Der Mond der Mond, der Mond scheint hell!
Der blutige Vollmond brach aus der Wolkendecke hervor und tränkte den gesamten Stall in eine Mischung aus Furcht, Kampfeswillen, eine tiefe Verbissenheit, in jedem der Ansässigen. Eves Haare wehten wie wild im aufkeimenden Wind und ihr Blick war auf Sebariell gerichtet, den sie nicht abwenden wollte. Sie hatte ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, das einfach nicht verstarb. Der rote Schein, der sich über alles und jeden legte, erstickte die aufkeimende Fröhlichkeit, die besonnene und ausgelassene Feier der Leute und überdeckte den noch so feinsten Ton am Stall. Es war still. So wie sich der rote Mantel langsam legte, erstickte er sämtliche Gespräche der feiernden Leute. Sämtliches Tuscheln der Spanner, die geradewegs noch die Gruppe im Visier hatten. Sämtliches Lachen der Betrunkenen, die sich schunkelnd im Arm lagen. Keiner vermochte sich zu räuspern, keiner sagte etwas. Diese Stille, Eve kannte sie ganz genau. Es war die Stille, die die stummen Emotionen nicht nur hörbar, sondern auch spürbar machte. Das ängstliche Zittern der Hände, die das Klappern des Metalls in ihren Händen zum Vibrieren brachten. Das verbissene Zähnefletschen, wenn der Ernst der Lage jedem bewusst war. Das Rascheln der Kleidung, wenn sich die Kinder in die Arme der Mütter warfen. Es war ein Augenblick, der sich bis zur Unendlichkeit ausdehnte. Eine Sekunde war gefühlt ein Jahr, ein Jahrzehnt, ein Jahrtausend. Jedem war bewusst, es würde Opfer geben. Niemand konnte den Ausgang der Schlacht ausmachen. Oh ja! So war es, an der Front zu stehen. Einfach herrlich! Das ungewisse Knistern in der Luft, die Spannung, die sich auf den Armen abzeichnete, wenn sich die Haare aufstellten. Das kochende Blut gemischt mit dem Adrenalin, welches durch die Adern schoss und das Herz auf Hochtouren antrieb, den Kopf und die Sinne dämpfte. Ein Mancher wurde schlecht von diesem giftigen Cocktail des Kampfes. Mut wich der Angst. Angst schaffte Platz für Zweifel. Wer Zweifel hatte wurde unvorsichtig. Unvorsichtige starben als Erster. Nicht umsonst, ist es eine Kunst seine Waffe zu führen, in guten so wie in schlechten Tagen. Nicht nur physisch, sondern auch mental.
Die Kriegerin sog mit geschlossenen Augen die Luft scharf ein und hielt den Atem an. Sie fühlte sich, als würde sie mit dem Rücken an einer Klippe stehen und ihre Arme ausbreiten, um sich metertief den Hang hinunter zu stürzen, um in der Schwerelosigkeit in der aufkeimenden, blutroten Gischt, die brachial an den Felsbrocken zerbarst, unterzugehen. Zu sinken. In einem Meer aus Tot. In einem Wellenrauschen des Adrenalins des Krieges, dem Aufschlagen von Metall auf Metall. Der eiserne Geschmack des Lebenssaftes, welcher auf einem niederprasst, wenn man seinem Feind gegenüberstand und seine Klinge schreiend aus dem Leib zog, sodass dieser Saft deine Lippen benetzte. Der salzige Schweiß, der sich einen Weg von der Stirn über die Nasenspitze bahnte, an dem er sich sammelte und dann langsam im Erdboden versickerte, wenn er schwerelos zu Boden glitt. Langsam öffneten sich die blauen Augen der Frau und eine Hand fuhr an ihre Sense, die sie fest umschlang. Rote, glühende Funken stiegen vom Erdboden empor und verteilten sich in der Luft. Kaum greifbar, dennoch präsent. Es war als würde der ganze Erdboden in einer Glut einer Feuersbrunst verdampfen.
Ihre Erinnerung brachte sie zurück an die Front. Diese Situation gehörte zu ihrem Leben, es war fast wie ein Spiel. Die Frau stand vorrangig vor allen anderen, blickte über die Reihen hinfort. Da waren Köche mit Pfannen und Töpfen bewaffnet. Bauern mit Mistgabeln. Frauen mit Stöcken die sich schützend vor den Kindern aufbauten. Soldaten mit ihren Waffen. Der betrunkene Orni der einen Bogen zückte. Es war interessant. Alles was gerade war, schien vergessen und plötzlich war jeder auf einer Wellenlänge. Was der Krieg einst auseinanderbrachte, brachte ihn in ernsten Situationen wieder zusammen. Das war Gesetz! So wollte es die Natur! Eves Gedanken preschten wie die zuvor beschriebene, blutrote Gischt durch ihren Kopf und umso länger sie die Einheiten betrachtete und über Sebariell hinwegsah, umso größer wurde ihr süffisantes Lächeln. Sie wagte den gedanklichen Schritt und zog mit einem lauten Surren ihre Klinge von ihrem Rücken und damit fiel sie rücklings der Klippe hinunter in die Gischt des Krieges.
Der Kampf entbrannte mit dem Zerbersten des Bodens, als sich verschiedene Knochenwesen aus der Erde gruben. Ein Kampfesschrei der Menschenmassen setzte sich in Bewegung und das Splittern der Knochen entbrannte sich wie ein Lauffeuer am Stall. Die Wesen verteidigten sich, schrien auf, wenn sie getroffen wurden, schrien wenn sie eines der Biester zerlegt hatten und gerieten in Panik, wenn sie es nicht schafften die Knochenhaufen zu bändigen. Es war wie ein Sturm, der über alles und jeden hinwegfegte. Eve hatte diesen Tanz schon dutzende Male getanzt. Mit dem Blutmond fing ihre Reise an. Niemand aus ihrer Truppe hatte ihn überlebt, doch eines war sicher, ihre Reise würde nicht mit einem Blutmond enden.
Ihr Puls war ruhig, ihre Figuren die sie zusammen mit ihrem treuen Tanzpartner tanzte, stabil und ihre Klinge rauschte nur über die Untoten so hinweg und zerteilte die Knochenhaufen Stück für Stück, Knochen für Knochen. Sie waren langsame Kameraden und nur die Anzahl der Feinde machte sie zu einer ernsten Gefahr. Das wusste die Frau und so hielt sie ihre Knochengegner auf Abstand. Sie wusste darüber Bescheid, wie diese Feinde zu erlegen waren und ehe sich die Situation ergab, hatte Symin bereits die Taktik angeschlagen. Sie setzte ihre Klinge kurz ab und musterte den jungen Knaben mit einem zufriedenen Lächeln, wehrte eine heranrauschende Knochenhand ab und stieß das Gerippe mit dem Stil zu Boden, wo die Frau mit einem schwungvollen Tritt den Schädel eintrat.
Der Takt der Zeit lief in solch einer Situation anders. Das wusste die Kriegerin nur zu gut und sie konnte nur hoffen, dass jeder genügend Ausdauer mitbrachte. Es würde eine lange Nacht werden. Eine sehr sehr lange Nacht. Zumindest regnete es nicht, darüber war die Frau hoch erfreut, als ihr der Gedanke wie ein Schwung ihrer Sense durch ihren Kopf schoss.
Die Gegnerhorden waren mal mehr, mal weniger. Immer wieder kamen erneut Knochenhaufen aus der Erde. Dies zerrte an der Ausdauer und das ganze Spiel hier, war nur eine Frage der Zeit. Wann würde der erste Kochlöffel fallen? Wann waren die ersten Pfeile aufgebraucht? Wann war die Deckung der Wesen hier aufgebrochen? Das Zelt als Verankerungspunkt der Schlacht, bot noch weiterhin Schutz für die Bedürftigen und Eve machte es sich zur Aufgabe auch diesen Eingang so gut wie möglich zu schützen. Sie sprach nicht viel. Eigentlich sprach die Frau gar nicht, denn ihr Tunnelblick war voll und ganz auf den Tanz ihres Lebensgefährten gerichtet. Ihre Kette raschelte im vorgegebenen Takt, wie bei einer rhythmischen Sportgymnastik und setzte eine Kombination aus Schwung und Schlag an den Tag. Mit einem ausholenden Schwung ließ die Kriegerin ihre Waffe über ihren Kopf kreisen, sodass ihre Haare wild umhergewirbelt wurden und schleuderte das dürstende Blatt ihres Tanzpartners auf eines der Feinde. Im Augenwinkel sah sie, wie eines der Feinde Symin umkreiste. Auch er in einem Rausch des Kampfes gefangen, hatte keine Mühe sich der Front entgegenzustellen. Eines der Knochengerippe allerdings, war bedrohlich nahe an seinem Rücken und holte zum Schlag aus. Eve verließ ihre Position und rannte auf das Gerippe zu. Ihre Metallstiefel donnerten raschelnd auf dem Boden, ihre Sense starr in der Hand wie eine Lanze auf einem Ritterturnier. Sie sprang, löste einen Mechanismus an ihrer Waffe aus sodass sich das Sensenblatt mit der Spitze nach vorne umklappte und wie ein Speer, warf sie ihre Waffe in der Luft auf den Schädel des Angreifers. Sie setzte auf, blickte Symin tief in die Augen, dessen Blick die Frau musterte. “Dachte ich schau mal vorbei, vielleicht brauchst du ja Hilfe.“ Scherzte sie in ihrer eignen Art. Sie zog ihre Waffe aus dem Erdboden und stellte den Speer zurück auf Sense um und schnappte sich die rauschende Kette unter ihrem Handschuh. Jetzt war es Zeit das neue Spielzeug auszuprobieren. Erneut holte sie Schwung mit ihrer Waffe und stieß ihren Partner von ihrem Leib, als wäre Evelyn eine Diskuswerferin. Die Raschelnde Kette unter ihren Fingern entglitt ihr Glied für Glied, bis sie fest daran zog und sie mit einem Schwung die Sense zurück zu sich an Mann brachte. Eine Kombination aus Nah und Fernkampf ermöglichte ihr diese neue Art des Kampfes auszuprobieren und lange hatte sie auf eine Gelegenheit wie diese gewartet, um ihr neues Schätzen in Aktion zu sehen. Die Kette diente als Verlängerung die Waffe mit Schwung kontrollierbar einzusetzen, als wäre es eine Kralle.
Übereifrig in ihrem Rausch, Rücken an Rücken mit Symin, bemerkte die Frau gar nicht, wie unter ihnen erneut der Boden bebte. Dieses Mal gruben sich keine Knochenwesen aus der Erde, sondern ein großer Berg türmte sich auf, der die beiden Kämpfer trennten. Eve rollte sich ab und fand sich auf dem Boden wieder, auf dem sie sich erst einmal sammeln musste. Aus einem kleinen Knochen, wurde ein großer, dann noch ein größerer und ein noch noch noch größerer, der sich vor ihr aufbaute. Sie scharrte mit den Füßen um Halt auf dem Boden zu finden und setzte sich so schnell wie möglich auf. Der Knochenberg, der einem Riesen glich, warf einen bedrohlichen Schatten des Nachtmondes, der sich hinter einer Wolkendecke verschanzte, auf das Zelt und sein schwarzes Auge suchte mit einem immerwährenden Grinsen in seinem Gesicht, nach einem nächsten Opfer. Er riss sich eine Rippe aus seinem Leib und ein heranstürmender Brom erlag der Wucht des Schlages, sodass der Gorone Meterweit durch die Luft gewirbelt wurde. Der Zug des Feindes war so stark, dass ihre Haare wie wild durcheinanderflogen. Sie biss sich wild fletschend auf ihre Zähne und suchte nach Schwachstellen, doch für eine längere Analyse war keine Zeit. Der Riese fuchtelte unkontrolliert in tiefe Bahnen um sich herum und warf Leute durch die Gegend, die laut stöhnend auf dem Boden liegen blieben. “Verdammt. Wenn das so weiter geht dann …“ Eve streifte sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Der Mond, der in seinem vollen, blutroten Glanz hinter einer vorbeifliegenden Wolke erneut emporstieg, war saftiger und intensiver als zuvor. Er hatte den Höhepunkt erreicht und schien mit seiner vollen Pracht auf Eve herab. Sie blickte mit ihren tiefen, blauen Augen empor gegen den Himmel und in ihre Pupillen spiegelten die runde, rote Kugel am Firmament.
Der Mond, der Mond, der Mond scheint hell!
Ihr Herz pulsierte wie verrückt und setzte einen Schlag aus. Ihre Brust hämmerte. Eve hustete angestrengt und ihre Augen weiteten sich vor Schmerzen. Sie fiel auf die Knie, die Sense, dessen Blatt nach vorne überkippte und sich im staubigen Boden vergrub, wirbelte Dreck auf, der sich mit den roten Funken vermischte. Eve keuchte angestrengt und sie presste ihre Augen fest zusammen. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie keuchte heftiger. Angestrengter. Der Druck, der auf ihrem Brustkorb lastete, hörte nicht auf. Es fühlte sich an, als würden Tonnen von Steinen darauf liegen. Verbissen krallten sich ihre Finger im Erdboden und hinterließen Furchen. Ihre Faust ballte sich und schlug auf den Dreck. Sie konnte kaum atmen. Irgendetwas schnürte ihr die Luft ab. Sie beugte sich noch weiter nach vorne. Dumpfe Schreie gelangten aus ihren Lungen, die durch die Kampfgeräusche komplett hinweggetragen wurden. Schließlich gab es einen Stich in ihrem Herz. Das Gefühl brannte sich durch Mark und Bein und Eve verlor fast das Bewusstsein. Ihre langen, braunen Haare rutschten nach vorne und überdeckten ihren kompletten Körper wie eine Decke. Ihre Ohren unterlagen einem lauten Rauschen, sodass sie nichts mehr vernahm. Ihr Kopf drehte sich. Ihre Hände zitterten. Ihr rechtes Auge, es schmerzte. Ihr rechter Arm fühlte sich an, als würden tausend glühende Messerschneiden Worte in ihr Fleisch ritzen.
Sie setzte ein Knie auf dem Sandboden auf und raffte sich mit hängender Gestalt auf. Die Haare rutschten von ihrer buckligen Statur die vorne rechts überhing. Ihre linke Hand stützte ihre rechte Schulter, ihr rechter Arm hing leblos an ihr herab. Ihr tiefer, ernster Blick, fokussiert auf jeden Einzelnen, auf die Masse. Kein Feind, kein Freund, kein Verbündeter.
Über ihrem rechten Arm zogen sich schwarz, lilaglänzende Runen die sich zu unverständlichen Worten manifestierten und teilweise schimmerten. Ihr rechtes Auge war tiefschwarz. Jedes glänzende Weiß war ausgefüllt, jedes tiefe Blau verschlungen. Schwarzlilanes Feuer brannte um ihr rechtes Augenlicht und die Flammen flatterten wild im auftreibenden Wind. Sie waren für alle ersichtlich. Über ihren Kopf, ein brennender Halbkreis, dessen offener Ring sich wie ein C über das Haupt der Frau gelegt hatte. Evelyn knackte mit ihrem Genick und zog messerscharf die Sense langsam aus dem Boden, dabei ersuchte ihr Blick einfach alles.
Der Mond, der Mond, der Mond scheint hell!