Rietnar war für gewöhnlich ein Frühaufsteher. Als Bürgermeister Hatenos blieb ihm auch gar nichts anderes übrig. Gerade in den frühen Morgenstunden konnte er den ganzen Verwaltungskram schaffen, wenn die meisten Bewohner noch schliefen oder selbst noch beim Frühstück saßen.
Doch heute war es anders. Er wurde von Stimmen geweckt, als wären viele Leute vor seinem Haus, was um diese Tageszeit mehr als ungewöhnlich war. Er hatte doch wohl nicht etwa verschlafen? Rietnar sprang aus seinem Bett und zog sich hastig um. Bei den Göttern; ausgerechnet jetzt, wo der höchste Besuch aller Zeiten in Form der Prinzessin im Dorf gastierte! Wo war denn jetzt das verdammte Hemd, welches er heute anziehen wollte? Und wo die andere Socke?
Während Rietnar panisch versuchte, seine Klamotten zu finden, riss er noch einen Stuhl um und stieß sich den kleinen Zeh an der Bettkante. Er wollte sich gar nicht ausmalen, dass Ihre Hoheit gerade mitten im Dorf stand und auf ihn wartete! Ach verdammt! Eigentlich wollte er noch in der Früh zum Gasthof gehen und dort die Obsttorte in Auftrag geben, welche er mit der Prinzessin am Nachmittag feierlich essen wollte! Das würde jetzt wohl zu spät sein, doch was würden sie stattdessen essen?
Die Stimmen draußen wurden immer lauter und es schien, als hätte sich das ganze Dorf vor seinem Haus versammelt. Zur Lachnummer würde er werden! Vorsichtig schob er die kleine Gardine beiseite, um einen Blick nach draußen zu wagen. Doch dann fiel es ihm auf: Die Sonne war noch hinter seinem Haus, denn der Schatten seines Daches ersteckte sich noch bis zur kleinen Mauer, die sein Anwesen umzäunte. Rietnar rieb sich Augen und prüfte das nochmal ab, aber ja. Er war sich sicher, dass es noch sehr früh am Tage war. Vielleicht gerade mal halb sechs Uhr morgens.
Er holte tief Luft und öffnete die Tür. Das Gerede hatte er sich nicht eingebildet, es kam von sämtlichen Frauen des Dorfes, die alle an seinem Haus vorbeiliefen. Ziemlich verdutzt betrachtete er das Geschehen einen Moment lang, und hielt dann schließlich Una an, die gerade vor ihm entlang ging.
"Was ist denn hier los?", wollte er wissen.
"Es gab heute Nacht eine Geburt. Micchaela hat ihr Kind bekommen. Ich weiß auch kaum etwas, aber wir Frauen sind gerade alle aus unseren Betten geholt worden, um der jungen Mutter und ihrem Baby zu helfen."
"W-was? Rietnar wurde ganz flau im Magen. Er wusste jetzt nicht so viel über Geburten und Schwangerschaften, aber er hatte nicht den Eindruck, als stünde Micchaelas Niederkunft unmittelbar bevor.
Una legte ihre Hand leicht auf seine Schulter, als sie seine Verunsicherung bemerkte. "Wir Frauen machen das schon. Sei du unbesorgt. Ich denke, du hast wegen des hohen Besuchs gerade andere Pflichten zu erledigen. Wenn du möchtest, kann ich dich ja später mal in Kenntnis setzen, wie die Lage genau ist." Dann ging sie weiter und Rietnar brauchte einen Moment, um zu überlegen, wie er nun handeln sollte. Normalerweise war es Sitte und Kultur in Hateno, dass der Bürgermeister den neuen Erdenbürger gleich am ersten Tag seinen Lebens willkommen hieß, doch angesichts der Tatsache, dass es offensichtlich zunächst erstmal um die Hilfe der Mitbürgerinnen ging, wäre er nur fehl am Platze. Und außerdem hatte Una recht: Er hatte heute tatsächlich einiges zu erledigen.
Der gestrige Tag verlief schlimmstmöglich. Hateno stand in einem sehr schlechten Licht da; es gab eine handfeste Schlägerei und die Prinzessin wurde sogar beworfen! Rietnar musste unbedingt dafür sorgen, dass sich dies heute nicht wiederholte.
Zunächst machte er die wenigen Schritte bis zum Gasthof und gab dort die Obsttorte in Auftrag, welche er am Nachmittag feierlich mit Zelda essen wollte. Dann schnappte er sich einen Besen und kehrte die Reste der gestrigen Versammlung zusammen. Immer wieder prüfte er, ob er die Prinzessin oder ihren Ritter irgendwo sehen konnte, aber beide schienen noch zu schlafen. Das kam Rietnar mehr als entgegen, andererseits hätte er schon ganz gern mal gewusst, wann denn das Tagesprogramm starten sollte.
Nach einer längeren Zeit hielt er es nicht mehr aus und suchte das kleine Haus am Dorfrand auf. Woher er wusste, dass Link und Zelda dort waren? Er wusste es nicht, aber er ahnte es. Es war Links Haus; wieso sollte die Prinzessin also im Hotel übernachten?
Und die Vermutung war richtig. Schon aus einiger Entfernung konnte er sehen, wie Link vor dem Haus saß. Er hatte eine Decke ausgebreitet, ein Kissen hingelegt und sich ein Feuer angemacht. Als er Rietnar sah, erhob er sich.
Er war der einzige Ritter Hyrules und der letzte der Königsgarde. Das musste die Erklärung dafür sein, wieso er diese Disziplin aufbrachte und vor seinem eigenen Haus campierte, während die Prinzessin drinnen ihre Privatsphäre haben konnte.
"Rietnar.", begrüßte ihn Link mit etwas belegter Stimme.
"Guten Morgen Link. Ich wollte mich nach dir und Ihrer Hoheit erkundigen."
"Nun..." Link rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen. "Sie schläft seit ungefähr einer Stunde. Nicola... nein.. ähm.. Micchaela bekam heute Nacht ihr Kind und die Prinzessin hat die Geburt unterstützt."
"Ach du meine Güte! Ich weiß gar nicht.. K-kann ich irgendwas tun? Ich mein.."
Link schüttelte nur müde den Kopf. "Wir wissen, dass der Tag heute sicher anders geplant war, aber ich werde sie nicht vor dem Mittag aus dem Bett holen. Ich hoffe, du verstehst das."
"Klar doch." Für Rietnar war das eine schlechte Nachricht. Für Spontanität war er nicht bekannt; er hatte alles minuziös durchgeplant; heute sollte Zelda den schönen Bauernhof und die Weizenfelder begutachten, dann die Obsttorte essen und zum Abend hin war ein Ausflug an den Strand geplant. Die Ansprache an die Bürger, die sie eigentlich gestern hätte halten sollen, hatte er für heute Vormittag eingeplant. Er hasste es, wenn er kurzfristig umplanen musste. Er versuchte, Link das Gefühl zu geben, dass es ihm nichts ausmachte, aber das schien nicht gut zu funktionieren.
"Willkommen in meiner Welt", seufzte er ihm zu und gähnte dann heftig.
Rietnar lächelte ein wenig und war dankbar, dass ihm der Ritter das nicht übel nahm. "Für dich ist sicher ein Bett frei im Hotel. Willst du nicht...?"
"Nein, ich bleibe hier. Sie wurde gestern heftig angegriffen. Ich bin noch nicht ganz überzeugt davon, dass dies die normale Unsicherheit von skeptischen Leuten war. Ich gehe lieber auf Nummer sicher und bleibe in ihrer Nähe."
Es war sonnenklar, dass sich Link keinen Meter bewegen würde; nicht nach diesem katastrophalen gestrigen Tag. Dass des Prinzessins Leibwächter sie Tag und Nacht beschützen wollte, war eigentlich selbstredend. Doch dass er das auch hier im schönen Hateno nicht ablegen konnte, erschütterte Rietnar. Er hatte sich etwas anderes gewünscht.
So verabschiedete er sich wieder und während er zur Dorfmitte ging überlegte er, wie er für Ruhe in Hateno sorgen konnte.