ZitatAlles anzeigenMit dem Rücken zur Welt:
Natürlich ist "World of Warcraft" ein schrecklich erfolgreiches Game. Millionen zocken es begeistert. Die Versorgung mit immer neuen Herausforderungen? Erstklassig. Aber es gibt genügend Gründe, das Online-Rollenspiel zu hassen - oder zumindest seine Folgen zu hinterfragen. Das leise Wehklagen eines Spieletesters:
Ich sehe meinen Kumpel nicht mehr allzu oft. Nicht etwa, weil er sein Referendariat in der hintersten Ecke des Landes ableistet oder ich seine Freundin nicht mag, sondern weil ich ihm ein Geschenk gemacht habe. Eines von vielen. Ich bin Spieletester. Wöchentlich bekomme ich die aktuellesten Games von den Herstellern zugeschickt. Ein erfüllter Kindheitstraum, wenn man so will. Ein Job, von dem auch mein Umfeld profitiert.
Seit meinem zwölften Lebensjahr hänge ich am Joystick wie ein Junkie an der Nadel. Ich führe halbwegs normale Beziehungen, gerate beim Anblick von Lara Croft nicht sonderlich in Wallungen und verspüre auch trotz Shooter-Konsums nicht den Drang, Amok zu laufen. Und dennoch habe ich getötet. Oder zumindest Beihilfe geleistet ...
Vermutlich hilft es nicht sonderlich, wenn ich hinzufüge, dass es ein Unfall und schon gar keine Absicht war. Noch viel weniger tröstet der Gedanke, dass ich nicht der Einzige auf der Welt bin, der auf diese Art einen Freund verloren hat. "World of Warcraft" heißt der wahre Beziehungskiller, ein Rollenspiel, in dem man als Ritter oder Zauberer durch eine Fantasy-Welt streift und unzählige Monster erschlägt, um letztlich dem Narziss zu frönen. Über sechs Millionen Menschen sind diesem vermaledeiten Game schon anheim gefallen - und täglich werden es mehr, der Globalisierung sei Dank. "World of Warcraft" ist ein Online-Spiel. Wer den Namen bei Google eingibt, bekommt etwa 25 Millionen Treffer angezeigt. 99,9 Prozent davon künden, wie geil es doch ist, als Ritter oder Zauberer Monster zu erschlagen und dem Narziss zu frönen, weil sich jeder Süchtige dieser virtuellen Droge dazu aufgerufen sieht, der Welt seine Erfahrungen kund zu tun. Angehörige und Bekannte schweigen jedoch, tolerieren, hoffen, dass irgendwann mal alles ein Ende hat. Hat es aber nicht.
Denn "World of Warcraft" ist eine Gelddruckmaschine, die durch ständige Erweiterungen am Laufen gehalten wird. Rund 40 Euro kostet das Spiel, zudem kommen jeden Monat elf Euro Abo-Gebühren hinzu. Zugegeben: Eine Flasche guter Wodka ist bei weitem kostspieliger. Aber die lässt sich zumindest in geselliger Runde trinken. "World of Warcraft"-Spieler jedoch sind einsam - trotz ihrer Online-Gefährten, die irgendwo anders ebenfalls mit dem Rücken zur Welt sitzen. Als Amateur gilt, wer weniger als sechs Stunden täglich in den Weiten von Azeroth verbringt - als Plaudertasche, wer mit Headset spielt und mit Hilfe kleiner Programme für Normalsterbliche kaum verständliche Sprachfetzen austauscht. Buffen, Raiden, Twinks, Molten Core - bitte was?!
Nahezu unmöglich, einen "World of Warcraft"-Spieler ohne Androhung von Gewalt dazu zu bewegen, auszuschalten, abzuschalten, auszugehen. Und selbst wenn einem dieses Kunststück gelingt, ist der Abend keineswegs gerettet. Schließlich gibt es noch andere, die von ihren Freunden genötigt wurden, die Finger von der Maus zu lassen. Und jene, die auf Entzug sind, finden sich. Irgendwie. Garantiert. Und werden plötzlich gesprächig. Vermutlich gibt es längst einen geheimen Dress- oder Verhaltenscode, den nur "WoW"-Spieler erkennen. Gut möglich, dass Dan Brown bereits ein Buch darüber schreibt.
Ein Thema, das durchaus Anlass zu Spekulationen gibt: Entwickelt sich da etwa eine virtuelle Parallelgesellschaft, die am liebsten unter sich bleiben will? Wie viele Beziehungen mussten wegen der Hatz nach immer noch tolleren Schwertern, Schildern, Rüstungen ihr Leben lassen? Wie viele haben deswegen ihren Job verloren, ihr reales Leben runiniert? Und was zeichnet diese Subkultur noch aus - außer ihrem unglaublichen Phlegma?
Eine Antwort darauf: ihre Geschäftstüchtigkeit. Der Handel bei eBay blüht - auch wenn der Betreiber Blizzard das nicht gerne sieht und für rüde Strafmaßnahmen bekannt ist. Potente Charaktere mit schickem Outfit und dicken Knüppeln wechseln für mehrere hundert Euro den Besitzer. Bare Münze muss auch für virtuelles Gold auf den Tisch gelegt werden: 1.000 Barren im Spiel kosten etwa 90 Euro in der Realität. Dieses wirtschaftliche Kuriosum hat dazu geführt, dass findige "WoW"-Zocker Niederlassungen in Fernost gegründet haben. Das Geschäftsmodell: Billige Arbeitskräfte sind den ganzen Tag auf europäischen Servern unterwegs, um tapfere, neue Helden zu züchten, epische Gegenstände abzugrasen und Gold zu "farmen".
Davon will mein Kumpel freilich nichts wissen. Seinen Taurenkrieger, den er "Bulle von Tölz" getauft hat, würde er nie hergeben. Er ist diesem Spiel verfallen und seiner Gilde hörig. Wenn zum gemeinsamen Raubzug geblasen wird, muss alles andere warten. Manchmal auch die Freundin am Bahnhof. Andernfalls droht in den nicht selten streng hierarchisch aufgebauten Gruppen harscher Punktabzug und Sympathie-Verlust. Beides gleicht einer Katastrophe. Wer sich als unzuverlässig erweist, wird bei späteren Abenteuern kaum noch Anschluss finden. Wer nicht mit den seltensten Gegenständen und Waffen durch die Gegend turnt, wird müde belächelt. Und wer stets brav Zweihänder bei Fuß steht, hat bald keine Freunde mehr ....
Ich habe meinen Freund gefragt, ob er am Freitagabend Zeit hat, etwas trinken zu gehen. Er sagte, er habe einen "Termin". Ich beherrsche mich, sage nichts, blicke allenfalls etwas bedrückt. Aufgegeben wird nicht. Noch nicht ...
Quelle: www.gmx.de
Rofl... o,o