Hylianische Weihnacht

  • Hier wie versprochen meine Geschichte, die als Beitrag für den "Kreativ Wettbewerb" gedacht war. Ich hab beim nochmaligen Drüberlesen bemerkt, dass ich einige (Tipp-)Fehler beim Korrekturlesen übersehen habe (Schande auf mein Haupt! Da war der Kopf beim Korrekturlesen wohl zu voll gewesen...), aber ich hab's mal so gelassen wie ich's auch beim Wettbewerb eingesendet hatte.


    Ich hoffe, ihr habt Spaß am Lesen und ich entschuldige mich an dieser Stelle nochmals für die Unannehmlichkeiten, die von meiner Seite aus bezüglich des Wettbewerbs entstanden sein mögen. Ich wollte und will niemandem die Freude daran nehmen, wie es bei mir durch die Handhabung des Ganzen passiert ist.
    Aber ich will das Thema hier nicht noch mal breit treten, ich glaube, darüber sind bereits mehr als genug Worte verloren worden.


    In diesem Sinne noch mal: Viel Spaß beim Lesen.


    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


    Hylianische Weihnacht



    Eiskristalle wuchsen über die Fensterscheibe und überzogen sie mit ihrem filigranen Muster. Ilya betrachtete die frostigen Blumen mit einem kleinen Lächeln und dachte an ihre Kindheit zurück. Früher hatten die Frostkristalle sie stets an die Flügel einer Fee erinnert und sie hatte sich im Winter oft vorgestellt, ihre Fenster seien aus Feenflügeln gemacht. Als sie jedoch älter geworden war, hatte sich zusammen mit dieser Phantasie stets die Frage aufgedrängt, wie die Glaser wohl die Materialien für Fenster aus Feenflügel beschaffen mochten. Da ihr darauf nur eine einzige Antwort eingefallen war, hatte sie derartige Gedanken schnell wieder verworfen. Noch heute waren die Erinnerungen an ihre kindliche Vorstellung von leichter Scham begleitet.
    Fröstelnd wandte Ilya sich vom Fenster ab und trat an den Kamin heran, in dem ein offenes Feuer prasselte. Dankbar für dessen Wärme streckte sie die Hände aus, um die Kälte aus ihren steifgefrorenen Fingern zu vertreiben. Die Kleider ihrer Familie zu waschen, war im Winter noch deutlich härtere Knochenarbeit als im Sommer. Dennoch wollte die junge Frau sich nicht beschweren. Immerhin hatte sie das Glück, überhaupt noch eine Familie zu haben.
    Vor nicht allzu langer Zeit erst hatte sie gelernt wie bedrückend und angsteinflößend Einsamkeit war… Diese Erfahrung hatte sie dankbar gemacht für jeden Tag, den sie mit ihrem Vater, ihren Freunden und vor allem mit ihm verbringen durfte.
    In diesem Moment flog die Tür auf und von eine hochgewachsene, vermummte Gestalt trat von einer eisigen Böe begleitet ein. Obwohl Ilya wegen der vielen Wollschichten das Gesicht der Person nicht erkennen konnte, wusste sie sofort, um wen es sich bei dem breitschultrigen Mann handelte. Mit einem herzlichen Lächeln wandte sie sich zu ihm um und sagte: „Du kommst genau richtig. Es gibt heiße Käsesuppe.“
    „Das klingt herrlich.“ Der Mann nahm seine Mütze ab und wickelte sich aus seinem dicken Schal. Dahinter kam ein scharf geschnittenes Gesicht mit strahlend blauen Augen, weichen Zügen und einer rot gefrorenen Nase zum Vorschein. Bei diesem Anblick packte Ilya ihren Besucher am Arm und dirigierte ihn vor den Kamin.
    Ziegenhirte war nie ein einfacher Beruf, doch im Winter waren die Männer alles andere als zu beneiden. Trotz der eisigen Temperaturen wollten die Ziegen des Dorfes geweidet werden, weswegen ihre Hirten selbst bei Wind und Wetter jeden Tag mit ihnen auf der Koppel sein mussten. Als Kind hatte Ilya nicht verstanden, warum man die Tiere in dem eingezäunten Areal nicht sich selbst überlassen konnte, doch als sie eines Morgens den Kadaver eines von einem Wolf gerissenen Zickleins entdeckt hatte, hatte sie es begriffen.
    Der junge Mann zog seine Handschuhe und seinen dicken Mantel aus und warf die überflüssigen Kleidungsstücke auf einen in der Nähe stehenden Stuhl. Während Ilya in dem großen Kochtopf rührte und darauf wartete, dass die Suppe aufkochte, stand ihr Gast stumm neben ihr und wärmte sich. Der Anblick seiner blau gefrorenen Fingerspitzen und Lippen ließen Illyas Herz ein wenig krampfen.
    „Schade, dass der Winter nicht so milde ist wie letztes Jahr. Man hatte fast den Eindruck, es sei das ganze Jahr hindurch Frühsommer gewesen“, setzte die junge Frau zu einem Gespräch an. Anders als erwartet, erntete sie jedoch keine Zustimmung: „Finde ich nicht. Das letzte Jahr hat die Natur völlig durcheinander gebracht. Es ist gut, dass wir dieses Mal wieder einen richtigen Winter haben. Fauna und Flora brauchen diese Ruhepause, um sich zu regenerieren – andernfalls wären unsere Äcker bald unfruchtbar.“
    Ilya betrachtete ihren Besucher von der Seite. Manchmal fragte sie sich, ob er überhaupt einen Sinn für Humor und Spaß hatte. Er nahm immer alles so ernst…
    Andererseits liebte sie ihn unter anderem dafür. Man konnte sich stets sicher sein, dass er meinte, was er sagte, und dass er da war, wenn man ihn brauchte. Er war der zuverlässigste, hilfsbereiteste Mensch, den sie kannte. Ein echter Fels in der Brandung.
    Ihr Link…
    Bei dem Gedanken daran wie viel sie bereits gemeinsam durchgemacht hatten und dass er seit Kindesbeinen an immer gekommen war, um sie zu retten – selbst als es wirklich ernst war und alles verloren schien – erfüllten ihr Herz mit einer Wärme, die die Hitze des Kaminfeuers noch überstrahlte. Doch bevor Ilya Links Hand nehmen oder etwas sagen konnte, pochte es plötzlich an der Haustür.


    Das Klopfen klang fordernd und herrisch, was die beiden jungen Leute einen irritierten Blick wechseln ließ, bevor Link zur Tür schritt und öffnete. Zu seiner großen Überraschung stand keiner der anderen Dorfbewohner mit einem Problem auf der Türschwelle, sondern ein königlicher Herold. Die Metallbeschläge seiner Uniform glänzten matt im grauen Licht der untergehenden Sonne.
    „Ist Bürgermeister Boro zu sprechen?“, fragte der Mann mit vor Zittern vibrierender Stimme. „Ich habe eine Nachricht von Königin Zelda für ihn.“ „Mein Vater besucht derzeit die Goronen am Todesberg und wird voraussichtlich erst in den nächsten Tagen heimkehren“, antwortete Ilya aus dem Inneren der Stube heraus. „Das ist ärgerlich, zutiefst ärgerlich“, seufzte der Herold und ließ die Schultern hängen. Link klopfte ihm in einer freundschaftlichen Geste gegen den Oberarm und sagte: „Na, na, wer wird da denn gleich den Kopf hängen lassen? Kommt erst mal rein und wärmt Euch auf. Dann sehen wir weiter, ob Ihr die Nachricht nicht vielleicht auch Ilya und mir überbringen könnt.“
    Auf dem Gesicht des Boten machte sich eine dankbare Miene breit und er neigte den Oberkörper zu einer angedeuteten Verbeugung herab. „Habt Dank.“ Dann eilte er mit langen Schritten zum Feuer herüber, während Link schnell die Tür wieder schloss, um die eisige Kälte auszusperren. Ilya deckte unterdessen den Tisch und servierte die Suppe, während Link sich bei dem Herold nach dem Verlauf seiner Reise erkundigte.
    Wenig später saßen die drei gemeinsam am Essenstisch und genossen die Reste ihrer Mahlzeit. Link legte als erster seinen Löffel beiseite und sah sein Gegenüber aufmerksam an. „Was für eine Nachricht sollt Ihr Boro überbringen?“ Der königliche Bote zog zunächst ein skeptisches Gesicht, dann zuckte er die Schultern: „Da es das ganze Dorf betrifft, kann ich die Botschaft wohl auch Boros Vertretung überreichen.“
    Mit diesen Worten wühlte der Mann in einem etwa unterarmlangen Lederbeutel, den er an seinem Gürtel befestigt bei sich trug, und zog eine Schriftrolle hervor. Dann stand er auf, entrollte das Pergament, räusperte sich und las mit getragener Stimme vor: „Königin Zelda, Regentin von Hyrule, an Boro, Bürgermeister von Ordon: Seid gegrüßt. Ich hoffe, mein Bote trifft Euch bei bester Gesundheit an.“
    Link machte eine ungeduldige Handgeste und unterbrach den Herold etwas rüde. „Spart Euch das Höflichkeitsgeplänkel. Was will die Königin von unserem Dorf?“ Der andere Mann blickte brüskiert drein, kommentierte Links Fauxpas jedoch nicht. Stattdessen überflog er den Brief und fasste zusammen: „Königin Zelda lädt die Bewohner Ordons dazu ein, nächsten Monat ins Schloss Hyrule zu kommen, um dort gemeinsam mit unserer erlauchten Regentin und anderen Ehrengästen den Sieg über Zanto und Ganondorf zu feiern, der sich heute in einem Monat zum ersten Mal jährt.“
    Während Link noch überrascht den Herold anblinzelte, nahm Ilya bereits die Schriftrolle entgegen, um sie ihrem Vater bei dessen Rückkehr auszuhändigen. Erst jetzt bemerkte sie das kleine, silberne Triforce, das mit Hilfe eines Seidenbandes und Wachs an dem Pergament befestigt worden war.


    Kaum dass er Ilya die Schriftrolle übergeben hatte, verneigte sich der königliche Bote zum Abschied und wandte sich zum Gehen. Kurz vor der Tür hielt er jedoch noch einmal inne und fragte: „Wo finde ich einen gewissen Link? Man sagte mir, er lebe ein wenig außerhalb des Dorfes, doch dort habe ich niemanden angetroffen.“
    „Das könnte daran liegen, dass ich die ganze Zeit über hier war.“ Link grinste den anderen Mann breit an und seine Mundwinkel schoben sich sogar noch weiter nach oben, als dem Boten bewusst wurde, wem er gegenüber gesessen hatte. „I-Ihr seid Link?!“ Die Verblüffung des Herolds hätte vermutlich beleidigend wirken können, doch Link fühlte sich lediglich amüsiert. Ihm war bewusst, dass er nicht wie ein Krieger oder gar wie ein Held wirkte.
    Er war nichts weiter als ein Ziegenhirte – und das wollte er auch bleiben. Unter anderem deswegen hatte er Zeldas Angebot, Kommandant der königlichen Garde zu werden, bereits mehrfach abgelehnt. Ob die Königin einen weiteren Versuch unternahm, ihn zu überreden?
    Ilya hingegen legte die Stirn in Falten und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Weshalb sollte er nicht Link sein?!“ Den beschwichtigenden Seitenblick, den ihr Freund ihr zuwarf, ignorierte sie geflissentlich. Es missfiel ihr, dass Link von offizieller Seite nie einen Dank für seine Heldentaten erhalten hatte.
    Er hatte Zanto und Ganondorf besiegt, die Wesen der Finsternis vertrieben und Hyrule davor bewahrt, für immer ein Teil des Schattenreichs zu werden – aber kaum jemand kannte mehr als seinen Namen…
    Ilya fand, Link hätten Ehrentitel, Heldenparaden und unzählige Orden zugestanden, doch die einzige Feier, die je für ihn veranstaltet worden war, hatte lediglich in Ordon stattgefunden, als er zusammen mit ihr und den entführten Kindern in ihr Heimatdorf zurückgekehrt war. Der Rest Hyrules war atemberaubend schnell zur Alltagsroutine zurückgekehrt.
    Sie hatte nie verstehen können, warum Link selbst deswegen nicht pikiert war.
    Der königliche Bote lief bei Ilyas Ausbruch rot an und stammelte verlegen: „Äh… öhm… Das… öh… Ich wollte wirklich niemanden… ähm….“ Link winkte mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Macht Euch deswegen keinen Kopf. Ich weiß, dass ich nicht aussehe wie man es von einem Helden erwartet. Aber sagt an: Was sollt Ihr mir von der Königin ausrichten?“
    Mit leicht zitternden Fingern holte der Herold eine weitere Schriftrolle aus seinem Beutel. Ilya hob neugierig die Augenbrauen, als sie bemerkte, dass das an diesem Pergament befestigte Triforce golden statt silbern war. Was dies wohl zu bedeuten hatte? Gab die Farbe des Triforce Aufschluss darüber, wie wichtig oder persönlich eine Botschaft war?
    Der Herold riss sie aus ihren Überlegungen, als er sagte: „Nehmt es mir bitte nicht übel, Sir, aber ich muss das fragen: Könnt Ihr irgendwie beweisen, dass Ihr wirklich Link seid?“ Die Bürgermeistertochter schürzte missbilligend die Lippen, während ihr Freund nachdachte. Dann bedeutete er dem Boten mit einem Fingerzeig, zu warten, schnappte sich seinen Mantel und verschwand durch die Tür.
    Kurz darauf kehrte er völlig außer Atem zurück und hielt dem anderen Mann ein Stück merkwürdig aussehenden Metalls unter die Nase. Es schien ein Bruchstück von etwas viel Größerem zu sein und war beinah pechschwarz. Nur an manchen Stellen schimmerte es wie Silber, das jedoch schon leicht angelaufen war.
    „Das ist ein Teil des Schattenkristalls“, erklärte Link. „Ganondorf hat ihn während unserer letzten Schlacht zerbrochen.“ Dem jungen Helden wurde bei der Erinnerung an diesen Moment die Kehle eng und er musste sich räuspern, da seine Stimme wegzubrechen drohte. Noch heute schmerzte der Gedanke an diese quälenden Momente, in denen er gedacht hatte, Ganondorf habe Midna getötet, sehr.
    Der königliche Herold blinzelte sein Gegenüber irritiert an. Er hatte keine Ahnung, wie dieser Klumpen merkwürdigen Metalls die Identität des Hirten bestätigen sollte. Als sie das Zögern auf dem Gesicht des Boten bemerkte, seufzte Ilya tief auf und schnappte sich Links linke Hand, um deren Rücken vorzuzeigen. „Da habt Ihr Euren Beweis!“ Die junge Frau deutete mit dem Kinn auf das Triforce-förmige Mal, das sich dunkel von der cremeweißen Haut ihres Freundes abhob. Den zwischen Überraschung und Empörung schwankenden Blick, den Link ihr zuwarf, ignorierte sie bewusst.
    „Ah, das Mal der Göttinnen!“ Erleichterung hellte die Züge des Herolds auf und der Mann schenkte Ilya ein dankbares Grinsen, das sie nur knapp erwiderte. „Ihr seid also tatsächlich Link, die Reinkarnation des legendären Helden der Zeiten!“ Link verzog die Lippen zu einem gründlich misslungenen Lächeln. Er mochte es nicht, wenn man ihn daran erinnerte, dass er die Wiedergeburt von jemandem sein sollte.
    Er wollte einfach nur er selbst sein…
    Als würde er Links verkniffenes Lächeln gar nicht bemerken, strahlte der königliche Bote ihn mit beinah kindlicher Begeisterung an. „Ich habe tatsächlich mit einem waschechten Helden zu Abend gegessen… Wenn ich das daheim meinem Sohn erzähle!“ „Ich bin mir sicher, er wird beeindruckt sein“, kanzelte Link den Euphorieschwall seines Gegenübers ab. Er wollte plötzlich nur noch, dass der Herold schnell wieder verschwand.
    Ilya schob in einer Schutz versichernden Geste von hinten eine Hand in Links und drückte sie sachte. Dann deutete sie mit der anderen auf die Schriftrolle, die der Bote noch immer umklammert hielt. „Was steht denn nun in diesem Brief?“
    „Oh!“ Der Mann wirkte als hätte er das Pergament in seinen Händen völlig vergessen. Mit einer weiteren angedeuteten Verbeugung händigte er das Schriftstück Link aus, der sich mit einem knappen Nicken dafür bedankte.
    Dann salutierte der Bote und schickte sich an zu gehen, doch Ilya hielt ihn zurück: „Wartet. Es ist bereits dunkel draußen. Wollt Ihr die Nacht nicht lieber hier verbringen? Ich könnte Euch das Gästezimmer bereiten.“ Erleichterung brandete über das Gesicht des Mannes und er nickte begeistert: „Das wäre außerordentlich liebenswürdig von Euch. Vielen Dank.“
    „Nichts zu danken. Gastfreundschaft ist bei uns eine Selbstverständlichkeit.“ Während sie sprach, betrachtete Ilya ihren Freund von der Seite. Es war offensichtlich, das Link darauf brannte, allein zu sein, um ungestört das Siegel des Briefes öffnen zu können. Deswegen deutete sie mit einem Kopfnicken den Flur hinunter und sagte: „Dann kommt am besten gleich mit. Es gibt warmes Wasser – wenn Ihr wollt, könntet Ihr baden, während ich euer Zimmer vorbereite.“


    Sobald Ilya und der Bote die Stube verlassen hatten, riss Link den Brief auf, um zu lesen, was Königin Zelda ihm mitteilen wollte:


    „Sei gegrüßt Link, Held von Hyrule,

    wie Du vielleicht bereits weißt, veranstalte ich nächsten Monat ein Fest zu Ehren unseres Sieges über Zanto und Ganondorf. Dies hat zweierlei Gründe: Zum einen denke ich, dass wir dankbar sein sollten, dass Hyrule gerettet werden konnte. Wir sollten uns daher einmal im Jahr die Zeit nehmen, um den Göttinnen dafür zu danken, dass wir in Frieden und Wohlstand leben können. Deswegen gedenke ich, den Tag unseres Sieges zu einem nationalen Feiertag zu machen.
    Zum anderen finde ich es bedauerlich, dass ich es bislang versäumt habe, Dir, unserem Helden, für Deine Taten gebührend zu danken. Ich möchte daher dieses erste Jubiläum unseres Sieges dafür nutzen, Dich zu ehren. Deine Anwesenheit wird also dringlichst verlangt.


    Mit besten Grüßen,
    Zelda,
    Königin von Hyrule.“


    Link ließ den Brief sinken und stöhnte innerlich auf.
    Das war ja noch viel schlimmer als befürchtet!
    Die Idee, das Siegesjubiläum als Anlass zu nehmen, um einmal inne zu halten und dankbar zu sein, fand der junge Mann zwar sehr gut – doch dass er dabei eine größere Rolle spielen sollte, widerstrebte ihm zutiefst.
    Er fühlte sich nicht als Held…
    Alles, was er getan hatte, war die Menschen zu retten, die ihm am Herzen lagen. Er hatte nicht tatenlos herumsitzen können, während Ilya, Maro, Taro, Colin und Betty entführt worden waren. Also war er ausgezogen, um sie zu retten. Aber das hätte jeder getan… oder nicht?
    Nachdem er Ilya und die Kinder gerettet hatte, war er nur deswegen nicht nach Ordon zurückgekehrt, weil Midna ihm während ihrer gemeinsamen Reise ans Herz gewachsen war und sie seine Hilfe benötigt hatte. Er hatte nur einer Freundin helfen wollen. Dass er dabei Hyrule gerettet hatte, war eher ein Zufall als Absicht.
    Außerdem hatte er während seiner Queste immer wieder Hilfe von Freunden erhalten, ohne die er niemals erfolgreich gewesen wäre.
    Er wollte kein Lob für seine Taten.
    Es fühlte sich falsch an…
    Als risse er allen Ruhm für etwas, das die Errungenschaft einer ganzen Gruppe war, allein an sich.
    Dennoch konnte er sich nicht vor der Ehrungszeremonie drücken. Zeldas Brief kam einem Befehl gleich.
    Link ließ seinen Kopf auf seine auf der Tischplatte gefalteten Arme fallen und stieß einen unterdrückten Laut des Widerwillens aus.
    Doch aller Protest hatte keinen Sinn…
    Es galt: Augen zu und durch!
    Er hatte schon wirklich furchterregende Monster besiegt – also würde er auch diese doofe Zeremonie überstehen.
    Und dann würde hoffentlich nie wieder jemand nach dem Helden von Hyrule fragen…


    Knapp einen Monat später hatte sich das gesamte Dorf auf den langen Weg nach Hyrule-Stadt gemacht. Da es seit einigen Tagen ununterbrochen schneite, kam die Reisegruppe nur langsam vorwärts. Epona versank bis zu den Kniegelenken im Schnee und schnaufte vor Anstrengung. Link hätte seiner treuen Stute gerne ein wenig Last erspart, doch einige Dorfbewohner waren auf den Schlitten angewiesen, den Epona an einem Ledergeschirr hinter sich herzog.
    Niemand wollte den Kindern einen so langen Fußmarsch zumuten und vor allem Moes Frau Ulina war den Strapazen einer Fußreise nicht gewachsen. Die Geburt ihrer Tochter war zwar bereits ein Jahr her, doch die zierliche Frau hatte sich von der Schwangerschaft, der komplizierten Entbindung und der Stillzeit danach noch immer nicht vollständig erholt.
    Ilya ging neben dem Schlitten her und betrachtete mit einem versonnenen Lächeln das pausbäckige Gesicht des Kleinkindes, das in dicke Decken gewickelt auf dem Schoß seiner Mutter schlief. Ob Link und sie auch irgendwann Kinder bekommen würden? Oder sah er ihre Beziehung mit ganz anderen Augen als sie?
    Plötzlich platzte Links Stimme in ihre Gedanken: „Kinder! Seht mal! Das dort hinten ist Hyrule-Stadt.“
    Der junge Mann streckte einen Arm aus und deutete nach Norden. Obwohl der Schnee so dicht fiel, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte, war die Hauptstadt des Reiches zu erkennen. Wie ein Sternenmeer strahlten ihre unzähligen Lichter durch den watteweißen Schneevorhang.
    „Woa! Das ist wunderschön!“ Der kleine Colin sprang vom Schlitten und lief zu Link herüber, der ihm in einer beinah väterlichen Geste eine Hand auf den bemützten Kopf legte. „Ja, nicht wahr? Ich habe noch nie gesehen, dass so viele Lichter auf einmal entzündet wurden.“
    „Meinst du, es hat etwas mit den Festlichkeiten zu tun?“ Ilya tauchte an seiner anderen Seite auf und legte fragend den Kopf schief. Wegen der Kälte war sie so sehr vermummt, dass lediglich ihre Augen zu sehen waren. Trotzdem hatte sich eine Schneeschicht auf ihren Wimpern abgelagert, die sie nun unkontrolliert blinzeln ließ.
    Link zuckte die Schultern. „Kann schon sein. Ich weiß es nicht.“ „Ist doch auch egal“, beschied Colin, der sich von Betty zurück auf den Schlitten helfen ließ. „Es sieht auf jeden Fall wirklich schön aus.“ „Irgendwie magisch“, stimmte Maro so leise zu, dass man ihn kaum verstand.


    Als die Reisegruppe Stunden später die Stadt erreichten, stellte sie fest, dass Ilya mit ihrer Vermutung Recht gehabt hatte. Sämtliche Häuser waren mit Geflechten aus Tannengrün, purpurroten Satinbändern und Windlichtern geschmückt. Auch die Stände auf dem Marktplatz waren verziert worden, sodass sie nun in den Farben Grün und Rot erstrahlten. Irgendjemand hatte sogar den zum Palast führenden Säulengang herausgeputzt.
    „Ein Traum!“, staunte Ilya, während sie sich mit großen Augen umsah. „Die Gestecke stehen für unsere Dankbarkeit der fruchtbaren Natur gegenüber“, ertönte plötzlich von hinten eine Stimme und Ilya und Link wirbelten erschrocken herum. Hinter ihnen stand eine alte Frau, die mehrere in Satinbänder geschlagene Stechpalmenzweige in den Händen hielt. Als die beiden jungen Leute ihr leicht zunickten, fuhr sie fort: „Die Lichter symbolisieren unsere Dankbarkeit dafür, dass uns ein Held in unserer dunkelsten Stunde das Licht der Hoffnung zurückgegeben hat.“
    Bei diesen Worten presste Link die Lippen hart aufeinander. So viel zu seiner Hoffnung, die Erinnerung an den Helden von Hyrule möge irgendwann verblassen…
    Die Alte sprach unterdessen weiter: „Und mit den purpurnen Bändern gedenken wir jenen, die ihr Blut vergossen und ihr Leben gelassen haben, um uns zu beschützen.“ Als er dies hörte, merkte Link neugierig auf und fragte: „Ihr meint all die anderen, die versucht haben, etwas gegen Zantos Truppen zu unternehmen, aber gescheitert sind?“ Die Vettel klopfte ihm gegen den Oberarm und nickte. „Es gibt nie nur einen Helden, mein Junge. Derjenige, den wir ‚Held‘ nennen, ist nur derjenige, der das Werk vieler vollendet hat.“
    Mit diesen Worten nickte die Frau Ilya und Link zu, bevor sie sich abwandte und zu dem großen Brunnen in der Mitte des Marktplatzes herüberschlurfte, um dort ihr Gebinde abzulegen. Link sah ihr mit einem versonnenen Lächeln noch eine Weile hinterher, dann ließ er sich von Ilya an die Hand nehmen und zu den anderen führen, die vor den Palasttoren bereits warteten.
    Vielleicht würde er mehr Gefallen an den Festlichkeiten finden als er erwartet hatte…


    Die Soldaten vor den Schlosstoren hatten alle Hände voll damit zu tun, die ankommenden Massen in Empfang zu nehmen. Obwohl ein Teil der Festivitäten für alle Bürger frei zugänglich sein sollte, wurden zu diesem Zeitpunkt lediglich geladene Gäste durchgelassen. Entlang der den Gang begrenzenden Ziersäulen hatten sich deswegen bereits lange Schlangen an Hylianern, Goronen und Zoras gebildet, die mehr oder weniger geduldig darauf warteten, dass die Tore auch für die Allgemeinheit geöffnet wurden.
    Link stand neben Ilya in einer Wartereihe noch nicht kontrollierter Neuankömmlinge und blickte um Boros ausladendes Kreuz herum zu den Soldaten herüber. Obwohl er für sich selbst den Dienst an der Waffe ablehnte, hatte er stets Respekt für die königlichen Kämpfer empfunden. In ihren schicken Uniformen strahlten sie etwas Erhabenes und Unnachgiebiges aus.
    Dennoch waren es nicht die uniformierten Rekruten, die nun Links Aufmerksamkeit fesselten. Stattdessen betrachtete der junge Mann fasziniert eine Frau mittleren Alters, die die Befehlshaberin zu sein schien. Ihr weißblondes Haar war kurz geschoren und sie trug schwarze, wollene Hosen sowie einen Brustharnisch aus poliertem Silber. Link fragte sich, wie sie die unerbittliche Kälte ohne Mütze, Schal und Mantel bloß aushielt. Lediglich der lange, nachtblaue Umhang, der sich über ihre breiten Schultern hinweg bis zum Boden ergoss, schien ein wenig Wärme zu spenden.
    Als die Reisegruppe aus Ordon an die Reihe kam, warf einer der Rekruten einen kurzen Blick auf das Einladungsschreiben, das Boro ihm entgegenhielt und fragte: „Wer gehört alles zu deinem Dorf?“ Dabei schien er der Offizierin ein Zeichen zu geben, während der andere Soldat eine weitere Gruppe Bürger auf später vertröstete.
    Boro begann, die Bewohner Ordons aufzuzählen, wobei er stets auf die betreffende Person deutete, doch die herbei geeilte Offizierin unterbrach ihn rüde: „Wer von euch ist Link?“
    Der junge Mann blinzelte ein wenig irritiert. Der harsche Ton der Soldatin klang verdächtig nach Ärger – dabei hatte er sich absolut nichts zuschulden kommen lassen. Oder?
    Als Link sich etwas zögerlich meldete, glättete sich das Gesicht der Offizierin jedoch und sie fuhr deutlich milder fort: „Ah, da ist ja unser Ehrengast. Ihr kommt mit mir.“
    Sofort schnellten sämtliche Köpfe zu ihm herum und Link wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er hasste es, derart viel Aufmerksamkeit zu bekommen! Doch anstatt den Kopf einzuziehen und sich möglichst klein zu machen, straffte Link die Schultern, drückte noch einmal Ilyas Hand und schritt dann erhobenen Hauptes hinter der Offizierin her durch das Tor.


    Eine Zeit lang stapften die beiden schweigend durch den Schnee, der unter ihren Füßen protestierend knarzte. Erst als die wartenden Massen außer Hörweite waren, streckte die Offizierin Link eine Hand entgegen und stellte sich vor: „Ich bin Impa, Zeldas Gouvernante und Leibwächterin.“ Nickend schlug Link in die ihm dargebotene Hand ein und staunte über den Druck, der ihn erwartete. Impa hatte einen festeren Händedruck als so mancher Mann, den er kannte.
    Da Impa offensichtlich wusste, wer er war, und Link keine Entgegnung außer einer überflüssigen Vorstellung seiner Person einfiel, kehrte das Schweigen zurück. Der breite Weg, auf dem sie sich befanden, führte direkt zum Haupteingang des Schlosses. Wenige Meter bevor sie das Eingangsportal erreicht hatten, bog Impa jedoch nach rechts ab und führte Link in Richtung eines der vier Türme, die sich zu jeder Ecke des Palastes in den Himmel schraubten.
    Ohne darüber nachzudenken, ob seine Frage womöglich beleidigend sein könnte, platzte Link mit einem Gedanken heraus, der sich ihm plötzlich aufdrängte: „Wenn Ihr Königin Zeldas Leibwächterin seid, wie kommt es dann, dass ich Euch letztes Jahr nicht hier im Schloss gesehen habe?“
    Impa verzog die Lippen zu einem Ausdruck der Missbilligung, antwortete jedoch nach einem kurzen Moment: „Zelda hatte mich fortgeschickt, um nach Hilfe zu suchen. Es hat mir nicht gefallen, die Königin in einer solchen Situation allein zu lassen, aber Befehl ist nun mal Befehl.“
    Link nickte als würde er verstehen. In Wirklichkeit konnte er allerdings nicht nachvollziehen, dass man einen Freund, der möglicherweise in Gefahr war, zurückließ. An Impas Stelle hätte er Zeldas Seite niemals verlassen – egal, welche Order er bekommen hätte.
    Er wäre ein miserabler Soldat…
    Am Turm angekommen, stieß Impa die schwere Eichentür auf und lotste Link die Wendeltreppe hinauf. Das Geräusch ihrer Schritte auf den steinernen Stufen hallte in der fast unwirklich wirkenden Stille unnatürlich laut von den Wänden wider.
    „Sollten hier nicht geschäftige Diener hin und her eilen, um die letzten Kleinigkeiten fürs Fest vorzubereiten?“, wunderte sich Link über die wie ausgestorben wirkende Atmosphäre des Turms. Impa warf ihm über die Schulter hinweg ein schiefes Grinsen zu. „Nicht hier. Dies ist der Waffenturm. Hier lagern Waffen und Rüstungen der Armee. Die Festlichkeiten werden in den anderen Teilen des Palastes stattfinden – und Ihr könnt Euch sicher sein, dort wimmelt es momentan von Arbeitern.“
    Link riss überrascht die Augen auf. Weshalb um alles in der Welt führte Impa ihn ausgerechnet in den Waffenturm?!
    Die Antwort darauf erhielt der junge Mann in der Dachkammer. Dort hockten mehrere Personen beiderlei Geschlechts um ein Kaminfeuer herum, begutachteten Unmengen an Stoffballen und diskutierten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Materialien. Impa schob Link in den Raum, woraufhin die Versammelten neugierig aufblickten, und erklärte: „Zelda dachte sich bereits, dass Ihr in der Kleidung eines Hirten anreisen würdet. Dies ist für einen Helden von Hyrule jedoch nicht angemessen. Deswegen hat unsere Königin die besten Schneider des Landes zusammengerufen, damit sie Euch entsprechend ausstaffieren.“
    Mit diesen Worten wirbelte Impa herum und stieg die Treppe wieder herunter. Das Krachen der zufallenden Tür klang in Links Ohren wie das Zuschlagen eines Sargdeckels. Ein derartiges Ausmaß an Aufmerksamkeit war definitiv zu viel für ihn. Am liebsten wäre er schreiend davon gelaufen und hätte sich irgendwo versteckt, bis niemand mehr nach dem Helden von Hyrule fragte.
    Stattdessen wurde er von den Schneidern in ihre Mitte gezogen, ausgemessen und mit Stoffproben behängt, bis er sich schließlich in sein Schicksal ergab.
    Also schön…
    Wenn Königin Zelda es so wünschte, würde er sich eben ein Festtagsgewand nähen lassen…


    Unterdessen war der Rest der Reisegruppe ebenfalls durchs Tor gelassen und in die große Empfangshalle geschickt worden. Während sie auf das Eingangsportal des Schlosses zuhielten, bewunderten Ilya und die Kinder den kunstvollen Schmuck, der sich über den gesamten Garten erstreckte. Überall waren große, purpurne Schleifen mit Goldrand und zu kunstvollen Mustern aufgestellte Lichter zu sehen.
    Wirklich ins Staunen gerieten die Bürger Ordons jedoch erst als sie die Empfangshalle betraten. Derartig schönen Schmuck hatten sie noch nie gesehen. Die geknüpften Wandteppiche waren entfernt und durch lange, bestickte Satinläufer ersetzt worden, die die Geschichte des Zanto-Krieges nacherzählten. In den Ecken des Raumes standen üppige Bouquets immergrüner Pflanzen, die jeweils von drei blutroten Blüten gekrönt worden waren. Zudem hingen vereinzelt von dunkelroten Samtbändern zusammengehaltene Mistelzweige von der hohen Decke. Erst bei genauem Hinsehen wurde Ilya klar, dass die Mistelgebinde ein riesiges Triforce bildeten.
    Am meisten beeindruckt war die junge Frau allerdings von der Lichtinstallation. Nur jeder dritte Kronleuchter war entflammt worden, doch die geschliffenen Kristalle der Kandelaber brachen das Licht der Kerzen so geschickt, dass die Halle dennoch wirkte wie von einem Lichtermeer erfüllt. Überall in den dunklen Ecken tanzten kleine Lichtpunkte, die sich zu immer neuen Mustern zusammensetzten, sobald ein Windstoß die Deckenleuchter zum Schwingen brachte.
    Ilya stellte sich auf die Zehenspitzen, um mehr von den anderen Gästen zu sehen. Die meisten Gesichter kamen ihr unbekannt vor, aber vielleicht konnte sie ja doch noch jemanden entdecken, den sie wiedererkannte.
    Tatsächlich!
    War das dort hinten neben dem Buffet nicht Prinz Ralis?
    Ilya staunte nicht schlecht. Der Thronerbe der Zoras war im vergangenen Jahr ganz schön in die Höhe geschossen! Allmählich bekam er eine annähernd maskuline Figur, die ihn zusammen mit seinen tiefgründigen, grünen Augen ziemlich attraktiv wirken ließ – wenn man mal von seinem ansonsten eher fischigen Aussehen absah…
    Gerade als Ilya überlegte, ob sie zu ihm herübergehen und ein wenig mit ihm reden sollte, wurde sie plötzlich von zwei großen Händen gepackt und gegen eine weiche Brust gedrückt. „Ilya, meine Liebe, du bist ja auch hier!“
    Die junge Frau wand sich in der Umklammerung hin und her und keuchte: „Thelma! Du erstickst mich!“
    Trotz Ilyas Protest dauerte es noch einige Augenblicke, bis die Wirtsfrau die Umarmung endlich löste. Ilya machte vorsorglich noch einen halben Schritt zurück, bevor sie zu der älteren Frau emporlächelte und sagte: „Es freut mich, dich wiederzusehen. Es ist viel zu lange her.“
    Thelma nickte und zwinkerte Ilya dann zu: „Da gebe ich dir Recht, meine Liebe. Aber ich nehme an, du warst zu beschäftigt, um mich mal zu besuchen. Ich hätte auch keine Zeit, wenn ich einen waschechten Helden daheim hätte.“ „Äh… Du missverstehst… So ist das nicht… ähm…“ Ilya lief bei dem Gedanken, welche Vorstellung Thelma von ihrer Beziehung zu Link hatte, puterrot an.
    „Ja, ja, ich weiß, das geht mich alles überhaupt nichts an“, winkte Thelma mit einem Lachen ab und rettete Ilya vor der Peinlichkeit, erklären zu müssen, dass sie nicht genau wusste, welcher Natur ihre Beziehung zu Link wirklich war.
    „Aber verrat mir, wo ist unser Junge mit den Wolfsaugen?“ Thelma machte einen langen Hals und suchte die Anwesenden nach Link ab, während Ilya sich wieder einmal darüber wunderte, dass ihre Freundin Links Augen mit denen eines Wolfs in Verbindung brachte. Sie selbst hatte seit frühester Kindheit Angst vor Wölfen und stellte sich die Graupelze deswegen immer mit kalten, vor Mordlust funkelnden Augen vor. Links Augen hingegen hatten einen warmen Glanz und wirkten stets offen und neugierig.
    „Das weiß ich selbst nicht“, gab Ilya nach einem Moment etwas unwillig zu. „Als wir angekommen sind, hat eine Soldatin ihn irgendwohin gebracht. Königin Zelda will ihn heute Abend für seine Heldentaten ehren. Vielleicht hat es damit etwas zu tun.“
    Die Wirtsfrau warf Ilya einen verschmitzten Seitenblick zu und stichelte scherzhaft: „Uh, höre ich da womöglich so etwas wie Eifersucht?“ Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten schoss Ilya das Blut in die Wangen. Doch in diesem Moment tauchte Taro neben ihr auf und rettete sie vor einer Antwort: „Ilya! Die anderen und ich wollen in den Schlossgarten, ein paar Schneemänner bauen. Kommst du mit?“
    Dankbar für die Unterbrechung schüttelte die Bürgermeistertochter mit dem Kopf und nutzte die Ablenkung, um das Thema zu wechseln, als Taro wieder von dannen preschte: „Wie kommt es eigentlich, dass du eingeladen bist? Wir Leute aus Ordon sind nur deswegen geladen, weil Link aus unserem Dorf stammt und uns deswegen als seinen Freunden eine Sonderbehandlung zuteilwird.“
    Thelma legte den Kopf schief und tadelte spielerisch: „Ich weiß ja, das Liebe blind macht, aber vergiss nicht, dass Link nicht alles ganz allein gemeistert hat. Unsere kleine Widerstandsgruppe hat auch ganze Arbeit geleistet, was unserer Königin offenbar nicht entgangen ist.“
    Bei diesen Worten leuchteten Ilyas Augen auf. „Das heißt, Raffler, Jargo und Ashley sind auch hier?“ Die junge Frau konnte Thelmas Nicken kaum abwarten, bevor sie in die Hände klatschte und rief: „Das ist ja wunderbar! Wo sind sie?“ Thelma deutete mit einer Kopfbewegung hinter sich. „Komm mit, ich bring dich zu ihnen.“ Trotz aller Begeisterung hielt Ilya jedoch inne und merkte an: „Warte! Wir müssen zuerst Moe holen – ich bin mir sicher, er will die anderen auch wiedersehen.“
    Kurz darauf hatte sich die Gruppe tapferer Widerstandskämpfer, die Link während seiner Queste immer wieder tatkräftig unterstützt hatten, wieder zusammengefunden und tauschten munter Geschichten darüber aus, was sie in dem vergangenen Jahr alles erlebt hatten. Vor allem der frisch gebackene, zweifache Vater Moe konnte einige amüsante Anekdoten beitragen.
    Auf diese Weise verging die Wartezeit bis zum Beginn der Festlichkeiten wie im Flug.


    Zur selben Zeit waren die Schneider im Waffenturm damit beschäftigt, Link verschiedene Stoffe für sein Festtagsgewand anzupreisen. Der junge Mann staunte darüber, wie viele verschiedene Grüntöne es gab: Moosgrün, Tannengrün, Olivgrün, Schlammgrün, Mintgrün, Khakigrün und noch viele mehr. Doch trotz der schier unendlich wirkenden Kombinationen an verschiedenen Grünschattierungen und Stoffen, lehnte Link jeden Vorschlag der Schneider rundheraus ab.
    Zum einen wollte er keine Kopie des Heldengewands tragen. Während seiner Reise hatte er derart viel Schmerz und Leid gesehen, dass er diese Phase seines Lebens am liebsten verdrängt hätte. Auf gar keinen Fall wollte er etwas anziehen, das ihn in diese Zeit der Grausamkeiten zurückversetzte! Der Kampf war vorbei und das war gut so!
    Zum anderen hatte Link sich in den Kopf gesetzt, während der Festivitäten etwas Rotes zu tragen. Ihm gefiel der Gedanke, auf diese Weise auch all den anderen zu gedenken, die sich gegen Zanto und seinen Hintermann Ganondorf zur Wehr gesetzt und dabei ihr Leben gelassen oder zumindest ihr eigenes Blut vergossen hatten. Er wollte damit ein Zeichen setzen, dass er den Sieg alleine niemals errungen hätte – und ihm dieses auch bewusst war. Auf diese Weise wollte er seine Dankbarkeit für all die Unterstützung ausdrücken, die er während seiner Queste immer wieder erhalten hatte.
    Ohne Jargo, Raffler, Ashley, Moe und Midna wäre das gesamte Unternehmen zum Scheitern verurteilt gewesen. Allen voran Midna hatte einen großen Anteil am Erfolg seiner Mission gehabt.
    Midna…
    Link fragte sich, was die Herrscherin des Schattenreichs in diesem Moment wohl tat, ob sie ebenfalls manchmal an ihn dachte. Auch nach einem Jahr schmerzte es ihn noch immer, dass er seine Freundin niemals wiedersehen würde. Sie hatten gemeinsam so viel durchgestanden, hatten mit einander gekämpft und um einander gebangt, hatten miteinander gelacht und sich gegenseitig ihre Herzen geöffnet.
    Doch in dem Moment, in dem endlich wieder Ruhe in Hyrule und dem Schattenreich eingekehrt war und sie eine normale Freundschaft hätten pflegen können, hatte ausgerechnet Midna selbst den Schattenspiegel und damit die einzige Verbindung zwischen ihren Welten zerstört.
    Sie hatte es nur getan, um zu verhindern, dass Hyrule noch einmal Gefahr von Seiten des Schattenreichs drohen konnte, das wusste Link und er war ihr dankbar für ihre Sorge und ihr Verantwortungsbewusstsein.
    Dennoch vermisste er Midna.
    Ihm fehlte ihr Lachen, ihr verschmitzter, spitzbübischer Humor und ihre ganz und gar nicht damenhafte, offene und direkte Art.
    Gerade als die Sehnsucht nach zumindest einem letzten Gespräch mit Midna übermächtig zu werden drohte, hielt einer der Schneider Link einen Ballen purpurner Kaschmirwolle entgegen, was den jungen Helden begeistert nicken ließ.
    Dieser Stoff war perfekt!
    Die Farbe stimmte und die weiche Wolle würde Link trotz der winterlichen Temperaturen warm halten.
    Die Schneider wechselten erleichterte Blicke, weil sie endlich etwas Passendes gefunden hatten, nahmen ein paar letzte Maße und machten sich dann mit flinken Fingern an die Arbeit. Link beobachtete fasziniert, wie routiniert die fünf Männer und drei Frauen zusammenarbeiteten. Die Aufgabenverteilung schien beinah stumm zu erfolgen und wann immer einer seinen Teil erledigt hatte, wartete der nächste bereits darauf, den Stoff in Empfang zu nehmen und weiter zu bearbeiten.


    Während die fleißigen Näher das Turmzimmer in einen geschäftigen Bienenstock verwandelten, betrachtete Link die verschiedenen Waffen, die an den Wänden hingen. Seit er das Master-Schwert nach seinem Duell mit Ganondorf in den Heiligen Hain zurückgebracht hatte, hatte der junge Mann kein Schwert mehr in der Hand gehalten.
    Früher hatte er nur zu gerne mit seinen verschiedenen Holzschwertern trainiert und von einem ernsthaften Kampf geträumt. Doch seit er wusste, wie sich ein solcher tatsächlich anfühlte, hatte er jegliches Interesse am Kämpfen verloren. Dennoch konnte er nicht umhin, festzustellen, dass einige der ausgestellten Waffen ihre ganz eigene Schönheit besaßen. Vor allem die Edelstein besetzten Zierdolche hatten es Link angetan.
    Die Arbeiten an dem Festgewand nahmen deutlich weniger Zeit in Anspruch als Link erwartet hatte. Entsprechend überrascht war er, als er zur Anprobe gebeten wurde. Wirklich groß wurde seine Verblüffung jedoch erst, als er sah, was die Schneider aus dem einfachen Ballen Wollstoff gezaubert hatten:
    Das Kaschmirwams hatte einen ähnlichen Schnitt wie das Heldengewand, besaß aber im Gegensatz zu jenem einen leicht hochstehenden Kragen und konnte über der Brust nicht geschnürt werden. Stattdessen war die Front mit Smaragdsplittern und Goldfäden in Form eines Triforce verziert. Darunter trug Link ein enganliegendes, schwarzes Hemd auf feinstem Leinen und dazu passende Hosen aus etwas gröberem Stoff. Ebenfalls an das Heldengewand angelehnt war die Kopfbedeckung auf dunkelrotem Filz, von dem sich die schwarzen Nähte kunstvoll abhoben. Abgerundet wurde das Gewand von Stiefeln aus weichem, dunklen Leder, einem breiten Gürtel mit goldener Schnalle und einem tannengrünen Samtumhang, auf den jemand mit Goldfäden die Embleme der Lichtgeister gestickt hatte.
    Als er sich selbst im Spiegel betrachtete, hätte Link beinah laut aufgelacht. Die Kleider passten wie angegossen, doch der Ziegenhirte kam sich in den Gewändern eines Edelmannes so fremd vor, dass er sich fühlte wie ein Geck.
    Der junge Mann war dermaßen gebannt von seinem eigenen Anblick, dass er nicht bemerkte, wie Impa den Raum betrat. Entsprechend erschrocken fuhr Link heftig zusammen, als Zeldas Gouvernante ihn von hinten ansprach: „Nun seht Ihr wahrlich aus wie ein ruhmreicher Held.“ Von dem Schrecken, der ihm noch in den Knochen steckte, ein wenig mürrisch knurrte Link: „Ein echter Held trägt blutbefleckte Kleider und ist vollkommen erschöpft, weil er gerade aus einer Schlacht kommt. Wer sich in solch pompöse Gewänder kleidet, ist höchstens die Karikatur eines Helden. Ein Schatten, eine Erinnerung – mehr nicht.“
    Die Offizierin wischte seinen Einwand mit einer Handgeste einfach beiseite: „Das Volk will aber keinen Helden sehen, der sie daran erinnert, dass alles vergänglich und sterblich ist. Es will einen strahlenden, unantastbaren Helden. Die Verkörperung eines Ideals.“
    Bevor Link etwas entgegnen konnte, fuhr Impa fort: „Allerdings fehlt Euch noch etwas. Hier, nehmt dies. Damit seid Ihr perfekt ausgestattet für die Festivitäten.“
    Link staunte nicht schlecht, als Impa ihm ein Schwert in die Hand drückte, das ihm erschreckend vertraut war. Das Heft mit den flügelförmigen Parierstangen und dem golden glänzenden Kristall hätte er selbst im Halbschlaf wiedererkannt: das Master-Schwert!
    Aber wie war das möglich?!
    Das legendäre Schwert steckte im Heiligen Hain im Zeitfels, um alles Böse zu versiegeln. Nur ein von den Göttinnen auserwählter Held war dazu in der Lage, es in Notzeiten aus dem Stein zu ziehen, um die Schatten aus Hyrule zu vertreiben.
    Als sie die Verwirrung auf Links Gesicht sah, lachte Impa leise auf. „Seht genau hin. Es ist lediglich ein Replikat.“
    Überrascht die Augenbrauen in die Höhe ziehend, rückte Link näher an eine Lichtquelle heran und – tatsächlich!
    Im Licht des Fackelscheins konnte der junge Mann nun einige Unterschiede zum echten Master-Schwert erkennen: Im Gegensatz zum Original war der Griff der Kopie grün statt blau gefärbt. Gleiches galt für das Futteral, das mit dunkelgrüner Seide bespannt und mit goldenen Applikationen versehen war. Der bedeutendste Unterschied war jedoch die Klinge. Während die des echten Master-Schwertes stets schimmerte als pulsiere in ihrem Inneren ein Licht, sah diese aus wie die eines jeden gut polierten Schwertes. Sie glänzte zwar im Fackelschein, doch ihr fehlte dieses innere Strahlen, das dem Master-Schwert zu Eigen war.
    Beruhigt, dass die echte heilige Klinge offenbar noch dort war, wo sie hingehörte, befestigte Link die Schwertscheide an seinem Gürtel. Es war ungewohnt, ein Schwert an der Hüfte zu tragen, doch der Umhang machte es unmöglich, es auf den Rücken zu schnallen.
    Impa schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: „Perfekt!“ „Habt Dank.“ Link nickte Impa leicht zu, dann wandte er sich an die Schneider, die in einer Menschentraube vor dem Kamin standen und ihr Werk begutachteten. „Das gilt auch für euch. Habt vielen Dank für eure wundervolle Arbeit.“
    Obwohl Impa es sympathisch fand, dass Link selbst Dienern seinen persönlichen Dank ausdrückte, drängte sie ihn barsch Richtung Ausgang. „Nun kommt. Die Königin wartet bereits im Thronsaal auf Euch.“ „Was ist mit meinen Kleidern?“ Der junge Mann deutete auf einen Haufen Stoff, der neben einem Sichtschutz auf dem Boden lag. Auch wenn Impa sich nicht vorstellen konnte, was Link an diesen lumpenähnlichen Fetzen gelegen sein könnte, antwortete sie: „Sie werden in Euer Gemach gebracht werden. Aber nun beeilt Euch!“
    Link lächelte den Schneidern noch einmal zum Abschied zu, schritt dann durch die Tür, die Impa für ihn offenhielt, und stieg die lange Wendeltreppe wieder hinab.


    Impa führte Link durch die Dienergänge, damit keiner der Gäste den Helden frühzeitig zu Gesicht bekam. Angesichts des Luxus, der den Rest des Palastes bestimmte, war Link über die schlichte Funktionalität der geheimen Wege der Bediensteten fast erstaunt. Er hatte zwar keinen Pomp erwartet, aber zumindest ein wenig Wandschmuck, der den nackten Steinen einen Teil ihrer kalten Ausstrahlung genommen hätte. Doch nicht einmal zu diesem Festtag waren die Gänge geschmückt worden.
    Bei genauerer Betrachtung erschien dies dem jungen Mann jedoch durchaus logisch: Die Wege waren teilweise so eng, dass Link auf beiden Seiten mit den Schultern an die Wände stieß. Vermutlich wäre jegliche Art von Schmuck in diesen schmalen Gängen lediglich hinderlich gewesen und hätte dazu geführt, dass Essen verschüttet, Porzellan zerbrochen oder gar der Inhalt eines Nachttopfs ausgekippt worden wäre.
    Der Thronsaal hingegen war feierlich herausgeputzt worden. Vergoldete Efeuranken schlangen sich um die Ziersäulen, die den Weg zum Thron flankierten, und waren mit Perlen aus rotem Glas zusätzlich verschönert worden. Diener hatten die marmornen Bodenfliesen so sehr gebohnert und poliert, dass Link im Vorbeigehen seine und Impas Reflektion auf ihnen sehen konnte. Die Wände waren mit ausladenden Gebinden aus Tannengrün, Stechpalmenblättern und blühenden Forsythienzweigen geschmückt, die von breiten Satinbändern in verschiedenen Rottönen zusammengehalten wurden.
    Sogar die Statuen der drei Göttinnen Din, Nayru und Farore, die sich als deckenhohes Monument hinter dem Thron erhoben und aus der Wand zu wachsen schienen, waren mit Kränzen aus Mistelzweigen und bunten Samtbändern gekrönt worden. Besonders schön fand Link, dass darauf geachtet worden war, für jede Göttin die richtige Farbe zu verwenden. So waren Farores Bänder grasgrün eingefärbt, während Nayrus die Farbe von Saphiren hatten. Die Samtbänder hingegen, die Dins Statue schmückten, leuchteten in einem kräftigen Feuerrot. Zusätzlich hatte irgendjemand den steinernen Göttinnen ihre Zeichen mit Goldfarbe auf die Stirn gemalt.
    Am meisten freute Link sich jedoch über die Tatsache, dass über den Saal verteilt mehrere Kohlebecken aufgestellt und entzündet worden waren, sodass die Luft sich angenehm aufgeheizt hatte.
    Impa schritt weit aus, während sie Link bis vor den Thron geleitete, wo sie sich tief verbeugte, obwohl die Königin mit dem Rücken zu ihr schräg hinter ihrem Herrschersessel stand und aus einem Fenster auf den Schlossgarten herabblickte. „Der Held von Hyrule, Majestät.“ Selbst bei den Worten ihrer Gouvernante sah Zelda nicht auf. Stattdessen machte sie eine vage Handgeste in Impas Richtung und entgegnete: „Hab Dank, Impa. Du bist nun vorerst entlassen. Führe meine Gäste in einer halben Stunde hierher.“
    „Jawohl, Eure Majestät.“ Die Offizierin machte eine erneute ungesehene Verbeugung und entfernte sich dann mit schnellen Schritten. Der dicke Langflorteppich, der sich vom Thron bis zum Ausgang erstreckte, schluckte jedes Geräusch ihrer nietenbeschlagenen Stiefelsohlen.


    Da Link nicht wusste, was Zelda von ihm wollte, blieb er etwas verloren wirkend vor dem Thron stehen und begutachtete verstohlen das prachtvolle Festtagskleid der Königin. Genau wie er selbst hatte auch sie sich für ein rotes Gewand entschieden, ihres bestand jedoch aus feinstem Damast.
    Kunstvolle Muster, die Link erst bei genauerem Hinsehen als die in einander verschlungenen Zeichen der Göttinnen und Lichtgeister erkannte, schlängelten sich in einem zarten Goldrot über den dunkleren Untergrund aus Purpur. An der Front des glockenförmigen Rockes war das Oberkleid geschlitzt, wodurch das moosgrüne Futteral zum Vorschein kam. Ähnliches galt für die ausladenden Ärmel: Die Überärmel waren geschlitzt und auf der Innenseite grün gefüttert. Die purpurroten Unterärmel lagen eng an und zogen sich spitz zulaufend bis zu Zeldas Mittelfinger. Auf dem Kopf trug die Regentin ein zartes Diadem, das mit Smaragden, Rubinen und goldenen Perlen besetzt war. Dieselben Edelsteine fanden sich auf ihrem aus blütenförmigen Goldplättchen bestehenden Y-Gürtel und am Ärmel- sowie Rocksaum ihres Kleides wieder. Als zusätzlicher Schmuck waren rote und grüne Glaskugeln in ihr langes, dunkelblondes Haar geflochten worden.
    Link fragte sich gerade, wie groß das Vermögen wohl sein mochte, das die Königin am Leib trug, als Zelda ohne jede Begrüßung sagte: „Die Kinder lieben dich, ist dir das eigentlich bewusst?“ Während sie sprach, hielt sie ihren Blick weiterhin auf etwas im Schlossgarten geheftet, was Links Verwirrung noch vergrößerte. Ratlos mit den Schultern zuckend antwortete er: „Ich weiß nicht. Also, mir ist schon klar, dass die Kinder aus Ordon mich mögen. Ich bin irgendwie eine Art großer Bruder für sie, denke ich.“ Nach einer kurzen Pause schob er nach: „Wieso fragt Ihr, Majestät?“
    Zum ersten Mal, seit der den Thronsaal betreten hatte, warf Zelda ihm einen knappen Seitenblick zu. Der Ausdruck in ihren nachtblauen Augen schwankte zwischen Amüsement und Ernsthaftigkeit. Dann winkte sie Link zu sich heran und wies ihn an, ebenfalls aus dem Fenster zu schauen. Draußen war es inzwischen stockduster, da die Sonne untergegangen war und das wenige Tageslicht der grauen Wintertage mit sich genommen hatte. Der Garten jedoch war von mehreren Fackeln beleuchtet, sodass Link mehrere Kinder entdecken konnte, die durch die Schneemassen tobten und Figuren bauten.
    Als er erkannte, was einige der Schneefiguren darstellen sollten, klappte ihm der Mund auf, was Zelda schmunzeln ließ. Bevor Link nachfragen konnte, ob er sich täuschte, erklärte sie: „Ich stehe schon seit einer Weile hier am Fenster und beobachte die Kinder. Es freut mich zu sehen, wie unbedarft sie herumtollen. Es zeigt mir, dass wir wirklich in Frieden und Wohlstand leben und unsere Kinder sorglos aufwachsen können.“
    Links ratloser Gesichtsausdruck verstärkte das verschmitzte Lächeln auf Zeldas Lippen, während sie fortfuhr: „Du irrst dich nicht, wenn du glaubst, dass die Kinder versucht haben, dir ein Denkmal aus Schnee zu errichten. Ich habe gehört, wie sie immer wieder darüber diskutiert haben, ob dir diese oder jene Figur ähnlich sieht und wer von ihnen dich am besten getroffen hat.“
    „Das… das ehrt mich wirklich. Aber warum ausgerechnet ich? Warum bauen sie keine Phantasiegestalten oder einen der Helden aus unseren Legenden?“ Link kratzte sich nachdenklich im Nacken und legte die Stirn in Falten.
    Der Seitenblick mit dem Zelda ihn bedachte, hatte etwas Nachsichtiges an sich, als sie antwortete: „Weil du ein Held zum Anfassen bist. Du bist ihr Held. Du hast sie vor den Wesen der Finsternis gerettet, du hast sie aus der Schattenwelt befreit und du hast sie sicher nach Hause gebracht. Du verkörperst alles, was sie an den Helden unserer Legenden schätzen: Mut, Kraft, Geschick, Klugheit, Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit. Aber du besitzt den legendären Helden gegenüber einen entscheidenden Vorteil.“
    „Welchen?“ Link hob verblüfft die Augenbrauen und sah Zelda aus großen Augen an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er in irgendetwas besser sein sollte als beispielsweise der Herr der Zeiten, der vor tausenden von Jahren sogar das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrochen haben sollte, um Hyrule zu retten.
    Zelda grinste ein wenig spitzbübisch, bevor sie entgegnete: „Du bist hier.“ Nach einer kurzen Kunstpause, während der Link sie verwirrt angeblinzelt hatte, erläuterte sie: „Die Personen aus unseren Legenden sind für die meisten von uns nicht mehr als Figuren aus irgendwelchen Geschichten. Möglicherweise haben sie tatsächlich einmal gelebt und all diese Wunder vollbracht. Möglicherweise aber auch nicht. Vielleicht entstammen unsere Helden lediglich den Federn talentierter Geschichtenerzähler. Du jedoch bist anders. Du lebst unter ihnen, dich können sie tagtäglich sehen. Bei dir wissen sie, dass du echt bist. Genau deswegen will ich dich heute ehren und, dass du bei jedem Jubiläum dieses Festes dabei bist.“
    Nun entgleisten Links Gesichtszüge völlig zu einem Ausdruck absoluten Unverständnisses. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?!“ Zelda holte tief Luft und knetete ihre Hände. „Ich weiß, dass dir der Gedanke, eine tragende Rolle bei einer derartigen Massenveranstaltung zu spielen, nicht behagt. Aber versuche bitte, meinen Gedanken dahinter zu verstehen: Du bist für die Bürger Hyrules mehr als nur ein siegreicher Kämpfer. Du bist für sie ein Held, die echte, wirkliche Verkörperung ihrer Ideale. Du bist für sie der Beweis, dass Wunder geschehen und die Göttinnen uns einen gesegneten Krieger schicken, wenn wir ihn brauchen. Mit deinen Wurzeln als Waisenjunge und einfacher Ziegenhirte bist du für sie aber gleichzeitig noch viel mehr.“
    Mit einer eleganten Drehung wandte die Königin sich vom Fenster ab und ging gemäßigten Schrittes zu ihrem Thron herüber. Die Perlen und Edelsteine am Saum ihrer Rockschleppe verursachten dabei kratzige Schleifgeräusche auf den Marmorplatten. An ihrem Herrschersessel angekommen, drehte Zelda sich wieder zu Link um und sagte mit eindringlicher Stimme: „Du bist für sie der Beweis, dass etwas Göttliches in jedem von uns steckt, dass wir alle Großtaten vollbringen können, wenn wir nur an uns glauben. Du bist eine Inspiration für die Bürger dieses Landes.“
    Allmählich dämmerte es Link, worauf seine Regentin herauswollte. „Mit anderen Worten: Ihr wollt mich instrumentalisieren, um Euer Volk zu motivieren, stets sein Bestes zu geben.“ Zelda errötete leicht und wandte das Gesicht ab. „Wenn du es so formulierst, klingt es als hätte ich unlautere Absichten.“


    Link verschränkte die Arme vor der Brust und zog grübelnd die Unterlippe zwischen die Zähne. Der Gedanke, Jahr für Jahr dem Volk vorgeführt zu werden wie ein besonders illustres Zirkustier, gefiel ihm ganz und gar nicht. Außerdem wollte er an seine so genannten Heldentaten am liebsten gar nicht mehr erinnert werden. Im Gegensatz zum Volk, das zum Großteil nur das Glorreiche seines Sieges sah, wusste er nur zu gut, dass auch diese Medaille zwei Seiten hatte.
    Ungefragt schoben sich ihm Bilder von Ook vor sein geistiges Auge. Link hatte den Anführer der Affen im Waldschrein beinah erschlagen, weil er ihn fälschlicherweise für seinen Gegner gehalten hatte. Dabei war Ook nur deswegen auf Link losgegangen, weil er von einem bösartigen Parasiten befallen gewesen war.
    Außerdem war da auch noch Lucida, die tapfere Königin der Zora, die sich für das Wohl ihres Volkes und das Leben ihres Sohnes Ralis geopfert hatte. Zanto hatte versucht, sie zu erpressen, damit sie ihm das Versteck des in Ranell verborgenen Teils des Schattenkristalls verriet. Doch sie war selbst dann noch unnachgiebig geblieben, als ihr bewusst geworden war, dass ihr Schweigen ihren Tod bedeutete. Obwohl Link nichts mit ihrem Ableben zu tun hatte, fühlte er sich dennoch ein wenig schuldig. Immer wieder drängte sich ihm der Gedanke auf, dass er sie womöglich hätte retten können, wenn er schneller gewesen wäre.
    Ein weiteres Gesicht, das sich Link aufdrängte, war das von Matonia. Die Yeti-Frau hatte eigentlich ein gutes, sanftes Herz und konnte niemandem etwas zuleide tun. Doch leider war sie dem Fluch des Schattenspiegels zum Opfer gefallen, als ihr Mann eine der Scherben gefunden und ihr zum Geschenk gemacht hatte. Der Fluch hatte dazu geführt, dass sie zunächst schwer erkrankt war und sich schlussendlich in ein Eismonster verwandelt hatte. Zwar war es Link gelungen, ihre Besessenheit aufzulösen, ohne Matonia zu töten, aber er war sich sicher, dass es einige Zeit gedauert hatte, bis die Wunden der armen Yeti-Frau vollständig verheilt gewesen waren. Manche seiner Schwertschläge hatten Narben hinterlassen, die ein Leben lang bleiben würden.
    Der junge Mann betrachtete gedankenversonnen seine Hände. An seinen Fingern klebte Blut – und nicht nur das von Monstern. Selbst Zanto war im Grunde nicht mehr gewesen als eine Marionette Ganondorfs. Damit war er ein weiteres mehr oder weniger unschuldiges Opfer, das durch Links Hand Leid erfahren hat und schlussendlich den Verletzungen, die er durch das Master-Schwert erfahren hatte, sogar erlegen ist.
    Link sah alles Mögliche in sich, aber ganz sicher keinen strahlenden Helden, der Leitbild für eine ganze Nation sein konnte.
    Doch dann dachte er an den kleinen Colin, der früher von den anderen Kindern des Dorfes immerzu gepiesackt worden war. Die Hänseleien hatten erst aufgehört, als der schüchterne Junge in einer Gefahrensituation großen Mut bewiesen und Betty vor dem Angriff von König Bulblin gerettet hatte. Colin war bei Berichten über seine Heldentat nicht müde geworden, zu betonen, dass er es nie geschafft hätte, so mutig zu sein, wenn Link ihn nicht dazu inspiriert hätte.
    Bei dem Gedanken an Colin stahl sich ein Lächeln auf Links Lippen und er nickte Zelda zu. „Ihr habt Recht. So viel Aufmerksamkeit zu bekommen, ist mir ein Graus. Aber ich sehe nun, was Ihr mir sagen wolltet. Wenn ich auf diese Weise wenigstens ein paar Bewohner Hyrules dazu bringen kann, die eigene Stärke, den Helden in sich selbst, zu entdecken, dann lohnt es sich, mich dem Gegaffe und der öffentlichen Neugierde auszusetzen.“
    Vor Begeisterung vergaß Zelda für einen Moment den Standesunterschied zwischen Link und sich und umfasste seine Hände, während sie mit strahlenden Augen zu ihm hoch sah und jubelte: „Oh, ich hatte gehofft, dass du so etwas sagen würdest! Vielen, vielen Dank! Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen!“
    Der junge Held verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen und neckte: „Versprecht nichts, was Ihr nicht halten könnt, Majestät.“ Eigentlich hatte er erwartet, für seinen all zu vertraulichen Ton einen Tadel zu erhalten, doch Zelda ließ lediglich seine Hände los, legte den Kopf schief und lächelte. „Warte es nur ab. Ich denke, ich habe eine Überraschung, die dich für deine Unannehmlichkeiten gebührend entschädigen wird.“
    Bei diesen Worten zog Link neugierig die Augenbrauen in die Höhe und öffnete in dem Versuch, Zelda ihr Geheimnis frühzeitig zu entlocken, den Mund. Doch bevor auch nur ein Ton seine Lippen verlassen konnte, stieß jedoch Impa die große Doppelflügeltür am Ende des Thronsaals auf und führte die geladenen Gäste hinein.


    Ilya verschlug es förmlich den Atem, als sie Link in seinen neuen Kleidern neben dem Thron stehen sah. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass dieser junge Mann, den sie von Kindesbeinen an nur in leicht zerlumpter, etwas schmuddeliger Hirtenkleidung und dem staubigen, blutbefleckten Heldengewand kannte, tatsächlich aussehen konnte wie ein Lord oder Prinz.
    Obwohl sie nicht bestreiten konnte, dass das Gewand eines Edelmannes ihrem Freund gut zu Gesicht stand, empfand ein Teil von ihr Widerwillen dagegen. In diesen neuen Kleidern wirkte er so fremd… als wäre er überhaupt nicht mehr ihr Link. Die negativen Gefühle verschwanden jedoch schnell, als Link sie in der Masse entdeckte und ihr grinsend zuwinkte. Ilya hob die Hand, um zurück zu grüßen, und lächelte in sich hinein. Egal, wie sehr die Welt und Link sich auch verändern mochten, sie würde immer seine beste Freundin bleiben.
    Sie hoffte nur, dass ihr dies auf Dauer reichen würde, sollte Link nie seine romantischen Gefühle für sie entdecken…
    Mit einer Eleganz wie sie nur eine Adelige haben konnte, schritt Zelda vor ihren Thron und stieg die kleine Treppe davor halb herab. Dann breitete sie die Arme aus, wodurch die langen, geschlitzten Überärmel ihres Kleides herabhingen wie die Flügel eines Vogels, und sagte mit getragener Stimme: „Ich grüße euch Würdenträger meines Volkes. Habt Dank, dass ihr so zahlreich zu meinem Fest erschienen seid.“
    Während die Königin die Oberhäupter der verschiedenen Clans und Dörfer einzeln begrüßte, um ihnen besonderen Respekt zu zollen, sah Ilya sich erneut unter den Gästen um. Wie es ihrem Stand als Tochter des Bürgermeisters von Ordon gebührte, stand sie neben ihrem Vater, der sich den dicken Bauch hielt und zufrieden vor sich hin grinste. Ilya nahm an, dass er bei dem Buffet in der Empfangshalle ordentlich zugeschlagen hatte, um die Wartezeit mit Essen zu überbrücken.
    Von ihrem Standort aus konnte Ilya die Geschwister Maro und Taro sehen, die ebenfalls neben ihren Eltern standen und sich neugierig im Saal umsahen. Die Haare der beiden Jungen glänzten vor Feuchtigkeit und Taro hatte sogar noch etwas Schnee auf der Schulter. In der Wärme, die im Thronsaal herrschte, würden Haare und Kleider jedoch zum Glück schnell trocknen.
    Etwas weiter entfernt konnte Ilya Leonard, den Priester aus Kakariko, ausmachen. Der Geistliche war mit seiner beeindruckenden Körpergröße und dem breiten Kreuz eine wahrlich einschüchternde Erscheinung. Nicht zuletzt dies machte es unfreiwillig komisch, dass er noch immer krampfhaft Thelmas Blicken auswich. Die üppige Wirtsfrau hatte den zurückhaltenden Leonard mit ihrer direkten, offensiven Art derart eingeschüchtert, dass dieser ihr wann immer möglich aus dem Weg ging.
    Leonards Tochter Luana, die neben ihrem Vater stand und ein wunderschönes, mit Holzperlen und -pailletten besetztes Kleid trug, hatte ihrerseits Ilya entdeckt und winkte ihr mit einem erfreuten Strahlen in den Augen zu. Die junge Frau erwiderte den Gruß und schämte sich zeitgleich ihrer eigenen, schmucklosen Kleidung. Dass Ordon als kleines Hirten- und Bauerndorf ohne jeglichen Reichtum war, wurde im Vergleich mit den Abgesandten der übrigen Gegenden besonders deutlich.
    Doch dafür hatte Ordon etwas, das dem Rest von Hyrule fehlte: Der Held, der das ganze Land gerettet hatte, war einer von ihnen!
    In diesem Moment nahm Ilya es Link beinah ein bisschen übel, dass er sich dermaßen hatte herausputzen lassen. Als wäre an einem Hirtenkleidung tragenden Helden irgendetwas falsch… Ihr war jedoch bewusst, dass er eine Rolle zu spielen hatte, wenn er vors Volk treten musste. Auf die meisten hätte er in seiner Alltagskleidung vermutlich nicht strahlend genug gewirkt, um als Held durchzugehen.


    Zelda hatte ihre Begrüßung inzwischen abgeschlossen, doch damit war der formelle Teil des Festes noch nicht vorbei. Nun wurden zwischen der Königin und den Oberhäuptern der Clans und Dörfer Geschenke ausgetauscht, um die gegenseitige Wertschätzung auszudrücken. Die Regentin schien bei der Auswahl ihrer Gaben außerordentlich großzügig gewesen zu sein.
    Ilya sah wie die königlichen Diener goldene Trinkkelche, Zierfiguren aus Elfenbein und edelsteinbesetzte Geschmeide verteilten. Als Anlehnung daran, dass die besten Waffen in Ordon geschmiedet wurden, wurde Boro ein herrliches Silberschwert überreicht, in dessen Griff Lapislazuli eingelassen worden waren.
    Doch auch die Abgesandten der verschiedenen Regionen ließen sich nicht lumpen. Einer nach dem anderen überreichte der Königin kleine Kostbarkeiten. Grogor, der Anführer der Goronen, schenkte Zelda eine ihren Vater darstellende Skulptur aus Meteoritengestein, Prinz Ralis erfreute die Regentin mit einer edlen Kette aus Perlmutt und mit Gold und Silber überzogenen Korallen und Leonard brachte ihr eine ganze Kiste voll mit einer mysteriösen Neuheit namens «Feuerwerk», das erst vor kurzem von Burns, dem Bombenverkäufer Kakarikos, erfunden worden war. Angeblich konnten diese kleinen, kugelartigen Gebilde flammende Blumen an den Nachthimmel malen, wenn man sie richtig zündete. Ilya hoffte, dass sie dies eines Tages sehen durfte.
    Weitere Gaben waren Delikatessen der jeweiligen Gebiete, Kleider aus teurem Pelz und sogar ein Rapier aus besonders edlem Stahl. Ilya fragte sich, ob es sich bei letzterem um die stumme Aufforderung handelte, bei der nächsten Invasionsbedrohung zu kämpfen, anstatt sogleich die Waffen zu strecken. Zeldas schnelle Kapitulation bei Zantos Angriff auf das Schloss hatte bei Teilen des Volkes für Unmut gesorgt – dabei war es Ilyas Meinung nach die einzig richtige Reaktion gewesen.
    Wer wusste schon, wie viel mehr Opfer dieser Krieg gefordert hätte, hätte die Königin sich nicht ergeben und sich selbst als Pfand für die Unversehrtheit ihres Volkes verwendet?


    Nachdem die Geschenke ausgetauscht worden waren, winkte Zelda Link an ihre Seite, was diesen innerlich aufatmen ließ. Er war sich sicher, wenn sich die Formalitäten noch länger gezogen hätten, wäre er im Stehen eingeschlafen! Doch als ihm bewusst wurde, dass es nun ernst wurde und der für ihn unangenehmste Teil des Abends bevorstand, schlug seine Erleichterung schlagartig in Anspannung um.
    Zelda legte ihm locker eine Hand auf die Schulter und wandte sich an die restlichen Anwesenden: „Diesen jungen Mann muss ich euch vermutlich nicht vorstellen – viele von euch hatten ja selbst mit ihm zu tun.“ Ein allgemeines Nicken ging durch die Reihen, was Link nervös schlucken und Zelda milde lächeln ließ. „Doch obwohl unser Held uns allen den Frieden zurückgebracht und währenddessen sogar noch andere Großtaten vollbracht hat, haben wir es bislang versäumt, ihm gebührend zu danken. Deswegen möchte ich ihm heute im Namen von uns allen meinen Dank aussprechen.“
    Während das Geräusch vieler klatschender Hände aufbrandete und sogar vereinzelte Jubelrufe ertönten, drehte sich Zelda zu Link um und sagte: „Hyrule steht tief in Eurer Schuld, edler Held. Gibt es irgendetwas, das Ihr begehrt? Mit dem wir Euch eine Freude bereiten könnten? Egal, was es ist, Ihr müsst nur darum bitten.“
    Link öffnete den Mund, um eine Belohnung rundheraus abzulehnen. Doch dann fiel sein Blick auf die Bewohner seines Dorfes und er änderte seine Meinung: „Ich wünsche mir, dass die Kinder Ordons eine umfassende Ausbildung bekommen, damit ihnen im Leben alle Türen offenstehen.“ Zelda nickte und Ulina lächelte mit feuchten Augen zu Link herauf. Sie ahnte, dass er bei diesem Wunsch vor allem Colin im Sinn hatte, zu dem der Beruf des Gelehrten so viel besser passte als eine Zukunft als Bauer.
    „Außerdem wünsche ich mir“, fuhr Link fort, „dass die Familien derjenigen Soldaten und Kämpfer, die im Krieg schwer verletzt oder gar getötet worden sind, entschädigt werden.“ Erneut nickte die Regentin lediglich, während einige ihrer Gäste erstaunte Blicke wechselten. Dies war ein überaus teurer Wunsch und es grenzte an Impertinenz ihn so unverfroren zu äußern – vor allem in einer Situation in der die Königin eigentlich nicht anders konnte als ihn zu bewilligen.
    Doch damit war Link noch nicht am Ende seiner Liste angelangt: „Des Weiteren wünsche ich mir, dass den Widerstandskämpfern, die mich so unermüdlich unterstützt haben, ebenfalls jeweils ein Wunsch gewährt wird.“ Der junge Mann wandte sich den Gästen zu und suchte die Reihen nach sechs bekannten Gesichtern ab. „Moe, Raffler, Jargo, Ashley, Thelma und Leonard – ohne euch wäre mein Unterfangen von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Euch gebührt mein ewigwährender Dank und Respekt.“
    Links Bescheidenheit wurde von den anderen mit Applaus honoriert, aber der junge Mann hob abwehrend die Hände und rief: „Einen allerletzten Wunsch habe ich noch.“ Zelda, die während seiner Wunschaufzählung keine einzige Miene verzogen hatte, fragte noch immer völlig unbewegt: „Wie lautet er?“ Ein schiefes Grinsen stahl sich auf Links Lippen, als er antwortete: „Ich wünsche mir einen Lebensvorrat an Hafer für Epona.“ Angesichts der verdutzten Gesichter, derer er ansichtig wurde, beeilte er sich zu erklären: „Sie hat mich geduldig bis in die entlegensten Winkel dieser Welt getragen und hat kleinere Verletzungen stets stoisch ertragen. Ich möchte sie für ihre Treue belohnen.“
    Ilya schossen bei diesem Wunsch Tränen in die Augen. Nur Link würde daran denken, einem Nutztier für seine Arbeit zu danken. Auch Zeldas Mundwinkel zuckten für den Bruchteil einer Sekunde nach oben, doch sie hatte ihre Mimik schnell wieder unter Kontrolle und kehrte zu ihrer ausdruckslosen Miene zurück. Sie war die Königin! Es war ihr nicht gestattet, Sympathie für einen Untertan zu zeigen – und sei er mit seiner unbedarften Art noch so charmant.
    Dementsprechend fragte sie in gleichbleibend neutralem Tonfall: „Wollt Ihr Euch noch etwas für Euch selbst wünschen? Schließlich ist es Eure Belohnung.“ „Nein. Nichts.“ Link schüttelte den Kopf und fügte dann so leise an, dass nur Zelda ihn hörte: „Ich wünsche mir nichts, dass Ihr mir geben könnt.“
    Das breite Lächeln, das daraufhin über Zeldas Gesicht huschte, verwirrte ihn zutiefst. Doch bevor er nachhaken konnte, drehte die Königin sich wieder den restlichen Anwesenden zu und verkündete: „Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass ich mein Volk begrüße und ihm unseren Helden präsentiere.“ Mit diesen Worten legte sie eine Hand auf Links Ellbogen, damit dieser ihr den Arm zum Unterhaken anbot und sie zum Balkon geleitete.
    Link schluckte hart. Nun kam also der unangenehmste Teil des Abends…
    Wenigstens hatte es in der Zwischenzeit aufgehört zu schneien.


    Es war ein merkwürdiges Gefühl, Zelda am Arm zu führen und durch eine sich vor ihnen teilende Menschenmasse zu schreiten. Link fragte sich, ob sie wohl zusammen aussahen wie ein frisch vermähltes Königspaar. Als er Ilyas Blick auffing, in dem nur schlecht unterdrückte Eifersucht geschrieben stand, vermutete Link, dass dem wohl so war. Er warf seiner Freundin ein entschuldigendes Lächeln zu, doch er hatte keine Gelegenheit, dessen Wirkung zu überprüfen.
    Kaum dass Zelda und er auf den Balkon heraustraten, ertönte von unten donnernder Applaus. Allem Anschein nach war das gesamte Volk Hyrules im durch Fackeln erleuchteten Schlossgarten versammelt. Link hatte noch nie so viele Personen auf einmal gesehen. Das Klatschen der vielen Hände klang wie das dunkle Grollen eines herannahenden Sommergewitters.
    Zelda löste sich aus seinem Griff und trat an die Balustrade heran. Die Menschenmassen schienen sie kein bisschen einzuschüchtern, während Link sich fühlte als stünde er unbewaffnet einem Monster gegenüber. Mit einem gewinnenden Lächeln hob Zelda die Hand und winkte ihren Untertanen stumm zu. Diese reagierten darauf mit lautem Jubel und „Lang lebe Königin Zelda“-Rufen.
    Erst als ein wenig Ruhe eingekehrt war, eröffnete Zelda ihre Rede: „Mein geliebtes Volk! Ich habe euch versprochen, mit euch gemeinsam den ersten Jahrestag unseres Sieges über Zanto und Ganondorf zu feiern und ich freue mich sehr, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Es ist nun über ein Jahr her, dass Zanto mit seinen Wesen der Finsternis in unser Land einfiel und Dunkelheit über Hyrule brachte. Ich habe damals als Königin versagt, weil ich euch nicht genügend beschützen konnte. Dafür werde ich euch ewig um Vergebung bitten.
    Doch auch in der dunkelsten Stunde gibt es etwas Licht. Denn dieser junge Mann hier hat sich damals aufgemacht, um gegen das Unrecht, das unserem Land und uns angetan worden war, vorzugehen. Er hat sich gegen Zanto und seine Armee der Finsternis aufgelehnt und schlussendlich heute vor einem Jahr den entscheidenden Sieg gegen den Drahtzieher Ganondorf errungen! Damit hat er nicht nur Hyrule den Frieden zurückgebracht, sondern sich auch in unsere Geschichtsbücher und Herzen eingeschrieben! Begrüßt nun gemeinsam mit mir den Helden von Hyrule, Link aus Ordon.“
    Zelda winkte ihn mit einer ungeduldigen Handgeste zu sich heran, aber Link fühlte sich wie festgeklebt. Nur langsam näherte er sich der Balustrade und legte seine zitternden Hände auf dem kalten Stein ab. Das Volk brach erneut in Jubelstürme aus, was Link mit einem verkniffenen Lächeln quittierte. Zelda nutzte die Zeit, um sich zu ihm herüber zu beugen und zu flüstern: „Richte ein paar Worte ans Volk, sobald wieder Ruhe eingekehrt ist. Du musst nicht viel sagen – nur, dass du dich freust hier zu sein und das Jubiläum deines Sieges mit ihnen feiern zu dürfen.“
    Link nickte wie in Zeitlupe. Er fühlte sich völlig benommen, so als hätte er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen oder als würde er erst allmählich aus einer Ohnmacht erwachen. Seine Knie waren dermaßen weich, dass er nicht wusste, ob er sich auf den Beinen hätte halten können, wenn er sich nicht an der Balustrade festgehalten hätte, und sein Mund war so trocken, dass ihm die Zunge am Gaumen klebte.
    Allmählich verebbten Jubel und Applaus und Zelda gab Link immer wieder Augenzeichen, dass er etwas sagen sollte. Doch obwohl Link im Kampf gegen die furchteinflößendsten Monster großen Mut bewiesen hatte, war er nun vor Angst gelähmt. Es brauchte einige Anläufe und eine ganze Reihe an „ähm“s und „öhm“s, bevor er einen gescheiten Satz zusammen bekam.
    Allerdings waren die Worte, die aus seinem Mund kamen, gänzlich andere als die, die er sich zurechtgelegt hatte: „Ich weiß, dass ihr alle einen strahlenden, perfekten Helden in mir seht – eine Art legendärer Wunderkrieger, der in Zeiten der Not auftaucht und die Welt wieder ins Lot bringt. Die Wahrheit ist jedoch: Es gibt keine Helden!“
    An dieser Stelle machte er eine kleine Kunstpause und das Volk wechselte irritierte Blicke, während Zelda Link aufmunternd zunickte. Sie ahnte, in welche Richtung seine Rede gehen sollte.
    „Es gibt nur Personen, die Heldenhaftes tun“, nahm der junge Mann den Faden wieder auf. „Ich streite nicht ab, dass meine Taten es womöglich mit denen unserer legendären Helden aufnehmen können. Aber – und das möchte ich unterstreichen – ich wurde nicht als Held geboren. Manche sagen zwar, dass ich die Reinkarnation des Herrn der Zeiten sein soll, aber die Wahrheit ist: Sollte dem so sein, habe ich das nie gemerkt. Es hat mich weder geschickter noch stärker noch klüger gemacht. Ich bin nicht anders als du oder du oder du.“ Link deutete blind in die Menge. Es war ihm egal, ob er womöglich auf einen Goronen oder Zora zeigte, denn er machte keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Rassen.
    Inzwischen hatte Link sich in seine Rolle als Redner hereingefunden und er sprach mit lauter Stimme weiter: „Worauf ich hinauswill ist Folgendes: Das Heldenhafte steckt in uns allen. Jeder von uns kann ein Held sein, wenn er nur an sich glaubt und auf seine Fähigkeiten vertraut. Außerdem“, Link holte einmal tief Luft, bevor er weitersprach, „möchte ich, dass ihr nie vergesst, dass ich Hyrule nicht allein gerettet habe. Andere tapfere Helden waren stets an meiner Seite und haben mich unterstützt. Sie verdienen euren Dank ebenso wie ich.“
    Das Volk vor dem Balkon wirkte verwirrt und wie vom Donner gerührt. Offenbar hatte Links Rede nicht seinen Erwartungen entsprochen. Der junge Mann konnte nur hoffen, dass er zumindest ein paar von ihnen mit seinen Worten erreicht und zum Nachdenken angeregt hatte. Doch er hatte gar keine Zeit, sich deswegen Sorgen zu machen, weil in diesem Moment eine vertraute Stimme von hinten sagte: „Und ich hab schon gedacht, du streichst den ganzen Ruhm alleine ein.“
    Wie von der Tarantel gestochen wirbelte Link herum und erbleichte beim Anblick der jungen Frau vor ihm als stünde ihm ein Geist gegenüber. „Midna!“


    Die Regentin des Schattenreichs zwinkerte ihm kokett zu und verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. Link hatte so viel Zeit mit ihr in ihrer verfluchten Gnomform verbracht, dass er schon wieder ganz vergessen hatte, dass ihr wahres Erscheinungsbild bezaubernd aussah.
    Ihr orangerotes Haar ergoss sich in offenen Wellen bis zu ihrem Rücken herab und ihre dunklen Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Ihren schlanken Körper hatte sie passend zum Anlass in ein enganliegendes, dunkelgrünes Samtkleid gehüllt, dessen Rock auf der rechten Seite bis zum Oberschenkel hinauf geschlitzt war. Zusätzliche Raffinesse erhielt das Gewand durch seinen asymmetrischen Schnitt: Während rechts Arm und Schulter unbekleidet blieben, reicht der Ärmel links bis zum Handgelenk herab.
    Durch den Schlitz blitzte neben Midnas schlankem Bein ein flacher, roter Schuh. Link erinnerte sich nicht daran, je schon einmal einen Bewohner des Schattenreichs in Fußbekleidung gesehen zu haben und fragte sich, ob die Schuhe ein Zugeständnis an hylianische Bräuche oder die Kälte waren. Um Midnas Hüfte wand sich ein breiter Gürtel aus geschwärztem Leder, der mit Ornamenten aus Goldfäden bestickt war. Ansonsten trug die fremde Königin keinerlei Schmuck, was sie jedoch in keiner Weise fade erscheinen ließ – ganz im Gegenteil. Midna verkörperte eine stille Eleganz, neben der Zelda trotz aller Geschmeide fast verblasste.
    Ohne darüber nachzudenken, ob sein Verhalten womöglich komisch wirken konnte, stieß Link sich von der Balustrade ab, rannte die wenigen Schritte zu Midna herüber und schloss seine verloren geglaubte Freundin fest in die Arme. Diese lehnte sich mit genauso viel Innbrunst gegen ihn und vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, was Ilya im Thronsaal mit den Zähnen knirschen ließ.
    Einige Herzschläge lang schien die Welt still zu stehen, doch dann hielt Link die Neugierde nicht mehr aus. Vorsichtig löste er sich aus der Umarmung, schob Midna eine Armlänge von sich weg und fragte: „Wie… Ich verstehe das nicht. Wie bist du hierhergekommen? Mit dem Schattenspiegel ist doch jede Verbindung zwischen unseren Welten zerstört worden.“
    Erneut huschte ein spitzbübisches Grinsen über Midnas Gesicht und sie deutete mit dem Kinn in Zeldas Richtung. „Das solltest du lieber dieses unanständige Mädchen fragen.“ „Was? Warum?“ Links Blick huschte zu Zelda, zuckte jedoch sogleich wieder zurück, als diese keine Anstalten machte, zu antworten. Die Ratlosigkeit auf seinem Gesicht brachte Midna zum Kichern und sie spannte ihn einen Augenblick auf die Folter, bevor sie erklärte: „Zelda hat die Macht des Triforce genutzt, um den Schattenspiegel wieder zu herzustellen.“


    Vollkommen perplex schaute Link erneut zu seiner Königin herüber, doch Zelda wandte sich nur ab und drehte sich wieder zu ihrem Volk. Midna duckte sich unter Links ausgestrecktem Arm hinweg und schüttelte so seine noch immer auf ihren Schultern liegenden Hände ab, bevor sie mit langen Schritten an Zeldas Seite eilte.
    Aus dem Schlossgarten drang aufgeregtes Murmeln und Getuschel auf den Balkon herauf, als das Volk Midna sah. Die Erinnerungen an die Angriffe von Zantos Armee saßen noch immer dicht unter der Oberfläche.
    Zelda ignorierte das Brummen der vielen Stimmen, griff nach Midnas Hand und verkündete laut: „Wir haben während des Krieges mit den Wesen der Finsternis nicht nur gelernt, dass Helden real sind – auch wenn sie nicht urplötzlich von den Göttinnen in die Welt geschickt werden, um uns zu retten. Sie leben tagtäglich unter uns – unwissend und unerkannt, bis ihre Stunde schlägt und sie nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern das von uns allen in die Hand nehmen. Ich habe in dieser Zeit außerdem noch gelernt, dass unsere Vorfahren ein grausames Unrecht begangen haben.“
    Einen Seitenblick auf Midna werfend drückte Zelda kurz die Hand der anderen Königin und fuhr fort: „Unsere Vorfahren haben Relikte erschaffen, deren Macht sie nicht mehr kontrollieren konnten. Magische Gegenstände, die Menschen in ihren Bann ziehen und besessen machen konnten. Doch anstatt diese Artefakte zu zerstören, haben unsere Vorfahren diejenigen, die ihrem Fluch erlagen, in ein grausames Gefängnis geworfen. Dabei handelte es sich jedoch nicht um ein Verlies aus Stein oder Holz, sondern um eine andere Welt, aus der es kein Zurück gab. Eine Welt, in der es keine Sonne, keinen blauen Himmel und kaum fruchtbares Land gibt.“
    An dieser Stelle machte Zelda eine kurze Pause, damit das Volk ihre Worte verinnerlichen und sich einen derart trostlosen Ort vorstellen konnte. Erst danach sprach sie weiter: „Dies ist so lange her, dass wir dieses Unrecht bereits vergessen hatten. Doch auch in der anderen Welt hat sich das Leben trotz der schwierigen Umstände nicht unterkriegen lassen. Aus den Personen, die unsere Vorfahren verbannt hatten, entwickelte sich über die Jahrtausende ein neues Volk. Ein Volk, dessen Legenden von dem großen Unrecht erzählen, das seinen Ahnen durch hylianische Hand angetan worden ist.“
    Das Volk beäugte Midna mit argwöhnischen Blicken. Sollte das etwa eine Rechtfertigung dafür werden, dass Wesen der Finsternis in Hyrule eingefallen und das Land verdunkelt hatten? Glaubte diese merkwürdige Frau etwa, ein zweites Unrecht rechtfertige sich durch ein anderes?
    Zelda redete unterdessen unbeirrt weiter: „Ich war erschrocken, als Zanto mir diese Geschichte erzählte und behauptete, deswegen Anspruch auf meinen Thron zu haben. Ich glaubte, aus den verfluchten Personen von damals sei ein Volk von Halunken, Mördern und Bösewichten geworden. Doch dann…“, sie wechselte einen kurzen Seitenblick mit Midna, die ihr ein warmes Lächeln schenkte, „… dann traf ich Midna, die rechtmäßige Herrscherin dieses Volkes, und lernte, dass ich mich geirrt hatte. In der Schattenwelt leben ebenso rechtschaffende, herzensgute und ehrliche Wesen wie in unserer Welt. Wir dürfen nicht wegen ein paar schwarzer Schafe ein ganzes Volk verdammen!“


    Kaum dass Zelda geendet hatte, erhob Midna ihre Stimme: „Ich möchte euch gerne meine Seite der Geschichte erzählen. Vielleicht versteht ihr mein Volk danach besser und fürchtet es nicht mehr so sehr.“ Sie schluckte und holte tief Luft, bevor sie neu ansetzte: „Mein Leben lang hielt ich die Geschichten über Hyrule für ein Märchen, doch dann erklärte mir Zanto, der zu diesem Zeitpunkt mein oberster Minister war, dass es dieses sagenumwobene Land tatsächlich geben sollte. Er wollte mich dazu überreden, in Hyrule einzufallen und mich für das Unrecht, dass unseren Vorfahren angetan worden war, zu rächen. Aber ich lehnte ab. Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht rückgängig machen – und Kriege bringen nur Schmerzen und Leid. Daraufhin wurde ich von Zanto gestürzt und verflucht.“
    Für einen Moment wandte Midna das Gesicht ab und schloss die Augen. Offenbar schmerzte sie die Erinnerung an diese schmachvolle Zeit noch immer. Doch als sie weitersprach, war ihre Stimme eben und fest: „Ich folgte Zanto nach Hyrule und wurde beinah vom Schlag getroffen. Ich hatte mir nie träumen lassen, dass es ein Land von dieser Schönheit und Fruchtbarkeit gibt.
    Leider muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich Hyrule und jeden einzelnen seiner Bewohner in diesem Moment gehasst habe. Ich hatte sogar das Gefühl, dass euch Zantos Invasion irgendwie rechtgeschah, weil ihr hier im Überschuss lebtet, während wir in der Dunkelheit darbten. Der einzige Grund, weswegen ich Zanto weiter verfolgt habe, ist, weil ich meinen Thron zurückwollte.
    Da ich dank des Fluches, den Zanto auf mich gelegt hatte, jedoch Hilfe für die Umsetzung meines Planes brauchte, suchte ich jemanden, der für mich kämpfen würde. So traf ich auf Link.“ Die Regentin des Schattenreichs warf einen Blick über ihre Schulter und lächelte den jungen Mann, der ihre ausgestreckte Hand ergriff und sich neben sie stellte, mit einem dankbaren Glänzen in den Augen an.
    „Link und ich sind weit gereist“, fuhr sie fort, „und auf dieser Reise habe ich auch einiges über die Bewohner Hyrules gelernt. Allem voran habe ich festgestellt, dass ihr nicht die egoistischen, raffgierigen Monster seid, für die ich euch bei meiner Ankunft in eurer Welt gehalten habe. Insbesondere Link und eure Königin Zelda haben mich gelehrt, dass es hier bei euch Personen mit unbeschreiblich großen Herzen gibt, die ein Unrecht wie es damals geschehen ist niemals zugelassen hätten.
    Ohne dass ich es gemerkt habe, sind mir Hyrule und seine Bewohner, also ihr, ans Herz gewachsen und auf einmal wollte ich Zanto nicht mehr nur für mein Reich, für meinen Thron aufhalten. Ich wollte ihn auch deswegen stoppen, weil ich nicht mehr ertragen konnte, was er euch antat.
    Meine Sorge um euch ging sogar so weit, dass ich nach Links Sieg den Schattenspiegel, die Verbindung zwischen unseren Welten zerstört habe, damit nie wieder einer meiner Untertanen aus Missgunst oder Rache bei euch einfallen kann.
    Doch eines Tages stand plötzlich eure Königin vor mir.“ Midna warf Zelda einen Blick aus den Augenwinkeln zu, während diese sich bemühte, nicht verschmitzt zu grinsen. „Sie hat mich davon überzeugt, dass die Zerstörung des Spiegels voreilig war, weil ich unseren Völkern dadurch die Möglichkeit genommen habe, sich besser kennen zu lernen.“


    Zelda nickte, um Midnas Worte zu unterstreichen und sagte: „Ich glaube daran, dass Hyrule und die Schattenwelt gemeinsam aufblühen können, wenn wir unseren Reichen die Gelegenheit geben, Handel mit einander zu treiben und in Freundschaft zusammen zu wachsen. Deswegen“, sie gab einem Soldaten im Garten ein Zeichen, „habe ich auch die Bewohner der Schattenwelt eingeladen, mit uns zu feiern.“
    Der Soldat öffnete ein Tor und die zum Großteil etwas unförmigen Schattenwesen watschelten in den Schlosspark hinein. Das im Garten versammelte Volk schrie erschrocken auf und Midna musste sich anstrengen, das Gekreische zu übertönen: „Ich verspreche euch, wir haben keine böse Absichten. Um euch dies zu beweisen, haben wir euch Geschenke mitgebracht!“
    Die Schattenwesen gingen langsam auf die Massen zu und hielten dabei bunt geschmückte Pakete vor sich. Die Bewohner Hyrules wichen jedoch ängstlich zurück. Allein ihr Vertrauen in Zelda verhinderte, dass eine Panik ausbrach. Von dieser Reaktion verunsichert, blieben die Schattenwesen stehen und blickten ratsuchend zu ihrer Königin auf.
    Diese biss sich hilflos auf die Unterlippe und suchte genau wie Zelda verzweifelt nach den richtigen Worten. Irgendwie hatten sie sich die Vereinigung ihrer Völker einfacher vorgestellt…
    Es war Link, der schlussendlich das Wort ergriff und rief: „Habt keine Angst! Ich habe auf meiner Reise einige Schattenwesen getroffen und keines von ihnen war bösartig. Die Monster, die in Hyrule eingefallen sind, standen unter Zantos Bann und hatten nichts mit den freundlichen Wesen zu tun, die nun vor euch stehen!"
    Trotz seiner Beschwichtigungen fand eine ganze Weile keine Annäherung statt. Am Ende war es ein Kind, das genügend Mut besaß, um das Eis zu brechen. Ohne die panischen Proteste seiner Mutter zu beachten, ging das kleine Mädchen auf ein Schattenwesenkind zu und streckte die Hand aus, um das Geschenkpaket entgegen zu nehmen.
    Die kunstvolle Verpackung landete in Fetzen gerissen im Schnee, doch darauf achtete niemand. Stattdessen blickten alle wie gebannt auf die kleine Kugel, die das Mädchen aus dem Karton hob. Sie war mit silbernen Ornamenten verziert und leuchtete als wäre sie mit Sonnenstrahlen gefüllt.
    „Das ist eine Solaris“, erklärte der Schattenwesenjunge. „Ich weiß nicht, wie sie funktioniert, aber davon gibt es bei uns jede Menge. Ich mag sie. Dank ihnen ist es als hätten wir tausende kleine Sonnen, überall in der Welt verstreut.“ „Sie ist wunderschön!“ Das Mädchen betrachtete ihr Geschenk mit großen Augen und auch von den anderen Bewohnern Hyrules waren vereinzelte „aah“s und „ooh“s zu hören.
    Plötzlich zog das Mädchen jedoch ein trauriges Gesicht, was auch den Schattenwesenjungen dazu veranlasste, die Mundwinkel hängen zu lassen. „Jetzt sag nicht, ihr braucht sowas nicht, weil ihr eine echte Sonne habt…“ „Das ist es nicht.“ Die Zöpfe des Mädchens peitschten durch die Luft, als es kräftig den Kopf schüttelte. „Aber ich hab gar kein Geschenk für dich!“
    „Das macht nichts.“ Der Junge aus dem Schattenreich lächelte sein Gegenüber aufmunternd an, aber das Mädchen ignorierte ihn. Nach einem kurzen Moment kam ihm jedoch eine Idee und die Miene des Mädchens hellte sich wieder auf: „Ich hab’s! Ich schenk dir das hier!“ Das Mädchen griff sich in den Nacken und löste seine Kette. „Sie ist zwar nicht viel wert, aber ich hab sie selbst gebastelt. Die Muscheln hab ich gesammelt, als ich im Sommer mit meinem Vater am See war.“
    Der Schattenwesenjunge war so überrascht, dass er entgegen seiner Erwartungen ein Geschenk bekommen hatte, dass er das Mädchen in seine Arme zog, ohne darüber nachzudenken, welche Konsequenzen das haben konnte. Tatsächlich ging zunächst ein Aufschrei durch die Masse, doch als den Anwesenden klar wurde, dass sie nichts anderes vor sich hatten als zwei Kinder, die sich umarmten, ging Erleichterung durch die Reihen und die Erwachsenen, die bereits ihre Arme ausgestreckt hatten, um die beiden zu trennen, zogen ihre Hände wieder zurück.
    Neidisch auf das Geschenk des Mädchens drängelten sich nun auch die restlichen hylianischen Kinder nach vorne, um etwas ähnlich Tolles zu bekommen und ihrerseits etwas zu verschenken. Die Begeisterung der Kinder riss nach und nach auch die Erwachsenen mit und sie wagten sich ebenfalls an die Fremden heran.
    Dank eines mutigen Mädchens und eines enthusiastischen Jungen aus dem Schattenreich wurde Zeldas Fest ein voller Erfolg und die Bewohner von Hyrule und der Schattenwelt feierten gemeinsam das Ende eines Krieges und den Beginn einer neuen Zeit.
    So kommt es, dass in Hyrule noch heute an jenem Tag Geschenke ausgetauscht und der guten Gaben, die das Schicksal den Bewohnern zugeteilt hat, gedacht wird.

    ZF-Signatur-2.jpg

    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • Da hast du eine wirklich schöne Geschichte geschrieben, Labrynna.
    Es ist toll, wie du dich in das Zeitalter der Zelda-Legende sowie in die Rollen der Charaktere hinein denkst. Die Erzählung wirkt auf mich durchaus authentisch, insbesondere weil du die Familienbeziehungen und Berufe aus Twilight Princess übernommen hast.
    Vor allem das Ende ist wirklich rührend, so eine Sonnenkugel hätte ich auch gern.
    Lediglich die Frage, ob und in welchem Maße Link nun irgendwann seine romantischen Gefühle für Ilya entdecken wird, bleibt leider offen. :D


    Sehr hübsch geschrieben, hat mir Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen!

    16_sigy1jzg.png

    - Seit dem 06.02.2014 in einer butterwampigen Matschkuchen-Partnerschaft mit Darkshuttle123 -

  • Liebe Labrynna,
    habe deine Geschichte schon vorher auf fanfiktion.de gelesen und finde sie wirklich klasse. Man merkt genau, wie viel Liebe da drinsteckt und du hast wirklich Schreibtalent, wie ich finde :)


    Finde es eine tolle Idee, zu schreiben, wieso man in Hyrule Weihnachten feiert und auch die Umsetzung sehr gelungen :) Werde wohl mal noch deine anderen Geschichten lesen, da mir dein Schreibstil sehr zusagt.

  • Vielen lieben Dank, ihr beide. Das freut mich sehr, dass euch die Geschichte gefallen hat. :) Das war wieder mal so ein Fall, wo ich Tage lang nichts anderes gemacht habe, weil mich das Schreiben einfach nicht losgelassen hat.


    silberregen: Oh, ja, so eine Sonnenkugel wär vor allem im Moment super. Dann wäre nicht alles so grau in grau... Ob Link romantische Gefühle für Ilya hat, hab ich bewusst offen gelassen. Ich weiß nämlich nicht, was ich von dem Pairing halten soll. Die beiden sind für mich das logischste Paar aus TP und ich finde, man kann auf Grund von Links Reaktionen in einigen Situtationen durchaus interpretieren, dass sie für ihn mehr als eine Kindheitsfreundin ist, aber... ich mag sie einfach nicht... ^^


    Arielle: Ich wusste gar nicht, dass du auf fanfiktion.de unterwegs bist. Coole Sache. :) Solltest du dich wirklich dazu entscheiden, meine anderen Geschichten zu lesen, wünsche ich dir dabei natürlich ganz viel Spaß und hoffe, dass sie dir ebenfalls gefallen werden. Und danke natürlich für das liebe Kompliment. :)

    ZF-Signatur-2.jpg

    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • Dankeschön, ich habe bestimmt Spaß dabei, wenn die anderen auch so gut geschrieben sind ;) Ich bin eigentlich nicht auf fanfiktion unterwegs, aber du meintest du möchtest deinen Beitrag woanders schon veröffentlichen und dann war ich so neugierig :D
    Dass du Ilya nicht magst finde ich jedenfalls schon mal sehr sympathisch (xD) und dass das in der Geschichte offen gelassen wurde, mag ich deswegen sehr. In meiner Welt hat Link nämlich keine romantischen Gefühle für sie ^^.

  • Hehe, ach so. ^^


    Lass es mich bei Gelegenheit bitte wissen, ob und welche Geschichten du noch gelesen hast. Ich wäre auf das Feedback jedenfalls sehr gespannt. (Und versprochen: Ilya kommt in keiner anderen Geschichte vor. ;) )

    ZF-Signatur-2.jpg

    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)

  • @ Labrynna: Ich wäre bei dem Pärchen Ilya - Link auch hin- und hergerissen. Ich mag sie nämlich auch nicht.^^ Warum das so ist, kann ich eigentlich gar nicht genau erklären, vielleicht ist es ihre komische Art (die du, wie ich finde, auch in deiner Geschichte gut rübergebracht hast). Oder sogar ganz oberflächlich betrachtet das Aussehen... für meinen Geschmack zu "süß" und mädchenhaft. Wenn ich den Vergleich zu möglichen Partnerinnen für Link aus anderen Zelda-Teilen habe, dann schneidet sie jedenfalls schlecht ab.

    16_sigy1jzg.png

    - Seit dem 06.02.2014 in einer butterwampigen Matschkuchen-Partnerschaft mit Darkshuttle123 -

  • silberregen: Bei mir ist es definitv ihre Art, wegen der ich sie nicht mag. Die Optik sagt mir zwar auch nicht wirklich zu, aber naja... darüber könnte ich hinwegsehen. Ich mag an ihr nicht, dass sie irgendwie so herrisch ist. Ich meine, Epona ist Links Pferd und er eigentlich ihr Freund. Ihm gleich das Pferd zu entführen, weil es eine Verletzung hat, ohne sich Links Erklärung anzuhören, finde ich echt übel. Wenn Link ein allseits bekannter Tierquäler wäre, hätte ich dafür ja vielleicht noch Verständnis. Aber bei einem Freund? Außerdem arbeitet er mit Epona - da sollen Unfälle schon mal vorkommen. Kein Grund, so 'ne Welle zu machen.

    ZF-Signatur-2.jpg

    Avatar-Artwork von mokke; Signatur-Artwork von Kamui Fujiwara (official artwork)