In der aktuellen Gamestar-Ausgabe ist ein Report mit dem Titel "Sackgasse 3D-Grafik" zu finden. Darin werden Gründe dafür genannt, warum Seit Crysis die nächste Grafikoffenbarung auf sich warten lässt. Das Thema interessiert mich aber eigentlich nicht besonders, da ich finde, dass Spiele schon jetzt sehr dufte aussehen und ich dann ja in absehbarer Zeit nicht mehr aufrüsten muss.
Jedoch gab es einen Punkt, der mich aufhorchen ließ. Da ging es um die sogenannten "Assets". Als Asset bezeichnet man die Dinge, die es außer Technik und Gameplay noch für ein Spiel braucht. Unter die Kategorie Asset fallen also Dinge wie Models, Texturen, "Maps" und auch der Audio-Bereich. Was mit den Assets falsch ist, fasst eine Bildunterschrift aus der Gamestar ganz gut zusammen:
"Ein Auto aus GTA Vice City von 2003 war in nur sieben Tagen gebaut. In die Fahrzeuge aus dem vier Jahre älteren Test Drive Unlimited flossen je fast drei Arbeitsmonate."
Das bezieht sich jetzt erst mal nur auf die Grafik, denn um die moderne Rechenkraft auch nutzen zu können, braucht es eben viel Arbeit.
Man kann es jedoch auch auf das Gameplay ausweiten. Speziell auf das, das dem Spieler die, mit der neuen Technik so angepriesenen, Freiheiten bieten soll.
Gehen wir zurück in der Vergangenheit, um das Problem ein bisschen aufzurollen:
Die Atmosphäre des Spiels musste sich der Spieler früher selbst aufbauen. Bei Zelda ALTTP z.B. konnte doch durch einen Screenshot keiner von einer packenden Fantasy-Welt sprechen. Das konnte man durch das, was der Spieler in seinem Kopf aus dem präsentierten macht. Für eine Fantasy-Spielwelt reichte es, ein paar gerade Striche zu ziehen und mit dem Ausmaltool von Paint bunt zu machen. So war das, bis die 3D-Grafik kam.
Ocarina of Time hatte schon eine andere herangehensweise. Durch die lebensnahere 3D-Grafik konnte man das Gefühl, in einer dunklen Höhle gegen ein Sekelett zu kämpfen, schon ganz gut rüber bringen. Auch eine Steppe an deren Optik der Spieler sich erfreuen kann, konnte man vernünftig bauen. Vor den Toren Hyrules herumzulaufen hatte damals eine vollkommen neue Sache. Es war kein starres Bild einer Landschaft. Man konnte sich darin frei bewegen und es sah zumindest ein bisschen Lebensnah aus.
Die Entwickler versuchten damals, eine "Living Breathing World" darzustellen. Dass das nicht vollständig klappen konnte, machte die begrenzte Technik schon von vorn herein klar. Von daher war es nicht schlimm, dass eine Farm ohne Ackerland ein riesiges Volk von ca. 50 NPC's ernähren sollte und das vom Bösen eingenommene Hyrule eigentlich nur 200 Meter entfernt vom blühenden Kakariko entfernt war.
OoT war immer noch ein Spiel, dass Fantasie benötigte, um wirklich leben zu können und das war auch okay so. Denn da das Spiel nicht zu 100% authentisch sein konnte, konnte man auch guten Gewissens eine Spielwelt bauen, die ganz offensichtlich nur dafür existiert, dass der Spieler seine Quest darin erfüllen kann.
Nun sind wir in der Gegenwart, in der Mehrkern-Prozessoren beinahe fotorealistische Grafik erlauben und Spielwelten dank moderner Speichermedien theoretisch unbegrenz groß sein dürfen. Für diese Zeit wurde ein Spiel namens Mass Effect entwickelt.
Der eindrucksvolle Beweis für das, was die moderne Technik ermöglichen kann und gleichzeitig ein Symbol dafür, dass diese Technik selbst den besten und talentiertesten Entwicklern mittlerweile über den Kopf gewachsen ist.
Mass Effect versucht unter einem hervorragenden Writing, eins lebendiges, vollständige Sience-Fiction-Universum zu erschaffen und hat eigentlich alles, was es dafür braucht.
Nach der spannenden ersten Mission landet man im Presidium der Citadell, einer riesigen Raumstation, dessen Aufmachung mir trotz der mittlerweile eineinhalbJahre, die das Spiel alt ist, die Kinnlade herunterklappen ließ. Jeder Charakter hat etwas zu sagen, alles hat irgendwie seinen Platz und die Orte, die man in einer lebendigen atmenden Welt vermissen würde klammert das Spiel geschickt mit einer Fensterwand, durch die man auf eine riesige Metropole blickt, aus. Folgt man nun der Hauptmission, hat jeder der Charaktere, jede der Welten, die man besucht, eine glaubhafte Funktion außerhalb der Tatsache, dass sie einem zum Questen dienen muss. Eine Welt, die auf einen reagiert, aber nicht wegen einem reagiert. Z.B. treffe ich einen Händler in einem "Krisengebiet", der mir seine Waren mit der Begründung, er habe eh nichts besseres zu tun, trotzdem anbietet. Als dann eine Schießerei in seiner Nähe ausbricht und ich ihn erneut anspreche, antwortet das Alien, dass es zu aufgeregt sei, um mir nun etwas zu verkaufen.
Dabei läuft das Spiel auch noch ausgezeichnet. Mein PC ist zwar nicht ganz das, was man 2007 standartmäßig hatte, aber jetzt läuft es ohne ruckeln oder hässliches aufpoppen und die Ladezeiten sind so kurz, dass es mir schwer fällt, zu lesen, ob da nun "Loading" oder "Saving" steht.
Es passiert einfach unglaublich viel und die Kehrseite dieser Medaille ist, dass es für alles, das passiert, Menschen und Materialien geben muss, die es realisieren können. Es braucht jemanden, der dem Händler eine neue Dialogzeile schreibt, es braucht jemanden, der sie einspricht, es braucht jemanden, der diesem Raum eine andere Architektur gibt als dem letzten, es braucht jemanden, der für Gebäude X andere Texturen macht als für Gebäude Y und natürlich braucht es für all diese Personen noch Arbeitsgeräte und Örtlichkeiten.
Und das alles braucht es für das gesamte Spiel, damit sich der aufgebaute Eindruck halten lässt. Da ist es dann umso auffälliger, wenn die Illusion irgendwann einmal einbricht. Das beginnt bei nichtigen Kleinigkeiten, wie z.B., dass man sich fragt, warum "der Captain" eigentlich den ganzen Tag in seinem Büro steht und wartet, bis er die drei Dialog-Zeilen vom letzten mal wiederholen darf. Naja, vielleicht macht er das ja nur, um einen zu ärgern und steht nur da, wenn er weiß, dass ich kommen könnte. Immerhin sieht er ja mein Schiff landen. Das geht damit weiter, dass man sich fragt, wo eigentlich die ganzen "Creeps" immer her kommen: Da entere ich ein Schiff und es springen mir direkt zehn humanoide Bösewichter an die Gurgel. Nachdem sie alle tot sind, komme ich zu einem Geiselnehmer, der seine Waffe mit den Worten, "Na gut, ich möchte ja doch leben.", senkt. - Moment, wessen gesamte Truppe habe ich da gerade niedergemetzelt?
Das gipfelt darin, dass es die Planeten, auf denen Nebenmissionen stattfinden immer wenig bis gar nicht besiedelt sind und so aussehen, als ob irgendjemand in einem Terraforming-Programm einfach auf "random" geklickt habe. Was dafür sorgt, dass sich jede Nebenmission gleich spielt. Ein bisschen Hill-Climbing à la Excitebike 64 und dann in den Dungeon. Dungeons gibt es genau vier Stück, von denen ich den häufigsten bisher sage und schreibe 13 mal von Gegnern gesäubert habe.
Und es gibt höchstens am Ende jeder dritten Mission einen interessanten Dialog als Belohnung. - Aber wer kann es den Entwicklern vorwerfen? Missionen auf dem Papier zu schreiben dauert nicht lange, aber diese dann zu realisieren schon. Welches Entwickler-Team kann den in der Lage sein, 30 vollkommene Sidequests zu realisieren, wenn das modellieren eines Autos schon drei Monate dauert? - Na, keines. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit und ich mache niemandem einen Vorwurf. Am wenigsten Bioware und seinen Studios.
Nichts desto Trotz bröckelt der Eindruck an dieser Stelle. Irgendwann lässt sich die Illusion einfach nicht mehr aufrecht erhalten, da so unglaublich viel Arbeitszeit in das Spiel fließen würde, dass es entweder zu teuer würde oder zu lange brauchen würde. Aber schlimmer noch: An den Stellen, an denen man merkt, dass die Entwickler einfach nicht mehr konnten, wird das Spiel mühsam und ermüdend. Der Eindruck eines so tollen Spieles wie Mass Effect leidet in einem ungerechten Maße darunter.
Es ist ja nicht nur ein Problem dieses Spieles, sondern des gesamten "Open-World-Genres". Bei Fallout 3 ist dieses Problem als das "U-Bahn"-Phänomen aufgetaucht. Die Entwickler beider Spiele versuchen zwar, diese Abschnitte durch das bereitstellen interessanter Schriftstücke zu belohnen, aber das ändert nichts daran, dass der fünfte Bürokomplex bei Fallout 3 halt ätzend war.
Im Thread zu Sacred 2 wird ja auch deutlich, dass dieses Spiel unter den selben Problemen leidet.
Es ist jedoch zu sagen, dass Fallout 3 und Mass Effect natürlich trotzdem zu den absolut besten Titeln der letzten Jahre gehören (was auch honoriert wurde), aber schlicht an einer Grenze angekommen sind, die deutlich macht, dass beide Spiele ihren eigenen Ansprüchen letztenendes niemals gerecht werden können.
Auf der anderen Seite gibt es Spiele, die auf "Open-World-Gameplay" pfeifen und sich voll und ganz darauf konzentrieren, mit ihren Assets alles richtig zu machen, um zwar eine eingeschränkte, aber dafür optimale Erfahrung zu liefern. Bestes Beispiel dafür ist Call of Duty 4, wo die nächste unüberwindbare Kniehohe Mauer oder die nächste unzerstörbare Holztür nie weit sind, aber dafür jede Örtlichkeit authentisch und einzigartig aussieht. Diese Spiele erhalten ihren Dauerspaßwert meist durch eine schnell zusammengeschusterte Mehrspieler-Komponente und Errungenschaften. Sie versuchen es also nicht mal. Ich nenne das gerne Film-Spiel und es ist eigentlich für mich mehr Film als Spiel und nichts, für das ich gerne 60€ bezahle. Jedoch verkauft es sich sehr sehr gut, wie all die Killzones, Gears of Wars, Halos und wie sie alle noch heißen, beweisen.
Eigentlich ist für das Open-World-Genre kein Platz. Mass Effect kann man spielen wie ein Action-Spiel. Hauptquest, einfacher Schwierigkeits-Grad und Soldaten-Klasse. Bei Fallout genau so. Und das haben sicherlich viele gemacht, was den doch enormen kommerziellen Erfolg der Spiele erklären kann. Ich glaube nicht, dass es die Regel ist, dass Spieler bei Fallout die gesamte Karte absuchen und so ungebremst in den Genuss der arbeitsbedingten Schwächen des Spieles kommen.
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Ich bin also der Meinung, entdeckt zu haben (Natürlich nicht als erstes auf der Welt), dass die offene Spielwelt an menschlichen Grenzen zu scheitern droht. Was könnte man also in meinen Augen tun, um ein Spiel wie Mass Effect davor zu bewahren, wegen mäßiger Sidequests einen faden Eindruck zu hinterlassen?: Ich denke, man sollte sich auf alte Tugenden konzetrieren. Z.B. aus ansonsten uninteressanten Sidequests ein schön bebildertes Textadventure mit Arenakämpfen machen. So überlässt man wieder bewusst einiges der Fantasie und ich würde mich wundern, wenn damit Spieler abgeschreckt würden. Diese werden von dem wie es nun ist, eh schon abgeschreckt. - Vielleicht haben die Entwickler ja Angst um ihre Kritiken?
Vielleicht fangen ja auch irgendwann Leute an, alle Dinge automatisiert einzuscannen, aus denen sich dann Filme- und Spielemacher so wie sie Lust haben alles raussuchen können. - Aber wer macht dann die Science-Fiction und die Fantasy-Sachen?
Meinungen?