dann fügte sie sich und hauchte lediglich ein leises "Danke".

    Ich nickte ihr aufmunternd zu und wollte mich bereits auf den Weg machen, als mir etwas einfiel, dass der Arzt über die Ursache von Fydas Krankheit erwähnt hatte.

    Mich etwas unbeholfen dabei fühlend sagte ich: "Der hiesige Arzt, der dich untersucht hat, meinte, der Grund für dein Fieber sei ein psychisches Trauma. Ich schätze, solange du dies nicht aufarbeitest, wirst du nicht wieder wirklich gesund werden. Ich weiß, wir stehen uns nicht besonders nahe, aber... ähm..."

    Obwohl es nur ein Angebot war, kam es mir so vor, als würde ich mich unerlaubt in Fydas Privatsphäre vorwagen. Daher würgte ich den letzten Teil des Satzes so schnell hervor, dass die einzelnen Worte ineinander übergingen: "Was ich sagen will, ist... Wenn du je jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da."


    Fyda zog ein merkwürdiges Gesicht, das ich nicht ganz deuten konnte.

    Es erinnerte mich an die Zwillinge, die zuhause in Krysta in der Nähe der Weberei gewohnt hatten. Wann immer Melina und ich die beiden Mädchen dabei ertappt hatten, dass sie Unfug gemacht hatten, hatten sie ähnlich geguckt wie Fyda jetzt.

    Nach einem Moment sprach Melinas Leibwächterin mir erneut Dank aus, aber dieses Mal klang sie dabei sehr kühl und reserviert

    Innerlich aufseufzend wandte ich mich ab und steuerte auf den Ausgang zu, während ich mich stumm dafür schalt, Fyda derart in Verlegenheit gebracht zu haben.


    Ich war bereits an der Tür, als Fydas leise Stimme mich zurückhielt: "Möchtest du wirklich hören, was mich quält?"

    Überrascht drehte ich mich wieder zum Bett und antwortete: "Nur, wenn du darüber sprechen möchtest."

    Erneut schien Fyda abzuwägen und einen inneren Kampf auszufechten, dann deutete sie auf den Schemel neben dem Bett.


    Ein Teil von mir wollte die nonverbale Aufforderung ignorieren und gehen. Melina war womöglich in Gefahr und ich hatte keine Zeit zu verschwenden!

    Doch meine andere Hälfte ertrug den Anblick von Fydas gequält wirkendem Gesicht nicht.

    Wenn der Arzt recht hatte und hinter Fydas Krankheit eine seelische Ursache stand, dann konnte ich mich jetzt nicht abwenden...

    Also setzte ich mich schweren Herzens auf den Hocker und sah sie auffordernd an.


    Die Rothaarige stieß einen langgezogenen Seufzer aus und begann dann: "Meine Eltern starben an einer schweren Krankheit, als ich noch sehr jung war. Da ich schon als kleines Mädchen großes Talent im Schwertkampf zeigte, nahm mich König Olaf nach ihrem Tod unter seine Fittiche und ließ mich zu seiner Getreuen ausbilden. Ohne ihn wäre ich womöglich verhungert oder hätte mich verkaufen müssen, um zu überleben."

    "Das tut mir leid für dich", warf ich ein, aber Fyda schüttelte den Kopf. "Das ist nicht, worauf ich hinaus wollte. Ich erzähle es dir nur, damit du die Situation verstehen kannst, in der ich mich damals befand."

    "Dann sprich weiter", forderte ich sanft. "Ich wollte dich nicht unterbrechen."


    "Eines Tages, ich muss so ungefähr sechzehn gewesen sein", fuhr sie stockend fort, "hörte König Olaf von einem sagenhaften Schatz, der in einem kleinen, tief im Norfesta-Wald verborgenen Dorf zu finden sein sollte. Gierig wie er war, setzte er danach alle Hebel in Bewegung, um das Dorf zu finden. Als ihm dies endlich gelungen war, marschierten wir mit einer ganzen Legion in das Dorf ein. Ich hatte gedacht, er würde die Bewohner lediglich einschüchtern wollen, aber als sie ihm nicht verraten wollten, wo der Schatz versteckt war, ließ er einen Dörfler nach dem anderen hinrichten..."

    Fydas Augen füllten sich mit Tränen und ich rief, überrascht darüber, ein Detail in ihrer Geschichte wiederzuerkennen: "Das Storkholm-Massaker!"

    Meine Gesprächspartnerin nickte. "An diesem Tag floss so unendlich viel Blut... Unschuldiges Blut! Am Ende waren nur noch der Bürgermeister und seine Frau übrig, doch obwohl sie mitangesehen hatten, was Olafs Soldaten mit ihren Nachbarn getan hatten, weigerten sie sich noch immer, dem König auch nur das geringste Detail zu verraten. Frustriert darüber befahl er mir, die beiden ebenfalls zu töten..."


    Fyda holte zitternd Luft, während ihr die Tränen inzwischen stumm die Wangen hinab liefen. "Ich wollte mich weigern - diese Menschen hatten den Tod nicht verdient! Aber Olaf drohte mir, mich zu verstoßen, wenn ich ihm nicht gehorchen sollte, und ich hatte Angst. Als Frau hatte ich mir durch meinen schnellen militärischen Aufstieg nicht nur Freunde gemacht und mir fielen auf Anhieb mehrere Soldaten und Offiziere ein, die nur darauf warteten, dass ich in Ungnade fiel und vogelfrei wurde... Einiges von dem, was sie mir hinter vorgehaltener Hand angedroht hatten, war schlimmer als der Tod."

    Obwohl diese Ereignisse mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen mussten, schauderte Fyda bei der Erinnerung und fuhr dann mit tränenerstickter Stimme fort: "Ich wusste, dass es falsch war, aber ich habe mich schließlich dem Befehl des Königs gebeugt. Das Schlimmste daran war, dass meine Opfer Verständnis für mich hatten und sich bemüht haben, mich zu trösten. Sie mich!"


    Ein heftiger Schluchzer schüttelte Fyda durch, doch sie zwang sich tapfer, weiterzusprechen: "Bevor ich sie mit meinem Schwert richtete, erzählten sie mir von ihrer Tochter, die sich irgendwo im Wald versteckt hatte, sobald das Scheppern der heran marschierenden Soldaten zu hören gewesen war. Sie ließen mich schwören, die Kleine fortan in ihrem Namen zu beschützen."

    "Das war Melina, nicht wahr?", mutmaßte ich und Fyda nickte. "Ich fand sie erst am nächsten Tag, als sie nachhause zurückgekehrt war und weinend vor den auf dem Dorfplatz errichteten Scheiterhaufen stand. Olaf witterte bei ihrem Anblick sogleich eine weitere Chance, den Schatz doch noch zu finden, und machte sie zur Prinzessin, in der Hoffnung, dass sie ihm irgendwann vertrauen und ihm das Geheimnis verraten würde, wenn er sie als seine Tochter aufziehen würde."


    Fyda wischte sich mit energischen Bewegungen über die nassen Wangen und sah mich dann mit einem trotzig-herausfordernden Blick an. "Und nun hältst du mich sicherlich für einen schlechten Menschen. Sag's mir ruhig!"


    Ich befeuchtete meine Lippen mit der Zungenspitze, um etwas Zeit zu schinden und mir meine nächsten Worte sorgsam zurecht zu legen: "Das tue ich nicht. Sicher, anderen Menschen das Leben zu nehmen, ist schrecklich, aber du warst in einer unmöglichen Lage und ich hätte an deiner Stelle ganz genauso gehandelt."


    Überraschung machte sich auf Fydas Gesicht breit und sie fragte tonlos: "Wirklich?"

    Ich dachte an das Versprechen, dass ich Otaku im Austausch gegen ein wenig Ginseng und Metall gegeben hatte. Ich hatte mich bereit erklärt, notfalls einen Menschen zu töten, nur um Fyda zu helfen und herauszufinden, ob Melina in Schwierigkeiten steckte...

    "Ganz sicher", brummte ich düster und fügte in ernstem Ton an: "Aber ich glaube daran, dass wir uns Vergebung für unsere Taten erarbeiten können."


    Fyda kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe, bevor sie entgegnete: "Ich hoffe, du hast recht." Dann sah sie mir direkt in die Augen und schenkte mir ein wehmütiges, aber aufrichtig wirkendes Lächeln. "Ich danke dir, Ark."

    Ich drückte kurz ihre Hand und stand anschließend auf, um mich endlich auf den Weg nach Burg Drachenfels zu machen.


    Draußen vor dem Hotel erlebte ich jedoch zunähst eine große Überraschung, denn auf der Straße davor stand jemand, der mir bekannt war.

    Seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, war er von einem schlaksigen Jugendlichen zu einem jungen Erwachsenen herangewachsen, aber es war dennoch unverkennbar Perry.


    Als er mich bemerkte, kam er sofort zu mir herüber und begrüßte mich mit einem festen Handschlag. "Ark, alter Kumpel, schön dich zu sehen!"

    "Gleichfalls", entgegnete ich, "aber was machst du in China?"

    Perry grinste und zeigte seine beeindruckend weißen Zähne. "Ich habe gehört, dass du für Will mit diesem Otaku verhandeln willst und wollte dich unterstützen."

    "Und was ist mit den Kindern in Moronia?", erkundigte ich mich, was Perry eine wegwerfende Handbewegung machen ließ. "Die sind gut versorgt. Das Heim hat vor einiger Zeit eine zusätzliche Betreuerin eingestellt. Außerdem darf ich, seit ich volljährig bin, eh nicht mehr dort wohnen."

    Er klang bei diesen Worten erstaunlich bitter, aber mein Geist war noch immer dabei, die Überraschung, ihn hier zu sehen, zu verarbeiten. Daher ging ich nicht auf seinen Tonfall ein, sondern fragte stattdessen: "Und wie bist du hierher gekommen?"

    "Ich habe als Smut auf einem Schiff angeheuert", erklärte er, bevor er mit einem neugierigen Funkeln in den Augen fragte: "Wo finden wir nun diesen Otaku?"


    Ich berichtete von meinem Treffen sowie meiner Abmachung mit dem Händler und Perry stieß ein lautes Pfeifen zwischen seinen Zähnen hindurch aus. "Das heißt, wir schleichen uns jetzt in diese Burg Drachenfels und spionieren dort ein wenig herum?"

    "Korrekt", stimmte ich zu und fügte dann etwas zögerlich an: "Erinnerst du dich an unser erstes Treffen?"

    "Natürlich!" Perry lachte mich breit an. "Du hattest damals ziemlichen Liebeskummer und ich habe dich mit meinen Skateboardtricks auf andere Gedanken gebracht."

    "Genau." Ich nickte und fuhr fort: "Die Frau wegen der ich damals so geknickt war, soll ebenfalls in der Burg sein und dort gefangen gehalten werden."


    Perry sah mich aus weit aufgerissenen Augen verblüfft an und fragte dann: "Ist das eine zusätzliche Motivation für uns oder eher ein Grund, einen Bogen um die Burg zu machen?"

    Bei diesen Worten musste ich unwillkürlich grinsen. Perry war wirklich ein wunderbarer Freund und bereit, mir den Rücken zu stärken; egal, um was es ging.

    "Eine Zusatzmotivation", stellte ich klar und mein Gegenüber zeigte mir mit einem erhobenen Daumen an, dass er verstanden hatte. "Dann retten wir die holde Maid und beschaffen Otaku nebenbei die gewünschten Informationen."

    Ich nickte erneut und dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg.




    Fortschritt:


    Lvl 25

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (2/3), Seeheim (1/3), Goldküste (1/2)

    Verkehrsmittel: Schiff

  • Arks Tagebuch Part 15


    Burg Drachenfels erinnerte mich mit ihren hohen Zinnen und dicken Mauern eher an eine Festung als an ein Schloss und ich fragte mich, ob sie früher einmal ein strategischer Verteidigungsposten gewesen war. Doch auch wenn hier in vergangenen Tagen vielleicht einmal Ritter ein und aus gegangen waren, inzwischen gab es hier von Kriegern keine Spur mehr.

    Stattdessen stand eine gelangweilt wirkende und nur mit einem Schlagknüppel bewaffnete Wache im Eingangstor und schien die Bretter in der heruntergelassenen Zugbrücke zu zählen.

    Bei ihrem Anblick murmelte ich ein leises "Verdammt", aber Perry beschwichtigte mich: "Überlass die ruhig mir!"

    Dann schwang er sich auf sein Skateboard und düste an der Wache vorbei ins Innere der Burg, bevor sie wirklich registriert hatte, was gerade passierte. Als die Wache endlich verarbeitet hatte, was sie gerade gesehen hatte, brüllte sie laut "Halt! Stehen bleiben!" und rannte Perry hinterher ins Burginnere.


    Nun war der Weg für mich frei...


    In der Eingangshalle war es stockfinster, sodass sich der tanzende Schein der von mehreren Wachen umher getragenen Laternen überdeutlich hervorhob. Dies machte es mir einfacher, den Patrouillen auszuweichen und mich in einen der angrenzenden Korridore zu stehlen.

    Mich stets in den Schatten haltend huschte ich an weiteren Wachen vorbei, bis ich schließlich das unter der Burg liegende Verlies erreichte.

    Vielleicht wurde Melina ja hier gefangen gehalten.


    Und tatsächlich!

    Nach kurzem Suchen entdeckte ich Melina, die mit schweren Ketten an die Rückwand einer Zelle gefesselt war.


    Ohne nachzudenken hastete ich auf sie zu, doch als ich ihren Arm berühren wollte, spürte ich nur Luft unter meinen Fingern und Melina löste sich in Nichts auf. Zeitgleich erklang hinter mir das laute Scheppern von Metall auf Metall und das kreischende Schleifen eines zur Seite geschobenen Riegels.

    Ich wirbelte herum und entdeckte auf der anderen Seite der nun verschlossenen Zellentür Mei-Lin.


    Im ersten Moment war ich geneigt, Erleichterung zu verspüren, doch dann bemerkte ich den Hass versprühenden Ausdruck in ihren Augen und mir wurde ganz anders.

    Trotzdem versuchte ich mein Glück: "Was soll das, Mei-Lin? Lass mich wieder raus."

    "Vergiss es!" Ihre Stimme war reines Gift und sie durchbohrte mich mit ihren Blicken. "Meister Wong mag es nicht, wenn Ratten wie du durch seine Burg kriechen. Deswegen hat er mir erlaubt, dich hier unten einzusperren, bis du verrottest. Statt deine ach so tolle Prinzessin zu retten, wirst du in dieser Zelle elendig zugrunde gehen und dann kann ich endlich wieder lachen!"


    Ich trat so dicht an die Gitterstäbe meines Gefängnisses heran, dass ich das Eisen und den Rost riechen konnte und Mei-Lin etwas verunsichert einen Schritt zurück machte. "Nur damit ich das richtig verstehe: Du willst mich in diesem Verlies verrecken lassen, weil ich deine Gefühle nicht erwidere?!"

    Seit unserer letzten Begegnung war Mei-Lin von einem Kind zu einer Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenenalter herangewachsen, aber das schien sie nicht reifer gemacht zu haben. Mit trotziger Miene fauchte sie mir entgegen: "Wenn wahre Liebe enttäuscht wird, wird daraus nun mal Hass... Aber dass du das nicht verstehst, war ja klar!"

    Die Finger fest um zwei Eisenstangen vor mir geschlungen entgegnete ich mit Eiseskälte in der Stimme: "Nein. Du bist diejenige, die hier etwas nicht versteht, denn ganz offensichtlich hast du nicht die leiseste Ahnung davon, was es bedeutet, jemanden aufrichtig zu lieben."

    Wir starrten uns einige Herzschläge lang feindselig an, bevor Mei-Lin in Tränen ausbrach und kreischte: "Ich hoffe, du leidest!" Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, rannte davon und ließ mich in meiner Zelle zurück.


    Fluffy krabbelte aus meiner Hosentasche und stellte nüchtern fest: "Das ist ja nicht besonders gut gelaufen."

    Ihm einen genervten Seitenblick zuwerfend fragte ich: "Hast du irgendetwas Hilfreiches zu der Situation beizutragen oder willst du nur das Offensichtliche betonen?"

    "Puh, du hast aber schlechte Laune!" Fluffy rollte mit den Augen und ich ließ mich rücklings auf den Boden fallen, bevor ich murrte: "Ist das ein Wunder?"

    Anstatt zu antworten, verschwand mein Begleiter wieder in seinem Versteck. Für einen kurzen Moment fragte ich mich, ob ich seine Gefühle verletzt hatte, aber ich war zu wütend, um mich deswegen schlecht zu fühlen.


    Die Stunden krochen quälend langsam dahin und schon bald kam der Durst. Glücklicherweise hatte ich noch ein paar Vorräte in meiner Truhe, doch mir war klar, dass ich ein ernsthaftes Problem bekommen würde, wenn mir nicht bald eine Lösung einfallen würde.

    Mei-Lin kam in unregelmäßigen Abständen vorbei, um mir giftige Blicke zuzuwerfen und ihr Bedauern über mein noch nicht eingetretenes Ableben auszudrücken, aber ich ignorierte sie. Womöglich hätte ich sie dazu bewegen können, mich freizulassen, wenn ich vor ihr zu Kreuze gekrochen wäre, doch dafür war ich bei Weitem zu stolz.

    Mir würde schon noch ein Ausweg einfallen...


    Am Ende war es dann aber doch nur Glück, das mich rettete.


    Einige Tage nachdem ich in Mei-Lins Falle getappt war, hörte ich plötzlich durch ein Loch in der Decke Geräusche über mir. Mir war bewusst, dass es sich dabei theoretisch auch um Wong oder einen seiner Männer handeln konnte, aber ich hatte nicht den Luxus zögerlich zu sein. Daher rief ich: "Perry? Bist du das?"

    "Ark?" Die Stimme gehörte nicht Perry, aber ich war trotzdem mehr als froh, sie zu hören. Daher beeilte ich mich, zu antworten: "Ja! Ich sitze hier unten fest. Kannst du mir helfen?"

    Von oben war das Geräusch von Schritten zu hören und ich hätte vor Erleichterung weinen können, als die Worte "Warte, ich lasse dir ein Seil herunter!" an meine Ohren drangen.


    Kurz darauf stand ich Fyda gegenüber, die ihr Fieber überstanden zu haben schien. "Was hast du denn da unten gemacht?", wollte sie wissen und ich fasste ihr die Geschehnisse kurz zusammen, bevor ich mich für meine Rettung bedankte.

    Die Stirn in Falten gelegt stellte Fyda fest: "Diese Mei-Lin klingt gefährlich."

    Ich zuckte die Schultern. "Ihre Illusionsfähigkeit ist mächtig, das stimmt. Aber ich glaube nicht, dass sie dir oder jemand anderem etwas tun würde. Ihr Zorn richtet sich auf mich ganz persönlich."

    "Hm." Fyda wirkte nicht überzeugt, vertiefte das Thema jedoch nicht weiter. Stattdessen sagte sie: "Ich habe diesen Flügel bereits auf den Kopf gestellt. Melina ist nicht hier. Wir sollten uns am besten trennen, um den Rest der Burg abzusuchen."

    Ich stimmte nickend zu und machte mich auf den Weg in den Ostflügel.


    Hier schien nichts Interessantes zu sein, bis plötzlich eine Stimme erklang, die verdächtig nach Melina klang. Als ich mich fragend umsah, konnte ich gerade noch den Zipfel eines weiten Rockes entdecken, der hinter einer Ecke verschwand.

    Mir war bewusst, dass dies womöglich wieder eine Falle war, aber das war mir egal. Solange nur der Hauch einer Chance bestand, dass es sich dabei um die echte Melina handelte, musste ich der Sache auf den Grund gehen.


    Daher folgte ich der vermeintlichen Melina ich in einen großen Raum, der früher wohl mal die Bibliothek der Burg gewesen war. Die ehemalige Prinzessin stand vor dem größten Regal an der gegenüberliegenden Wand, doch wie auch schon beim letzten Mal löste sie sich unter meinen Fingern in Luft auf.

    Von irgendwoher erklang Mei-Lins Lachen: "Du bist ein solches Hasenhirn, Ark! Wie oft willst du eigentlich noch auf denselben Trick hereinfallen?"

    Bevor ich antworten konnte, hüllte Mei-Lin mich in tiefe Dunkelheit und ließ Melina um mich herum tanzen, um mich zu ärgern. Zu meiner großen Überraschung tauchte kurz darauf eine zweite Melina auf, die ich bei genauerem Hinsehen als meine Freundin erkannte. Ihr Gesicht war noch immer das Antlitz einer Siebzehnjährigen, ganz so wie ich es in Erinnerung hatte.

    "Im Herzen von Ark gibt es zwei Melinas", stellte Mei-Lin neckend fest. "Sag schon, Ark, welche der beiden liebst du wirklich?"


    Ich fühlte mich unangenehm an die Fragen erinnert, mit denen ich mich bereits selbst so oft gequält hatte, und blickte mich suchend nach einem Ausweg aus dieser Illusion um. Mein emotionales Dilemma war belastend genug, auch ohne dass Mei-Lin es mir unter die Nase rieb...

    Leider konnte ich um mich herum nichts anderes als Schwärze und die beiden tanzenden Melinas sehen, daher brüllte ich genervt in die Finsternis hinein: "Das geht dich absolut nichts an!"

    "Oh, hab ich etwa einen wunden Punkt getroffen?" Mei-Lins Stimme troff vor Hohn und ich hätte mich am liebsten auf den Boden gekauert, die Augen fest zusammengekniffen und die Hände auf die Ohren gepresst. Da ich ihr diese Genugtuung jedoch nicht geben wollte, starrte ich mit aufeinander mahlenden Kiefern stur vor mich auf den Boden und versuchte, die Illusion um mich herum so gut es ging zu ignorieren.


    "Es heißt, wenn man sich zwischen zwei Menschen nicht entscheiden kann, liebt man keinen der beiden wirklich. Wusstest du das, Ark?", träufelte Mei-Lin weiterhin ihr Gift in meinen Geist. "Ich schätze, das bedeutet, du hast keine der beiden Melinas verdient. Sie werden erkennen, dass dein Herz aus Eis besteht und dann wirst du einsam und verlassen sterben..."

    Mir schnürte sich bei diesen Worten die Kehle zu und ich ballte die Hände neben meinem Körper zu Fäusten, bis sich meine Fingernägel tief in meine Handflächen bohrten.

    Obwohl ich mir alle Mühe gab, Mei-Lins Sticheleien nicht an mich heran zu lassen, hatte sie ein unbestreitbares Talent dafür, einen Nerv bei mir zu treffen...


    Doch dann packte mich plötzlich jemand an der Schulter und Fydas Stimme versicherte: "Du bist nicht allein, Ark! Ich bin für dich da."

    Als hätte jemand einen Vorhang zur Seite gezogen, verschwand die Illusion und ich erblickte Fyda, die mir mit einem warmen, beruhigenden Lächeln fest in die Augen sah. Ich legte meine Hand auf ihre und sie bekräftigte noch einmal: "Ich werde immer für dich da sein."

    Dann rief sie in den Raum hinein: "Komm raus, Mei-Lin! Ich weiß, dass du hier sein musst."

    Entgegen meiner Erwartung zeigte Mei-Lin sich tatsächlich und blaffte Fyda an: "Wieso mischst du alte Ziege dich ein?"

    Die Kriegerin antwortete mit einer Gegenfrage: "Warum piesackst du Ark?"

    "Weil er mir das Herz gebrochen hat!", zischte Mei-Lin und warf mir einen wütenden Seitenblick zu, den ich mit einem resignierten Seufzen quittierte.


    Ich weiß nicht, mit was für einer Reaktion Fydas ich gerechnet hatte - jedenfalls nicht mit der, die sie tatsächlich zeigte: Sie holte kurz aus und verpasste Mei-Lin dann mit einer fließenden Bewegung eine schallende Ohrfeige. "Werd' erwachsen!"

    Im ersten Moment starrte Mei-Lin die ältere Frau einfach nur schockiert an, dann kullerten wie so oft die Tränen und sie drohte: "Wong wird euch beide töten!"

    Anschließend machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Zimmer.


    Fyda schüttelte seufzend mit dem Kopf und murmelte: "Was für eine unreife Göre..." Dann wandte sie sich wieder mir zu und musterte mich mit einer zwischen Sorge und Mitgefühl schwankenden Miene. "Wie fühlst du dich? Das waren wirklich ein paar fiese Dinge, die du dir da anhören musstest."

    Da ich noch immer ein Gefühl von Enge in meiner Kehle fühlte, räusperte ich mich, bevor ich schließlich antwortete: "Es war nichts, das ich nicht wegstecken könnte." Ihre noch immer auf meiner Schulter liegende Hand drückend fügte ich lächelnd an: "Danke für die Hilfe!"

    Zu meiner großen Überraschung grinste Fyda mich daraufhin an und zerzauste mir liebevoll das Haar. "Dafür sind Freunde da. Und jetzt lass uns wieder die Prinzessin suchen."


    Ich nickte und wir schickten uns gemeinsam an, die Bibliothek zu verlassen. Auf dem Weg zur Tür fragte ich: "Nicht, dass ich nicht sehr froh bin, dass du hier bist, aber wolltest du nicht den Westflügel unter die Lupe nehmen?"

    "Wollte ich", bestätigte Fyda, "aber er schien eine Sackgasse zu sein."

    Das stellte uns vor ein ernsthaftes Problem...


    Mit ernster Miene strich ich heraus: "Wenn Melina weder im West- noch im Nord- oder Ostflügel ist, dann wurde sie womöglich inzwischen aus der Burg geschafft. Mir fällt jedenfalls nichts mehr ein, wo wir noch suchen könnten."

    "Sie muss hier irgendwo sein! Wir müssen irgendetwas übersehen haben!" Fyda blickte mich derart verzweifelt an, dass ich nicht zu widersprechen wagte. Stattdessen stimmte ich zu: "Du hast recht. Lass uns noch einmal alles absuchen."


    Im Vorraum angelangt erlebten wir eine Überraschung: Mei-Lin stand vor der verschlossenen Ausgangstür und machte ein ratloses Gesicht.

    Bevor ich fragen konnte, was für ein Spiel sie nun wieder trieb, ertönte über Lautsprecher eine mir unbekannte, männliche Stimme, die erklärte, dass er uns alle - Mei-Lin eingeschlossen - in diesem Raum töten würde.


    Mei-Lin wurde bei diesen Worten leichenblass und rief: "Aber Meister Wong, ich arbeite doch für Euch!" Die Lautsprecher knackten und dann ertönte wieder die Stimme von zuvor: "Und ich danke dir für deine Dienste, aber du hast deinen Zweck erfüllt und wirst nicht länger benötigt."

    "Das könnt Ihr nicht ernst meinen, Meister Wong! ... Meister Wong? ... Ich flehe Euch an!" Mei-Lin starrte mit tränenverhangenen Augen zur Decke hinauf, doch dieses Mal blieben die Lautsprecher stumm. Stattdessen breitete sich ein seltsamer Geruch im Zimmer aus und ich vermutete, dass Wong uns mit irgendeiner Art Gas vergiften oder ersticken wollte.


    "Du hast einen wirklich einen bestechenden Geschmack, was Arbeitgeber betrifft", stellte Fyda trocken fest, aber ich bezweifelte, dass Mei-Lin sie über ihr eigenes, lauchtes Schluchzen hinweg hören konnte.

    Während Mei-Lin sich selbst bedauerte, wandte ich mich an Fyda: "Lass uns gemeinsam versuchen, den Ausgang aufzubrechen."


    Doch bevor wir auch nur Hand an die Tür legen konnten, ertönte plötzlich das Geräusch eines zur Seite gleitenden Riegels und kurz darauf öffnete sich der Weg nach draußen. Auf der anderen Seite der Türschwelle stand Perry und schaute uns neugierig an.

    Als sein Blick auf mich fiel, rief er erleichtert: "Da bist du ja, Ark! Da du nicht wieder im Hotel aufgetaucht bist, hatte ich schon das Schlimmste befürchtet!"

    "Und deswegen hast du dich erneut in die Burg geschlichen, um mich zu suchen?", fragte ich mit einer Mischung aus Überraschung und unendlicher Dankbarkeit.

    "Natürlich", bestätigte Perry. "Ich kann doch einen Freund nicht in dieser miefigen Festung zurücklassen!"

    Gerührt riss ich Perry in meine Arme und drückte ihn fest an mich, was diesem einen verblüfften Ausdruck aufs Gesicht zauberte.


    Fyda beobachtete uns lächelnd, verabschiedete sich jedoch, bevor ich ihr meinen Freund vorstellen konnte: "Ich muss die Prinzessin finden!"

    Perry sah mich aus großen Augen an. "Prinzessin? Ist das diejenige, welche...?" Auch wenn er die Frage nicht zu Ende stellte, wusste ich, dass er an unser Gespräch vor dem Hotel in Yamei dachte.

    Daher nickte ich und erwiderte: "Die Zusatzmotivation, ja. Ich muss Fyda helfen, sie zu suchen. Konntest du bereits irgendetwas über Wong herausfinden?"

    Die Lippen zu einem geraden Strich zusammengepresst schüttelte Perry den Kopf. "Leider nicht. Aber eines kann ich dir versichern: Was immer Wong hier treibt, es ist illegal. Warum sonst sollte er so viele Wachen brauchen?"

    Ich brummte zustimmend. "Dass er Fyda, Mei-Lin und mich töten wollte, spricht für mich auch nicht gerade dafür, dass der Kerl koscher ist."

    "Dann lass uns ihm das Handwerk legen!", forderte Perry mit mehr Euphorie als ich für angebracht hielt.


    "Ich werde ihn aufhalten", stellte ich in ernstem Ton klar. "Du machst dich bitte wieder auf den Weg zurück nach Yamei." Als sich daraufhin ein verletzter Ausdruck in Perrys Augen schlich, fügte ich an: "Ich will nicht, dass dir etwas passiert."

    Im ersten Moment sah es so aus, als wollte Perry protestieren, aber dann fügte er sich doch. "In Ordnung. Ich werde im Hotel auf dich warten."

    Mit diesen Worten verschwand er und ich wollte mich ebenfalls wieder auf den Weg machen, aber Mei-Lin hielt mich zurück. Einige Herzschläge lang schien sie einen inneren Kampf auszufechten, doch dann brachen die Worte nur so aus ihr heraus: "Es tut mir leid, Ark! Ich war im Unrecht. Das ist mir schon lange klar, aber dich zu hassen, war einfacher als mich meinem gebrochenen Herzen zu stellen."


    Ich musterte sie abschätzend. Glaubte sie wirklich, dass damit alles vergeben war?


    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügte sie an: "Die Prinzessin wird im Westflügel festgehalten. Du findest den Schalter, der die Tür zu ihrem Gefängnis öffnet, hinter der goldenen Statue auf der linken Seite. Aber gib Acht. Wong hat einen gefährlichen Söldner engagiert, der sie im Auge behalten soll."

    "Danke für den Hinweis." Im ersten Moment wollte ich einfach gehen, aber dann legte ich Mei-Lin doch eine Hand auf die Schulter und lächelte ihr knapp zu, was ihre Wangen rosa leuchten ließ.

    "Es tut mir wirklich aufrichtig leid", wiederholte sie. "Ich war so geblendet von Schmerz und Eifersucht, dass ich... Ich war einfach nur dumm. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen und mich nicht bis ans Ende deiner Tage hassen..."


    "Ich hasse dich nicht." Dieses Geständnis überraschte mich selbst ein wenig, aber es war die Wahrheit. So tief ich auch in mich hinein horchte, ich fühlte keinen Hass auf Mei-Lin. Zorn und Enttäuschung, ja, aber keinen Hass.

    "Du bist noch jung und in deinem Alter machen viele Menschen Dummheiten, weil sie mit ihren eigenen Gefühlen überfordert sind." Ich dachte an meine eigene Jugend zurück und daran, wie viel Kummer ich den anderen Dorfbewohnern und sogar der Familie meiner Freundin bereitet hatte, einfach nur, weil ich frustriert gewesen war.

    Mei-Lin sah mich für einen langen Moment aus geröteten Augen an, dann hauchte sie ein wenig atemlos: "Danke. Ich werde nachhause zurückkehren. Es gibt so vieles, über das ich nachdenken muss."


    Anschließend verließen wir gemeinsam den Raum und kurz darauf fand ich mich im Westen der Burg in einer Sackgasse wieder. Ohne Mei-Lins Tipp wäre ich wohl einfach wieder abgezogen, in der Annahme, dass hier nichts zu finden sei, doch so konnte ich den versteckten Schalter ohne Probleme finden und in Melinas Zelle schlüpfen.


    Sie stand mit dem Rücken zu mir und zischte bei meinem Eintreten, ohne sich umzudrehen: "Spar dir die Mühe! Ich werde dir nicht verraten, was du wissen willst!"

    "Ist es so ein großes Geheimnis, wo du dich in den letzten paar Jahren herum getrieben hast?", fragte ich neckend und sie wirbelte mit einem ungläubigen Ausdruck zu mir herum. "Ark! Was machst du...? Ich... Ich dachte, du wärst..."

    "Wong?", vervollständigte ich ihren Satz und sie nickte langsam. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen, und sie starrte mich noch immer fassungslos an.

    Das gab mir etwas Zeit, sie etwas genauer zu betrachten. Die Jahre, in denen ich sie nicht gesehen hatte, waren nicht spurlos an ihr vorbei gegangen, aber sie war noch immer eine atemberaubende Schönheit und in ihren Augen brannte ein Feuer, das mich magisch anzuziehen schien.


    Nachdem wir uns für einen langen Moment stumm gegenseitig angesehen hatten, streckte ich ihr grinsend eine Hand entgegen: "Ich schätze, wir sollten uns vom Acker machen, solange wir noch können. Würden Mylady mir die Ehre erweisen, mich zu begleiten?"

    Dies schien Melina endlich aus ihrer Trance zu reißen und ihre Mundwinkel sprangen in die Höhe. "Du bist ein seltsamer Mann."

    Während sie meine Hand ergriff und damit kleine Stromstöße durch meinen gesamten Körper schickte, entgegnete ich: "Ich weiß. Das hast du mir schon mal gesagt."

    "Es schien mir einer Wiederholung wert." Melina verschränkte ihre Finger mit meinen und fragte dann: "Bist du real?"

    Als ich sie daraufhin fragend ansah, erklärte sie: "Ich hab mir so oft gewünscht, dich wiederzusehen, dass ich mir gerade nicht sicher bin, ob ich tatsächlich wach bin oder doch nur träume."

    "Ich bin wirklich hier", versicherte ich ihr und strich ihr liebevoll eine Strähne ihres langen Haares aus dem Gesicht. "Aber wir sollten uns jetzt lieber beeilen, bevor..."


    "Ihr zwei Turteltauben geht nirgendwo hin", unterbrach mich eine mir vage vertraut vorkommende Stimme aus Richtung der Tür. Ich wandte überrascht den Kopf und staunte nicht schlecht: im Türrahmen stand Roy und beobachtete uns mit einem amüsierten Funkeln in den Augen.

    "Geh aus dem Weg, Roy", forderte ich, woraufhin er beinah gelangweilt wirkend sein Schwert zog. "Ich habe den Befehl, die Prinzessin zu bewachen. Wenn du sie retten willst, wirst du euch den Weg freikämpfen müssen. Aber ich warne dich: gegen mich hast du Hosenmatz nicht den Hauch einer Chance!"


    "Dann ist es ja gut, dass ich dein Gegner sein werde!" Fyda tauchte in Roys Rücken auf und hielt ihm über die Schulter hinweg ihre Klinge an die Kehle. Während Roy ihr einen überraschten Blick zuwarf, wandte Fyda sich an mich: "Bring Melina in Sicherheit, Ark. Ich komm' hier schon klar."

    Ich nickte ihr knapp zu und zerrte Melina dann hinter mir her aus dem Raum.


    Im Gang trafen wir auf Mei-Lin, die bei unserem Anblick rief: "Hier entlang, Ark. Dort vorne wimmelt es von Wachen."

    Ich zögerte.

    War ihr Sinneswandel von zuvor echt gewesen oder wollte sie mich wieder hereinlegen?


    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügte sie an: "Es ist keine Falle. Versprochen."

    Ich warf Melina einen fragenden Blick zu, die mir aufmunternd zunickte. Also folgten wir Mei-Lin durch einen dunklen Seitengang bis zu einem schmalen Loch in der Wand.

    "Dieser Weg führt zu einem Abflussrohr", erklärte Mei-Lin. "Ich habe Wong darüber reden hören, dass es nach draußen führt. Nutzt diesen Geheimgang, um unauffällig zu verschwinden. Ich werde unterdessen die Wachen ablenken!"

    Mit diesen Worten ließ Mei-Lin uns stehen und rannte wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren.


    Melina und ich zwängten uns durch das Loch in die beinah vollkommene Finsternis dahinter. Uns noch immer an den Händen haltend tasteten wir uns vorsichtig vorwärts, immer dem entfernten Rauschen von fließendem Wasser hinterher.

    Nach einer Weile fragte Melina in unser Schweigen hinein: "Was machst du eigentlich hier in der Burg?"

    "Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen", erwiderte ich kryptisch, was ihr ein genervtes Stöhnen entlockte. Daher präzisierte ich: "Ich bin nach China gekommen, um einem Freund einen Gefallen zu tun, aber als ich gehört habe, dass du hier gefangen gehalten wirst, musste ich einfach kommen, um dich zu befreien."


    Bei diesen Worten blieb Melina plötzlich stehen. Ich drehte mich fragend zu ihr um, doch wegen der schlechten Lichtverhältnisse konnte ich ihr Gesicht nur schlecht erkennen.

    Bildete ich mir das ein oder wirkte sie besorgt?


    "Ich möchte auf Fyda warten", erklärte sie nach einem tiefen Atemzug. "Geh ruhig schon vor."

    Ich blickte auf unsere ineinander verschlungenen Hände, die ein dunkler Fleck vor der uns umgebenden Schwärze waren, und hatte auf einmal das Gefühl, Melinas Gedanken klar und deutlich in meinem Kopf zu hören.

    "Du willst nicht auf Fyda warten", stellte ich nüchtern fest woraufhin Melina leise nach Luft schnappte und mir ihre Hand entziehen wollte, was ich jedoch nicht zuließ. "Du willst mich nur nicht mithereinziehen in was auch immer du verwickelt bist. Deswegen hast du mich auch damals auf dem Schiff zurückgelassen."


    Melinas Arm, der zuvor an ihrer Hand gezerrt hatte, erschlaffte und sie stimmte leise zu. "Ja, das ist richtig."

    "Und es wird auch nichts an deiner Meinung ändern, wenn ich dir sage, dass es mich nicht stören würde, in diese Sache hineingezogen zu werden, solange das bedeutet, dass ich dich beschützen kann?", hakte ich nach, obwohl ich mir sicher war, die Antwort bereits zu kennen.

    "Ich... Ich kann das nicht, Ark. Tut mir leid." Auch wenn ich ihre Tränen nicht sah, so konnte ich sie doch in Melinas Stimme hören. "Du bist ein wundervoller Mann und bedeutest mir zu viel. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn dir meinetwegen etwas zustoßen würde."


    Ich holte tief Luft und nickte dann resignierend. "Dann heißt es jetzt wohl wieder Lebewohl. Versprich mir nur eines", forderte ich. "Versprich mir, dass wir uns wiedersehen!"

    "Ich schwöre es." Melinas Stimme war lediglich ein leises Flüstern und ich beugte mich zu ihr herab, um sie zu küssen. Die leise, protestierende Stimme in meinem Inneren schob ich bestimmt zur Seite.

    Ich war es leid, mich an eine längst verlorene Zukunft zu klammern und mich von einem Versprechen fesseln zu lassen, das ich in einem anderen Leben gegeben hatte...

    Als sich unsere Lippen berührten, versteifte Melina sich zunächst vor Überraschung, aber dann lehnte sie ihren Körper gegen meinen und schlang ihre Arme um meinen Nacken.


    Nach einem viel zu kurzen Moment lösten wir uns wieder von einander und ich versicherte mich noch einmal: "Wir sehen uns wieder?"

    Als Melina antwortete, konnte ich neben Tränen auch ein Lächeln in ihrer Stimme hören: "Versprochen!"

    Dann wandte ich mich schweren Herzens von ihr ab und verließ die Burg.


    Am Ende des Abflussrohrs traf ich auf Mei-Lin, die ein erleichtertes Gesicht machte, sobald sie mich erblickte. "Da bist du ja endlich! ... Warte, wo ist die Prinzessin?"

    "Lange Geschichte", blockte ich ab, da ich absolut keine Lust hatte, Mei-Lin zu erklären, wieso Melina und ich uns unterwegs getrennt hatten.

    Zuerst sah es so aus, als wollte Mei-Lin nachbohren, aber dann ließ sie das Thema doch fallen. Stattdessen sagte sie: "Wir müssen auf dem Weg zurück nach Yamei vorsichtig sein. Die Burg ist in Aufruhr! Wie's aussieht, hat Roy Wong erschlagen!"


    Mir klappte vor Überraschung der Mund auf. "Was? Wieso?!"

    "Keine Ahnung", gestand Mei-Lin, "aber ich habe ein paar Wachen darüber reden hören. Deswegen habe ich hier auf dich gewartet, um dich in einer meiner Illusionen zu verstecken und sicher zurück nach Yamei zu bringen. Das ist das Mindeste, das ich für dich tun kann, nachdem ich... so ein Ekel zu dir war."

    Gerührt von ihrer Fürsorge schenkte ich ihr ein Lächeln und beschied: "Dann lass uns gehen."


    Zurück in Yamei traf ich mich zu allererst mit Perry, damit er sich nicht länger Sorgen um mich machen musste. Anschließend gingen wir gemeinsam zu Otaku, um ihn über Wongs Schicksal zu unterrichten.

    Als er vom Tod seines Bruders hörte, wurden seine Augen glasig, aber er hielt Wort und überließ Perry und mir so viel Metall wie wir wollten. Zudem überreichte er uns einen Brief für Will, in dem er ihm eine Partnerschaft anbot, um mehr von Wills Flugzeugen zu produzieren.


    Nach dem Treffen mit Otaku begaben wir uns gemeinsam mit Mei-Lin zum Hafen, wo sich unsere Wege trennten.

    Während Mei-Lin sich auf den Rückweg nach Tibet machte und Perry das erhaltene Metall sowie Otakus Angebot zu Will bringen wollte, plante ich, vor meiner Rückkehr nach Seeheim noch ein wenig die Welt zu bereisen.

    Obwohl Melina und ich uns erneut für wer weiß wie lange nicht sehen würden, fühlte ich mich seit unserem Kuss euphorisiert und ungewohnt optimistisch.


    Ich hatte endlich das Gefühl, allmählich meinen Platz in dieser Welt zu finden.





    Fortschritt:


    Lvl 25

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (2/3), Ahola (1/2), Liberita (2/3), Seeheim (1/3), Goldküste (1/2)

    Verkehrsmittel: Schiff

  • Arks Tagebuch Part 16


    Das Schiff, das ich in Yamei bestieg, brachte mich auf eine nahegelegene Insel namens Japan, wo ich die Stadt Neo-Tokio besuchte. Diese war ähnlich fortschrittlich wie die chinesische Metropole, die ich gerade erst verlassen hatte, aber noch um ein Vielfaches größer.

    Ich kam mir vor wie in einer Wüste aus Beton und Stahl...

    Nirgendwo war auch nur ein Baum oder Busch zu sehen und die Luft war stickig und voller Abgase.


    Jedoch schien sich niemand außer mir daran zu stören.

    Die Einwohner flitzten geschäftig wirkend zwischen den hohen Gebäudetürmen umher und wimmelten jeden meiner Versuche, ein Gespräch zu beginnen mit einem "Keine Zeit, keine Zeit" ab. Offenbar hatte jeder hier zu viel zu tun, um mit einem Fremden zu plaudern und ich sehnte mich nach kleinen Dörfern wie Loire, Ahola oder Seeheim. Dort wirkte das Leben so viel ruhiger und beschaulicher.


    Da ich seit dem Aufbruch aus Yamei nichts mehr gegessen hatte, suchte ich nach einem Lokal, wo ich örtliche Spezialitäten probieren konnte. Die verschiedenen Speisen und Geschmäcker waren mit Abstand das Beste am Reisen!

    Zu meiner großen Freude fand ich in einer unter der Hauptverkehrsstraße entlang führenden Unterführung einen kleinen Ramenladen, wo gerade ein Wettessen veranstaltet wurde. Wer es schaffte, mehr Nudelsuppen zu essen als der Champion des Ladens sollte einen tollen Preis erhalten. Zudem war das Essen für alle Herausforderer gratis!

    Mit laut knurrendem Magen meldete ich mich, um gegen den Nudelkönig anzutreten, und freute mich darauf, ihn in Grund und Boden zu futtern!

    Doch als ich bemerkte, dass der Wettessmeister bereits bei seiner fünften Schüssel war, während ich noch an meiner zweiten schlürfte, gab ich den Gedanken an den Sieg auf und begnügte mich stattdessen damit, mich mal wieder so richtig satt zu essen.


    Als ich anschließend meinen Rundgang durch die Stadt fortsetzte und mich fragte, wie es sein konnte, dass der Ramenladen nicht pleiteging, wenn dort regelmäßig so viel Essen verschenkt wurde, sprach mich plötzlich eine uniformierte Frau an: "Hallo. Ich bin von der Polizei." Sie hielt mir eine blecherne Marke unter die Nase, die mir wohl irgendetwas hätte sagen sollen, und fuhr fort: "Haben Sie in der Gegend hier ein wildes Tier gesehen?"

    Ich blinzelte sie irritiert an und dachte an die Ratte, die ich in der Unterführung gesehen hatte, wie sie in einer dunklen Ecke verschwunden war. Aber weshalb sollte sich die Polizistin für kleine Nager interessieren?

    Daher hakte ich nach: "Von welcher Art Tier sprechen wir hier?"


    Die Uniformierte zog ein unglückliches Gesicht, auf das ich mir zunächst keinen Reim machen konnte, bis sie antwortete: "Das weiß ich leider selbst nicht so genau. Die Augenzeugenberichte gehen ziemlich auseinander. Die einen behaupten, es sei dunkelbraun und so groß wie ein Pferd, andere berichten, eine Art sandsteinfarbenen Hund gesehen zu haben."

    "Vielleicht sind es ja mehrere Tiere", äußerte ich den Gedanken, der mir durch den Kopf schieß, woraufhin mich die junge Polizistin geschockt ansah: "Nicht doch! Eines wäre wirklich schlimm genug!"


    "Aber wieso?", wollte ich wissen. "Tiere sind etwas Wunderbares. Wieso sollte ihre Gegenwart schlimm sein?" Ich dachte an Dumbar und seine hilfsbereiten Vögel, die mich über den Atlantik getragen hatten; an den Widder, der mir im Eklamata-Gebirge das Leben gerettet hatte; und an den kleinen Liam, der mein Herz im Sturm erobert hatte.

    Mein Gegenüber starrte mich jedoch an, als hätte ich den Verstand verloren. "Wilde Tiere sind gefährlich! Menschen könnten zu Schaden kommen!"


    "Aber nur, wenn sich die Tiere bedroht fühlen", hielt ich dagegen, was die Polizistin mich argwöhnisch mustern ließ. "Sie hätten also kein Problem damit, eine wilde Bestie hier in der Stadt zu verstecken?"

    Bei dem Wort "Bestie" schnappte etwas in mir ein und ich blaffte zornig zurück: "Doch! Aber nur, weil dieser riesige Betonblock von Stadt kein geeigneter Lebensraum für auch nur irgendein Tier ist!"


    Ich hasste es, wenn Menschen sich für etwas Besseres als andere Wesen hielten.

    Was gab ihnen das Recht dazu?!

    Unter den Tieren war ich bei Weitem nicht so viel Missgunst und Niederträchtigkeit begegnet wie unter den Menschen...


    Wutschnaubend wandte ich mich ab, aber die Polizistin stellte sich mir erneut in den Weg. "Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen!"

    "Doch, sind Sie", beschied ich, "ich bin erst vor wenigen Stunden mit dem Schiff hier angekommen. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie im Hafen nach. Was auch immer für ein Tier hier womöglich herumläuft - ich hab es nicht eingeschleppt!"

    Mit diesen Worten ließ ich die völlig perplex wirkende Frau einfach stehen und stampfte mit energischen Schritten in Richtung Stadtgrenze davon.

    Ich hatte die Schnauze voll von Großstädten und wollte zurück nach Seeheim!


    Unterwegs kam ich jedoch an der Redaktion der hiesigen Zeitung vorbei und wurde von einem Mann angehalten, der einen vor dem Gebäude errichteten Stand betreute: "Hey, du! Hast du schon die neuste Ausgabe gelesen?"

    "Kein Interesse", versuchte ich, ihn abzuwimmeln, jedoch ohne Erfolg: "Heute gibt es einen langen Sonderbericht über Dr. Beruga!"

    Der Name sagte mir nichts, weckte aber trotzdem meine Neugierde. "Wer ist dieser Dr. Beruga?", hakte ich nach und der Zeitungsverkäufer erklärte mir dies nur zu gern: "Er ist ein größenwahnsinniger Wissenschaftler aus Russland. Sein Spezialgebiet ist die Biotechnologie und es heißt, er forsche nach einem Weg, den Tod komplett aufzuhalten!"

    Ich stieß einen kleinen Laut der Überraschung aus und kaufte eine Zeitung, um mehr zu erfahren.


    Wie sollte man den Tod abschaffen können?

    Und wieso sollte man das überhaupt wollen?

    Der Tod gehörte doch zum Leben dazu und machte die Zeit, die uns beschieden war, erst so kostbar.

    Ohne den Tod wäre das Leben... irgendwie bedeutungslos, fand ich.


    Die Zeitung im Gepäck machte ich mich auf den Weg zurück zum Hafen, wo ich mich auf das erstbeste Schiff begab, das in Richtung Amerika fuhr.

    Leider hatte der Zeitungsverkäufer deutlich zu viel versprochen und der Artikel über Beruga hielt nur eine weitere interessante Information bereit: der Wissenschaftler war vor geraumer Zeit plötzlich von der Bildfläche verschwunden und niemand wusste, warum.

    Ich fand dies hochgradig sonderbar und fragte mich, ob womöglich eines seiner Experimente schief gelaufen war.

    Es wäre irgendwie ironisch gewesen, wenn Beruga bei dem Versuch, den Tod zu beseitigen, ums Leben gekommen wäre...

    Da Berugas Verschwinden jedoch keinerlei Relevanz für mich hatte, legte ich die Zeitung schnell wieder zur Seite und beschäftigte mich lieber damit, den Matrosen auf Deck zur Hand zu gehen.


    Bevor ich mich endgültig nach Seeheim begab, machte ich noch einen kurzen Zwischenstopp in Goldküste, einem kleinen, verträumten Städtchen in Australien, wo es bemerkenswert gutes Essen gab. Vor allem die Filets der hier gezüchteten Rinder ließen mir auch dann noch das Wasser im Mund zusammenfließen, als ich mich schon wieder auf dem Schiff nach Amerika befand.


    Als ich Monate später im Hafen von Liberita einlief, staunte ich nicht schlecht: Es war über ein Jahr her, seit ich hier in Richtung China in See gestochen war, und seitdem hatte sich die Stadt gewaltig entwickelt!

    Sehr zu meinem Missfallen war Liberita während meiner Abwesenheit zu einer riesigen Metropole herangewachsen und wo einst niedliche, kleine Häuser gestanden hatten, schraubten sich nun Wolkenkratzer in den blauen Himmel und bunte Farben waren dem immer gleichen Grau der Großstadt gewichen.

    Doch so sehr ich diese Entwicklung bedauerte, musste ich doch anerkennen, welch eine bauliche Leistung dieser rasante Wandel gewesen sein musste.


    Zum Glück hielt mich nichts in Liberita und so machte ich mich schnell auf den Weg nach Seeheim, wo erfreulicherweise alles beim Alten geblieben war.

    Dankbar sog ich die klare, nach Heu und Vieh riechende Luft tief in meine Lungen und begab mich zu Will, der noch immer abseits des eigentlichen Dorfes wohnte.


    Bei meinem Eintreten stieß er einen erfreuten Schrei aus und zog mich in eine feste Umarmung, die ich sehr gerne erwiderte. Dann rief er in den hinteren Teil seines Hauses: "Anita! Sieh mal, Ark ist wieder da!"

    Ich hob überrascht die Augenbrauen. "Anita wohnt immer noch bei dir?"

    Will nickte mit einem liebevoll wirkenden Lächeln auf den Lippen und erklärte: "Sie wollte partout nicht zurück nach Moronia, deswegen habe ich sie kurz nach deiner Abreise adoptiert."


    Bevor ich etwas entgegnen konnte, betrat Anita den Eingangsbereich. Sie war seit unserem letzten Treffen ordentlich gewachsen und trug einen ölbefleckten, schlackernden Overall, der aussah als hätte er früher Will gehört und wäre nur an den Beinen gekürzt worden. Offenbar teilte sie die Bastelleidenschaft ihres Adoptivvaters und ich freute mich für sie, dass sie einen Platz gefunden hatte, wo sie diese ausleben konnte.

    "Ark! Wie schön, dass du da bist!" Ohne sich wegen des Motorenöls auf ihrer Kleidung auch nur die geringsten Gedanken zu machen, warf Anita sich gegen mich und schlang ihre Arme um mich. Ich zerzauste ihr das kurz geschnittene Haar und grüßte meinerseits: "Hey, Anita!"

    "Du bleibst zum Essen, oder?" Anita sah erwartungsvoll zu mir hoch und Will stimmte zu: "Das ist eine tolle Idee. Und morgen früh zeige ich dir dann mein Flugzeug!"

    Auch wenn ich mich mit Grauen an Anitas und Wills Kochkünste erinnerte, stimmte ich freudig zu: "Das klingt super!"


    Wie ich erwartet hatte, schwankte die Qualität des aufgetischten Essens zwischen "gewöhnungsbedürftig" und "gerade so akzeptabel", aber das tat dem lustigen Abend keinen Abbruch.

    Will erzählte von Perrys staunendem Gesicht, als dieser das Flugzeug das erste Mal gesehen hatte, und seiner vehementen Weigerung, je wieder in eine Flugmaschine zu steigen, nachdem er das erste Mal damit geflogen war. Leider war dem armen Kerl während seines Jungfernfluges derartig übel geworden, dass Will gezwungen gewesen war, vorzeitig umzudrehen und wieder zu landen.

    Anita ergänzte, dass unser gemeinsamer Freund dafür offenbar Freude an der Seefahrt entwickelt hatte und, wie auch schon bei seiner Reise nach Yamei, nun als Smut auf einem Schiff arbeitete und auf diese Weise die ganze Welt bereiste.

    Ich freute mich für Perry, dass er neben dem Skateboarden noch etwas anderes gefunden hatte, das ihm Freude bereitete und erzählte meinen Gastgebern meinerseits von meiner Zeit in Neo-Tokio und Goldküste.

    Als wir endlich ins Bett gingen, stand der Mond bereits prall und hell am Himmel und tauchte Seeheim in sein silbernes Licht.


    Im Gegensatz zu mir schien Will jedoch kaum Schlaf zu brauchen und rüttelte mich bereits im Morgengrauen wieder wach. "Aufstehen, Sonnenschein! Es wird Zeit für deine erste Flugstunde!"

    Sein Enthusiasmus war allerdings ansteckend und so rappelte ich mich herzhaft gähnend auf, anstatt ihn davon zu scheuchen wie ich es normalerweise getan hätte.


    Das leuchtend rot lackierte Flugzeug stand auf einem weiten Feld in der Nähe von Seeheim und schien im Vergleich zu dem Wrack, das ich seinerzeit vor der Höhle in den Great Lakes entdeckt hatte, einige Verbesserungen bekommen zu haben. Der Propeller wirkte größer und die Verstrebungen zwischen den doppelten Tragflächen stabiler.

    Will wies mich an, mich auf den hinteren Platz zu setzen, und reichte mir eine lederne Kappe mit Schutzbrille. Dann startete er den Motor, schob den die Räder blockierenden Keil zur Seite und kletterte auf den vorderen Sitz mit dem Steuerknüppel.


    Während das Flugzeug über das Feld hoppelte und dabei allmählich immer schneller wurde, wurden Will und ich gewaltig durchgeschüttelt, aber als sich die Reifen endlich vom Boden lösten und wir in die Luft hinaufstiegen, fühlte es sich einfach grandios an!

    Wir kreisten wie ein dicker Vogel über den Great Lakes, die von hier oben wie kleine Pfützen aussahen, und ich hielt meinen Arm aus der Maschine, um ein paar Wolken zu streicheln. Zu meiner Überraschung waren diese nicht fluffig weich, sondern nass...


    "Das ist herrlich!", brüllte ich Will über das Dröhnen des Motors hinweg ins Ohr und er schrie zurück: "Willst du lernen, wie man steuert?"

    Für dieses Angebot hätte ich ihn küssen können! "Unbedingt!"

    Schon als mich Dumbars Vögel über den Ozean getragen hatten, hatte ich mir gewünscht, selbst fliegen zu können und diese schier unendlich wirkende Freiheit zu spüren. Ein Flugzeug zu bedienen, war zwar nicht ganz dasselbe, aber so nah dran wie einem Menschen möglich.


    Also verbrachte ich die nächsten Wochen damit, mir von Will alles beibringen zu lassen, was es übers Fliegen zu wissen gab. Ich war verblüfft darüber, wie geduldig er sich als Lehrer erwies, obwohl sein Geist ansonsten so sprunghaft und unstet war.

    Die wirkliche Überraschung erwartete mich jedoch an dem Morgen, an dem ich die kleine Prüfung absolvierte, die Will mir gestellt hatte, bevor er mich einen vollwertigen Piloten nennen wollte:

    Kaum dass wir nach meiner erfolgreichen Landung aus dem Flugzeug gestiegen waren und ich es fachmännisch gesichert hatte, drehte Will sich zu seiner Maschine um und verkündete mit einem Seitenblick auf mich: "Herzlichen Glückwunsch, Ark. Damit gehört mein Baby nun dir!"


    Ich riss meinen Kopf so schnell zu ihm herum, dass ich mir einen kleinen Muskel zerrte, und starrte ihn ungläubig an.

    Er schenkte mir sein Flugzeug?!

    Hatte ich das richtig verstanden?


    Als Will meinen Blick bemerkte, lachte er und sagte: "Jetzt guck mich nicht so an, als hätte ich behauptet, ich wäre ein Watte pupsendes, rosa Kaninchen! Wenn du nicht gewesen wärst, gäbe es dieses Flugzeug überhaupt nicht und ich würde noch immer mit Gossi in der Höhle am See leben... Du hast dir dieses Geschenk mehr als verdient!"

    Unfähig, meinen Dank in Worte zu fassen, zog ich ihn in eine feste Umarmung und wandte mich danach wieder der Flugmaschine zu: "Dann muss ich gleich nochmal eine Runde mit meinem Baby drehen!"


    Über die nächsten Monate hinweg wagte ich, immer weitere Strecken zu fliegen, bis ich mich schließlich traute, den Atlantik zu überqueren.

    Als ich Ahola und Loire unter mir hinweg ziehen sah, spürte ich zu meiner Überraschung so etwas wie Nostalgie in mir aufkommen. Es war so lange her, seit ich das letzte Mal in Europa gewesen war...

    Beide Dörfer schienen sich in der Zwischenzeit prächtig entwickelt zu haben und Loire hatte sich sogar zu einer richtigen Großstadt gemausert. Ich fragte mich, ob dort noch immer das Duo Jean und Luis regierte.


    Ein wenig östlich von Loire entdeckte ich in einem größtenteils schneebedeckten Land eine mir bislang unbekannte Stadt und entschloss mich, dort zu landen und diese Wissenslücke zu schließen.

    Ich parkte mein Flugzeug auf einer weiten Grasfläche in der Nähe und marschierte dann, von einem Schneetreiben begleitet, in die Ortschaft. Bei der merkwürdigen Atmosphäre, die hier herrschte, stellten sich mir jedoch die Nackenhaare auf und ich überlegte, postwendend kehrt zu machen.


    Doch ich war vom langen Flug erschöpft und hungrig, daher machte ich mich trotz des schlechten Gefühls in der Magengegend auf die Suche nach einem Hotel. Unterwegs sah ich einige dubios aussehende, in weite, weiße Kutten mit Spitzhaube gehüllte Gestalten, die anscheinend zu einer Art Tempel unterwegs waren.

    Bei diesem Anblick fühlte ich mich noch unwohler als zuvor und beschloss, gleich am nächsten Morgen wieder abzureisen.


    Als ich die Herberge der Stadt betrat, wurde ich sogleich von dem Mann hinter dem Tresen begrüßt: "Willkommen in Devota, mein Freund!"

    Er trug die gleichen, merkwürdigen Kleider wie die Personen, die ich draußen gesehen hatte, und ich fragte mich, ob dies die örtliche Tracht war oder ob ich in irgendeine Art gruseliges Kostümfest geplatzt war.

    Meinen Geldbeutel hervorholend antwortete ich: "Ich hätte gerne ein Bett für die Nacht."

    "Aber natürlich, der Herr!" Die Stimme des Hotelangestellten klang derart kriecherisch, dass ich jeden Moment damit rechnete, dass er gleich einen Bückling machen würde. Mir den Zimmerschlüssel reichend fügte er an: "Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt und wenn ich eine Empfehlung aussprechen darf, dann rate ich Ihnen, das Geburtshaus des großartigen Dr. Beruga im Nordwesten der Stadt zu besuchen."


    Bei der Erwähnung dieses Namens erstarrte ich in der Bewegung und erinnerte mich an das kurze Gespräch mit dem Zeitungsverkäufer in Neo-Tokio.

    "Dr. Beruga wurde hier geboren?", vergewisserte ich mich, von plötzlicher Neugierde befallen. "Oh, ja!" Mein Gegenüber nickte heftig, wobei der Zipfel seiner Mütze ulkig hin und her wackelte. "Der brilliante Dr. Beruga hat bis zu seinem Verschwinden sein ganzes Leben hier verbracht und wir sind fest davon überzeugt, dass er eines Tages hierher zurückkehren wird!"

    Das manische Funkeln in den Augen des Mannes ließ mich innerlich erschaudern. Dennoch fragte ich weiter: "Dann ist sein Labor auch hier?"

    "Südlich der Stadt auf der Insel im Devota-See", bestätigte der Rezeptionist. "Aber seit Dr. Berugas Verschwinden ist es verschlossen."

    "Hm." Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Daher nahm ich endlich meinen Zimmerschlüssel an mich und bestellte noch ein Abendmahl, bevor ich zu Bett ging.


    Auch wenn ich nicht sagen konnte, warum, ließ mich der Gedanke an Beruga und sein Labor nicht mehr los. Deswegen machte ich mich am nächsten Morgen doch nicht auf den Weg zu meinem Flugzeug zurück, sondern wanderte zu dem Laboratorium des verschollenen Wissenschaftlers.

    Dabei handelte es ich um einen gigantischen Gebäudekomplex, der die kleine Insel inmitten des aus kristallklarem Wasser bestehenden Sees beinah vollständig bedeckte.


    Obwohl es geheißen hatte, das Labor sei verschlossen, streckte ich die Hand nach der Türklinke aus und stellte erfreut fest, dass sich der Fronteingang ganz einfach öffnen ließ. Mich verstohlen nach allen Seiten umguckend, schlüpfte ich schnell ins Innere, wo mich eine undurchdringlich wirkende Finsternis empfing.

    Daher blieb ich im Eingangsbereich stehen, bis sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten und tastete mich dann, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, vor, bis ich einen Lichtschalter fand.


    Im Anschluss blickte ich mich ein wenig genauer um und staunte nicht schlecht: Um mich herum standen und saßen merkwürdige Apparaturen, die aussahen wie aus Metall gefertigte Menschen.

    Ich ging in die Knie, um mir eine dieser Blechpersonen genauer anzuschauen, als Fluffy neben mir auftauchte und sagte: "Das sind Roboter - genauer gesagt, Androiden. Intelligente Maschinen, die in der Lage dazu sind, ihnen zugewiesene Aufgaben selbstständig zu verrichten."

    "So etwas gibt's?!", fragte ich ungläubig, woraufhin Fluffy mir einen mitleidig wirkenden Seitenblick zuwarf. "Die Wissenschaft ist noch zu sehr viel mehr fähig, Ark. Mit den richtigen Mitteln könnte sie dich zu einer Art Gott machen."

    Bei dieser Aussicht zog ich nachdenklich die Augenbrauen zusammen. "Das klingt, als könnte sie in den falschen Händen verdammt gefährlich werden..."

    Fluffy tat meinen Einwand mit einem Achselzucken ab. "In den falschen Händen ist auch ein einfacher Stein, wie du ihn am Wegesrand finden kannst, gefährlich..."

    "Das ist wohl kaum vergleichbar!", echauffierte ich mich, aber Fluffy verschwand schon wieder in meiner Hosentasche.


    Also erforschte ich den Rest des Laboratoriums, bis ich eine mit blinkenden Lichtern und diversen Schaltflächen in den unterschiedlichsten Größen übersäte Wand entdeckte. Als ich mich ihr näherte, ertönte plötzlich eine künstlich klingende Stimme: "Passwort!"

    Ich zuckte vor Schreck zusammen und blinzelte die Wand irritiert an. "Äh... was?"

    "Passwort!", kam die prompte Wiederholung, aber auch dieses Mal konnte ich mir darauf keinen Reim machen.

    Es war wieder Fluffy, der sich erklärend zu Wort meldete: "Das ist der Zentralcomputer des Labors. Er steuert hier alles und offenbar brauchst du ein Zugangswort, um Zugriff auf die verschiedenen Systeme zu bekommen."

    Erkenntnis erhellte mein Gesicht, nur um gleich davon von Ernüchterung vertrieben zu werden. "Dann sind wir wohl in einer Sackgasse gelandet. Ich habe jedenfalls nicht den Hauch einer Ahnung, wie das Passwort lauten könnte."

    "Merk dir, was ich dir jetzt sage", forderte Fluffy und sagte dann betont deutlich: "BLOODY MARY!"


    Mich unsicher fühlend wandte ich mich wieder der blinkenden Wand zu und rief: "BLOODY MARY!"

    Im ersten Moment glaubte ich, etwas falsch gemacht zu haben, doch dann ertönten ein paar piepende Geräusche, gefolgt von der Computerstimme: "Passwort akzeptiert. Zugang zum dritten Untergeschoss geöffnet."

    "Es hat tatsächlich funktioniert!", jubelte ich, nur um mich direkt im Anschluss zu wundern: "Woher kennst du das Passwort zu Berugas Computer?"

    "Wenn du nicht so gnadenlos unaufmerksam wärst, hättest du dir das Kennwort auch zusammenreimen können", tadelte Fluffy und zog sich wieder in die Truhe zurück, bevor ich etwas entgegnen konnte.


    Verwirrt starrte ich den Computer an, der mit seinen vielen blinkenden Lichtern beinahe wie eine fluoreszierende Lebensform wirkte.

    Was hatte Fluffy gemeint?

    Welche Hinweise hatte ich übersehen oder nicht richtig zusammengesetzt?


    Nach einem langen Moment beschied ich endlich, dass dies keine Rolle spielte. Ich würde die Antwort darauf sowieso nicht erfahren, wenn ich hier herumstand und grübelte.

    Daher machte ich mich auf den Weg zum Aufzug, um damit in das nun geöffnete Stockwerk zu fahren.


    Zu meiner Überraschung fand ich dort unten, etliche Meter unter dem Devota-See, eine zu Eis gefrorene Person.

    Bei ihrem Anblick musste ich sofort an jenen, lange zurückliegenden Tag in Krysta denken, der mein Leben vollständig auf den Kopf gestellt hatte...

    Doch anders als die Bewohner Krystas schien dieser Mann nicht plötzlich aus dem Nichts heraus eingefroren worden zu sein. Stattdessen lag er in einer Art Kapsel und schien friedlich zu schlafen; ganz so, als hätte er sich bewusst in eine Art Kälteschlaf begeben.

    Als ich das vermeintliche Bett genauer betrachtete, entdeckte ich einen blinkenden Schalter und kurz nachdem ich diesen gedrückt hatte, taute der Fremde vor meinen Augen wieder auf!


    Im ersten Moment wirkte er ein wenig desorientiert, doch dann blieb sein umherschweifender Blick an mir hängen und er fragte: "Hast du mich geweckt?" Ich nickte und er bedankte sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Dann wurde seine Miene jedoch wieder ernst und er wollte wissen: "Welches Jahr haben wir?"

    Als ich ihm die Jahreszahl nannte, brach er in einen lauten Jubelschrei aus. "Die Kälteschlafkammer funktioniert!"

    "Bist du Dr. Beruga?", äußerte ich meine Vermutung laut und wurde dafür abermals mit einem Lächeln bedacht. "Der bin ich! Universalgenie und Bezwinger des Todes in einer Person!"

    "Ja, von dieser größenwahnsinnigen Idee habe ich bereits gehört", rutschte es mir heraus, woraufhin Beruga lachen musste. "Ah, ein Skeptiker, wie ich sehe. Komm mit, ich will dir etwas zeigen."


    Er führte mich einen langen Korridor entlang, bis wir vor einem mit grüner Flüssigkeit gefüllten Tank stehenblieben. Im Inneren des Tanks trieb ein Zombie, der mich mit einem gequält wirkenden Ausdruck in den Augen ansah.

    Mir lief bei diesem Anblick ein eisiger Schauer über den Rücken...


    "Was zum...?!" Ich warf Beruga über die Schulter hinweg einen entsetzten Blick zu, während er mit stolzgeschwellter Brust erklärte: "Diese Person war bereits tot, aber dank meiner genialen Forschung konnte ich sie ins Leben zurückholen. Und nun ist sie unsterblich! Wie du siehst, kann sie weder ertrinken noch ist sie in den Jahren meines Kälteschlafes verhungert."

    Ich machte einen Schritt zurück und wandte die Augen ab, weil ich den Anblick des Zombies nicht länger ertrug.

    Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle übergeben...


    Stattdessen fragte ich jedoch: "Aber wenn es den Tod irgendwann nicht mehr geben wird, wird die Welt eines Tages überquellen. Die Nahrung und der Lebensraum werden knapp werden. Es wird entsetzliche Kriege geben, wenn die Menschen sich um die letzten Ressourcen streiten. Wie willst du das verhindern?"

    "Es werden natürlich nicht alle Menschen unsterblich werden!", entgegnete Beruga in einem Ton, der deutlich verriet, dass er meine Frage für ausgesprochen dumm hielt, und meine Alarmglocken schrillten, noch bevor er fortfuhr: "Die richtigen Menschen werden ewig leben und der Rest wird ausradiert werden."


    "Wie bitte?!" Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen. Ich musste mich verhört haben!

    Doch Beruga fuhr gnadenlos fort: "Zu diesem Zweck habe ich vor langer Zeit einen Virus namens Asmodeo entwickelt. Lass mich dir demonstrieren, wie er funktioniert!"


    Er öffnete eine kleine Schaltfläche an seinem Unterarm und drückte ein paar Knöpfe. Ich war mir nicht ganz sicher, was er da machte, nahm aber an, dass es sich bei dem Ding an seinem Arm um eine Art Fernbedienung handeln musste.

    Nach einem Moment blickte er wieder auf und sagte sehr zufrieden mit sich selbst klingend: "Ah, Neo-Tokio, das perfekte Ziel! Die schlechte Presse dort geht mir schon lange auf die Nerven." Mit einem Seitenblick auf mich fügte er an: "Schreibt dieses Käseblatt dort noch immer Verrisse über mich?"

    Ohne meine Antwort abzuwarten, beschied er: "Ach, nicht so wichtig."


    Mit diesen Worten wollte er einen weiteren Knopf auf seinem Unterarm drücken, aber ich warf mich mit der Schulter voraus gegen ihn, sodass wir beide zu Boden stürzten.

    Dieser Mann war wahnsinnig und musste um jeden Preis aufgehalten werden!


    Wir rollten uns hin und her und ich bemühte mich, irgendwie an meine Waffe zu kommen, ohne Beruga eine Gelegenheit zum Aufstehen zu geben.

    Doch dann wurde ich plötzlich von stählernen Armen unter den Achseln gepackt und hochgehoben.

    Ich schlug und trat verzweifelt um mich, um mich wieder zu befreien, aber Berugas Androide hielt mich mit seiner übermenschlichen Stärke fest im Griff.


    Beruga rappelte sich auf und wischte sich etwas Blut aus dem Mundwinkel, bevor sich sein eisiger Blick in meinen bohrte.

    "Kennst du die drei Gesetze der Roboter?", fragte er mich, nur um im selben Atemzug fortzufahren: "Roboter dürfen keinen Menschen verletzen. Roboter müssen den Befehlen von Menschen folgen. Erst danach dürfen sie sich selbst schützen. Für meine Androiden gibt es jedoch noch ein viertes Gesetz, das über den anderen steht: Wer versucht, mir zu schaden, wird auf der Stelle liquidiert!"


    Mit zu Schlitzen verengten Augen forderte er in drohendem Tonfall: "Sag gute Nacht."

    Dann nickte er seinem, mich noch immer festhaltenden, Roboter zu und ich spürte plötzlich einen von meinem Schulterblatt ausgehenden, stechenden Schmerz in der Brust.

    Ich blickte fassungslos an mir herunter und betrachtete fasziniert die blutige Spitze einer scharfen Klinge, die zwischen meinen Rippen hervorlugte. Mein Geist war unfähig, das Gesehene auch nur ansatzweise zu verarbeiten.


    Auf einen Befehl von Beruga hin, zog der Androide von einem brennenden Schmerz begleitet seine Waffe wieder aus meinem Brustkorb. Anschließend ließ er mich los und ich sackte in mich zusammen wie eine Theaterpuppe, deren Fäden durchtrennt worden waren.

    Beruga bedachte mich mit einem weiteren, langen Blick, den ich nicht deuten konnte. Ich wollte ihm versichern, dass er nicht ungeschoren davonkommen würde, doch statt der gewünschten Worte quoll nur Blut aus meinem Mund.

    Als wäre er von diesem Anblick enttäuscht, schüttelte Beruga den Kopf und machte sich dann mit seinem Roboter auf den Weg Richtung Aufzug.


    Ich bemühte mich nach Kräften, aufzustehen, aber mein Körper fühlte sich seltsam schwer an und meine Handflächen rutschten mir in der bedenklich schnell größer werdenden Lache meines eigenen Blutes immer wieder weg.

    Während ich noch darum kämpfte, wieder auf die Füße zu kommen, erschien auf einmal der Dorfälteste aus Krysta vor mir.

    Ich wusste nicht, ob er eine Halluzination meines sterbenden Geistes war oder sich auf magische Weise in diesen Raum projizierte.

    Jedenfalls war sein Gesicht nicht gerade das, was ich in meinen letzten Minuten sehen wollte...


    "Du hast gute Arbeit geleistet, Ark", hob er an. "Du hast die Welt erweckt, doch nun ist es an Beruga, aus ihr ein Paradies zu machen. Deine Aufgabe ist hiermit erfüllt. Halte nun ein. Für immer."

    Der Alte verschwand genauso plötzlich wie er aufgetaucht war und ich starrte noch eine Weile auf das leichte Flimmern in der Luft, das verriet, wo er gestanden hatte.


    Meine Aufgabe war erfüllt und nun sollte ich sterben?!

    War das von Anfang an der Plan gewesen?

    Mich auf die Oberwelt schicken, damit ich Beruga erweckte, und mich dann wegwerfen wie einen alten Putzlappen?


    Ich fühlte mich unendlich betrogen und spürte eine tiefe Verbitterung in mir aufsteigen.

    All die Jahre des Kämpfens und der physischen wie auch psychischen Schmerzen...


    Und wozu?

    Um die Welt einem größenwahnsinnigen Irren zu überlassen?

    Das konnte doch nicht wirklich meine Bestimmung gewesen sein...


    Meine Sicht wurde allmählich von den Rändern ausgehend dunkel und ich spürte wie der eisige Hauch des Todes über meine Glieder kroch.

    Doch dann hörte ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf: "Halte durch, Ark! Ich werde dich zu mir holen!"


    Und dann wurde alles um mich herum schwarz...





    Fortschritt:


    Lvl 30*

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (3/3), Ahola (2/2), Liberita (3/3), Seeheim (1/3), Goldküste (1/2)

    Verkehrsmittel: Schiff, Flugzeug


    *Die Würfel in Berugas Labor geben einfach so insane viel EXP! Ein paar Minuten lang hin und her gelaufen und - BOOM - gleich 5 Level mehr

  • Ich hab jetzt nicht den kompletten Thread gelesen, also falls irgendwer diese Playlist schon mal gepostet hat, tut es mir Leid.

    Ich hab mir heute alle Teile dieser Retrospektive rein gezogen und ich finde es sind mit die besten deutschen Videos zu Terranigma und den anderen Quintet Spielen die wir haben.
    Ich wollte es euch Terranigma-Liebhabern deswegen auch empfehlen :)


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  • Arks Tagebuch Part 17


    Stille.

    Schwärze.

    Unendliches Nichts.


    Ich wusste nicht, wie viel Zeit bereits vergangen war, bis flüsternde Stimmen durch die Finsternis an meinen, sich langsam wieder regenden, Geist drangen. Worte verstand ich keine, aber das gedämpfte Raunen löste in mir ein unbestimmtes Gefühl der Geborgenheit aus.


    Ich versuchte, meine Augen zu öffnen, doch meine Lider waren verklebt und die Anstrengung ließ meinen erschöpften Körper wieder in die Ohnmacht rutschen.


    Anschließend verbrachte ich eine Weile in einem merkwürdigen Zwischenzustand.

    Es war, als triebe mein Bewusstsein auf einem dunklen Meer und würde von hohen Wellen hin und her geworfen. Manchmal wurde er von der Strömung in die kalte, finstere Tiefe gezogen, aber immer öfter trug das aufgewühlte Wasser ihn fast bis an den Strand heran.


    Als es mir schlussendlich gelang, die Augen aufzuschlagen, blickte ich an eine hohe, weiß getünchte Decke. Ich blinzelte gegen die ungewohnte Helligkeit und wandte den Kopf, um mehr von meiner Umgebung zu sehen.

    Es dauerte länger als ich zugeben möchte, bis ich endlich registrierte, dass ich mich in Lhasa befand; in derselben Kammer, in der ich bereits Jahre zuvor aus einer tiefen Ohnmacht erwacht war.


    Da ich mich noch immer schwach fühlte, blieb ich im Bett liegen, wandte meinen Blick wieder gen Decke und versuchte, die vergangenen Ereignisse zu rekonstruieren.

    Wie war ich hierher gekommen?

    Und aus welchem Anlass war ich hier?


    Ich erinnerte mich an die Flugstunden mit Will und daran, dass ich mit dem Flugzeug, das er mir geschenkt hatte, um die halbe Welt geflogen war.

    Bilder eines von einer dicken Schicht Schnee bedeckten Dorfes schoben sich vor mein geistiges Auge und ich spürte, wie sich mir die Kehle zuschnürte und mein Herzschlag schneller wurde.


    Die Stirn in Falten gelegt, bemühte ich mich angestrengt, mich zu entsinnen, was in diesem Dorf passiert war, doch meine Erinnerungen flohen vor mir wie verängstigte Tiere und ich bekam nur Fetzen zu fassen.

    Ich sah dunkle Räume voller Metall und merkwürdiger Apparate, bunt blinkende Lichter, traurige, flehend blickende Augen in einem leichenblassen Gesicht und einen hochgewachsenen Mann mit schwarzem Bürstenschnitt, der hämisch auf mich hinunter zu grinsen schien.


    Ich stieß einen genervten Seufzer aus.

    Nichts davon machte Sinn oder erklärte, wieso ich nun in diesem Bett lag und mich wie durch den Fleischwolf gedreht fühlte.


    Plötzlich erklang eine mir vage vertraute Stimme und ließ mich innerlich zusammenzucken: "Ah, du scheinst endlich wieder wach zu sein - sehr gut. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, dass wir dich verlieren würden."

    Ich riss den Kopf herum und erblickte Ma-Jo, der im Türrahmen stand und mich mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen ansah.

    Bevor ich etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: "Als Lord Kumari dich hierher brachte, warst du dem Tod näher als dem Leben. Die arme Laki wäre beim Anblick des vielen Blutes fast selbst in Ohnmacht gefallen…"


    Ma-Jo machte ein paar Schritte in den Raum hinein und ich versuchte, mich aufzusetzen, um ihm während unseres Gesprächs in die Augen blicken zu können. Doch sobald ich Anstalten machte, meinen Oberkörper aufzurichten, schoss mir plötzlich ein reißender Schmerz durch die Brust und ich stieß ein nur schlecht unterdrücktes Keuchen aus, was meinen Besucher dazu veranlasste, mich schleunigst wieder in die Kissen zu drücken.


    "Sachte!", tadelte Ma-Jo. "Deine Wunden sind noch immer nicht vollständig verheilt. Wenn du dich zu viel oder zu schnell bewegst, reißen sie womöglich wieder auf."

    Aber was ist denn überhaupt passiert?, wollte ich fragen, doch dann brach auf einmal der Damm, hinter dem sich meine Erinnerungen angestaut hatten, und ich sah wieder die blutbefleckte Klinge von Berugas Android aus meiner Brust herausragen.


    Und dann fiel mir auch wieder ein, was der größenwahnsinnige Wissenschaftler vorgehabt hatte und warum es überhaupt dazu gekommen war, dass sein Roboter versucht hatte, mich zu erstechen!


    Trotz Ma-Jos Mahnung und der Schmerzen, setzte ich mich ruckartig auf und blickte den älteren Mann mit Panik in den Augen an: "Wir müssen sofort eine Nachricht an die Behörden von Neo-Tokio schreiben! Die Stadt muss umgehend evakuiert werden! Ich weiß nicht genau, was Beruga plant, aber er hat irgendeine Art Anschlag vor!"


    Während meines Ausrufs machten sich Trauer und Mitgefühl auf Ma-Jos Gesicht breit und er schüttelte kaum merklich den Kopf. "Dafür ist es zu spät, Ark. Beruga hat die Stadt mit einem Virus namens Asmodeo angegriffen und die Seuche hat sich rasend schnell verbreitet. Soweit wir wissen, gibt es keine Überlebenden."


    Ich spürte, wie mir stumme Tränen über die Wangen liefen.

    Als hätte er meine Gedanken gelesen, fügte Ma-Jo an: "Du hättest nichts tun können, Ark. Der Anschlag erfolgte bereits kurz nachdem Lord Kumari dich ins Dorf gebracht hatte. Es wäre niemals genügend Zeit gewesen, jemanden zu warnen."


    Ich hätte Beruga aufhalten können, wenn ich nicht so unvorsichtig gewesen wäre, schoss es mir durch den Kopf, doch da ich wusste, dass Ma-Jo dies sowieso nur abstreiten würde, fragte ich stattdessen: "Wie konnte Lord Kumari mich eigentlich hierher bringen, bevor ich verblutet bin? Und woher wusste er überhaupt, dass ich in Gefahr war?"


    Ein breites Grinsen erhellte das Gesicht meines Besuchers. "Ähnlich wie Mei-Lin und ich verfügt auch unser Oberhaupt über spirituelle Kräfte, die es ihm erlauben, Dinge zu vollbringen, die anderen Menschen unmöglich sind. Lord Kumari kann über weite Entfernungen hinweg die Lebensenergien anderer Personen spüren sowie mit ihnen kommunizieren. Daher wusste er, dass dein Lebenslicht am Erlöschen war."

    "Und wie hat er mich dann ins Dorf gebracht?", hakte ich nach und Ma-Jo antwortete: "Mit Hilfe des Knochenzaubers."

    Als er meinen verwirrten Blick bemerkte, erklärte er: "Dabei handelt es sich um sehr alte Magie, die vor langer Zeit hier in Lhasa entdeckt wurde. Wer sie beherrscht, kann sich entweder selbst an einen entfernten Ort versetzen oder eine andere Person zu sich holen."

    "Also eine Art Teleportationszauber", stellte ich verblüfft fest und mein Gegenüber nickte zur Bestätigung.


    Dann öffnete Ma-Jo den Mund, um etwas zu sagen, aber ich kam ihm zuvor: "Warte. Du sagtest 'ähnlich wie Mei-Lin und ich'. Mei-Lin kann Illusionen erschaffen, das weiß ich. Aber was ist deine Superkraft?"

    Ma-Jo zog sich einen Schemel heran und setzte sich, bevor er antwortete; ganz so, als wollte er ein wenig Zeit schinden, was mich nur noch neugieriger machte.

    "Ich kann die Zukunft sehen", sagte er schließlich.


    "Im Ernst?!" Ich starrte ihn ungläubig an. "Die ganze Zukunft? Du weißt immer schon vorher, was im nächsten Moment passieren wird?"

    Ma-Jo schüttelte den Kopf. "Nein. Ich sehe nur Ausschnitte; Momentaufnahmen einer möglichen Zukunft. Aber die Zeit ist ein stetig fließender Fluss und Entscheidungen, die im Jetzt getroffen werden, können das Morgen grundlegend verändern. Tatsächlich sind meine Visionen meistens ziemlich nutzlos und sorgen nur für Kopfschmerzen."


    "Das tut mir leid."

    Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es war, damit zu leben, Vorahnungen von Ereignissen zu haben, aber nie zu wissen, ob sie tatsächlich eintreten würden.

    In jeder anderen Stadt als Lhasa, wo alle Bewohner hochgradig spirituell waren, wäre Ma-Jo mit dieser Gabe vermutlich schnell von seinen Mitbürgern für verrückt gehalten worden, wenn er zum Beispiel versucht hätte, sie vor einem Unglück zu warnen, dass dann doch nicht eintrat.


    Ma-Jo warf mir ein kleines Lächeln zu. "Das muss es nicht. Ich wusste immer, meine Fähigkeit wird eines Tages für entscheidende Bedeutung für das Schicksal der Welt sein."

    "Sagt dir das eine deiner Visionen?", wollte ich wissen, doch mein Gegenüber zog nur die Mundwinkel noch ein wenig höher und schwieg.


    Dann stand er plötzlich auf, streckte sich und sagte: "Ich werde Laki Bescheid geben, dass du aufgewacht bist, damit sie dir etwas zu Essen bringt und nach deinen Verbänden sieht. Wenn sie dir die Erlaubnis gibt, aufzustehen, suche bitte Lord Kumari in seinem Studierzimmer auf. Er möchte mit dir reden."

    Ich nickte zustimmend und Ma-Jo verließ meine Kammer.


    Wie angekündigt, kam kurz darauf Laki an mein Bett und brachte mir eine Schale dampfender Wurzelgemüsesuppe, Brot und einige Streifen getrocknetes Yakfleisch sowie eine Art kleinen Tisch, den sie über meine Beine stellte, damit ich im Bett essen konnte.

    Während ich mich über meine Mahlzeit beugte, untersuchte Laki den Verband an meinem Rücken. Mit gerümpfter Nase stellte sie fest: "Der muss gewechselt werden."

    Dann trat sie in den Gang hinaus und rief mit lauter Stimme: "Mei-Lin! Bring mir bitte heißes Wasser, Salbe und saubere Binden für Ark!"


    Ich weiß nicht genau, warum es mich überraschte, dass Mei-Lin in Lhasa war - immerhin hatte sie bei unserem letzten Treffen angekündigt, dass sie hierher zurückkehren wolle. Dennoch sah ich Laki aus großen Augen an und fragte: "Mei-Lin assistiert dir?"

    Die mütterliche Frau nickte und antwortete mit einem hintergründig wirkenden Grinsen: "Oh ja! Als sie gesehen hat, wie Lord Kumari deinen leblos wirkenden Körper in dieses Bett getragen hat, hat sie sofort ihre Hilfe bei deiner Pflege angeboten. Zunächst war ich skeptisch, da sie in der Vergangenheit nicht gerade für ihr Pflichtbewusstsein bekannt war, aber ich muss sagen, dass sie sich wirklich rührend um dich gekümmert hat. In den ersten Nächten ist sie keine Minute von deiner Seite gewichen, um dir in regelmäßigen Abständen ein Kräutertonikum einflößen zu können, das deinem Körper helfen sollte, neues Blut zu produzieren. Ich glaube, ohne Mei-Lins Einsatz hättest du nicht überlebt."


    Während ich Laki zuhörte, stritten gegensätzliche Gefühle in meinem Inneren miteinander. Auf der einen Seite war ich gerührt und fühlte Mei-Lin gegenüber große Wärme und Dankbarkeit. Auf der anderen Seite hatte ich noch immer nicht vollständig vergessen, dass sie in China meinen Tod gewollt hatte, weswegen sich ein anderer Teil von mir fragte, welche Hintergedanken sie womöglich haben könnte.


    Doch als sie wenige Minuten später mit den geforderten Utensilien durch die Tür kam, standen nur Freude und Erleichterung in dem strahlenden Blau ihrer Augen. "Du bist endlich wieder wach!" Hinter ihrem unteren Lid sammelten sich Tränen, die sie wegzublinzeln versuchte.


    "Hallo Mei-Lin", begrüßte ich sie und steckte mir das letzte Stück Brot in den Mund. Laki stellte daraufhin den kleinen Tisch zur Seite und räumte ihn ab, bevor sie Mei-Lin anwies: "Stell die Wasserschüssel hier drauf und fang schon mal an, den alten Verband abzuwickeln. Ich bringe nur schnell das schmutzige Geschirr in die Küche."


    Mei-Lin nickte, setzte die Schüssel ab und hockte sich dann hinter mir auf die Bettkante. Auch wenn wir uns das letzte Mal mit einer versöhnlichen Note getrennt hatten, hingen die Ereignisse in Yamei unausgesprochen zwischen uns in der Luft und keiner von uns fand die richtigen Worte, um ein Gespräch zu beginnen.

    Also saßen wir schweigend da, während Mei-Lins Arme immer wieder um meinen Oberkörper herum griffen, um meinen Verband abzuwickeln.


    Nach einer Weile kicherte Mei-Lin plötzlich: "Ich hab immer gewusst, dass ich dir eines Tages an die Wäsche gehen würde."

    Ich warf ihr einen säuerlichen Blick über die Schulter hinweg zu. "Das ist nicht witzig!"

    "Nicht mal ein kleines Bisschen?" Auf ihren Wangen breiteten sich große, pinkfarbene Flecken aus und sie schlug beschämt die Augen nieder. "Ich wollte nur einen Scherz machen, um... nun, ja, du weißt schon..."

    "Um das Eis zu brechen", vervollständigte ich ihren Satz und Mitleid mit ihr machte sich in mir breit.


    "Tut mir leid, dass es zwischen uns immer noch so komisch ist", entschuldigte ich mich, aber Mei-Lin schüttelte den Kopf. "Ich kann gut verstehen, dass du dich in meiner Gegenwart nicht besonders wohl fühlst. Ich verspreche, ich werde dich, abgesehen vom gelegentlichen Erneuern deines Verbandes, vollkommen in Ruhe lassen!"

    Dieses Mal war es an mir, den Kopf zu schütteln. "Das musst du nicht."


    Dann verfielen wir wieder in längeres Schweigen und ich fragte mich, ob Laki sich auf dem Weg zur Küche und zurück extra viel Zeit ließ, um uns eine Gelegenheit zu geben, uns auszusprechen.

    Mei-Lin tupfte mit einem weißen Leinentuch, das sie zuvor mit dem heißen Wasser getränkt hatte, über meine Verletzung am Rücken und entfernte vorsichtig verkrustetes Blut und Wundsekret, bevor sie eine stark nach Kräutern riechende Salbe darauf verteilte, was angenehmer Weise weniger brannte als ich befürchtet hatte.


    Als sie sich anschließend neben mich setzte, um sich nun um die Wunde in meiner Brust zu kümmern, sagte ich: "Laki hat mir erzählt, dass ich ohne deine Fürsorge vermutlich nicht überlebt hätte."

    Mit flammenden Wangen winkte Mei-Lin ab. "Sie übertreibt. Sie hätte das Gleiche für dich getan. Außerdem war es ihr Kräutertonikum, das dich bei Kräften gehalten hat."

    "Trotzdem möchte ich dir danken, dass du dich um mich gekümmert hast." Ich versuchte, Mei-Lin, die meinen Dank mit einem knappen Nicken entgegennahm, in die Augen zu schauen und fuhr fort: "Und ich hoffe, dass wir nochmal ganz von vorne anfangen und Freunde werden können."


    Sie lächelte mich dankbar an und stimmte zu: "Freunde klingt gut."

    Ich grinste. "Dann erzähl doch deinem guten, alten Freund Ark, wie deine Reise von China hierher verlaufen ist."

    Mei-Lin lachte leise auf und fing dann an, zu erzählen.

    Als Laki endlich aus der Küche zurückkam, waren Mei-Lin und ich bereits in unser Gespräch vertieft und es fühlte sich beinahe so an, als hätte es die unschönen Szenen in Liotto und Yamei niemals gegeben...


    Nachdem Laki einen prüfenden Blick auf meine Wunden geworfen hatte, fragte ich voller Ungeduld: "Und? Was ist dein Urteil? Darf ich aufstehen und mit Lord Kumari sprechen?"

    Die mütterliche Frau sah mich mit düsterem Gesicht an. "Spielt es wirklich eine Rolle, was ich sage? Würdest du ernsthaft im Bett bleiben, wenn ich dich darum bitten würde?"

    Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg und schlug kopfschüttelnd die Augen nieder, bevor ich antwortete: "Vermutlich nicht..."

    Ihre Blick suchend fügte ich an: "Ich will nicht respektlos sein, wirklich nicht! Und ich bin euch beiden unendlich dankbar für Alles, was ihr für mich getan habt. Aber ich kann nicht untätig im Bett sitzen, während Beruga frei herum läuft und seinen Virus jederzeit auf eine andere Stadt loslassen könnte. Jemand muss ihn aufhalten!"


    "Und dieser jemand musst du sein?" Mei-Lin starrte auf ihre in ihrem Schoß liegenden Hände und krampfte sie in den Stoff ihrer Tunika.

    "Ich habe ihn aus seinem Kälteschlaf geweckt", gestand ich. "Ihn wieder aufzuhalten, ist meine Verantwortung."

    "Auch wenn es dich womöglich das Leben kosten wird?!" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und mehrere Herzschläge lang legte sich schweres Schweigen über uns, bevor ich ebenso leise antwortete: "Ja."


    Ich hatte mit Resignation oder Tränen gerechnet, doch als Mei-Lin mir daraufhin das Gesicht zuwandte, stand Wut in ihren Augen. "Du bist ein Dummkopf, Ark! Du könntest um Hilfe und Unterstützung bitten - aber nein, du willst das Schicksal der Welt lieber allein tragen!"

    "Mei-Lin, ich..." Ich wusste selbst nicht, was ich sagen wollte, um sie zu beschwichtigen, und ich kam auch nicht dazu, mir etwas zu überlegen. Denn kaum, dass ich den Mund aufgetan hatte, sprang sie auf die Füße und schnitt mir mit einem frustrierten Ausruf das Wort ab: "Ach, mach doch, was du willst!"

    Dann stürmte sie aus dem Zimmer und schlug die Tür mit einem lauten Krachen ins Schloss.


    Himmel...

    Es war wirklich schwer mit diesem Mädchen...

    Entweder versuchte es, mir romantische Gefühle aufzudrängen, oder es war wütend auf mich...


    "Nimm es ihr nicht übel." Laki nahm sich den bereitliegenden, frischen Leinenwickel und machte sich daran, meinen Torso wieder zu verbinden. "Du bedeutest ihr sehr viel - daher fällt es ihr schwer, zu akzeptieren, dass du dein Leben zum Wohle anderer riskierst."

    "Ich weiß." Ich starrte noch immer auf die Tür, durch die Mei-Lin verschwunden war und fragte mich, ob ich sie suchen und mit ihr reden sollte.

    Aber vielleicht war es sogar besser, wenn sie wütend auf mich war. Das würde mir einen langen und womöglich tränenreichen Abschied ersparen.


    Laki befestigte meinen neuen Verband und seufzte dann tief: "Du kannst jetzt aufstehen. Aber, bitte, versprich mir, dass du auf dich aufpasst! Versuch, ruckartige Bewegungen zu vermeiden."

    "Das werde ich", versprach ich, bevor ich betont langsam und vorsichtig aus dem Bett aufstand und nach meinen Kleidern griff, die auf einem Hocker neben dem Bett lagen.

    Laki schüttelte das letzte Mal mit einem zwischen Sorge und Missbilligung schwankenden Gesichtsausdruck den Kopf und deutete dann auf das Hemd in meiner Hand. "Ich hoffe, es passt. Dein altes war so zerschlissen, dass ich dir lieber ein neues genäht habe, als mir die Mühe zu machen, das Blut herauszuwaschen und es zu flicken."


    Ich warf ihr einen überraschten Blick zu und schmeckte den bitteren Geschmack eines schlechten Gewissens auf der Zunge. Auch meine Finger zitterten leicht, als ich mir das kurzärmelige, wie angegossen passende Hemd überstreifte und mir meinen Mantel überwarf.

    Dann wandte ich mich zu Laki um, überbrückte die Lücke zwischen uns mit wenigen Schritten und zog sie vorsichtig in meine Arme. "Danke. Für alles!"

    "Dank mir, indem du dafür sorgst, dass dir nichts passiert." Sie lehnte ihre Stirn gegen mein Schlüsselbein und stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Dann schob sie mich schon beinahe grob von sich und forderte mit unüberhörbaren Tränen in der Stimme: "Und jetzt mach, dass du zu Lord Kumari kommst!"


    Wie von Ma-Jo angekündigt, fand ich das Oberhaupt Lhasas in dessen Studierzimmer, das in den warmen Schein etlicher Talgkerzen getaucht war. Kumari saß über eine Rolle Pergament gebeugt an seinem Schreibtisch und kaute, hochkonzentriert wirkend, auf der Unterlippe.
    Ich überlegte noch, ob ich wieder gehen und zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren sollte, als er mich begrüßte, ohne von dem Schriftstück aufzusehen: "Ich bin überrascht, dass Laki dich bereits hat aufstehen lassen. Deine Wunden können unmöglich schon verheilt sein."
    "Ich kann auch nicht gerade behaupten, dass sie glücklich darüber ist, mich auf den Füßen zu sehen", räumte ich ein und bewegte mich weiter in den Raum hinein, was Kumari dazu veranlasste, sich auf seinem Schemel zu mir umzudrehen.

    Für einen Moment machte es den Eindruck, als wollte er mich ebenfalls zurück ins Bett schicken, doch dann legte er seine Schreibfeder beiseite, faltete die Hände in seinem Schoß und nickte. "Die Zeit drängt. Der Schattenstern wurde wiedergeboren und muss schnellstmöglich aufgehalten werden."
    "Der Schattenstern?" Ich zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. "Nennt ihr Beruga hier so?"
    Kumari legte den Kopf schief und erklärte: "Es ist der Name, der ihm in den alten Prophezeiungen meines Volkes gegeben wurde."

    Vor Überraschung klappte mir die Kinnlade herunter.
    "Ihr wusstet, dass Beruga zurückkehren würde?! Warum hat mich dann niemand davor gewarnt?! Dann hätte der Untergang Neo-Tokios womöglich verhindert werden können!" Meine zu Fäusten geballten Hände zitterten vor Wut und ich musste sämtliche Selbstbeherrschung aufbringen, über die ich verfügte, um Lord Kumari nicht laut anzubrüllen.

    Dieser schien von meinem nur schlecht verborgenen Zorn jedoch nicht besonders beeindruckt zu sein und entgegnete stoisch: "Uns wurde prophezeit, dass ein Diener der Dunkelheit kommen und die Welt ins Unglück stürzen würde. Aber wir hatten keine Kenntnis darüber, wann oder in welcher Gestalt er auftauchen würde."
    Ich stieß ein genervtes Schnauben aus. "Das ist ja mal eine beeindruckend unhilfreiche Prophezeiung... Oh, hey, irgendwann wird irgendwie das Böse kommen, aber Tipps, wie ihr das verhindern könnt, bekommt ihr nicht..."

    "Ich verstehe deine Verbitterung, Ark." Der Mönch bedachte mich mit einem mitfühlenden Blick, bevor seine Miene wieder zu der ausdruckslosen Maske der Gelassenheit wurde, die er meistens zur Schau trug. "Aber hör mir bitte dennoch zu: Es wurde auch vorausgesagt, dass der Held, der diese Welt retten könnte, vom Schattenstern getötet würde - doch du hast überlebt. Damit ist der Ring des Schicksals durchbrochen und wir können den vorausbestimmten Ablauf der Dinge ändern. Du kannst ihn ändern!"

    Es war, als ginge bei Kumaris Worten ein Blitzschlag durch meinen Körper, und mein Blick bohrte sich in den seinen. "Das werde ich!"
    Kumari nickte und lehnte sich leicht nach vorn. "Daran habe ich keinen Zweifel. Doch noch bist du nicht bereit dazu, dich Beruga zu stellen - und ich spreche nicht nur von deinen nicht gänzlich verheilten Wunden."
    Ich zog die Augenbrauen in die Höhe und sah ihn fragend an, um ihm zu signalisieren, dass er weitersprechen solle.

    "In einer anderen Prophezeiung heißt es, der Held müsse die fünf Mondsteine zum Grab bringen, um das goldene Kind zu rufen", fuhr Kumari nach einer kurzen Pause fort, wobei er zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, unsicher wirkte.
    "Das... goldene Kind?", hakte ich nach. "Was soll das sein? Und was hat das mit mir und meinem Kampf gegen Beruga zu tun?"
    Kumari stieß ein leises Seufzen aus und ließ für einen Moment den Kopf hängen. "Ich fürchte, das weiß ich nicht. Aber Ma-Jo und ich spüren, dass diese Prophezeiung der Schlüssel zur Rettung der Welt ist. Was immer das goldene Kind auch sein mag, ich bin mir sicher, du wirst es brauchen, um Beruga Einhalt zu gebieten."

    "In Ordnung", setzte ich an, "gehen wir davon aus, dass du recht hast - und ich habe keinen Grund, an dir zu zweifeln - wo finde ich dann diese Mondsteine? Und von welchem Grab ist die Rede?"
    "Das kann ich dir leider ebenfalls nicht beantworten", räumte Kumari ein. "Aber Ma-Jo hatte diesbezüglich eine Vision. Sprich bitte mit ihm darüber und lass dir ganz genau erklären, was er gesehen hat. Du müsstest Ma-Jo in seiner Kammer finden."

    "Verstanden." Ich nickte Kumari zu und schickte mich an, zu gehen, doch seine Stimme ließ mich im Türrahmen kurz innehalten: "Pass auf dich auf, Ark. Das Schicksal der Welt auf den Schultern zu tragen, ist eine schwere Bürde, doch denke immer daran: In einem taktischen Rückzug liegt keine Schande. Ein toter Held kann nichts bewirken."
    Für einen Moment fühlte ich Bitterkeit in mir aufsteigen, weil seine Worte klangen, als wäre mein Leben nur von Bedeutung, weil ich einen Auftrag zu erfüllen hatte. Ich als Person, als Mensch schien ihm völlig egal zu sein...
    Doch ich schob die düsteren Gedanken bestimmt zur Seite, nickte dem Mönch ein letztes Mal zu und machte mich anschließend auf die Suche nach Ma-Jo.

    Dieser befand sich tatsächlich in seiner Kammer, wo er gerade die Schnalle eines abgewetzt aussehenden Ledergürtels reparierte.
    Als ich eintrat, sah er nur kurz auf und fragte: "Du hast mit Lord Kumari gesprochen?"
    "Ja", bestätigte ich, "deswegen bin ich hier. Was kannst du mir über die Mondsteine und das Grab sagen?"

    Ma-Jo seufzte tief und legte nun doch den Gürtel beiseite, um seine volle Konzentration auf mich zu richten. "Leider weniger als ich wünschte. Ich sehe nur verschwommene, vage Bilder, mit denen ich selbst nur wenig anfangen kann."
    "Erzähl mir trotzdem davon", forderte ich. "Ich bin schon viel auf der Welt herumgekommen - vielleicht kommt mir ja etwas bekannt vor."

    Ma-Jo schloss die Augen und legte die Stirn in Falten, als er sich angestrengt die Bilder seiner Vision wieder vor das geistige Auge holte. "Ich sehe ein von Schnee und Eis bedecktes Dorf, in dem seltsam anmutende, kuppelartige Häuser stehen... Ein heißes, unwirtlich wirkendes Land voller Sand... Eine große Halle in einem sehr alt und verlassen aussehenden Tempel mit einem goldenen Kelch auf einem Altar... Einen beeindruckenden Berg aus rotem Gestein mit einer flachen Spitze... Und eine völlig verwaiste Geisterstadt voller moderner Technologie..."
    Bei diesen Worten schlug mir mein Herz plötzlich bis zum Hals und ich stieß atemlos aus: "Neo-Tokio!"

    "Du weißt, wo einer der Mondsteine ist?" Ma-Jo öffnete blinzelnd die Augen und sah mich voller Hoffnung an.
    Ich nickte. "Ich habe zumindest eine starke Vermutung." Dann kratzte ich mich etwas verlegen im Nacken und räumte ein: "Mit dem Rest kann ich allerdings wenig anfangen..."

    "Machst du dich trotzdem auf die Suche?", wollte Ma-Jo wissen.
    "Ja", bestätigte ich. "Ich werde noch heute nach Neo-Tokio aufbrechen. Vielleicht fällt mir ja unterwegs etwas ein, wo sich die anderen Steine befinden könnten."
    "Ich werde dir schreiben, sollte ich eine weitere Vision haben, die mehr Licht ins Dunkel bringt", versprach Ma-Jo.
    Ich dankte ihm und hakte anschließend nach: "Wenn ich richtig gezählt habe, waren das aber nur Hinweise auf die Aufenthaltsorte der fünf Mondsteine. Was ist mit dem Grab?"

    "Ich gehe davon aus, dass das Heldengrab auf dem Kontinent ganz weit im Süden gemeint ist", erklärte Ma-Jo. "Ich hatte zwar diesbezüglich keine Vision, aber ich habe während meiner Studien viel darüber gelesen und gehört und mein Gefühl sagt mir, dass dies das Grab sein muss."
    "In Ordnung." Ich nickte erneut. "Dann packe ich jetzt meine Sachen und mache mich auf den Weg."
    "Pass auf dich auf!" Ma-Jo griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Ich lächelte ihn warm an und versprach: "Das werde ich."

    Und so machte ich mich auf die Suche nach den fünf Mondsteinen...




    Fortschritt:


    Lvl 30

    Oberwelt

    befreite Lebewesen: Pflanzen, Vögel, Tiere, Menschen ✔️

    ausbaubare Städte: Loire (3/3), Ahola (2/2), Liberita (3/3), Seeheim (1/3), Goldküste (1/2)

    Verkehrsmittel: Schiff, Flugzeug

    Mondsteine: 0/5